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Engagementförderung als ein Verstärker von Gemeindeentwicklung

(Fast) alle reden von Kirchenentwicklung. Wir auch: Viele Beiträge in euangel befassen sich mit Theorie und auch Praxis einer neuen Gestalt von Kirche.
Die neue ständige euangel-Rubrik „Kirche entwickelt sich“ will gezielt Er­fahrungen mit Kirchenentwicklung – auf lokaler, regionaler und diözesaner Ebene – vorstellen. Erfahrungen, die Chancen, aber auch Schwierigkeiten deutlich machen. Erfahrungen, von denen andere lernen können, damit nicht jeder von vorn beginnen muss. Und gerne auch Ihre Erfahrungen – schreiben Sie uns, wenn Sie sie mit uns und unseren LeserInnen teilen möchten!

Sozialraumanalyse

Die katholische Kirchengemeinde Heilige Familie in Köln umfasst die beiden Stadtteile Höhenhaus und Dünnwald, die wiederum am Stadt­rand von Köln liegen. Die Bevölkerung ist sozial gemischt. Neben bür­gerlichen Milieus gibt es auch fünf Wohngebiete, wo Geringverdiener und Sozialhilfeempfänger wohnen. Beide Veedel [Stadtviertel; die Re­daktion] erfreuen sich einer großen Beliebtheit bei der nachfolgenden Generation, die gerne an den Wohnort ihrer Kindheit zurückkehrt. Freiwerdende Immobilien locken auch Neu-Zugezogene an, die eine beachtliche Bereitschaft mitbringen, für den Stadtteil und ihr Wohnum­feld aktiv zu werden. Die vielen Kinder werden von vier Grundschulen, zwei Förderschulen und einer Gesamtschule sowie zahlreichen Kinder­tagesstätten und Tageseltern-Angeboten betreut.

Pastoralkonzept

Vor 14 Jahren übernahm eine kleine franziskanische Ordensgemein­schaft, die Amigonianer, den priesterlichen Dienst in der Kirchenge­meinde. Zu dem Zeitpunkt, im Jahr 2004, galt es, bistumsweit Spar­beschlüsse unter dem Stichwort „Zukunft heute“ umzusetzen. Trotz­dem hat die Gemeinde gemeinsam mit den Ordenschristen das Ziel entwickelt, sich für alle 27.000 Bewohner der beiden Stadtteile zu­ständig zu fühlen, also nicht nur für die 12.000 Katholiken. Die Gemein­de möchte den Menschen zu Diensten sein und so in ihrem Leben eine Bedeutung haben. Das Pastoralkonzept trägt daher den Titel: „Christus berührbar machen – Kirche in den Lebenswelten der Menschen“. Um zu erfahren, was die Menschen brauchen und mit der Kirche assoziieren, wurde eine Befragung der Bevölkerung samstags in der Einkaufsstraße durchgeführt.

Instrumente der Gemeindeentwicklung

Infolgedessen wählte die Gemeinde als Instrumente ihrer Entwicklung die Ökumene, Sozialraumpastoral und Netzwerkarbeit, um mit allen christlichen Konfessionen, Vereinen, gesellschaftlichen Gruppierungen und sozialen Institutionen ein Beziehungs- und Hilfsnetz zu knüpfen. Dieses Vorgehen setzt ganz neue Dynamiken frei. Statt in Konkurrenz miteinander zu treten, wird die gemeinsame Identität mit dem Sozial­raum gestärkt. Dies steigert die Wohn- und Lebensqualität. Die sozialen Bedingungen – u. a. die Fähigkeit, Neu-Zugezogene und Menschen mit Migrationshintergrund zu integrieren – bessern sich vor Ort.

