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Amazonien ist auch bei uns

Bericht von der nachsynodalen Tagung im Burkardushaus Würzburg (6. bis 8.11.2019)

Im Anschluss an die Amazonas-Synode in Rom luden das Bistum Würzburg, die Hilfswerke Misereor und Adveniat, die weltkirchlichen Diözesanstellen von Würzburg und Hildesheim und andere Partner zu einer Reflexionstagung ein: „Wege einer ökologischen Umkehr. Die Her­ausforderungen der Amazonien-Synode“. Die Tagung machte überdeut­lich, dass „Amazonas“ und die weltkirchlich-synodale Befassung damit in Rom eine exemplarische Bedeutung (auch für den Weg der Kirche in Deutschland) haben. Die Themen einer Region, mit dem Regenwald als „Lunge der Erde“ zugegebenermaßen eines für die Zukunft dieses Erd­balls strategisch bedeutsamen Landstrichs, führen zu einer Verknüp­fung von ökologischen und pastoral-kirchlichen Themen. Sicher auch ein Anliegen des Papstes: Das kann man nicht mehr trennen. Eine Um­kehr des Lebensstils hängt zusammen mit einer pastoralen Umkehr.

Viele Teilnehmer berichteten von der guten Stimmung und einem ver­trauensvollen Miteinander auf der Synode, auch wenn manchmal die Positionen weit auseinandergingen. Professor Paulo Suess aus São Paulo, Kölner Priester und ein „Altvater“ der Befreiungstheologie, empfand die formale Seite, wie überhaupt das Agieren des derzeitigen Papstes, als eine Wiederaufnahme des II. Vatikanischen Konzils. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand zunächst eine bestimmte Art und Weise eines synodalen Umgangs miteinander: eine neue Kultur des Hörens und des freien Sprechens, eine Beteiligung möglichst vieler Menschen. Insgesamt seien 86.000 Menschen gehört worden. Es ist eine neue Erfahrung, sich darauf einzulassen: Hören aufeinander, Hören auf den Geist Gottes. Nach je vier Redebeiträgen gab es eine Zeit der Stille zur Reflexion und zum Gebet.

Sr. Irene Lopes dos Santos, eine Karmelitin, Generalsekretärin des pan­amazonischen Kirchennetzwerks REPAM, verwies auf die hohe Beteili­gung von Frauen, nicht nur von Ordensfrauen, sondern von Getauften und vor allem von Indianerinnen. Sie erlebte das zwar nicht unbedingt als einen Quantensprung, sah darin aber kleine und wichtige Öffnungs­schritte: „Es gibt dahinter kein Zurück mehr.“

Es gab keine Tabuthemen mehr, darauf legte der Bischof von Óbidos, des Partnerbistums von Würzburg in Brasilien, Bernardo Johannes Bahl­mann, Wert. Bischof Roque Paloschi, Präsident des indigenen Missions­rats, unterstrich den Beitrag, den indigene Völker für einen neuen Lebensstil leisten: Indigene wehren sich gegen ein westliches Entwick­lungsmodell, sie verkörpern durch ihre Tradition ein harmonisches Leben mit der Mitwelt, im Wissen, dass die natürlichen Ressourcen begrenzt sind.

Die Synode setzte Impulse für eine geschwisterliche, samaritanische Kirche, für die Verbindung von Ökologie, nachhaltigem Lebensstil und pastoraler Entwicklung. Die indigene Kosmovision sieht die bedrohte Erde als das gemeinsame Haus des Lebens. Dieses gemeinsame Haus (Ökumene ist vom Wortsinn her das gemeinsam bewohnte Haus) be­deutet: Alles ist mit allem verbunden, Handeln hier hat Auswirkungen dort. Die Zerstörung des Regenwaldes und die Ausbeutung der natür­lichen Ressourcen führe unweigerlich früher oder später zu einem ökologischen und kulturellen Kollaps.

