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Ich bin eine Mission

Bericht vom Symposium des Kardinal-Walter-Kasper-Instituts in Vallendar

Der Dialog über Mission reißt nicht ab. Unter dem Titel „Ich bin eine Mission“ lud das Kardinal-Walter-Kasper-Institut zu seinem all­jähr­lichen Symposium nach Vallendar (22.–24. März 2019). Das Port­folio der Vortragenden verhieß Spannung, waren doch in ihrem missiona­rischen Denken sehr unterschiedliche Personen eingeladen. Das Nach­denken über die Praxis des christlichen Grundauftrages der Evange­li­sierung und die Formen der Verkündigung ist nicht neu, vollzieht sich aber derzeit unter veränderten Vorzeichen. Einerseits ist angesichts der Aufarbeitung der praktischen und systemischen Fragen, die der sexua­lisierte Missbrauch mit sich bringt, eine Grundfrage, wie sie Kardinal Kasper in seinem Eingangs-Statement formulierte: „Wie kann die Kir­che, so wie sie jetzt vor aller Welt dasteht, überhaupt noch missiona­risch auftreten?“ Sie dürfe sich nicht nur um sich selbst drehen, sich mit ihren eigenen Strukturen befassen. Jesu Aufruf zur Mission sei Ruf zu radikaler Umkehr, Buße und geistiger Erneuerung, nicht selbstgerecht und triumphalistisch zu sein. Strukturveränderungen allein führten nicht weiter, das „Wozu“ der Kirche müsse deutlicher werden.

Anderseits steht Mission und Evangelisierung derzeit in einem Deu­tungs­zusammenhang, wie er immer stärker von charismatischen Akteuren und Gruppierungen vorgetragen wird, die eine bestimmte Diktion von „Jüngerschaft“ und „Nachfolge“ – oft genug mit Allein­vertretungsanspruch – propagieren. Karl Wallner, einer der Mitini­tia­toren des Mission Manifests, verkündete, es sei keine Zeit mehr für Diplomatie, jetzt müsse „Klartext“ und nicht „um den heißen Brei herum“ geredet werden. Die Zahl der Priesterberufungen und andere empirische Kennzahlen sollten beunruhigen und die „Heimat“ in eine missionarische Aufbruchsstimmung versetzen. Die Abtei Heiligenkreuz mit der Hochschule Benedikt XVI. sei deshalb so nachgefragt, weil sie „von Gott als Antidepressivum herausgehoben“ sei. Es sei der „dramati­sche Verlust von Kirche, der uns anstachelt, missionarisch zu werden“. Vor allem in Afrika würde die Kirche wachsen und lebendig sein, jung und dynamisch, meinte der Nationaldirektor des österreichischen Missionswerks. Seine Tipps: Mut zu einer missionarischen Originalität und zu einem Standpunkt, Priorisierung von Mission (mission first), es brauche Hotspots des Glaubens als Oasen in einer Wüste, wo die Men­schen Gott erfahren könnten. Dies könne auf breiter Ebene mit „tradi­tio­nellen katholischen Mitteln wie Rosenkranz, Anbetung, Lobpreis“ erreicht werden. Abgedunkelte und illuminierte Räume und Weihrauch täten ein Übriges. Ein Jugendlicher sei fasziniert gewesen, dass die Kir­che „sogar Bodennebel wie in der Disco“ habe. Die neuen Verkündi­gungs­medien seien die neuen Areopage, die es zu nutzen gelte. Insge­samt warb der Zisterzienser für eine „Verjüngungskur, die wir zu einem fröhlichen, ausstrahlenden Christentum brauchen“.

