Inhalt

Nicht nur Sprachverschiebungen!

Implikationen eines Christentums à la „Mission Manifest“

Das Buch „Mission Manifest“ (Meuser/Hartl/Wallner 2018; im Folgen­­den beziehen sich Stellenangaben ohne weitere Angabe auf dieses Buch) hat Anfang des Jahres 2018 viel Aufmerksamkeit erhalten – und Dis­kus­sionen ausgelöst. Auch Mitarbeitende der KAMP wurden wiederholt nach einer Einschätzung gefragt.

Doch das ist gar nicht so einfach. Das Buch ist nicht auf einen Nenner zu bringen – und sollte auch nicht vorschnell in eine Schublade gesteckt werden. Allein schon deshalb, weil das Werk ein Sammelband ist. Und auch wenn die Autorinnen und Autoren ein gewisser Konservativismus ebenso eint wie das Bemühen um einen Neu­aufbruch jenseits derzeiti­ger kirchlicher Strukturprozesse, so lassen sich doch deutliche Unter­schiede in den Einstellungen, in der Sprache, in den persönlichen Schwerpunkten feststellen. Auch deshalb ist eine pauschale Bewertung des Buches schwierig und lässt sich nur schwer eine gemeinsame Linie ausmachen.

Freilich gibt es durchaus verbindende Themen: Mission und bewusstes/​entschiedenes Christsein. Doch was das ganz konkret bedeutet, lässt sich nur ansatzhaft erkennen. Die Autorinnen und Autoren gewähren durch­aus einzelne Einblicke in ihr Leben und Erleben, in ihr Denken und auch in ihren Alltag. Für mich bleibt aber dennoch weitgehend offen, wie weit sie in ihrem missionarischen Eifer gehen/​gehen würden – und was ihr Glaube konkret im und für den Alltag bedeutet.

Von daher ist der Stil des Christlichen, den die Autorinnen und Autoren entwerfen, durchaus offen: Es muss sich zeigen, ob er sich auf Dauer als Beitrag zur Erneuerung der Kirche bewährt und ob er sich in das Gesamt einer vielfältigen Kirche einfügt. Aber so, wie das Buch dasteht, ist es nicht eindeutig. Es löst „Fantasien“ und Befürchtungen aus (vgl. z. B. Nothelle-Wildfeuer 2018). Vielleicht sind es oftmals geradezu automa­tische „Abstoßungsreaktionen“ eines liberalen Katholizismus, der sich lange genug gegen einen konservativen Backlash wehren musste? Doch ist das legitim?

Das Buch stellt in vielen Fällen einem durchaus oftmals träge geworde­nen Mainstream-Katholizismus einen Gegenentwurf vor Augen. Es stellt unbequeme Fragen. Aber das ist – pardon! – noch kein Grund, es einfach abzulehnen. Vielmehr verdient es – und braucht es – eine argumentative Auseinandersetzung.

Dieser Aufsatz soll keine umfassende Besprechung oder gar Bewertung des Buches sein. Vielmehr frage ich mich, welche Form des Katholizis­mus sich dahinter verbirgt, die sich ja von einem herkömmlichen libe­ral-volkskirchlich geprägten Katholizismus deutlich abhebt (unter Berücksichtigung der Unterschiede bei den einzelnen AutorInnen). Dazu blicke ich zuerst auf Sprachformen, die mir auffallen und die ich spontan – auf der Grundlage meiner Erfahrungen in der Weltanschau­­ungsarbeit – mit Evangelikalismus, Charismatismus oder konservati­vem Katholizismus assoziiere. Das vertiefe ich in einem zweiten Schritt, in dem ich Themen, Thesen und Interessen der Autorinnen und Autoren analysiere, die mit diesen Sprachformen verbunden sind. In einem dritten Schritt frage ich dann nach Implikationen: Was bedeutet diese Prägung des Christlichen, wie wirkt sie sich auf das Christsein aus, wo werden Schwerpunkte gesetzt – und was wird vernachlässigt? Ein Ausblick rundet den Aufsatz ab.

Sprachformen

Ich beginne damit, indem ich auf einige Sprachformen eingehe, die sich vielfach in diesem Buch finden – und die für mich „evangelikal“ klin­gen. Typische Begrifflichkeiten sind etwa „Lebensübergabe“, „persönli­che Christusbeziehung“, „Christus als Herrn und Erlöser annehmen“, „Entscheidung“, „Zeugnis (geben)“ oder auch „Jüngerschaft“.

