Editorial
Auf der Suche nach der „Freude des Evangeliums“: Veränderung in der Organisation Kirche
Der Papst vom „anderen Ende der Welt“ hat nicht erst seit Evangelii Gaudium deutlich gemacht, dass es seiner Ansicht nach in der Pastoral der Kirche nicht mehr so weitergehen kann wie bisher. Sein Appell, „von einer bewahrenden zu einer entschiedenen missionarischen Pastoral überzugehen“, (EG 15), unterstützt all jene Bemühungen auf verschiedenen Ebenen, einen Wandel von Kirche und Pastoral nach dem Missionarischen als dem „Paradigma für alles Wirken der Kirche“ (ebd.) voranzubringen und zu unterstützen. Dieser Prozess hat auch in der Kirche in Deutschland begonnen, wird von verschiedenen Akteuren vorangebracht, scheint aber immer noch an vielen Stellen mit wenig tatsächlicher Anteilnahme und Energie unterfüttert zu sein. Die Frage ist, ob es tatsächlich eine ernstgemeinte Option für eine solche Veränderung von Kirche gibt und was der eine oder die andere bereit sind, auch dafür einzusetzen, um sich auf einen solchen Weg zu begeben, der immer auch Abschied vom Althergebrachten bedeutet. Der aufmerksame Beobachter gewinnt zeitweilig den Eindruck, dass die Beifallsbekundungen für eine missionarische Kirche eher nach dem Schema laufen: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“ Die Antworten auf die Fragen nach der Zukunft einer missionarischen Kirche hängen vom jeweiligen Verständnis von Kirche und Welt und deren gegenseitiger Durchdringung und Bezogenheit zusammen. Ebenso geht es um die Frage, wie Gottes vorgängiges Wirken (Gnade, missio Dei) und die Berufung der Menschen zum Zeugnis als Mitwirkende in einer sakramental-leibhaft verstandenen Realisierung gnadenhafter Zuwendung zusammenkommen können. Missionarische Pastoral fordert dazu heraus, Kirche nicht nur anders zu denken, sondern zu experimentieren und miteinander einen Weg des Vertrauens zu gehen: Vertrauen auf Gott, der seine Kirche führt und begleitet, Vertrauen aufeinander in einem solchen Prozess der Erneuerung. In der Eucharistiefeier werden die eucharistischen Gaben von Brot und Wein gewandelt. Sind wir jedoch auch bereit, uns selbst verwandeln zu lassen zum Zeugnis, zur Gestaltwerdung und zum Entdecken des Evangeliums? Oder heißt die Devise: „Bitte wandel' die Gaben, doch uns lass' in Ruh'!"
Dies ist sicher zunächst eine Aufgabe für jeden Getauften und Gefirmten, also diejenigen, die Jünger und Missionare sein sollen (EG 119–121). Es ist aber auch eine Herausforderung für alle, die als Priester, Gemeindereferentin, Bischof, Nuntius, Finanzverantwortliche und pastoraler Planer amtlich oder hauptberuflich Verantwortung tragen für den Weg der Kirche in Deutschland. Der Papst fordert zur Neuorientierung der pastoralen Strukturen auf, wohl wissend, dass es nicht – wie es derzeit fast überall angesichts großer pastoraler Räume scheint – nur um Strukturen geht, sondern sich ein neues Denken verbreiten muss, das der Barmherzigkeit Gottes neuen Raum gibt. Paulus würde hinzufügen, dass ein solches neues Denken (metá-noia) immer etwas mit Umkehr zu Gott zu tun hat (Röm 12,2). Wie kann eine solche Erneuerung aus der persönlichen Begegnung mit Christus und aus dem Heiligen Geist heraus geschehen? Was führt in der Kirche, die nicht unbedingt mit Unternehmen vergleichbar ist, die einem Produktzwang unterworfen sind, zu solcher Innovation? An Aufbruchsrhetorik ist derzeit kein Mangel, sie ist fast inflationär. Ob solche Appelle nur eine „fromme Floskel“ bleiben, erweist sich daran, ob es tatsächlich gelingt, erneuernde Veränderung erlebbar zu gestalten. In Veranstaltungen, in denen es um missionarische Pastoral und die neue(n) Gestalt(en) von Kirche geht, scheint oft auf, dass wir nicht ein Wissens- oder Erkenntnisdefizit, vielmehr ein Umsetzungsdefizit haben. Was macht es so schwierig, sich als missionarische Kirche zu einer neuen Art und Weise der Pastoral und zu neuen Gestalten von Kirche zu entwickeln? Welche Beharrungskräfte gibt es, wie kann damit umgegangen werden? Was bedeutet die zunehmende Pluralität des Kirche-Seins und wie kann angesichts der missionarischen Herausforderung mit den divergierenden Kirchenkonzepten ein fruchtbarer und produktiver Prozess gestaltet werden?
Für die aktuelle Ausgabe von euangel ergab sich so fast von selbst eine Zweiteilung, die einerseits den Reflexionen, Anstößen und Herausforderungen des neuen Papstes entlanggeht mit dem Ziel, die Freude des Evangeliums (Evangelii Gaudium) wiederzugewinnen und zum Ausgangspunkt der Veränderung zu machen. Andererseits versuchen wir im Blick auf Innovationsforschung, Lernpsychologie und Organisationsentwicklung, so manchen Akzent zu einem neuen Denken und einer neuen Pastoralpraxis zu setzen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsstelle in Erfurt wünschen Ihnen eine gute und anregende, vielleicht sogar aufregende Lektüre.