Verlusterfahrungen

Unabhängig von dieser positiven Entwicklung gab es im Kernbereich der Kirchengemeinde bei den inhaltlichen Vollzügen von Liturgie und Kate­chese – aufgrund der soziologischen Entwicklung (= Überalterung der Gläubigen) und den veränderten schulisch-beruflichen Bedingungen (= weniger Freizeit in der Woche, dadurch eine Vielfalt von stark unter­einander konkurrierenden Freizeitangeboten am Wochenende) – auch Verlusterfahrungen. Die Anzahl der Gläubigen nahm in zehn Jahren um fast 2.000 ab. Das Seelsorgeteam schrumpfte. Die Anzahl der Gottes­dienste musste reduziert werden. Gruppenangebote für Kinder wäh­rend der Woche konnten nicht mehr stattfinden, mangels Kindern und Leitern, denen die verkürzte Laufzeit der fortführenden Schule auf acht Jahre und der damit verbundene Prüfungsstress zusetzten. Das Kräfte­potential und Interesse, um aus der Mitte der Gemeinde „ein buntes Treiben rund um den Kirchturm“ sicherzustellen, nahm rapide ab.

Zugewinn Ehrenamtsentwicklung

An diesem Punkt wurde seitens des Erzbistums Köln eine Fortbildung zur Ehrenamtsentwicklung angeboten, an der zwei Vertreter des Pas­toralteams und zwei Vertreter aus dem Pfarrgemeinderat teilnahmen und sie mit der Qualifikation „Ehrenamtsmanager“ abschlossen. Diese große Fortbildung half sehr, die aktuellen Herausforderungen in Bezug auf das Engagement von Menschen in Gesellschaft und Kirche besser zu verstehen und für die Gemeinde nutzbar zu machen.

Da bei der Fortbildung auch ein Projekt zu entwickeln war, konnte der Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand davon überzeugt werden, im Zeitraum 2012–2014 eine „Ehrenamtsentwicklerin“ mit halber Stelle für zwei Jahre einzustellen. Später konnte dieses Projekt im Zeitraum 2014–2019 mit einem „Ehrenamtsentwickler“ mit ganzer Stelle fort­gesetzt werden. Aufgrund einer Veränderung der Standards im Erzbis­tum Köln wurde diese Stelle ab 2017 bis 2020 mit ganzer Stelle als „Engagementförderer“ fortgesetzt.

Aufgaben der Ehrenamtsentwicklung

Die Aufgabe dieses Pfarrgemeinderat-Projektes ist es, neue Standards für die Anwerbung, die Begleitung und die Verabschiedung von Ehren­amtlichen zu implementieren. Innerhalb der Gemeindeentwicklung hatte dies einen Paradigmenwechsel von „altem“ zu „neuem“ Ehren­amt zur Folge.

Konfliktpotential

Hierzu gab es Konflikte in der Gemeinde zu bearbeiten. Zum einen wur­de die verwendete Begrifflichkeit (alt/​neu) fehlgedeutet („Alte und lang gediente Ehrenamtliche sind auf einmal unerwünscht; die wollen nur noch junge Kräfte“).

Zum anderen war auch das Pastoralteam irritiert, dass jetzt eine neue Berufsgruppe mit am Tisch der Besprechungen saß. Als dann auch noch die bisherige Vorgehensweise („Ich such’ mir meine Katecheten für meine Firmvorbereitung selbst aus“) in Frage gestellt wurde, waren mehrere Teamklausuren notwendig, Missverständnisse auszuräumen und sich auf eine neue Herangehensweise zu verständigen. So wurde u. a. die „verzweckte“ Ansprache von Freiwilligen für bestimmte Ver­sorgungsleistungen der Gemeinde eingestellt. Stattdessen wird Inte­ressierten geholfen, ihren „Traum“ von einem Engagement zu Gunsten der Lebensqualität im Veedel und der Mitwirkung bei einer „Gemeinde im Aufbruch“ zu verwirklichen. Wenn jemand folglich aus dem Team selbständig um Engagements wirbt bzw. von Interessierten angespro­chen wird und diese nicht an den Ehrenamtsentwickler weiterleiten möchte, dann hat er/​sie aber die Pflicht, die geltenden Standards für das „Erstgespräch“, „Vermittlungsgespräch“ und „Drei-Monats-Ge­spräch“ mit Bewerbern für ein Ehrenamt einzuhalten.