Ich denke, es geht nicht nur mir, sondern vielen anderen volkskirchlich sozialisierten Katholikinnen und Katholiken so, dass diese Sprache nicht wie die Sprache klingt, die man traditionell in innerkatholischen Kon­texten gehört hat. Und auch wenn einzelne Begriffe durchaus auch in „herkömmlicher“ katholischer Sprache immer wieder einmal auftau­chen (z. B. „Zeugnis“, „Jünger“, „persönlich“), so fällt in „Mission Mani­fest“ doch der pointierte und reichliche Gebrauch ins Auge.

Im Buch kommen diese Sprachformen wie selbstverständlich neben „gewohnteren“ Sprachbildern zu stehen – auch innerhalb einzelner Aufsätze. So sticht etwa im Beitrag von Marie-Sophie Maasburg der letzte Halbsatz wie ein Fremdkörper heraus, da nur hier eine evangeli­kale Floskel verwendet wird: „dass jeder Einzelne Jesus Christus als seinen Erlöser annimmt“ (148). Hans Buobs Sprache merkt man seine Herkunft aus einem traditionellen katholischen Konservativismus an – und doch spricht auch er einmal von einer „persönlichen Liebesbezie­hung zu Jesus Christus“ (230).

Besonders erhellend ist aber eine Stelle im Beitrag von Maximilian Oettingen (127). Zuerst zitiert er aus Evangelii gaudium, wo Papst Franziskus als Kern christlicher Verkündigung benennt: „Jesus Christus liebt dich, er hat sein Leben hingegeben, um dich zu retten, und jetzt ist er jeden Tag lebendig an deiner Seite, um dich zu erleuchten, zu stärken und zu befreien“ (EG 164). Im nächsten Absatz findet sich dann in Oettingens eigenen Worten: „Jesus liebt dich, er möchte dein Herr und dein Gott sein. Hast du ihm schon die Erlaubnis gegeben, der Herr deines Lebens zu sein?“ Ob das nun eine Paraphrase sein soll oder das, was Oettingen mit den Worten des Papstes verbindet, ist unklar. Klar ist jedoch aus dem Kontext, dass sich Oettingen hier auf die Formulierung des Papstes bezieht, und ebenso deutlich ist, dass hier nicht nur anders formuliert wird, sondern sich auch inhaltlich etwas verändert: Aus dem Beistand Jesu wird geradezu die Unterwerfung unter Jesus.

Doch auch insgesamt ist das Buch ein einziges großes Nebeneinander, da in manchen Aufsätzen evangelikale Sprachmuster sehr präsent sind (so etwa bei Oettingen und Hartl), in anderen dagegen mehr oder weni­ger gar nicht (z. B. Kuby, Iten, Buob). Dabei sind die Thesen, auf denen das Buch beruht, deutlich von evangelikalen Sprach- und Denkformen geprägt.

Dieses Nebeneinander der Sprachformen, dem man heute auch sonst in der katholischen Kirche begegnen kann, wird nicht reflektiert – nicht in diesem Buch, aber offenbar bislang auch nicht in der theologischen Fach­literatur (zumindest wurde ich in einer ausgiebigen Literatur­recherche nicht fündig). Das ist ein Desiderat, denn es stellt sich die Frage, ob sich hier einfach nur Sprachformen wandeln oder ob sich damit auch Denken und Handeln verändern. Doch bevor ich auf mög­liche Implikationen eingehe, will ich den Blick auf die Sprache durch eine Untersuchung einschlägiger Thesen, Themen und Interessen weiterführen und vertiefen. Ich untersuche also, ob etwa hinter der evangelikal geprägten Sprache auch evangelikal geprägte Inhalte stehen.

Themen, Thesen, Interessen

Ich beginne mit evangelikal Konnotiertem.

