Engagementförderung als ein Verstärker von Gemeindeentwicklung
Sozialraumanalyse
Die katholische Kirchengemeinde Heilige Familie in Köln umfasst die beiden Stadtteile Höhenhaus und Dünnwald, die wiederum am Stadtrand von Köln liegen. Die Bevölkerung ist sozial gemischt. Neben bürgerlichen Milieus gibt es auch fünf Wohngebiete, wo Geringverdiener und Sozialhilfeempfänger wohnen. Beide Veedel [Stadtviertel; die Redaktion] erfreuen sich einer großen Beliebtheit bei der nachfolgenden Generation, die gerne an den Wohnort ihrer Kindheit zurückkehrt. Freiwerdende Immobilien locken auch Neu-Zugezogene an, die eine beachtliche Bereitschaft mitbringen, für den Stadtteil und ihr Wohnumfeld aktiv zu werden. Die vielen Kinder werden von vier Grundschulen, zwei Förderschulen und einer Gesamtschule sowie zahlreichen Kindertagesstätten und Tageseltern-Angeboten betreut.
Pastoralkonzept
Vor 14 Jahren übernahm eine kleine franziskanische Ordensgemeinschaft, die Amigonianer, den priesterlichen Dienst in der Kirchengemeinde. Zu dem Zeitpunkt, im Jahr 2004, galt es, bistumsweit Sparbeschlüsse unter dem Stichwort „Zukunft heute“ umzusetzen. Trotzdem hat die Gemeinde gemeinsam mit den Ordenschristen das Ziel entwickelt, sich für alle 27.000 Bewohner der beiden Stadtteile zuständig zu fühlen, also nicht nur für die 12.000 Katholiken. Die Gemeinde möchte den Menschen zu Diensten sein und so in ihrem Leben eine Bedeutung haben. Das Pastoralkonzept trägt daher den Titel: „Christus berührbar machen – Kirche in den Lebenswelten der Menschen“. Um zu erfahren, was die Menschen brauchen und mit der Kirche assoziieren, wurde eine Befragung der Bevölkerung samstags in der Einkaufsstraße durchgeführt.
Instrumente der Gemeindeentwicklung
Infolgedessen wählte die Gemeinde als Instrumente ihrer Entwicklung die Ökumene, Sozialraumpastoral und Netzwerkarbeit, um mit allen christlichen Konfessionen, Vereinen, gesellschaftlichen Gruppierungen und sozialen Institutionen ein Beziehungs- und Hilfsnetz zu knüpfen. Dieses Vorgehen setzt ganz neue Dynamiken frei. Statt in Konkurrenz miteinander zu treten, wird die gemeinsame Identität mit dem Sozialraum gestärkt. Dies steigert die Wohn- und Lebensqualität. Die sozialen Bedingungen – u. a. die Fähigkeit, Neu-Zugezogene und Menschen mit Migrationshintergrund zu integrieren – bessern sich vor Ort.
Verlusterfahrungen
Unabhängig von dieser positiven Entwicklung gab es im Kernbereich der Kirchengemeinde bei den inhaltlichen Vollzügen von Liturgie und Katechese – aufgrund der soziologischen Entwicklung (= Überalterung der Gläubigen) und den veränderten schulisch-beruflichen Bedingungen (= weniger Freizeit in der Woche, dadurch eine Vielfalt von stark untereinander konkurrierenden Freizeitangeboten am Wochenende) – auch Verlusterfahrungen. Die Anzahl der Gläubigen nahm in zehn Jahren um fast 2.000 ab. Das Seelsorgeteam schrumpfte. Die Anzahl der Gottesdienste musste reduziert werden. Gruppenangebote für Kinder während der Woche konnten nicht mehr stattfinden, mangels Kindern und Leitern, denen die verkürzte Laufzeit der fortführenden Schule auf acht Jahre und der damit verbundene Prüfungsstress zusetzten. Das Kräftepotential und Interesse, um aus der Mitte der Gemeinde „ein buntes Treiben rund um den Kirchturm“ sicherzustellen, nahm rapide ab.
Zugewinn Ehrenamtsentwicklung
An diesem Punkt wurde seitens des Erzbistums Köln eine Fortbildung zur Ehrenamtsentwicklung angeboten, an der zwei Vertreter des Pastoralteams und zwei Vertreter aus dem Pfarrgemeinderat teilnahmen und sie mit der Qualifikation „Ehrenamtsmanager“ abschlossen. Diese große Fortbildung half sehr, die aktuellen Herausforderungen in Bezug auf das Engagement von Menschen in Gesellschaft und Kirche besser zu verstehen und für die Gemeinde nutzbar zu machen.