Qualitätssicherung

Dies zeigte, dass die Qualifizierung von vier Gemeindemitgliedern nicht reichte, sondern auch der ganze Pfarrgemeinderat, Teile des Kirchenvor­stands, das ganze Pastoralteam und die Leiter der Gruppen und Projekte der Gemeinde informiert und thematisch „mitgenommen“ werden mussten. Auf dem weiteren Weg gab es dann auch Fortbildungen vor Ort in der Gemeinde, um Gruppen- und Projektleiter zu „Ehrenamts­koordinatoren“ weiterzuqualifizieren. Sodann war der Gefahr vorzu­beugen, dass sich der Engagementförderer mit der Vielzahl von Aufga­ben, Erwartungen, Einsatzmöglichkeiten und Ehrenamtlichen sowie der Beziehungs- und Terminflut in den unterschiedlichen Netzwerken alleingelassen bzw. überfordert fühlt. Daher gibt es neben den Dienst­besprechungen (alle zwei Wochen mit dem Pfarrer; einmal im Monat mit dem Pastoralteam), den Supervisions- und Fortbildungsangeboten des Erzbistums Köln auch viermal im Jahr die Rückanbindung und den fachlichen Austausch mit dem „Qualitätszirkel Ehrenamtsmanage­ment“. Denn dazu hat sich mit den eingangs erwähnten vier Ehren­amtsmanagern und einem interessierten Projektbegleiter aus dem Erzbistum ein Gremium gebildet, das im Auftrag des Pfarrgemeinde­rates und der Gemeindeleitung die Stelle des Engagementförderers an­leitet, kritisch begleitet, bei Fragen der Sicherung von Standards und Qualitätskriterien berät und weiter ausgestaltet.

Priorisierung von Zielgruppen

Entsprechend wurde auch eine Liste mit allen Gemeindegruppierun­gen, Verbänden und Projektinitiativen erstellt und nach einem Ampel-System mit Farben bewertet (rot für „in sich geschlossen und sterbend“; gelb für „förderungswürdig, weil fähig, neue Ehrenamtliche mit Unter­stützung zu integrieren“; grün für „eine gute Kultur zur Mitwirkung von neuen Ehrenamtlichen im Projekt bzw. auch Offenheit vorhanden für die Umsetzung neuer Ideen“).

Daran kann sich der Engagementförderer orientieren, um zu entschei­den, mit wie viel zeitlichem Aufwand er auf Fragen und Bitten um Hil­festellung aus diesen Gruppen reagiert. Das heißt zum Beispiel, dass der Engagementförderer bei neuen Initiativen aus dem grünen Bereich zeit­weise sogar bewusst in die Projektkoordination gehen kann, bis die Eh­renamtlichen dies alleine hinbekommen, während er zu den Gruppen des roten Bereichs nur locker Kontakt hält, um z. B. Ehrungen für lang­jähriges Engagement vorzunehmen.

Im Rahmen der o. g. Gemeindeentwicklung wurde dann deutlich, dass auf den Engagementförderer – neben der Begleitung und Pflege der bisherigen Kerngemeinde – auch noch andere Zielgruppen warteten. Denn die bisherigen Gemeindestrukturen – bestehend aus Gremien, Gruppierungen und Veranstaltungen des pfarrlichen Eigenlebens (wie z. B. Pfarrfeste) – haben sich leider größtenteils überlebt und es finden sich immer weniger Ehrenamtliche, die da ihre wertvolle Zeit und Kraft hinein investieren wollen.

Rolle des Engagementförderers

Deshalb lohnt es sich und ist es gewollt, dass der Engagementförderer auch raus an die Ränder geht. Denn die Kirchengemeinde möchte auch im normalen Leben des Stadtteils vorkommen und den Kontakt zu neuen, zumeist kirchenfernen Initiativen pflegen. Deshalb bietet sie auch Initiativen des zivilen Lebens an, den Engagementförderer der Gemeinde zu nutzen bzw. von seiner Vorgehensweise zu lernen.