Ein zentrales Thema des Buches ist eine bewusste Entscheidung für den Glauben. Das geht über traditionelle katholische Formen hinaus (etwa die Tauferneuerung in der Osternacht, die nur in einem Beitrag themati­siert wird: vgl. 66). Dass hier in einem evangelikalen Paradigma an ein das ganze Leben und Glauben veränderndes Geschehen gedacht ist, das idealerweise an einen einmaligen Beschluss festgemacht werden kann, macht auch der einschlägige Begriff „Lebensübergabe“ deutlich, der einige Male gebraucht wird (z. B. 67, 160). Die Vehemenz, mit der hier Menschen zu einem Entweder-oder aufgerufen werden, wird in These 1 deutlich: „Uns bewegt die Sehnsucht, dass Menschen sich zu Jesus Christus bekehren. Es ist nicht mehr genug, katholisch sozialisiert zu sein. Die Kirche muss wieder wollen, dass Menschen ihr Leben durch eine klare Entscheidung Jesus Christus übergeben.“ Und Markus Wittal schreibt: „Wo ein bis dato vager Christ eine neue Qualität der Identifi­kation mit dem Herrn erlangt, gibt es eine Schwelle; man überschreitet sie mit einer bewussten Entscheidung“ (59; vgl. 66, 126, 129, 154).

Dass die Notwendigkeit einer bewussten Entscheidung und radikalen Hinwendung zum christlichen Glauben betont wird, hängt mit der Betonung der Einzigartigkeit Jesu Christi zusammen – auch dies ein zentrales evangelikales Motiv. Hartl etwa fragt mit Blick auf „durch­schnittlich katholisch sozialisierte Leute in Deutschland, Österreich oder der Schweiz: Ist den meisten dieser Menschen bewusst, dass Jesus allein der Retter ist?“ (151; vgl. 70, 119, 149).

Dieser Betonung der Heilstat Jesu entspricht die Forderung nach einer „persönlichen Beziehung“ zur zweiten der göttlichen Personen, zu Jesus Christus. Diese christuszentrierte Frömmigkeit kann jedoch in verschie­denen Begrifflichkeiten zum Ausdruck kommen: „Freundschaft mit Christus“ (30, 60), „Jesus Christus als seinen Erlöser annehmen“ (148), ihm „als seinem persönlichen Herrn nachfolgen“ (These 1) etc. Dahinter steht das pietistische Anliegen (das in den Evangelikalismus eingeflos­sen ist), gegenüber einer Erstarrung in (vor allem äußerlicher) kirch­licher Ordnung die persönliche Frömmigkeit zu betonen (worauf auch Hartl hinweist: 153).

In „Mission Manifest“ mischen sich freilich evangelikale Sprach- und Denkformen mit herkömmlichen katholischen Prägungen, so dass es auch zu „Mischformen“ kommen kann: Hans Buob fordert dann etwa eine „wirklich persönliche Beziehung zu Jesus, oder dem Vater oder dem Heiligen Geist“ (234), und Karl Wallner betont, „dass der christ­liche Glaube eine persönliche Gottesbeziehung in Christus durch den Heiligen Geist ist“ (82).

Die Verwendung des Begriffs „Jünger“ als christliche Selbstbezeichnung bricht bereits in neutestamentlicher Zeit ab. Wenn die AutorInnen in „Mission Manifest“ diesen Begriff pointiert aufgreifen, stehen sie damit freilich nicht allein, sondern in einem gewissen Trend in jüngeren evan­gelikalen Kreisen. (Allerdings wird der Begriff Jünger immer wieder auch außerhalb von evangelikalen Kreisen aufgegriffen. Ein prominen­tes Beispiel dafür ist der erste Satz der Pastoralkonstitution Gaudium et spes des 2. Vatikanums.)

Mit dem Jüngerschaftsbegriff verbindet sich die Vorstellung einer be­sonders intensiven Nachfolge Jesu – wie zu den Zeiten seines irdischen Lebens. Konkret werden Jüngerschaft und Nachfolge in Zeugnis und Mission (vgl. etwa 20, 35, 63, 73, 182–186). Die Durchführung von Missionierungsveranstaltungen, die Verbreitung von entsprechendem Material (gedruckt, digital …), das Geben eines persönlichen Glaubens­zeugnisses – all dies gehört wesentlich zu evangelikaler Frömmigkeit. Und zwar nicht nur für besonders Beauftragte, sondern für alle! Ent­sprechend fordert in „Mission Manifest“ die These 9 auch eine „Demo­kratisierung“ von Mission, und an verschiedenen Stellen wird die Über­windung thematisiert, die es erfordert, in der Öffentlichkeit zum Glau­ben einzuladen (z. B. 29 f., 91).

