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Vernetzungstreffen Ehrenamt: „Verantwortung teilen“ – Ehrenamtliche in Gemeindeleitung

Bereits zum achten Mal traf sich vom 6. bis 7. Februar 2018 das Vernet­zungstreffen Ehrenamt in Erfurt. Das Veranstaltungsformat des Vernet­zungstreffens ist 2011 auf Initiative von im Bereich des Ehrenamtes engagierten Akteuren entwickelt worden und wird aktuell jährlich durch ein wechselndes Vorbereitungsteam gestaltet. An dem Vernet­zungstreffen nehmen vor allem Referentinnen und Referenten zum Thema Ehrenamt und Ehrenamtsentwicklung im kirchlichen Raum teil.

In diesem Jahr fand das Treffen zum Thema „Verantwortung teilen“ – Ehrenamtliche in Gemeindeleitung statt und lockte 45 Interessierte nach Erfurt. Den Ausgangspunkt bereitete Dr. Hadwig Müller mit ihrem Vor­trag „Aus der Enge herausführen. Ideen zur Gemeindeleitung“. Sie plä­dierte dabei grundsätzlich für eine „Pastoral des Anfangendürfens“, die nicht als ein weiteres Konzept oder eine Methode der Pastoral, sondern als Weg zurück zum Ursprungsprinzip dessen, was die christliche Pasto­ral ausmacht, verstanden werden müsse. Und dieses Prinzip ist das „ab­solut spezifische Interesse des Jesus von Nazareth an der Geburt des Glaubens im Leben der Menschen, denen er begegnet“ (Christoph Theobald). Daher sei ein an der Geste Jesu orientiertes pastorales Han­­deln zuerst Hören, nicht Sprechen; Aufmerksamkeit und nicht „Weiter­gabe des Glaubens“. In diesem Sinn bestimmte Müller pastorales Han­deln primär als „passiv“ und erst in einem zweiten Schritt als „aktiv“; nämlich dann, wenn es den im Anderen entdeckten Glauben ins Wort bringt und ihm so hilft, neu anzufangen zu leben. Eine solche „Pastoral des Anfangendürfens“ befreit die in der Pastoral engagierten Gläubigen von dem Druck, alle Menschen erreichen zu müssen. Aber sie verlangt von ihnen, sich den Einzelnen, die ihnen in ihrem Alltag mehr oder weni­ger zufällig begegnen, mit einer umsonst geschenkten Aufmerk­samkeit auszusetzen, die nichts von ihnen will, sie aber gerade so in ihrer Einmaligkeit zum Vorschein kommen lässt. Analog zu anderen pastoralen Analysen und Empfehlungen hob Müller so darauf ab, dass es nicht mehr darum gehen kann, unter Verschleiß der letzten Kräfte das institutionelle Programm aufrechtzuerhalten.

Im Anschluss stellte Müller Überlegungen zum Thema Leiten im alltäg­lichen, biblischen, christlichen und lehramtlichen Sprachgebrauch an und fokussierte für die Frage der Gemeindeleitung darauf, dass von Leitung nicht gesprochen werden sollte, ohne nach Führung zu fragen. So müssen immer zwei Fragen gestellt werden: Wer leitet? Wer führt? Das heißt: „Wer sorgt für das Leben und die Lebendigkeit der Gemein­de? Wer sorgt dafür, dass sie in Bewegung bleibt; wer führt das Volk Gottes auf seinem Weg und bittet Gott immer wieder darum, die Rich­tung gezeigt zu bekommen und geführt zu werden?“ Im Blick auf Gemeindeleitung durch Ehrenamtliche, so Müllers Fazit, geht es daher darum, einen Perspektivwechsel und eine ermutigende Begleitung Ehrenamtlicher durch Hauptamtliche zu verwirklichen, um „aus der Enge herauszuführen“.

Dergestalt präpariert wurden im Weiteren die Erfahrungen verschiede­ner ehrenamtlicher Gemeindeleitungsmodelle aus Deutschland präsen­tiert. Pfarrer Peter Adolf und Sr. Dr. Margret Fühles RSCJ berichteten vom „Petrus-Weg“ der Pfarrei St. Petrus in Bonn, der von einer „Kultur des Vertrauens“ inmitten aller Umbrüche lebt. Dies bedeutet einen neuen Leitungsstil, v. a. eine Neuformatierung des priesterlichen Weiheamtes, da ansonsten das Konzept des Petrus-Wegs mit seinen „Akteuren des Evangeliums“ nicht realisiert werden kann. Dabei ist der Priester nicht das Zentrum der Gemeinden bzw. der Pfarrei, sondern kreist gleichsam um diese und ist besorgt, sie zu ihrem Dienst zu befähigen. Dabei zielt das Konzept des Petrus-Wegs nicht darauf ab, überkommene Formen kirchlichen Lebens bzw. kirchliche Strukturen zu retten, sondern ge­steht sich das Ende einer Klerus-zentrierten Kirche ein und fordert die Bereitschaft zum Mentalitätswechsel der pastoralen Akteure und das Vertrauen in die vom Geist Gottes zugesagten Charismen.