Somit ist der Ehrenamtsentwickler ein Grenzgänger zwischen alter und neuer Welt, aber auch ein Anwalt für die Rechte und Bedürfnisse der Engagierten gegenüber der Gemeindeleitung und den verfassten Strukturen.

Entsprechend wird viel Werbung für diese neue Qualität im Umgang und Möglichkeiten des Engagements bei Stadtteilfesten gemacht, mit­tels einer Postkartenaktion und mit zwei Läden.

Vorzeigmodelle der Engagementförderung

Gerade diese Läden – das CAFE mittendrin in Dünnwald und der Fami­lientreff Klamöttchen in Höhenhaus – konnten wesentliche Signale in die soziale Umwelt der Gemeinden senden, dass der Gemeinde der Respekt vor dem Ehrenamt ernst ist und die Qualität im Umgang mit Ehrenamtlichen an diesen beiden Orten für den Stadtteil, aber auch für die Kerngemeinde vorgelebt werden.

Diese Ladenkultur ist ein Quantensprung in der gesellschaftlichen und kirchlichen Wahrnehmung, denn Sozialraumpastoral, Netzwerkarbeit und Engagementförderung konnte man bis zu diesem Zeitpunkt weder riechen oder sehen, und jetzt werden diese wichtigen Maßnahmen durch die Gründung der Läden sichtbar, betretbar, erlebbar. In beiden Läden sind ca. 80 „neue“ Ehrenamtliche aktiv, die wiederum durch ihren Stil und ihre Denke „neue“ Kundenschichten anlocken. Dies ist für die Gemeinde – neben denen, die an die Tür anklopfen, um ein Sakra­ment oder Segen zu empfangen bzw. mit uns das Leben zu feiern – ein Jungbrunnen an Beziehungsvielfalt, diakonischem Wirken und Kon­takterleichterung zu weiteren neuen Engagementkandidaten. Und während häufig die Sakramenten-Schiene recht enggeführt über die hauptamtlichen Seelsorger läuft, ist die Kontakt-Schiene über die Läden recht weitgeführt und mitverantwortet von den Ehrenamtlichen selbst. Obwohl hier auch die Seelsorger Präsenz zeigen und sehr bereichernde Erfahrungen machen. Entsprechend ist auch das Interesse von anderen Gemeinden im Erzbistum sehr groß und werden diese Projekte häufig besucht, um von den hier vor Ort gemachten Erfahrungen zu lernen und für das Gelingen der eigenen Projektideen zu profitieren.

Projektentwicklung

Die Engagementförderung ist auch ein interessantes Feld für die Ge­meinde, um ein neues Setting in den vielfältigen Projekten zu erlernen. Wurden früher Projekte „von oben“, also fast ausschließlich vom Pasto­ralteam und dem Pfarrgemeinderat, initiiert und angestoßen, kommt man immer mehr dahin, dass interessierte Engagementkandidaten mehrheitlich auch an der Ideenfindung, Planung und Gründung von neuen Projekten beteiligt werden. Somit können diese die Erfahrung machen, nicht so sehr in den Dienst an der Gemeinde eingespannt zu werden, sondern „Gründer und Initiatoren von Entwicklung“ mit Hilfe der Gemeinde zu sein.

Vor diesem Hintergrund hat sich die Gemeinde ein gutes Renommee bei Aktiven im Sozialraum erworben, die aus Gründen der Sinnsuche, der Qualität der Begleitung ihres Engagements, der Kontaktmöglichkeit zu netten anderen Engagierten und des vitalen Austauschs mit ihnen sich vermehrt an die Gemeinde wenden, um dort mitzumachen bzw. ihre Träume zu verwirklichen.