In dieser „Demokratisierung“ von Mission zeigt sich auch ein Bewusst­sein für das Priestertum aller Gläubigen (ein traditionell zwar im Pro­testantismus besonders betonter Gedanke, der freilich auch vom 2. Va­tikanum als Kerngedanke des Christentums wiederentdeckt wurde): Es geht nicht an, immer nur auf den Pfarrer (und die Hauptamtlichen) zu warten, sondern selbst aktiv zu werden. Es sind die Gläubigen, die sich gegenseitig im Glauben und im christlichen Handeln bestärken. Im evangelikalen Bereich gibt es dazu Kleingruppen im Umkreis von Ge­meinden, aber auch verschiedene „freie“ (also gemeindeunabhängige) Werke, die bestimmte Felder (Mission, Einsatz für Religionsfreiheit, soziale Hilfe) bearbeiten. Die Beiträge in „Mission Manifest“ lassen erkennen, dass für die christliche Szene, die sich dort abbildet, in durchaus ähnlicher Weise neue Formen christlicher Vergemeinschaf­tung unabhängig von herkömmlichen kirchlichen Strukturen eine zentrale Rolle spielen. Genannt werden Gebetsgruppen, Hauskreise, Bibelkreise, Alphakurse, Lobpreisverstaltungen, Nightfever, missiona­rische Auslandsjahre, Leiterschaftskurse etc. (vgl. dazu 187 f.). Dahinter steht auch ein „religionsunternehmerisches“ Bewusstsein – besonders ausgeprägt natürlich bei Johannes Hartl mit seinem Gebetshaus.

Dass die Auseinandersetzung mit der Bibel in den Kreisen hinter „Mis­sion Manifest“ eine wichtige Rolle spielt (vgl. These 7 sowie 16), lässt sich zuerst einmal durchaus auch im Kontext des biblischen Aufbruchs in der katholischen Kirche im 20. Jahrhundert (Bibelbewegung, 2. Vati­kanum) verorten, korreliert aber auch mit der Betonung der Bibel bei den Evangelikalen, deren „Treue zur Heiligen Schrift“ in These 6 gewür­digt wird.

Wahrscheinlich auch kein Zufall ist, dass in These 8 die Religionsfreiheit thematisiert wird – ein klassisches evangelikales Anliegen. Dies ist typi­scherweise verknüpft mit dem Beklagen von Christenverfolgung (98, 117) – in These 3 wird sogar die von der evangelikalen Organisation Open Doors verbreitete (und vielfach kritisierte) Zahl von angeblich 200 Millionen verfolgten Christen weltweit genannt.

Und schließlich werden wiederholt „Freikirchen“ explizit den Katho­likInnen als Vorbild oder Lernfeld vor Augen gestellt (etwa in These 6, 88, 150 f., 155, 170). Johannes Hartl stellt auch einzelne Elemente er­wecklichen Christentums und freikirchlichen Gemeindeaufbaus vor (159–164) – und so auch die oftmals damit verbundene strategische, unternehmerische und auch quantitative Orientierung.

Was für katholische Ohren leicht befremdlich oder gar anstößig klingt, ist ein etabliertes Element im evangelikal-freikirchlichen Feld: Mis­sionsgesellschaften planen strategisch große Missionsaktionen in ver­schiedenen Teilen der Welt, die auf Massen-„Bekehrungen“ zielen. Und immer wieder wird die Hoffnung auf „Erweckungen“ geschürt, die gan­ze Länder oder gar Kontinente umfassen. So etwa auch die Initiative „Europe Shall Be Saved“, die Johannes Hartl 2017 mit anderen Akteuren aus dem evangelikal-charismatischen Feld ins Leben rief, die aber – anders als Bernhard Meuser denkt (170) – bisher nichts von einem großen missionarischen Durchbruch erkennen lässt.

Auffällig ist jedenfalls, wie im Buch wiederholt Bezug auf bestimmte Gebiete genommen wird. So heißt es schon in der Erklärung zu Beginn des Buches: „Ich will, dass mein Land zu Jesus findet“ (7) – hier wird ein Anliegen aus der Präambel aufgenommen. Neben dem nationalen Blick (insb. bei Karl Wallners Rosenkranzaktion: 96) dominiert aber eine euro­päische Perspektive (vgl. 34–37, 103). Marie-Sophie Maasburg schreibt: „Es ist mir ein tiefes Anliegen, euch das ins Herz zu schreiben: Dass wir uns zusammentun – über Konfessionsgrenzen hinaus – und gemeinsam und in Einheit für eine Erweckung und Missionswelle in Europa eintre­ten“ (147).

