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Glaube, der im Gehen entsteht

Ein diskursives Glaubensverständnis und seine Konsequenzen für eine zeitgemäße Katechetik

Ein klassisches Glaubensverständnis zeigt derzeit deutlich seine Aporien in der Art und Weise, wie Glauben „gelernt“ wird – oder auch nicht. Das Ver­ständnis von Glauben, wie es in der zeugenden Pastoral vertreten wird, führt nach Höring zu einer neuen Praxis der Katechese, Gastfreundschaft und Ver­trauen zu wagen und gegenseitig lebensbezogenen Glauben zu teilen und auszuprobieren. Dies setzt voraus, die Einstellungen der Glaubenden sich selbst und den so genannten (Noch-)​Nicht-Glaubenden gegenüber zu verändern und sich gemeinsam auf den Weg zu machen.

Noch bis in unsere Tage wurde und wird das Glauben-Lernen als eine irgendwie geartete Form der „Weitergabe“ verstanden. Die Praxis der Katechese zeigt jedoch, wie wenig wirkungsvoll ein solches eindimen­sionales Sender-Empfänger-Konzept ist. Und längst haben Religions­pädagogik und Katechetik deutlich gemacht, dass Lernen als ein Prozess der subjektiven Aneignung verstanden werden muss.

Inspiration für eine missionarische Katechese

Auch die deutschen Bischöfe haben in ihrem Schreiben „Katechese in veränderter Zeit“ – auf dem Hintergrund des Schreibens der franzö­sischen Bischöfe „Proposer la foi“ – zu erkennen gegeben, dass Glaube nicht als „Erbe“, sondern als „Angebot“ zu verstehen ist, und plädieren für die Abkehr von einer „vornehmlich pädagogisch vermittelte[n] Ge­stalt der Weitergabe des christlichen Glaubens“ hin zu einer „missio­narisch orientierte[n] Katechese“ (Sekretariat der Deutschen Bischofs­konferenz 2016, 17). Bei allen richtigen und wichtigen Impulsen (und jenseits der Frage, ob „pädagogisch“ hier wirklich einen Gegensatz zu „missiona­risch“ darstellt), verharrt das Dokument jedoch weitgehend noch in einem Verständnis von Glauben, über den „Auskunft gegeben“ werden kann, und in einem Katecheseverständnis, das noch wenig reziprok oder symmetrisch erscheint. Der Grund liegt darin, dass Glaube noch zu sehr inhaltlich verstanden und weniger existentiell begriffen wird.

Auf die Aporien des klassischen Glaubensverständnisses macht ein­drucksvoll Christoph Theobald in seinen jüngsten Beiträgen aufmerk­sam. Sein Ansatz, den er auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen in Frankreich und im Blick auf die „missionarische Umgestaltung der Kirche“ (Evangelii gaudium) darstellt, mag daher für die von den deut­schen Bischöfen erwünschte „missionarische Katechese“ inspirierend sein. Ein im gleichen Zuge geläutertes Missionsverständnis kommt dem Vorhaben zu Hilfe.

Glaube auf dem Hintergrund eines kommunikativen Offenbarungsverständnisses

Mit der Offenbarungskonstitution Dei verbum des Zweiten Vatikani­schen Konzils ist eine Wende vom vormaligen instruktionstheore­tischen zu einem kommunikativ-dialogischen Glaubensverständnis auch lehramtlich erkennbar. Was aus Sicht von Theobald in Dei verbum noch „unentschieden“ wirkt (Theobald 2018, 50), kommt ihm zufolge erst mit Evangelii gaudium und dem dort in Erinnerung gerufenen „Glaubenssinn der Gläubigen“ zum Durchbruch. Der von ihm vorge­schlagene „stilistische Ansatz“ könne dessen „Funktion präzisieren“ (ebd. 55). Dieser Gedanke trägt die Überzeugung mit sich, dass Glaube „wirksam“ sein muss, will er sich wirklich als das von Gott ergangene Wort erweisen (ebd. 57). Der stilistische Ansatz weist auf die notwen­dige „Konkordanz“ zwischen Inhalt und Form hin. Glaube muss als „glaub‑würdig“ erlebt werden, sonst kann er keine Relevanz im Leben des Menschen, zumal des kritischen, zur individuellen Wahl und Entscheidung gerufenen Zeitgenossen in der pluralen Moderne entwickeln.