Menschen in den westlichen Industriestaaten müssten sich fragen lassen, welche Auswirkungen ihr Lebensstil weltweit und für die Zu­kunft hat. Hier sind einerseits die Themen Kinderarbeit, fairer Handel und Nahrungsmittelproduktion zu nennen. Ein hoher Fleischkonsum in Europa führt in den Ländern des Südens u. a. zu weiträumigen Zerstö­rungen des Regenwaldes für Monokulturen in der Produktion von Soja als Nahrungsmittel für Schlachttiere. Monokulturen gibt es aber auch für die Produktion von sogenannten Biokraftstoffen in großen Mengen (z. B. Raps oder Zuckerrohr). Es geht aber noch weiter: Michael Heinz, Hauptgeschäftsführer von Adveniat, fragte angesichts der Naturzerstö­rung in den Flüssen des Amazonasgebietes bei der Goldgewinnung, ob die Kirchen zukünftig noch guten Gewissens die liturgischen Geräte mit Gold belegen könnten. Auch die Geldanlage der Bistümer und anderer kirchlicher Institutionen sei daraufhin zu überprüfen, wie nachhaltig und gerecht sie sei. Nach Heinz hat die Synode das Bild einer Kirche im Geist des Dienens gemalt. „Jetzt ist die Zeit, neue Netzwerke und Bünd­nisse zu knüpfen, z. B. mit der Bewegung Fridays for future“, so Heinz.

Am Abend sprach Erwin Kräutler, ehemaliger Bischof von Xingu, Mit­vorbereiter der Amazonas-Synode, in der vollbesetzten Michaelskirche über „Neue Wege der Kirche“. Für Kräutler hat die Amazonas-Synode in ihrer grundsätzlichen Bedeutung für den Weg der Kirche bereits mit dem Beginn des Pontifikats von Papst Franziskus begonnen. Laudato si’ sei in gewissem Sinne das Basispapier der Synode. Es sei eine Chance, beispielsweise die Rolle der Priester neu zu beschreiben und Frauen in Leitung wahrzunehmen und zu stärken. Der Papst habe bei der Synode ein wichtiges Zeichen gesetzt, indem er nicht im offiziellen „Hofzere­moniell“ in die Synodenaula eingezogen, sondern zusammen mit den Indigenen den Weg gegangen sei.

Eine monumentale Video-Installation auf der Fassade des Würzburger Doms unter Verwendung von Videomaterial des Hilfswerkes Adveniat, verantwortet durch die gesamte Veranstaltergruppe, informierte über die Situation in Amazonien und versuchte so, auch Passanten in die Thematik hineinzunehmen.

Weitere Themen der Synode, die auf der Tagung zur Sprache kamen, sind Pluralität, Kontextualität und Dezentralität innerhalb der katho­lischen Weltkirche. Es muss angesichts der unterschiedlichen kulturel­len und gesellschaftlichen Situationen und Herausforderungen in den verschiedenen Teilen der Erde eine notwendige und heilsame Diversität geben, die einer differenzierten Inkulturation des Evangeliums ent­spricht. Tradition ist nicht, ein „Schmuckkästchen mit der Asche von gestern“ mit sich herumzutragen, sondern das Evangelium in der Kon­textualität zu entdecken und zur Darstellung zu bringen. Dazu sind eine indigene kontextuelle Theologie und neue liturgische Ausdrucksformen hilfreich. Es gibt Überlegungen und den Wunsch zu einer stärkeren Be­rücksichtigung eines amazonischen Ritus in der Liturgie. Im Kontext Mitteleuropas, so die Teilnehmer/​-innen der Tagung, könnten und müssten hier andere kontextuelle Wege gegangen werden. In Amazo­nien gibt es Erfahrungen mit neuen Leitungsformen in einer Kirche, die überwiegend von Getauften (und damit Frauen) geprägt und gestaltet wird. Damit werden neue Formen der Beteiligung und das Teilen von Verantwortung für den Weg der Kirche eingeübt, ein Anliegen, das sich nicht zuletzt die deutschen Bischöfe in ihrem Papier „Gemeinsam Kir­che sein“ von 2015 zu eigen gemacht haben.