Da bei der Fortbildung auch ein Projekt zu entwickeln war, konnte der Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand davon überzeugt werden, im Zeitraum 2012–2014 eine „Ehrenamtsentwicklerin“ mit halber Stelle für zwei Jahre einzustellen. Später konnte dieses Projekt im Zeitraum 2014–2019 mit einem „Ehrenamtsentwickler“ mit ganzer Stelle fortgesetzt werden. Aufgrund einer Veränderung der Standards im Erzbistum Köln wurde diese Stelle ab 2017 bis 2020 mit ganzer Stelle als „Engagementförderer“ fortgesetzt.
Aufgaben der Ehrenamtsentwicklung
Die Aufgabe dieses Pfarrgemeinderat-Projektes ist es, neue Standards für die Anwerbung, die Begleitung und die Verabschiedung von Ehrenamtlichen zu implementieren. Innerhalb der Gemeindeentwicklung hatte dies einen Paradigmenwechsel von „altem“ zu „neuem“ Ehrenamt zur Folge.
Konfliktpotential
Hierzu gab es Konflikte in der Gemeinde zu bearbeiten. Zum einen wurde die verwendete Begrifflichkeit (alt/neu) fehlgedeutet („Alte und lang gediente Ehrenamtliche sind auf einmal unerwünscht; die wollen nur noch junge Kräfte“).
Zum anderen war auch das Pastoralteam irritiert, dass jetzt eine neue Berufsgruppe mit am Tisch der Besprechungen saß. Als dann auch noch die bisherige Vorgehensweise („Ich such’ mir meine Katecheten für meine Firmvorbereitung selbst aus“) in Frage gestellt wurde, waren mehrere Teamklausuren notwendig, Missverständnisse auszuräumen und sich auf eine neue Herangehensweise zu verständigen. So wurde u. a. die „verzweckte“ Ansprache von Freiwilligen für bestimmte Versorgungsleistungen der Gemeinde eingestellt. Stattdessen wird Interessierten geholfen, ihren „Traum“ von einem Engagement zu Gunsten der Lebensqualität im Veedel und der Mitwirkung bei einer „Gemeinde im Aufbruch“ zu verwirklichen. Wenn jemand folglich aus dem Team selbständig um Engagements wirbt bzw. von Interessierten angesprochen wird und diese nicht an den Ehrenamtsentwickler weiterleiten möchte, dann hat er/sie aber die Pflicht, die geltenden Standards für das „Erstgespräch“, „Vermittlungsgespräch“ und „Drei-Monats-Gespräch“ mit Bewerbern für ein Ehrenamt einzuhalten.
Qualitätssicherung
Dies zeigte, dass die Qualifizierung von vier Gemeindemitgliedern nicht reichte, sondern auch der ganze Pfarrgemeinderat, Teile des Kirchenvorstands, das ganze Pastoralteam und die Leiter der Gruppen und Projekte der Gemeinde informiert und thematisch „mitgenommen“ werden mussten. Auf dem weiteren Weg gab es dann auch Fortbildungen vor Ort in der Gemeinde, um Gruppen- und Projektleiter zu „Ehrenamtskoordinatoren“ weiterzuqualifizieren. Sodann war der Gefahr vorzubeugen, dass sich der Engagementförderer mit der Vielzahl von Aufgaben, Erwartungen, Einsatzmöglichkeiten und Ehrenamtlichen sowie der Beziehungs- und Terminflut in den unterschiedlichen Netzwerken alleingelassen bzw. überfordert fühlt. Daher gibt es neben den Dienstbesprechungen (alle zwei Wochen mit dem Pfarrer; einmal im Monat mit dem Pastoralteam), den Supervisions- und Fortbildungsangeboten des Erzbistums Köln auch viermal im Jahr die Rückanbindung und den fachlichen Austausch mit dem „Qualitätszirkel Ehrenamtsmanagement“. Denn dazu hat sich mit den eingangs erwähnten vier Ehrenamtsmanagern und einem interessierten Projektbegleiter aus dem Erzbistum ein Gremium gebildet, das im Auftrag des Pfarrgemeinderates und der Gemeindeleitung die Stelle des Engagementförderers anleitet, kritisch begleitet, bei Fragen der Sicherung von Standards und Qualitätskriterien berät und weiter ausgestaltet.
