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Exposure-Tour „Missionarische Kirche“ mit Mitarbeiter des päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung

Im April war auf Einladung der Arbeitsstelle KAMP Bruder Helmut Rakowski OFMCap, Mitarbeiter in der Geschäftsstelle des Päpstlichen Rates für die Förderung der Neuevangelisierung, zu Gast in Deutsch­land. Ziel der einwöchigen Tour durch Deutschland mit dem Leiter der KAMP war das Kennenlernen der spezifischen pastoralen Situation in Deutschland aus erster Hand. Gespräche mit Mitarbeitern pastoraler Projekte in Erfurt, Leipzig und Berlin führten dem römischen Gast die Diasporasituation insbesondere im Osten Deutschlands vor Augen. So zeigte sich im Kolumbarium (Begräbniskirche) der Allerheiligenkirchen in Erfurt die Möglichkeit, auch Nicht-Getaufte zu Bestattungen in einer zentralen Grablege zu gewinnen. Die Seelsorger kommen dadurch auch mit den Angehörigen in einen guten Kontakt, der oft zu Gottesdiensten mit den Angehörigen in der Allerheiligenkirche führt. In Leipzig zeigte das Team der Orientierung um den Jesuitenpater Hermann Kügler, dass es möglich ist, über spirituelle Formen wie die Zen-Meditation im „Raum der Stille“ auch interessierte Nicht-Christen zu erreichen. Für Kügler ist es die (in Leipzig nicht allzu große) Gruppe der religiös Su­chen­den, die sich für spirituelle Fragen gerade auch im Christentum interessieren. So kommt beispielsweise ein Kurs über das Christentum an der Volkshochschule immer wieder gut zustande. Die „Orientierung” versteht sich als komplementäres Angebot zu den kirchlichen Gemein­den für interessierte Nicht-Christen.

In Berlin beeindruckte zunächst das Café „Kreuzberger Himmel”, das die Pfarrei St. Bonifatius im Kiez für Mahlzeiten und diverses Programm öffnet. Im „Internationalen Pastoralen Zentrum” in Berlin-Neukölln (IPZ) wurden die Besucher in die Suchprozesse mit hineingenommen, eine dem prekären Stadtteil adäquate Pastoral zu entwickeln: Die Mitwir­kung mit den Menschen im Stadtteil („Sozialraumpastoral“), aber auch die Kooperation mit Solwodi (Solidarity with Women in Distress) im Engagement für benachteiligte ausländische Frauen und spirituelle Kunstprojekte führen vor Augen, dass das Evangelium ganz konkrete Auswirkungen haben muss. Jedoch gilt es – nicht nur für Ost­deutschland –, die Grenzen des Missionarischen realistisch im Blick zu behalten. Viele Menschen sind religiös indifferent und suchen nicht nach einer transzendenten Deutung für ihr Leben. Dies wahrzunehmen, zu akzep­tieren, damit umzugehen und dennoch den Mut nicht zu verlieren, im­mer wieder als „Zeuge“ da zu sein, gehört auch zur „ars evangelizandi“.

Unterschiedliche Versuche, missionarisch Kirche zu sein, zeigen die Kulturkirche Art & Amen in der Kölner Michaelskirche, die in einem „Szeneviertel“ abends geöffnet wird, um mit den Menschen vom Brüsseler Platz experimentelle Gottesdienste zu entwickeln und zu feiern, sowie die Sozialpastoral im Kölner Stadtteil Vingst. Hier wird eine aufsuchende Gastfreundschaft praktiziert, die den überwiegend durch Migranten und Muslime geprägten Stadtteil als Herausforderung für die Pastoral versteht und gestaltet. So bestehen denn die Kellerräume unter der Kirche St. Theodor, die „Katakomben“, aus einem Warenlager aus praktischen Gegenständen, mit denen Bedürftige versorgt werden können. Hier finden sich Ausgabetheken für Mahlzeiten, Kleidung und andere Gegenstände. Der Initiator und Motor, Pfarrer Franz Meurer, be­eindruckte durch seine Schilderungen von den Ferienfreizeiten für Kin­der aus prekären Familienverhältnissen, die sonst nie die Chance hät­ten, bestimmte Erfahrungen zu machen. Für ihn bestimmen die Men­schen die Art und Weise, wie das Evangelium Gestalt gewinnt. Offen für alle zu sein, ist der Auftrag einer Kirche, die die vorurteilsfreie und un­verdienbare (also gnadenhafte) Zuwendung Gottes (gratuité) zur Gestalt bringen will.

Gespräche mit dem Bereich Pastoral im Sekretariat der Deutschen Bischofskonfe­renz, dem Leitungsteam der Bewegung Nightfever, die vom Weltju­gend­­tag 2005 ausging und sich in vielen Städten mittlerweile verbreitet hat, beim Bonifatiuswerk in Paderborn sowie mit dem diözesanen Insti­tut für Neuevangelisierung in Augsburg und der Citykirche Moritzpunkt zeigten dem Gast die strukturellen Hintergründe einer Kirche, die sich in Deutschland im Umbruch befindet.

In Hildesheim wurde Bruder Rakowski über die Überlegungen der „Loka­len Kirchenentwicklung“ informiert. Ökumenische Lernprozesse hatten die Teammitglieder aus der Landeskirche Hannovers und des Bistums Hildesheim einerseits in die Länder des Südens zu den sog. Kleinen Christlichen Gemeinschaften, andererseits nach Frankreich und England geführt: Dort lernten sie von der Taufwürde her inspirierte neue Modelle „örtlicher Gemeinden“ und deren kollegialer Leitung durch Basiséquipen und die Erfahrungen neuer Gemeindeformen („fresh expressions of church“) kennen. Die Früchte dieser Ansätze des Kircheseins entfalten sich derzeit auch für eine (missionarische) Kir­chen­entwicklung in Deutschland. In dem überregional wahrgenomme­nen Kongress kirche2 vom Frühjahr 2012 zeigt sich deutlich, dass es darum geht, zukünftig viele unterschiedliche Gemeinden und Gemein­schaftsformen des Christlichen (Einrichtungen, Prozesse, Events …) in einer Pfarrei zu haben und sich entwickeln zu lassen. Hier nehmen Subsidiarität und Dezentralität, die Frage nach der Nähe des Glaubens vor Ort einen zentralen Platz ein.

Bruder Helmut Rakowski zeigte sich beeindruckt von der Unterschied­lichkeit der pastoralen Kontexte und von den entsprechenden Bemü­hungen, als Kirche auf die Menschen zuzugehen. Insofern dürfte es ge­lungen sein, den römischen Blickwinkel auf die pastorale Entwicklung in Deutschland zu bereichern und die Diversität sowie die Chancen und Grenzen missionarischer Entwicklung der Pastoral in Deutschland auf­zuzeigen.