Daher kann auch Katechese keine Wirkung entfalten, wenn sie nicht ein situatives, biographiebezogenes Lernen auf Augenhöhe darstellt. Der inzwischen häufiger zu hörende Begriff der „Glaubenskommunikation“ will dies deutlich machen, und er scheint so manches zu integrieren, was Theobald unter dem Begriff des „Stils“ subsumiert: Lernen im Glauben hat die Grundregeln der Kommunikation zu beachten. Dazu gehören Interesse aneinander, Respekt voreinander, gegenseitige Akzeptanz als gleichwertige Gesprächspartner, Wechselseitigkeit und Reziprozität, verbale und nonverbale Kommunikation, Begegnung und Beziehung, einfühlendes Verstehen.

Gastfreundschaft als Paradigma für missionarisches Handeln

Theobald verweist auf das Paradigma der Gastfreundschaft (vgl. ebd. 58–63), ein Begriff, der höchst kompatibel mit einem zeitgemäßen Mis­sionsverständnis ist. Denn wer andere in ihrer Kultur aufsucht, um mit ihnen in Beziehung zu treten, sie möglicherweise auch vom Evangelium etwas spüren zu lassen und vor allem selbst das Evangelium im Ange­sicht der anderen neu zu lernen, der ist zunächst dort zu Gast – und hat sich entsprechend zu verhalten. Die Bilder einer „gastfreundlichen Kir­che“ verkehren sich hier ins Gegenteil. Nicht wir laden ein. Vielmehr sind wir zu Gast bei den Menschen und in ihren Kulturen!

Gerade die Missachtung dieses Zusammenhangs führte zur unrühm­lichen Geschichte mancher Missionsanstrengungen bis heute. Diese Missachtung ist jenen Bewegungen inhärent, die aufgrund vermuteter Unzulänglichkeiten der Gegenwartskultur Mission primär als eine ge­steigerte Form von Aktivität verstehen (wie etwa die Debatten um das sog. „Mission Manifest“ erkennen lassen). Dabei sollte Mission nicht damit beginnen, die Fehler bei den anderen zu suchen. Hilfreich erweist sich vielmehr die Haltung, von den anderen lernen zu wollen. Ein­drucksvoll haben eine solche die Teilnehmer an der Bischofssynode 2018 bezeugt (vgl. Bischofssynode. XV. ordentliche Generalversamm­lung 2018, 30.116.122).

Maßnehmen an der Begegnungspraxis Jesu

So kann ein Maßnehmen an der Begegnungspraxis Jesu sich als hilfreich erweisen – für jegliche Form von Katechese wie für das eigene Missions­verständnis. Zunächst sind die Rahmenbedingungen zu beachten: der Anlass der Begegnung, die Art und Weise des Begegnens, das Zuhören und Einander-gelten-Lassen, wie es exemplarisch an der Begegnung der beiden Jünger mit Jesus auf dem Weg nach Emmaus (Lk 24,13–35) deut­lich wird. Nicht umsonst folgten die Beratungen auf der Bischofssynode 2018 genau dieser Prozessstruktur: Hören und Wahrnehmen, Deuten und Interpretieren, Unterscheiden, eine Wahl anbieten und die Wahl in Freiheit ermöglichen. Die Idee vom „christlichen Glauben als Lebens­stil“ (vgl. auch Englert u. a. 1996) macht dabei deutlich, dass es nicht allein um eine vages Für-wahr-Halten oder um eine kognitive Überzeu­gung geht, sondern um eine Lebensentscheidung, die in einer entspre­chenden Praxis ihren Ausdruck findet.