Priorisierung von Zielgruppen
Entsprechend wurde auch eine Liste mit allen Gemeindegruppierungen, Verbänden und Projektinitiativen erstellt und nach einem Ampel-System mit Farben bewertet (rot für „in sich geschlossen und sterbend“; gelb für „förderungswürdig, weil fähig, neue Ehrenamtliche mit Unterstützung zu integrieren“; grün für „eine gute Kultur zur Mitwirkung von neuen Ehrenamtlichen im Projekt bzw. auch Offenheit vorhanden für die Umsetzung neuer Ideen“).
Daran kann sich der Engagementförderer orientieren, um zu entscheiden, mit wie viel zeitlichem Aufwand er auf Fragen und Bitten um Hilfestellung aus diesen Gruppen reagiert. Das heißt zum Beispiel, dass der Engagementförderer bei neuen Initiativen aus dem grünen Bereich zeitweise sogar bewusst in die Projektkoordination gehen kann, bis die Ehrenamtlichen dies alleine hinbekommen, während er zu den Gruppen des roten Bereichs nur locker Kontakt hält, um z. B. Ehrungen für langjähriges Engagement vorzunehmen.
Im Rahmen der o. g. Gemeindeentwicklung wurde dann deutlich, dass auf den Engagementförderer – neben der Begleitung und Pflege der bisherigen Kerngemeinde – auch noch andere Zielgruppen warteten. Denn die bisherigen Gemeindestrukturen – bestehend aus Gremien, Gruppierungen und Veranstaltungen des pfarrlichen Eigenlebens (wie z. B. Pfarrfeste) – haben sich leider größtenteils überlebt und es finden sich immer weniger Ehrenamtliche, die da ihre wertvolle Zeit und Kraft hinein investieren wollen.
Rolle des Engagementförderers
Deshalb lohnt es sich und ist es gewollt, dass der Engagementförderer auch raus an die Ränder geht. Denn die Kirchengemeinde möchte auch im normalen Leben des Stadtteils vorkommen und den Kontakt zu neuen, zumeist kirchenfernen Initiativen pflegen. Deshalb bietet sie auch Initiativen des zivilen Lebens an, den Engagementförderer der Gemeinde zu nutzen bzw. von seiner Vorgehensweise zu lernen.
Somit ist der Ehrenamtsentwickler ein Grenzgänger zwischen alter und neuer Welt, aber auch ein Anwalt für die Rechte und Bedürfnisse der Engagierten gegenüber der Gemeindeleitung und den verfassten Strukturen.
Entsprechend wird viel Werbung für diese neue Qualität im Umgang und Möglichkeiten des Engagements bei Stadtteilfesten gemacht, mittels einer Postkartenaktion und mit zwei Läden.
Vorzeigmodelle der Engagementförderung
Gerade diese Läden – das CAFE mittendrin in Dünnwald und der Familientreff Klamöttchen in Höhenhaus – konnten wesentliche Signale in die soziale Umwelt der Gemeinden senden, dass der Gemeinde der Respekt vor dem Ehrenamt ernst ist und die Qualität im Umgang mit Ehrenamtlichen an diesen beiden Orten für den Stadtteil, aber auch für die Kerngemeinde vorgelebt werden.
Diese Ladenkultur ist ein Quantensprung in der gesellschaftlichen und kirchlichen Wahrnehmung, denn Sozialraumpastoral, Netzwerkarbeit und Engagementförderung konnte man bis zu diesem Zeitpunkt weder riechen oder sehen, und jetzt werden diese wichtigen Maßnahmen durch die Gründung der Läden sichtbar, betretbar, erlebbar. In beiden Läden sind ca. 80 „neue“ Ehrenamtliche aktiv, die wiederum durch ihren Stil und ihre Denke „neue“ Kundenschichten anlocken. Dies ist für die Gemeinde – neben denen, die an die Tür anklopfen, um ein Sakrament oder Segen zu empfangen bzw. mit uns das Leben zu feiern – ein Jungbrunnen an Beziehungsvielfalt, diakonischem Wirken und Kontakterleichterung zu weiteren neuen Engagementkandidaten. Und während häufig die Sakramenten-Schiene recht enggeführt über die hauptamtlichen Seelsorger läuft, ist die Kontakt-Schiene über die Läden recht weitgeführt und mitverantwortet von den Ehrenamtlichen selbst. Obwohl hier auch die Seelsorger Präsenz zeigen und sehr bereichernde Erfahrungen machen. Entsprechend ist auch das Interesse von anderen Gemeinden im Erzbistum sehr groß und werden diese Projekte häufig besucht, um von den hier vor Ort gemachten Erfahrungen zu lernen und für das Gelingen der eigenen Projektideen zu profitieren.
