Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
in Zeiten der Corona-Krise kommt nun eine euangel-Ausgabe zum Thema Klimakrise, Nachhaltigkeit und Schöpfungsverantwortung. Was haben beide miteinander zu tun? Nach Milo Rau ist Corona die Generalprobe zum Klimakollaps. In beiden Krisen wird angezielt, die Entwicklung innerhalb der Kapazitätsgrenzen zu halten, um das Risiko katastrophaler Ereignisse zu verringern: bei der Corona-Pandemie die Kapazitäten des Gesundheitssystems, bei der Klimakrise die Kapazitäten des weltweiten Ökosystems. In bestimmten Regionen sind allerdings bereits katastrophale Ereignisse eingetreten, in der Corona- wie der Klimakrise. Beide Krisen werden die Gesellschaft, so wie wir sie kennen, verändern. Der Unterschied zwischen beiden: Die Corona-Krise wird hoffentlich in einem absehbaren Zeitraum ein Ende finden, die Klimakrise wird uns jedoch auf Generationen hin beschäftigen, und es ist alles andere als sicher, dass die Menschheit sie wird beherrschen können.
Der Klimawandel ist kein Problem wie andere, weil in seiner Folge die Stabilität des Klimas als Voraussetzung für Kultur und Zivilisation bedroht ist. Es wird deutlich, dass wir uns im Zeitalter des Anthropozäns befinden, in dem der Mensch zum wichtigsten (unheilvollen) Einflussfaktor auf der Erde geworden ist. Die Natur ist nun nicht mehr die gleichgültige Bühne für menschliches Handeln, sondern greift selbst in das Geschehen ein. Es stellt sich somit längst nicht mehr die Frage, ob wir eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft bewerkstelligen sollen, sondern wie und ob überhaupt dieser Wandel gelingen kann: mittels Einsicht und Vernunft („by design“) oder erzwungen durch die Verhältnisse („by desaster“)?
Theologie und Kirche bleiben im öffentlichen Diskurs um Nachhaltigkeit meist hinter ihren Möglichkeiten zurück. Papst Franziskus spricht in Laudato siʼvom Schrei der Mutter Erde, um alle Menschen und besonders die Christinnen und Christen aufzurütteln. Doch wird dieser Schrei nur wenig zur Kenntnis genommen, zumindest führt er selten zu Taten, die der Dimension der Herausforderung angemessen wären. Man ist stärker mit binnenkirchlichen Fragen beschäftigt oder hält Schöpfungsverantwortung ohnehin für ein Thema von bloß sekundärer Wichtigkeit.
Dabei hätte Kirche Wichtiges in den Nachhaltigkeitsdiskurs einzubringen. Natürlich sind Christinnen und Christen nicht die besseren Klimaschützer, aber es geht auch nicht um einen Beitrag zur wissenschaftlichen Expertendiskussion, sondern um eine gesellschaftliche Frage: Ökologische Verantwortung bedarf der kulturellen und religiösen Begründung und Reflexion. Kirche könnte Bilder und Narrative anbieten, die den Menschen als Teil der Schöpfung ansehen und auch Fragen von Schuld, Verantwortung und Umkehr thematisieren. Aus theologischer Sicht ist auf die Bedeutung einer leidsensiblen Klimaethik hinzuweisen.
Diese Ausgabe von euangel fragt, wo das Thema Nachhaltigkeit im kirchlichen Bereich als zumindest zartes Pflänzchen wächst. Zunächst skizzieren dazu Ottmar Edenhofer und Georg Feulner vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die klimawissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels und nennen Optionen, wie angesichts des Ernsts der Lage umzusteuern wäre. Anna Maria Riedl stellt Bruno Latours Hauptwerk „Existenzweisen“ und besonders die Existenzweise Religion vor, die nach Latour das Potenzial zu retten und zu transformieren hat. Dirk Ansorge gibt einen Überblick über den systematischen Traktat der Schöpfungslehre, von dem her theologische Fragen zur Nachhaltigkeit anzugehen sind.
Stefan Silber zeigt auf, was wir in Deutschland von der Amazoniensynode lernen können, die von dem Grundgedanken geprägt ist, dass alles mit allem verbunden ist. Christoph Schinke stellt Texte der kirchlichen Sozialverkündigung zum Thema Nachhaltigkeit im Überblick vor. Simone Birkel fragt nach dem kirchlichen Engagement im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und plädiert für einen „Whole Institution Approach“, wonach Lernorte dann als Vorbild wahrgenommen werden, wenn in allen Bereichen Nachhaltigkeit stattfindet.
Dominik Gehringer entwickelt Ideen, wie der Aufruf zur Schöpfungsverantwortung von Papst Franziskus Pfarreien und Gemeinden zu notwendigen Transformationsprozessen inspirieren kann. Simon Hesselmann plädiert dafür, Nachhaltigkeit als integrales Thema in die Ausbildung des pastoralen Personals aufzunehmen, also die gesamte Ausbildung auf den Aspekt des Klima- und Umweltschutzes hin auszurichten. Frank Vormweg beleuchtet das Thema Nachhaltigkeit aus der Perspektive eines Generalvikariats. Schließlich stellen Dirk Preuß und Michael Rentz die Website nachhaltig-predigen.de vor, die ökumenische Predigtanregungen und Impulse unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit anbietet.
Bleiben Sie gesund und behütet,
Ihr
Tobias Kläden