Sabine Mehling-Sitter, Gemeindereferentin im Bistum Würzburg, die lange in Lateinamerika gelebt hatte, zeigte ein gewisses Dilemma auf. „Einerseits sagen die Leute in den Weindörfern: Was interessiert uns Amazonien? Das ist so weit weg! Aber das ist so wichtig für die Pastoral auch in Deutschland: das geben, was wirklich gebraucht wird. Und: Der Zuspruch kommt vor dem Anspruch.“

Gerade das Beispiel Amazoniens, das politisch, gesellschaftlich und pastoral den Kolonialismus zu überwinden sucht, also zu einer nach-kolonialen Gesellschaftsform vorstoßen will, zeigt, dass sich „Kolonia­lismus“ auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Bereichen auch heute noch und nicht nur in den Ländern des Südens als Realität zeigt. Angesichts zunehmender Populismen und machohafter Politik­stile wird das Einüben eines postkolonialen Umgangsstils immer wich­tiger, der nicht mehr von einem asymmetrischen Machtgefälle charak­terisiert ist: zwischen Männern und Frauen, zwischen Getauften und Ordinierten, zwischen Menschen verschiedener Ethnien, Religionen und sozialer Milieus.

Zum Abschluss der Tagung wurde auf die Neuauflage des Katakom­benpaktes von 1965 verwiesen. Damals hatten 40 Konzilsväter, unter ihnen der Erfurter Weihbischof Hugo Aufderbeck, im Umkreis des II. Vatikanischen Konzils in der Domitilla-Katakombe im Rahmen einer Eucharistiefeier eine Selbstverpflichtung zugunsten einer dienenden und armen Kirche vereinbart. Später schlossen sich weitere 50 Konzils­väter diesem Pakt an. Auf der Amazonas-Synode wurde nun am 27. Oktober 2019 eine Neuauflage des Katakombenpaktes von mehr als 40 Bischöfen unterzeichnet. Der Titel des erneuerten Katakomben­paktes lautet: „Katakombenpakt für das Gemeinsame Haus. Für eine Kirche mit amazonischem Gesicht, arm und dienend, prophetisch und samaritanisch“. Gemeint sind dabei ein ressourcenschonender Lebens­stil, der Schutz der Schöpfung sowie ein synodales Miteinander in der Kirche. Die Teilnehmer/​-innen der Tagung konnten diesem Pakt ihrerseits beitreten. Misereor und Adveniat haben den Text online gestellt, eine Unterzeichnung durch weitere Personen, die sich dem Anliegen verpflichtet fühlen, ist möglich unter https://www.adveniat.de/informieren/aktuelles/adveniat-und-misereor-katakombenpakt-unterzeichnen/.

Was hat die Amazonas-Synode „gebracht“? Sie zeigt eine Kirche auf der Suche nach einem neuen Gesicht, die die Gläubigen und alle Menschen guten Willens einlädt, miteinander einen Weg zu gehen und miteinan­der in den Dialog über die Zukunft des gemeinsamen Hauses einzutre­ten. Gleichzeitig wirbt sie für einen solidarischen Lebensstil und für geschwisterliche Umgangsformen.

Sie stellt das „synodale Prinzip“ zur weiteren Einübung vor Augen: hören aufeinander, auf den Geist Gottes; von der Verheißung des Got­tesreiches her neue Mentalitäten einüben, Veränderungsprozesse wagen, zu mehr Ehrlichkeit, zu mehr Barmherzigkeit, zu mehr Trans­parenz und Beteiligung, zu mehr Diversität; das Befreiende des Evan­geliums in den Mittelpunkt stellen.

Leider war auf der Tagung die „family“ der Weltkirchenleute aus Bis­tümern und Einrichtungen fast unter sich. Ist der Impuls schon in brei­teren Kreisen angekommen, dass es auch um eine pastorale Heraus­forderung geht? Und zwar nicht nur für Amazonien? Die Fragen des anbrechenden „Synodalen Weges“ der katholischen Kirche in Deutschland schwebten im Hintergrund immer mit. Die synodalen Wege der Weltkirche in ihren einzelnen Teilkirchen gehen weiter und befruchten sich hoffentlich gegenseitig auf verschiedenen Ebenen. Die Tagung fand noch im Warten auf das Schlussdokument und auf das nachsynodale Schreiben des Papstes statt, das nun im Februar unter dem Titel Querida Amazonia veröffentlicht wurde. Wie jedoch der synodale Weg der Kirche weitergehen wird – einer der Teilnehmer brachte es auf den Punkt: „Wir sind das Enddokument der Amazonas-Synode.“