Projektentwicklung
Die Engagementförderung ist auch ein interessantes Feld für die Gemeinde, um ein neues Setting in den vielfältigen Projekten zu erlernen. Wurden früher Projekte „von oben“, also fast ausschließlich vom Pastoralteam und dem Pfarrgemeinderat, initiiert und angestoßen, kommt man immer mehr dahin, dass interessierte Engagementkandidaten mehrheitlich auch an der Ideenfindung, Planung und Gründung von neuen Projekten beteiligt werden. Somit können diese die Erfahrung machen, nicht so sehr in den Dienst an der Gemeinde eingespannt zu werden, sondern „Gründer und Initiatoren von Entwicklung“ mit Hilfe der Gemeinde zu sein.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Gemeinde ein gutes Renommee bei Aktiven im Sozialraum erworben, die aus Gründen der Sinnsuche, der Qualität der Begleitung ihres Engagements, der Kontaktmöglichkeit zu netten anderen Engagierten und des vitalen Austauschs mit ihnen sich vermehrt an die Gemeinde wenden, um dort mitzumachen bzw. ihre Träume zu verwirklichen.
Von Gemeindeprojekten zu Bürgerinitiativen
Eine weitere Qualität wird erreicht durch die Willkommensinitiativen für Flüchtlinge, die sich in ganz Deutschland bilden. Hier haben in unserem Einzugsbereich die beiden evangelischen und die katholische Gemeinde das Auftaktsignal gegeben. Infolgedessen hat sich eine Art freie Bürgerinitiative etabliert, die von den Gemeinden Geld für Projekte, Räume für Versammlungen, Fahrzeuge für den Transport und eine Koordinationsstelle (15 Wochenstunden) für die Begleitung der Engagierten angeboten bekommen hat. Sie nutzt diese Ressourcen und beteiligt Gemeindevertreter auch in ihrer Steuerungsgruppe; aber es ist kein „Abhängigkeits-Verhältnis“ da, sondern man begegnet sich partnerschaftlich. Das heißt, dieses Projekt ist ein interessantes Lernfeld, weil sich hier wirklich zivile Bürger und Christen auf Augenhöhe begegnen. So werden interessierte Bürger des Stadtteils in die Lage versetzt, ein qualitativ hochstehendes und kontinuierliches Angebot zu machen, was sehr erfolgreich für die Integration der Geflüchteten, aber auch für ein respektvolles Miteinander ist.
Von diesem Modell kann die Kirchengemeinde lernen, nicht unbedingt selbst die zumeist aufwändige Trägerschaft von Projekten innezuhaben. Sie kann diese Verantwortung getrost in die Hände anderer Partner legen, um dann zielgenau und kräfteeffizient an der Qualität, ethischen Ausrichtung und Ressourcengewinnung mitzuwirken.
Die Projektkirche und das Evangelium
Eine weitere Frucht der bisherigen Entwicklung ist es, dass „neue“ Engagierte auch eine wichtige Beziehungsplattform für die Gemeinde darstellen, um mit ganz neuen und bisher weitestgehend unbekannten Milieus in Kontakt zu kommen. Dies hilft der Gemeinde, sich – trotz aller Treue – von dem Modell „Volkskirche bzw. Traditionskirche“ besser lösen zu können, um vermehrt ihre Zeit und Kräfte auf dem Gebiet der „Projektkirche“ einzusetzen.
Dabei bleibt das Evangelium nicht auf der Strecke. Denn die „neuen“ Engagierten entwickeln über die grundsätzlich vorhandene Sinnsuche auch ein Interesse an spirituellen Angeboten, die sie teilweise selber mitentwickeln und vorbereiten. Ihrer Kultur und ihren Bedürfnissen nach dem Religiösen auf die Spur zu kommen, ist ein wichtiger Lernprozess für die Gemeinde und lockt wiederum andere „Gleichgesinnte“ an. Basierend auf dieser Erfahrung sind also nicht nur „Getaufte und Gefirmte“ qualifiziert und begabt, um sich für ein Lebensumfeld und eine Gemeinde zu engagieren. Sondern auch Suchende und Menschen „in Entwicklung“ haben das Potential, in Gottes Sinn zu handeln, beim Aufbau des Reiches Gottes mitzuwirken und das Evangelium Jesu miteinander kennenzulernen und zu verwirklichen.