Den Kontrapunkt lieferte der emeritierte Erfurter Philosophieprofessor Eberhard Tiefensee. In Westeuropa stehe man in einer Situation des Umbruchs für die Kirchen, der mit der Reformation vergleichbar sei. Trotz vieler Bemühungen und Ressourcen für einen neuen Aufbruch des Glaubens sei das Ergebnis doch recht dürftig. Tiefensee verwehrte sich gegen eine Sicht, dass die Kirche aufblühen würde, „wenn wir es nur richtig machen würden“. Er warb für eine „Umänderung der Denkart“: Es gehe nicht um ein „Comeback der Kirche“, sondern um „die ande­ren“, denen es vorbehaltlos und absichtslos zu begegnen gelte. „Die anderen merken das sofort, ob wir etwas für sie wollen oder für uns.“ Die Authentizitätsfrage der Mission sei: Würden wir es auch tun, wenn es uns nichts bringt? „Der Menschensohn ist gekommen, um zu dienen. Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.“ Tiefensee warb für ein Verständnis von Mission als „Ökumene der dritten Art“ mit Gottes „anderen Menschen“, die als religiös Unmusikalische nicht defizient, sondern einfach anders seien und sich vielfach gerade als Nicht-Religiöse als „normal“ einschätzten. Es lasse sich auch ohne Gott gut leben, meinte der gebürtige Leipziger mit Blick auf den Osten Deutschlands. Es gebe für Menschen viele Möglichkeiten des Umgangs mit der Warum-Frage: naturalistisch, fatalistisch, nihilistisch, spiri­tu­ell, religiös. Die religiöse Deutung sei nur eine von vielen und nicht zwingend. Auch in Grenzsituationen gehe es ohne Religion und ohne Christentum. Es brauche Scouts, die das Gespräch mit den „anderen“ suchten. Die religiös Indifferenten und auf Distanz Gegangenen hätten der Kirche im Sinne einer Fremdprophetie viel zu sagen. Tiefensee nannte für ihn wichtige Prinzipien der Ökumene der dritten Art mit „Gottes anderen Kindern“: Niemand versucht, die jeweils anderen auf die eigene Seite zu ziehen. Wir machen so viel wie möglich gemeinsam. Wir schärfen unser Profil aneinander (Relativismus-Verbot). Das Ziel des gemeinsamen Weges kennt allein Gott (Aufbau des einen Leibes Christi).

Der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding fragte nach den Erfolgsbedingungen der Mission im Urchristentum. Angesichts einer antiken religio als Loyalität (pietas) sei es die Perspektive des Glaubens gewesen, die beim jungen Christentum im römischen Imperium so unerhört neu und attraktiv gewesen sei. Es seien drei Dialektiken, die den christlichen Glauben so anziehend gemacht hätten: Das Ja zu Gott, verbunden mit dem Nein zu allen Ideologien, das Ja zum anderen und das Nein zu allen Vereinnahmungen, schließlich das Ja zur Welt und das Nein zu allen Ungerechtigkeiten. Mission sei eine Lerngeschichte ge­we­sen, auch für die Missionarinnen und Missionare selbst, eingefügt in die eigentümliche Dynamik des Seins in der Welt, aber nicht von der Welt (Joh 17). Heute sei die Kirche dabei, ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen, sie dürfe sich nicht einbunkern, sondern müsse Türen und Fenster öff­nen, die Fühler ausstrecken, neugierig sein und lernen. „Sie hat von Gott zu sprechen, der in Jesus sein menschliches Antlitz gezeigt hat. Die Formen und Inhalte müssen neu sein, um die Neuigkeit des Evange­li­ums selbst zu entdecken und zu verbreiten.“ Es gehe um keine Werbe­kampagne, sondern um einen Exodus aus der Babylonischen Gefan­gen­schaft, in die sich die Kirche selbst verbracht habe. Die Kunst der Kommunikation müsse die Kirche erst wieder neu lernen.