Klaus Tilly und Julia Modest beschrieben den VOlK-Prozess (Vor Ort lebt Kirche) im Bistum Magdeburg und legten ihren Fokus auf die Spiritua­lität. Der VOlK-Prozess lebt in den Modellpfarreien von bestimmten Haltungen, wie z. B. dem Schritt vom Mangel zum Vertrauen, der Wahr­­nehmung der Taufwürde, der Charismen- und Gemeinschaftsorient<link typo3>­ie­rung, der ökumenischen Perspektive und der Sozialraumorientierung. Davon ausgehend hat sich ein elaboriertes Verfahren entwickelt, in dem ehrenamtliche Gemeindeleitung zum Tragen kommt.

Wilfried Hammers aus dem Bistum Aachen machte Anmerkungen zur Frage der Finanzen im Kontext ehrenamtlicher Gemeindeleitung. Ein Team aus den Ehrenamtlichen Ute Burmeister, Ulla Johansmann, Annelies Suiver und dem Hauptamtlichen Bernd Overhoff referierte zur „Kirche der Beteiligung“ im Bistum Osnabrück und setzte pointierte Akzente zu den Themen Verantwortung, Zuständigkeiten, Rollen und Kompeten­zen. Die Kirche der Beteiligung ist „ein Weg, eine Bewegung, ein Pro­­zess“, auf/​in dem es mehrere Lerngemeinschaften gibt, die sich auf einen neuen Weg einlassen, „Kirche zu sein“, und in dem sich die Frage stellt, wie eine Kirche, die auch künftig nahe bei den Menschen ist, ge­staltet werden muss. Die Idee möchte damit an viele Erfahrungen mit unterschiedlichen Formen von Beteiligung im Bistum Osnabrück an­schließen und sie gleichzeitig weiterentwickeln. Dafür wurden sechs „Leitplanken“ formuliert, die den Lerngemeinschaften Orientierung geben sollen:

  1. Von der Taufe ausgehend – viele beteiligen
  2. Von Gott beschenkt – Charismen wirken lassen
  3. Von Vielfalt bereichert – Gemeinschaft ermöglichen, Netzwerke knüpfen
  4. Von Gottes Geist geleitet – Verantwortung teilen
  5. Von Jesus gesandt – unseren Auftrag vor Ort leben
  6. Vom Wort Gottes inspiriert – Glauben und Leben zusammenbringen

Diese praktischen Impulse wurden von den Teilnehmern auf pastorale „Erfolgsfaktoren“ hin überprüft. Dabei wurde u. a. wiederholt herausge­stellt, dass das „Wie“ entscheidend ist – ehrenamt­liche Gemeindelei­tung erfordert bestimmte Haltungen. Zudem definiert sich ehrenamt­liche Gemeindeleitung nicht über den Mangel, sondern positiv und wird nur im Team erfolgreich sein, in dem wiederum Transparenz und Kommunikation notwendig sind. Sie bedarf darüber hinaus einer Rol­lenklarheit aller Beteiligten (Personen und Gremien) und Ebenen und braucht kontinuierliche Qualifikation und Begleitung. Daneben wurde deutlich, dass auch authentische Formen von Spiritualität und eine Orientierung an der Bibel häufig anzutreffen sind. Abschließend wurde deutlich, dass ehrenamtliche Gemeindeleitung von den Verantwort­lichen gewollt sein muss, es aber nicht das eine Modell oder den einen Weg gibt, sondern eine Vielfalt der Modelle je nach den Vorausset­zungen vor Ort.

In einem abschließenden Tagungskommentar formulierte Hadwig Mül­ler dreierlei. Erstens sei die Relevanz der Institution zu klären: Welche Rolle nimmt die Institution ein bzw. welches Gewicht wird ihr beige­messen? Dabei geht es nicht darum, dass die Institution unwichtig ist, aber sie ist nicht das Erste/​Wichtigste. Zudem geht es bei einer „Kultur des Rufens“ (anders als bei einer Charismenorientierung) darum, Hören auf die Stimme Gottes zu üben (Bsp. 1 Sam 3,1–10). Die Stimme Gottes ruft den Menschen beim Namen und sagt ihm, „du kannst du selbst werden“.

Zweitens mahnte Müller eine Überprüfung an: Zu überprüfen sei, um was es uns als pastoralen Mitarbeitern geht (diese konkrete Kirche oder dieser konkrete Mensch), aber auch, an was wir uns orientieren (Bis­tumsleitlinien, Tagungsergebnisse, Evangelium etc.). Drittens unter­­breitete Müller Vorschläge und verwies dabei darauf, dass die „Erfolgs­faktoren“ besser als „Bedingungen für das Fruchtbarsein“ bezeichnet werden sollten. Sie plädierte für die Etablierung gemeinsamer Fort- und Weiterbildungsangebote in Glaubensdingen (für Ehren- und Hauptamt­liche inklusive Priester), in dem, was uns am Evangelium und in unse­ren Beziehungen wichtig ist. Abschließend wies auch Müller darauf hin, dass das „Wie“ wichtiger ist als das „Was“ und machte sich im Blick auf Gemeindeleitung durch Ehrenamtliche für den Ansatz stark: „Ich/​Wir vertraue(n) euch in diesem Team, dass ihr in dieser Gemeinde für Leben sorgt.“