Von Gemeindeprojekten zu Bürgerinitiativen

Eine weitere Qualität wird erreicht durch die Willkommensinitiativen für Flüchtlinge, die sich in ganz Deutschland bilden. Hier haben in un­serem Einzugsbereich die beiden evangelischen und die katholische Gemeinde das Auftaktsignal gegeben. Infolgedessen hat sich eine Art freie Bürgerinitiative etabliert, die von den Gemeinden Geld für Projek­te, Räume für Versammlungen, Fahrzeuge für den Transport und eine Koordinationsstelle (15 Wochenstunden) für die Begleitung der Enga­gierten angeboten bekommen hat. Sie nutzt diese Ressourcen und be­teiligt Gemeindevertreter auch in ihrer Steuerungsgruppe; aber es ist kein „Abhängigkeits-Verhältnis“ da, sondern man begegnet sich part­nerschaftlich. Das heißt, dieses Projekt ist ein interessantes Lernfeld, weil sich hier wirklich zivile Bürger und Christen auf Augenhöhe be­gegnen. So werden interessierte Bürger des Stadtteils in die Lage ver­setzt, ein qualitativ hochstehendes und kontinuierliches Angebot zu machen, was sehr erfolgreich für die Integration der Geflüchteten, aber auch für ein respektvolles Miteinander ist.

Von diesem Modell kann die Kirchengemeinde lernen, nicht unbedingt selbst die zumeist aufwändige Trägerschaft von Projekten innezuhaben. Sie kann diese Verantwortung getrost in die Hände anderer Partner le­gen, um dann zielgenau und kräfteeffizient an der Qualität, ethischen Ausrichtung und Ressourcengewinnung mitzuwirken.

Die Projektkirche und das Evangelium

Eine weitere Frucht der bisherigen Entwicklung ist es, dass „neue“ En­gagierte auch eine wichtige Beziehungsplattform für die Gemeinde dar­stellen, um mit ganz neuen und bisher weitestgehend unbekannten Milieus in Kontakt zu kommen. Dies hilft der Gemeinde, sich – trotz aller Treue – von dem Modell „Volkskirche bzw. Traditionskirche“ besser lösen zu können, um vermehrt ihre Zeit und Kräfte auf dem Gebiet der „Projektkirche“ einzusetzen.

Dabei bleibt das Evangelium nicht auf der Strecke. Denn die „neuen“ Engagierten entwickeln über die grundsätzlich vorhandene Sinnsuche auch ein Interesse an spirituellen Angeboten, die sie teilweise selber mitentwickeln und vorbereiten. Ihrer Kultur und ihren Bedürfnissen nach dem Religiösen auf die Spur zu kommen, ist ein wichtiger Lern­prozess für die Gemeinde und lockt wiederum andere „Gleichgesinnte“ an. Basierend auf dieser Erfahrung sind also nicht nur „Getaufte und Gefirmte“ qualifiziert und begabt, um sich für ein Lebensumfeld und eine Gemeinde zu engagieren. Sondern auch Suchende und Menschen „in Entwicklung“ haben das Potential, in Gottes Sinn zu handeln, beim Aufbau des Reiches Gottes mitzuwirken und das Evangelium Jesu mit­einander kennenzulernen und zu verwirklichen.

Zukunftsperspektiven der Engagementförderung

Wie soll und kann es folglich mit der Gemeindeentwicklung und Enga­gementförderung – auch über das Jahr 2020 hinaus – weitergehen?