Johannes Hartl, der Gründer des Gebetshauses Augsburg, mahnte die Dringlichkeit der Mission an. Obwohl Päpste und Dokumente die Neu­evangelisierung propagierten, geschähe nicht viel. Die kirchlichen Kenn­zahlen zeigten auf Abbruch. Die Kirche bespiele den Markt nicht, sondern kümmere sich selbstreferentiell um eine immer kleiner wer­dende Zielgruppe. Ihm scheine es, als ob sich Theologie und Kirche dar­über stritten, ob man lieber rote oder grüne Tischdecken auflegen sollte, die beiden Kellner bedienten das Bordrestaurant der sinkenden Titanic. Hartl wies darauf hin, dass gewisse Formen von Freikirchen wüchsen. Es brauche die Erkenntnis, dass wir in einer fundamental neuen Zeit leben: „Wir werden mit der Kategorie der Bekehrung neu denken und arbeiten und Entscheidungen treffen müssen. Warum sollte ich mich für ein kirchliches Angebot entscheiden, das wie ein Wahlprogramm der SPD klingt?“ Seine zentrale Frage: Wie können Menschen heute Glauben lernen? Dabei gebe es vier Hindernisse: theologische Vorbehalte, Men­schenfurcht, Mangel an visionärer Führung und ein Dualismus, der das „Geistliche auf einer anderen Festplatte gespeichert“ habe als die „rich­tigen Fakten des normalen Lebens“. Auf die vier Herausforderungen hatte Hartl auch gleich vier Antworten parat: Die Wahrheit habe einen konkreten Ort, an dem sie sich verdichtet. „Wenn man in Jesus Christus nicht etwas Einzigartiges, Unüberbietbares sieht, dann haben wir auch keine Lust auf Mission.“ Man müsse in einer Minute zusammenfassen können, was die Grundbotschaft des Christentums ist, wenn einen jemand auf der Straße fragen würde. Gegen die Menschenfurcht gehe es darum, nicht den Menschen zu gefallen, sondern Anerkennung bei Gott zu haben. Im Glauben gehe es nicht darum, möglichst wenig anzuecken oder es allen Recht zu machen. Es werde ihm, Hartl, zu viel vom „ge­zähm­ten lieben Gott“ geredet. Es ginge beim Glauben um eine Verbind­lichkeit, die selbst jeder Fußballverein von seinen Spielern fordert, indem er sie zweimal die Woche zum Training verpflichtet. Zum dritten Hindernis, dem Mangel an visionärer Führung: Führen sei nicht Mana­ge­ment, weil Mana­ge­ment das Bestehende verwalte. Ein Entscheider brauche Berufung und Erfahrung. Hartl fragte an, ob die derzeitigen Entscheider die richtigen seien. Schließlich kritisierte er die Aufspal­tung in zwei getrennte Bereiche: das Geistliche als abgeschnittene Sonderexistenz und das „Eigentliche“, die „harten Fakten“. Er votierte für eine gesunde Theozentrik, die Gott an der ersten Stelle sieht, seine Schönheit, seine Anbetungswürdigkeit. Sonst werde Gott Mittel zum Zweck, zum „Objekt meiner Erbauung“. Er wünsche sich Gremien­sit­zungen, wo man genauso lang betet wie spricht. In China nähmen illegale Hauskirchen die Gefahr auf sich, aber gerade sie sprossten wie Pilze aus dem Boden, weil sie getroffen seien von einer Kraft, die ihr Leben verändert. In Myanmar, einem buddhistischen Land, gäbe es christliche Gebetsveranstaltungen, es passierten dort Wunder „und da kann man beten lernen“. Das Tor ist nach Hartl der Missionsbefehl: Macht Menschen zu meinen Jüngern! Es gehe primär darum, Men­schen, die noch nicht dabei sind, zu gewinnen. „Wo immer das passiert, wollen wir was davon lernen, lass uns mit irgendwas anfangen! Wann haben Sie das letzte Mal dafür gefastet, dass Europa zum Glauben an Jesus findet? Es geht wirklich um Leben und Tod. Ich will, dass jeder erfährt von diesem wunderbaren Glauben. De facto gibt es Menschen, die in der Hölle leben oder auf dem falschen Weg sind.“

Der pietistisch und evangelikal orientierte protestantische Pfarrer Ulrich Parzany, bekannt als Mitinitiator der missionarischen Kongresse ProChrist und Christival, beendete schließlich die Vorträge des Sym­po­siums mit der Frage: „Wie kann Mission in Deutschland gelingen?“ Nach ihm sei das Sterben des Samenkorns die Voraussetzung, dass Neues entstehen könne. Mission sei eine Teilhabe am österlichen Mys­terium von Sterben und Auferstehung. Die vier Säulen einer missio­narischen Kirche seien das Gebet, eine echte Gemeinschaft, Diakonie und Verkündigung.

Gerade in der Unterschiedlichkeit der vorgetragenen Ansätze und Her­meneutiken lag der Reiz dieser Tagung und dass der Teilnehmer sich in dieser Unterschiedlichkeit selbst eine Position suchen konnte. Die Bei­träge waren aufschlussreich für die teilweise konträren Weltbilder und Sichtweisen der Vortragenden auf Glauben und Kirche. Der jeweilige gesellschaftliche Kontext in seiner konstitutiven Bedeutung für die Entwicklung des Christlichen wurde insgesamt zu wenig thematisiert. Damit christliche Mission nicht primär einer „einseitigen Vermitt­lungs­vorstellung“ anhängt, bleibt weiter über die „Zeichen der Zeit“ und über säkulare Konstellationen nachzudenken, mit denen sich das Evan­gelium zeigt und darstellt und an denen es sich bewähren muss. Die Tagung hat also nicht die Zukunftsfragen von Kirche beantwortet. Sie hat aber gezeigt, dass das Katholische sich derzeit stark ausdifferenziert, dass vor allem charismatisch-evangelikale Entwürfe größere Resonanz erfahren; es zeigen sich aber auch Abstoßungstendenzen. Was das alles für Theologie und Glaubensausdruck, für Pastoral und Mission heißt, bleibt weiter auszuprobieren und zu besprechen.