Quantitatives Wachstum der Christen ist also durchaus ein Thema des Buches und wird – gerade auch im Blick auf Erfahrungen im freikirchli­chen Feld – auch unter den Bedingungen der Säkularisierung europä­ischen Typs für möglich und erstrebenswert gehalten (vgl. These 2 sowie 73, 159, 161, 169). Freilich relativiert These 10 dieses Erfolgsdenken auch ein Stück weit: „Wir sollten allerdings damit rechnen, dass der ersehnte Aufbruch im Glauben nicht immer nur eine Erfolgsgeschichte sein wird.“

Hier treten jetzt aber auch eher charismatisch geprägte Denk- und Sprachformen hinzu: nämlich dann, wenn von Macht und Wundern die Rede ist.

Insbesondere Gebet wird als wirkmächtig beschrieben: „Wir glauben, dass unsere Mission so kraftvoll sein wird, wie es unsere Gebete sind“ (These 5; vgl. 49, 146). Freilich kann das Vertrauen auf das Gebet auch in einem herkömmlichen Katholizismus beheimatet sein – so vielleicht bei Karl Wallner (75, 96). Eine andere Färbung liegt aber vor, wenn Marie-Sophie Maasburg von der „Vollmacht“ des Gebetes spricht (136 f.) und wenig später über die Verbindung von Fasten und Gebet sagt: „Gerade dort, wo es wie Charles de Foucauld eindringlich schreibt: ‚um die schwierigsten Dinge zu bitten (gilt) wie die Bekehrung großer Sünder oder ganzer Völker‘ ist Fasten in Kombination mit Gebet die stärkste Waffe. Fasten ist keine Option. Fasten gehört zum Gebet“ (144). Hier werden Gebet und Fasten zu machtvollen Instrumenten in der Hand des Menschen; aus der Bitte an Gott um sein Eingreifen wird – tenden­ziell! – ein Tun des Menschen, freilich in Ermächtigung durch Gott. In charismatischen Kreisen kann sich ein solches Gefühl der Ermächtigung etwa in einem häufig sehr bedenklichen Befreiungsdienst niederschla­gen. Das ist freilich in „Mission Manifest“ kein Thema, dafür aber ein anderes Element charismatischen Denkens: das Glauben und Vertrauen auf Wunder: „Nur wer an seine [des Heiligen Geistes; M. H.] Wunder glaubt und um seine Wunder bittet, wird auch welche erleben“ (50; vgl. 23, 34, 49, 78, 125, 146).

Insgesamt enthält das Buch nur in begrenztem Maße charismatische Elemente – auch Johannes Hartls Beitrag ist ungleich stärker evangeli­kal als charismatisch geprägt.

Nicht übersehen werden sollte aber auch die konservativ-katholische Prägung der Autorenschaft – eine Prägung, die sich durchaus mit evangelikalem und charismatischem Denken verbinden kann.

So zeigen die Beiträge von Sophia Kuby und Hans Buob deutliche Ähn­lichkeiten: eine besonders negative Weltsicht („Die Christen im Westen stehen auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten“: 100), die Säkularisierung als Verfall kennzeichnet und sich ein sinnvolles, erfüll­tes Leben ohne (christlichen) Glauben nicht recht vorstellen kann; inte­ressanterweise benutzen beide in diesem Zusammenhang die Wunden-Metaphorik (107–118, 230 f., 237). In manchen Beiträgen wird auch ein bestimmtes Thema des konservativen Katholizismus hervorgehoben (z. B. bei Kuby sexualethische Fragen, in These 7 und bei Meuser der Katechismus). Weiterhin scheinen immer wieder konservativ-katholi­sche Identitätsmarker auf: Anbindung an Bischöfe (Präambel), Anbe­tung und Rosenkranzgebet an etlichen Stellen (z. B. 16, 77, 96, 197, 224), Wallfahren nach Medjugorje (125) oder auch die Betonung der Sakramente (z. B. 18, 121, 157, 178, 189).