  • Interdisziplinäre Teams
    Die Kirchengemeinde möchte die o. g. Lernfelder und den Kontakt, ja die Durchdringung der neuen Wirklichkeit namens Sozialraum nicht aufgeben. Inzwischen besteht in der Kirchengemeinde ein fachliches Kollegium dieser neuen Wirklichkeit, das aus dem Engagementför­derer (ganze Stelle), der Projektkoordinatorin des Familientreffs Kla­möttchen (16 Wochenstunden) und der Koordinatorin der Willkom­mensinitiative (15 Wochenstunden) besteht. Außerdem gibt es in den Läden zusätzlich zwei 400-Euro-Jobber zur Unterstützung der Berei­che, die weder durch Ehrenamtliche noch durch Hauptamtliche ge­leistet werden können oder sollen: Das sind Hilfsarbeiten, aber auch die Sicherstellung von wichtigen Vollzügen in den Projekten, wie z. B. kaufmännische Dinge und Urlaubsvertretungen. Entsprechend sind auch der kollegiale Austausch und die Supervision in diesem Bereich möglich.
  • Diakonales Profil
    Weitere Zugewinne für die Gemeindeentwicklung gab es dank der Engagementförderung auch im Bereich der Gemeindecaritas. Hier sind schlichtweg viele traditionelle Dienste wie die Ausgabe von Lebensmitteln oder von Kleidung, Besuchsdienste im Krankenhaus oder zu Hause, Haustürkollekten und Geburtstagsgrüße mangels Nachwuchs an Engagierten „ausgestorben“.
    Dennoch hat die Gemeinde ein verstärktes diakonales Profil entwi­ckelt. D. h. sie nutzt ihre neu gewonnene Kontakt- und Beziehungs­vielfalt, um – auf im Stadtteil angesiedelte – professionelle karitative Dienste hinzuweisen und Interessierte und Bedürftige dorthin zu lotsen. Umgekehrt haben die Mitarbeitenden der professionellen Dienste mit Hilfe der Gemeinde neue Möglichkeiten gefunden, Ehrenamtliche zu finden, sich untereinander und mit allen Partnern aus dem Stadtteil auszutauschen, aktuelle Entwicklungen mitzube­kommen und gemeinsame passende Angebote zu entwickeln. Davon profitieren auch die Netzwerke wie z. B. das Katholische Familienzen­trum Köln Dünnwald/​Höhenhaus oder die zivilen Stadtteilkonferen­zen. Bei deren Versammlungen wird also nicht nur „irgendetwas ge­redet“, sondern es wird ein Bezug der meist außerhalb wohnenden sozialen Profis zu den betroffenen Bewohnern des Stadtteils herge­stellt und somit eine neue Solidarität und partnerschaftliche Hilfe des Handelns ermöglicht.
  • Vernetzung am Beispiel Bürgerladen
    Infolgedessen haben sich an die beiden Läden auch andere soziale Einrichtungen (Erziehungsberatung, Familienzentrum, Senioren­beratung, Kölsch Hätz, Bildungsträger) sowie das Pfarrbüro stunden­weise angegliedert und präsent gemacht, um auf charmante und effektive Weise den Betroffenen vor Ort helfen zu können. Zudem konnte ein dritter Laden, der Bürgerladen im Donewald, mitbegrün­det und etabliert werden. Vor dem Hintergrund der oben gemachten Erfahrungen wurde hier in einem sozial prekären Viertel eine Basis geschaffen, wo Bewohner sich für Mitbewohner mittels eines Mieter­rates engagieren. Dort kann auch die Gemeinde neue Angebote aus­probieren, wie z. B. das Repaircafé, während eine große Vielfalt von anderen sozialen Trägern dort für zwei bis zwölf Stunden pro Woche präsent sein kann, ohne dafür eine eigene Institution im Stadtteil gründen bzw. vorhalten zu müssen.
  • Vorbehalte und Schwierigkeiten
    Trotz all dieser positiven Entwicklungen und sehr bereichernden Er­fahrungen gibt es auch Vorbehalte in der Kerngemeinde, und zwar von Gemeindemitgliedern, die diese Entwicklung und Außenorien­tierung überfordert. Viele davon schieben weiterhin Frust über die Folgen der o. g. Sparbeschlüsse und der Fusionierung von ehemals fünf zu einer Kirchengemeinde. All dies ist vergleichbar mit einem Eisenbahnzug aus Gummi: Vorne ist er schon weit gereist und hinten steht er immer noch. Nicht alle Gemeindemitglieder „mitnehmen“ bzw. für diesen Aufbruch mobilisieren zu können, frustriert den Pfarrgemeinderat. Klarere Botschaften aus dem Erzbistum und den Bistumsmedien – wie z. B. der von diesen Kreisen noch gelesenen Kirchenzeitung – wären notwendig, damit diese Milieus die vielfäl­tigen Aufbrüche in der Bistumslandschaft auf der Ebene der Gemein­den mitbekommen, sie verstehen und tolerieren. Auch eine gründ­liche Katechese „von oben“, was heute „katholisch zu sein“ bedeutet, wäre hilfreich, um sich von der Ansicht „Ich kann und weiß bereits alles“ und „Ich mache alles allein mit meinem Herrgott aus“ zu lösen und das Christ-Sein neu im Dialog mit dem Mitmenschen von neben­an zu erlernen.
  • Verantwortung des Erzbistums
    Wenn die Menschen vor Ort das Gefühl haben, die Aufbrüche und interessanten Entwicklungen, ja auch expliziert das Projekt Engage­mentförderung könnte den Verantwortlichen der Pastoral im Erz­bistum „egal“ sein, dann steht eine Nachhaltigkeit der Projekte, die dadurch ermöglicht werden, in Gefahr. Entsprechend haben wir in den vielen Jahren der Engagementförderung ein Auf und Ab von Förderzusagen, Rückenwind und Gegenwind erlebt.
    Trotzdem war es uns möglich, mittels Fundraising die Geldmittel zu finden, um dem Bereich Kontinuität und sogar eine Vergrößerung zu ermöglichen. Davon haben unsere Gemeinde und die Stadtteile we­sentlich profitiert. Waren hier vor Jahren noch soziale Auflösungs­prozesse spürbar (Verarmung der Bevölkerung, Geschäfte sterben, Ghettoisierung, Rückzug von Schlüsselinstitutionen in der Versor­gung von Menschen wie z. B. Post, Banken und Polizeiwache), konnten die Stadtteile wieder attraktiver gemacht werden, die Wohnqualität gesteigert und der Zusammenhalt gestärkt werden.