Hinzu kommt, dass die Wahl, die sich mit der christlichen Botschaft verbindet, nicht die Zustimmung zu bestimmten (Satz-)​Wahrheiten meint, sondern zuerst die Anerkennung einer Beziehung: die Bezie­hung, die Gott mit einem jeden von uns aufnehmen will und schon längst am Aufnehmen ist. Denn Mittelpunkt christlichen Glaubens ist ein Geschehen: der Beginn der Herrschaft Gottes, der basileia tou theou. Glauben erscheint auf diesem Hintergrund als ein Sich-ergreifen-Las­sen. Und immer dann, wenn Menschen selbst Teil dieses Geschehens werden, ereignet sich diese Gottesherrschaft hier und jetzt.

Glaube als Hypothese

Glauben-Lehren ist daher zuallererst ein aufmerksames Mitgehen, das vom Bewusstsein getragen ist, dass

(1) die eigene (aber auch die fremde) Biographie eine von Gott getragene ist (auch wenn dies dem anderen nicht notwendigerweise bewusst ist) und

(2) diese Gottesbeziehung sich nicht herstellen lässt.

Der Katechet, die Katechetin ist Begleiter/​-in. Er bzw. sie hat eine mäeutische Aufgabe, die Aufgabe der Geburtshelferin, die darin be­steht, das Von-Gott-getragen-Sein als eine mögliche Lebensperspektive, als einen möglichen „Lebens­stil“ anzubieten. In einer Welt, in der jeder einzelne sich bewähren muss, „als ob es Gott nicht gäbe“ (etsi deus non daretur – Dietrich Bonhoeffer im Anschluss an Hugo Grotius), kann zu­gleich geprüft werden, was sich mit der Perspektive der Gottesbezie­hung an Leben bzw. Lebensqualität verändern würde: Wie würde sich Leben darstellen etsi deus daretur? Das meint „den Glauben vorschla­gen“ (proposer la foi).

Glauben erscheint in diesem Kontext als eine Möglichkeit, die man ein­mal hypothetisch ausprobieren könnte – ganz ähnlich, wie es perfor­mative, mystagogische oder abduktive Religionsdidaktiken vorsehen. Christ­liches Glauben, lasst es uns einmal ausprobieren! Lasst uns prü­fen, ob christliches Glauben an die eigene Biographie anschlussfähig ist. Freilich ist damit zu rechnen, dass nicht jeder angebotene christliche Deutungsvorschlag sofort anschlussfähig ist, sondern dass das wechsel­seitige Verstehen schließlich zu einer Antwort führt.

Eine solche Haltung nimmt die Lebensdeutungskompetenz der Men­schen ernst, die nicht erst geweckt wird, sobald Katechese beginnt. Sie nimmt ernst, dass in jeder Biographie Gottes Spuren entdeckt werden können, jeder Mensch von einem existentiellen Glauben getragen ist. Sie nimmt ernst, dass „Gott früher als der Missionar kommt“ (Leonardo Boff). Sie nimmt zugleich wahr, dass in vielen Lebensentwürfen heute immer noch Rudimente christlichen Glaubens eingesickert sind, die es gemeinsam freizulegen, zu läutern, zu prüfen und zu ergänzen lohnt, eine Haltung, wie sie das Konzept einer Kinder- und Jugendtheologie derzeit starkmacht.