Zukunftsperspektiven der Engagementförderung
Wie soll und kann es folglich mit der Gemeindeentwicklung und Engagementförderung – auch über das Jahr 2020 hinaus – weitergehen?
- Interdisziplinäre Teams
Die Kirchengemeinde möchte die o. g. Lernfelder und den Kontakt, ja die Durchdringung der neuen Wirklichkeit namens Sozialraum nicht aufgeben. Inzwischen besteht in der Kirchengemeinde ein fachliches Kollegium dieser neuen Wirklichkeit, das aus dem Engagementförderer (ganze Stelle), der Projektkoordinatorin des Familientreffs Klamöttchen (16 Wochenstunden) und der Koordinatorin der Willkommensinitiative (15 Wochenstunden) besteht. Außerdem gibt es in den Läden zusätzlich zwei 400-Euro-Jobber zur Unterstützung der Bereiche, die weder durch Ehrenamtliche noch durch Hauptamtliche geleistet werden können oder sollen: Das sind Hilfsarbeiten, aber auch die Sicherstellung von wichtigen Vollzügen in den Projekten, wie z. B. kaufmännische Dinge und Urlaubsvertretungen. Entsprechend sind auch der kollegiale Austausch und die Supervision in diesem Bereich möglich.
- Diakonales Profil
Weitere Zugewinne für die Gemeindeentwicklung gab es dank der Engagementförderung auch im Bereich der Gemeindecaritas. Hier sind schlichtweg viele traditionelle Dienste wie die Ausgabe von Lebensmitteln oder von Kleidung, Besuchsdienste im Krankenhaus oder zu Hause, Haustürkollekten und Geburtstagsgrüße mangels Nachwuchs an Engagierten „ausgestorben“.
Dennoch hat die Gemeinde ein verstärktes diakonales Profil entwickelt. D. h. sie nutzt ihre neu gewonnene Kontakt- und Beziehungsvielfalt, um – auf im Stadtteil angesiedelte – professionelle karitative Dienste hinzuweisen und Interessierte und Bedürftige dorthin zu lotsen. Umgekehrt haben die Mitarbeitenden der professionellen Dienste mit Hilfe der Gemeinde neue Möglichkeiten gefunden, Ehrenamtliche zu finden, sich untereinander und mit allen Partnern aus dem Stadtteil auszutauschen, aktuelle Entwicklungen mitzubekommen und gemeinsame passende Angebote zu entwickeln. Davon profitieren auch die Netzwerke wie z. B. das Katholische Familienzentrum Köln Dünnwald/Höhenhaus oder die zivilen Stadtteilkonferenzen. Bei deren Versammlungen wird also nicht nur „irgendetwas geredet“, sondern es wird ein Bezug der meist außerhalb wohnenden sozialen Profis zu den betroffenen Bewohnern des Stadtteils hergestellt und somit eine neue Solidarität und partnerschaftliche Hilfe des Handelns ermöglicht.
- Vernetzung am Beispiel Bürgerladen
Infolgedessen haben sich an die beiden Läden auch andere soziale Einrichtungen (Erziehungsberatung, Familienzentrum, Seniorenberatung, Kölsch Hätz, Bildungsträger) sowie das Pfarrbüro stundenweise angegliedert und präsent gemacht, um auf charmante und effektive Weise den Betroffenen vor Ort helfen zu können. Zudem konnte ein dritter Laden, der Bürgerladen im Donewald, mitbegründet und etabliert werden. Vor dem Hintergrund der oben gemachten Erfahrungen wurde hier in einem sozial prekären Viertel eine Basis geschaffen, wo Bewohner sich für Mitbewohner mittels eines Mieterrates engagieren. Dort kann auch die Gemeinde neue Angebote ausprobieren, wie z. B. das Repaircafé, während eine große Vielfalt von anderen sozialen Trägern dort für zwei bis zwölf Stunden pro Woche präsent sein kann, ohne dafür eine eigene Institution im Stadtteil gründen bzw. vorhalten zu müssen.