Fazit

Die Kirchengemeinde hat diese Entwicklung ganz klar begünstigt und nachhaltig gefördert. Sie hat für ihr christliches Profil und ihre Daseins­berechtigung in der heutigen Gesellschaft viel gelernt und sich entschei­dend eingebracht. Menschen sind mit ihr und dem Evangelium in Kon­takt gekommen. Christus hat die Menschen berührt und angerührt, sich für die Armen und Schwachen zu engagieren. Diese Ziele sind wesent­lich durch das Instrument der Engagementförderung als Verstärker der Gemeindeentwicklung erreicht worden.

Das Gleichnis vom bunten Vogel

Engagementförderung ist kein typisch kirchlicher Beruf. Entsprechend führen Menschen diesen Beruf aus, die man früher in bornierten Kir­chenkreisen als „bunte Vögel“ bezeichnet hätte. Die Hilfe und Biogra­phie-Vielfalt dieser „bunten Vögel“ braucht unsere kirchliche Land­schaft mehr denn je. Hören wir ihrem Gesang und frischen Botschaften, „wie Menschen heute ticken“, zu. Schenken wir ihnen unsere Wert­schätzung und Unterstützung. Als Zugvögel haben sie viel Ahnung davon, wo die Reise hingeht.

Die bunten Vögel sind nicht auf unsere Unterstützung angewiesen, um im Leben zurechtzukommen; wir brauchen sie.

Schaffen wir ihnen gute Arbeits- und Wirkungsbedingungen, sonst sind sie als gute Zugvögel schnell wieder weg.

 

Der vorliegende Beitrag ist vor dem Hintergrund eines breit angelegten Projekts im Erzbistum Köln zu verstehen: Seit 2017 werden dort flächen­deckend Projektstellen für Engagementförderung eingerichtet. Gewisser­maßen als Halbzeitbilanz erschien die Publikation, der der vorliegende Beitrag (unter Weglassung der Fußnoten) entnommen ist:

Erzbistum Köln (Hg.), Voller Dynamik. Engagementförderung forciert kirchliche Erneuerungen. Projekt Engagementförderung im Erzbistum Köln, Köln 2019.

Der Beitrag findet sich dort auf den Seiten 22 bis 27. Wir danken für die freundliche Abdruckerlaubnis.