Mäeutische Katechese – zeugende Pastoral

Hier schließt sich der Kreis zum Vorschlag einer „zeugenden Pastoral“ (vgl. Feiter/​Müller 2012) auf dem Hintergrund von Theobalds Überle­gungen (vgl. Theobald 2018, 301–312). Das bei ihm erkennbare Glau­bensverständnis (vgl. ebd. 78–101) lässt an jenes von Paul Tillich oder an die Idee des „anonymen Christen“ von Karl Rahner denken, mindes­tens aber an die wertschätzende Anerkennung jeglicher „Wahrnehmung jener verborgenen Macht, die dem Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist“ (Nostra aetate 2) in den ver­schiedenen Religionen und Weltanschauungen, wie es das Konzil for­muliert hat. Dahinter steckt die Grundüberzeugung, die jesuitischer Spiritualität zu eigen ist: das Vertrauen auf die vitalen Kräfte im einzel­nen Menschen, die Überzeugung, dass Gutes im Denken der Menschen zutiefst Spuren des Geistes Gottes ist. Die Aufgabe von Katechese ist daher nicht das Füllen leerer Flaschen, sondern das Verflüssigen des jedem Menschen innewohnenden existentiellen Glaubens. Wird Offen­barung wirklich als ein kommunikatives Geschehen verstanden, dann ist Glauben als Praxis und Glaube als Inhalt zutiefst diskursiv: Er ent­steht erst im Gehen, im gemeinsamen Unterwegssein. Glaube muss inkarnieren, damals wie heute. (Diese Herangehensweise noch einmal aus einer konstruktivistischen Perspektive zu betrachten, liegt nahe.)

Mit einer solchen Haltung wandelt sich die Rolle des Katecheten, der Katechetin. Um noch einmal die Emmaus-Perikope herzunehmen: Wer sagt denn, dass wir diejenigen sind, die den beiden Jüngern begegnen, „hinzukommen“ und ein Stück des Weges mitgehen? Vielleicht sind wir ja viel eher einer der beiden Jünger, die nebeneinander her, mehr oder minder orientierungslos, zumindest aber voller Fragen und Zweifel in die gleiche Richtung unterwegs sind und sich im Laufe der Zeit für den „unsichtbaren Dritten“ öffnen. Eine neue katechetische bzw. missiona­rische Demut täte gut: Denn letztlich geht es nicht um mich und jene, sondern um uns beide vor dem Geheimnis Gottes, vor dem wir gleicher­maßen Befragte sind. Katechetische Momente sind also jene, in denen gemeinsam vor dem jeweiligen, unterschiedlichen Hintergrund der Blick auf Gott gerichtet wird.

Orte und Gelegenheiten einer solchen Katechese

Derartige Momente scheinen rar. Die Pfarreien bzw. die territorial ge­fassten Gemeinden, traditionell der Ort der Katechese, tun sich oft schwer. Den Glauben ins Wort zu bringen, darin ist man einigermaßen ungeübt, insbesondere, wenn gerahmte Settings (Katechese vor den Sakramenten, Predigt, Bildungsabend) verlassen werden und das per­sönliche Zeugnis erforderlich wird oder heilsam wäre. Vor allem unter Katholiken (anders vielleicht in Bewegungen oder Freikirchen) macht sich da schnell Unwohlsein breit. Aber gerade diese Momente sind es, die dem Wesen von Katechese entsprechen. Vielleicht kann die hier skizzierte Haltung auf dem Hintergrund eines Glaubens entlasten, den ich nicht haben muss, um ihn einem anderen zu übergeben, sondern der erst im gemeinsamen Unterwegssein, im gemeinsamen Fragen und Befragen, Drehen und Wenden entsteht. Es wäre die Abkehr von curri­cular orientierten Konzepten und die Rückkehr zu einer korrelativen Didaktik, die Entsprechungen zwischen den existentiellen Erfahrungen heute und den geronnenen Erfahrungen der jüdisch-christlichen Über­lieferung aufdecken helfen will.

Zugleich kommen – auch auf dem Hintergrund der Suche nach neuen Gemeindeformen (vgl. auch Bischofssynode. XV. ordentliche General­versammlung 2018, 18 f.) – immer häufiger andere Orte in den Blick, die alltägliche Momente der Kommunikation im Glauben eröffnen, die situativ und biographiebezogen Glauben erleben lassen: Einrichtungen von Diakonie und Caritas, Eltern- und Freundeskreise, Medien, Grup­pen der Verbände, Einrichtungen kirchlicher Kinder- und Jugendhilfe, passagere Angeboten wie Kirchencafés, offene Kirchen, kulturelle Veranstaltungen.