- Vorbehalte und Schwierigkeiten
Trotz all dieser positiven Entwicklungen und sehr bereichernden Erfahrungen gibt es auch Vorbehalte in der Kerngemeinde, und zwar von Gemeindemitgliedern, die diese Entwicklung und Außenorientierung überfordert. Viele davon schieben weiterhin Frust über die Folgen der o. g. Sparbeschlüsse und der Fusionierung von ehemals fünf zu einer Kirchengemeinde. All dies ist vergleichbar mit einem Eisenbahnzug aus Gummi: Vorne ist er schon weit gereist und hinten steht er immer noch. Nicht alle Gemeindemitglieder „mitnehmen“ bzw. für diesen Aufbruch mobilisieren zu können, frustriert den Pfarrgemeinderat. Klarere Botschaften aus dem Erzbistum und den Bistumsmedien – wie z. B. der von diesen Kreisen noch gelesenen Kirchenzeitung – wären notwendig, damit diese Milieus die vielfältigen Aufbrüche in der Bistumslandschaft auf der Ebene der Gemeinden mitbekommen, sie verstehen und tolerieren. Auch eine gründliche Katechese „von oben“, was heute „katholisch zu sein“ bedeutet, wäre hilfreich, um sich von der Ansicht „Ich kann und weiß bereits alles“ und „Ich mache alles allein mit meinem Herrgott aus“ zu lösen und das Christ-Sein neu im Dialog mit dem Mitmenschen von nebenan zu erlernen.
- Verantwortung des Erzbistums
Wenn die Menschen vor Ort das Gefühl haben, die Aufbrüche und interessanten Entwicklungen, ja auch expliziert das Projekt Engagementförderung könnte den Verantwortlichen der Pastoral im Erzbistum „egal“ sein, dann steht eine Nachhaltigkeit der Projekte, die dadurch ermöglicht werden, in Gefahr. Entsprechend haben wir in den vielen Jahren der Engagementförderung ein Auf und Ab von Förderzusagen, Rückenwind und Gegenwind erlebt.
Trotzdem war es uns möglich, mittels Fundraising die Geldmittel zu finden, um dem Bereich Kontinuität und sogar eine Vergrößerung zu ermöglichen. Davon haben unsere Gemeinde und die Stadtteile wesentlich profitiert. Waren hier vor Jahren noch soziale Auflösungsprozesse spürbar (Verarmung der Bevölkerung, Geschäfte sterben, Ghettoisierung, Rückzug von Schlüsselinstitutionen in der Versorgung von Menschen wie z. B. Post, Banken und Polizeiwache), konnten die Stadtteile wieder attraktiver gemacht werden, die Wohnqualität gesteigert und der Zusammenhalt gestärkt werden.
Fazit
Die Kirchengemeinde hat diese Entwicklung ganz klar begünstigt und nachhaltig gefördert. Sie hat für ihr christliches Profil und ihre Daseinsberechtigung in der heutigen Gesellschaft viel gelernt und sich entscheidend eingebracht. Menschen sind mit ihr und dem Evangelium in Kontakt gekommen. Christus hat die Menschen berührt und angerührt, sich für die Armen und Schwachen zu engagieren. Diese Ziele sind wesentlich durch das Instrument der Engagementförderung als Verstärker der Gemeindeentwicklung erreicht worden.
Das Gleichnis vom bunten Vogel
Engagementförderung ist kein typisch kirchlicher Beruf. Entsprechend führen Menschen diesen Beruf aus, die man früher in bornierten Kirchenkreisen als „bunte Vögel“ bezeichnet hätte. Die Hilfe und Biographie-Vielfalt dieser „bunten Vögel“ braucht unsere kirchliche Landschaft mehr denn je. Hören wir ihrem Gesang und frischen Botschaften, „wie Menschen heute ticken“, zu. Schenken wir ihnen unsere Wertschätzung und Unterstützung. Als Zugvögel haben sie viel Ahnung davon, wo die Reise hingeht.
Die bunten Vögel sind nicht auf unsere Unterstützung angewiesen, um im Leben zurechtzukommen; wir brauchen sie.
Schaffen wir ihnen gute Arbeits- und Wirkungsbedingungen, sonst sind sie als gute Zugvögel schnell wieder weg.
Der vorliegende Beitrag ist vor dem Hintergrund eines breit angelegten Projekts im Erzbistum Köln zu verstehen: Seit 2017 werden dort flächendeckend Projektstellen für Engagementförderung eingerichtet. Gewissermaßen als Halbzeitbilanz erschien die Publikation, der der vorliegende Beitrag (unter Weglassung der Fußnoten) entnommen ist:
Der Beitrag findet sich dort auf den Seiten 22 bis 27. Wir danken für die freundliche Abdruckerlaubnis.