Insgesamt könnte man im Buch natürlich noch weitere Prägungen und Einflüsse entdecken und analysieren – ich belasse es aber beim Blick auf typisch evangelikale, charismatische und konservativ-katholische Ele­mente. Wobei die Hinzufügung „typisch“ im vorhergehenden Satz ernst zu nehmen ist: Die Glaubensstile „evangelikal“, „charismatisch“ und auch „(herkömmlich oder konservativ) katholisch“ überschneiden sich, und so ist die Einstufung von einzelnen Elementen/​Aussagen alles an­dere als immer eindeutig. Doch das Gesamtbild ist klar: Das Buch zeigt eine Mischung aus verschiedenen christlichen Prägungen.

Diese Elemente sind, wie gesehen, keine Nebensache, sondern bestim­men das ganze Buch (doch sind sie in den einzelnen Beiträgen freilich in ganz unterschiedlicher Intensität zu finden). Damit ist „Mission Mani­fest“ ein Zeugnis für eine junge Strömung innerhalb der katholischen Kirche, die man vielleicht am besten als „evangelikal geprägter konser­vativer Katholizismus“ beschreibt.

Doch was bedeutet diese Strömung für Kirche in dieser Zeit des Um­bruchs? Welche Wirkmächtigkeit hat sie, welche Potentiale? Fragen, die man letztlich wohl nur aus der Rückschau mit etwas zeitlichem Abstand (sagen wir einmal: in 100 Jahren) fundiert beantworten kann. Einstwei­len seien – mit aller Vorläufigkeit und Begrenztheit! – im folgenden Abschnitt nur einige mögliche Implikationen dieses neuen Mischstils des Christlichen aufgezeigt.

Implikationen

Evangelikalismus ist eine recht profilierte Form des Christentums. Er lebt wesentlich davon, dass er bestimmte Glaubensaussagen und The­men pointiert und mit Nachdruck benennt und auch bereit ist, sich damit in Dissens und Konflikt mit der umgebenden Gesellschaft zu stellen. So heißt es auch in „Mission Manifest“ in These 7: „Wir müssen die Inhalte des Glaubens neu entdecken und sie klar und mutig verkün­digen, sei es nun ‚gelegen oder ungelegen‘. (2 Tim 4,2)“.

Umso wichtiger ist es, auch darauf zu achten, was nicht benannt oder vernachlässigt wird. Natürlich kann man von einem Buch nicht verlan­gen, dass es alle Themen gleichermaßen behandelt, sondern es wird sich notwendigerweise auf bestimmte Themen bzw. eine bestimmte Perspektive konzentrieren. Und trotzdem ist das Fehlen von manchem in „Mission Manifest“ nicht nur auffällig, sondern wohl auch sympto­matisch.

„‚Mission‘ steht nicht in Konkurrenz zu Caritas; sie bildeten ja auch historisch immer wieder eine Einheit (vgl. die Anfänge der Caritas und der Diakonie). Das eine ohne das andere wäre keine christliche Antwort auf die existenzielle Not der Menschen“ (34), schreibt Michael Prüller in seinen Erläuterungen zur Präambel. Leider ist Prüllers Bewusstsein für die sozial-karitative Dimension der kirchlichen Sendung (das sich noch an einigen anderen Stellen in seinem Beitrag zeigt: 33, 37, 42) die „rühmliche Ausnahme“ im Sammelband. Ansonsten fällt diese Dimen­sion weitestgehend aus. An drei Stellen im Buch wird der große Flücht­lingszustrom der letzten Jahre erwähnt – an zwei Stellen wird vor dem Hintergrund des sozialen Engagements für Flüchtlinge die Notwendig­keit hervorgehoben, deshalb nicht mit dem eigenen Glauben hinter dem Berg zu halten (vgl. 88 sowie 169 f.; die dritte Stelle ist nur eine beiläufi­ge Erwähnung: 105). Bezeichnend ist auch, wie Marie-Sophie Maasburg in einer Auslegung des Vaterunsers die Brotbitte spiritualisiert: Gott als das „tägliche Brot“ (vgl. 141–143).

Selbst bei Prüller zeigt sich ein Missionsverständnis, das die tätige Nächstenliebe nicht als integralen Teil kirchlicher Mission sieht (aber immerhin als notwendige Ergänzung), weil es die Wortverkündigungs­dimension von Mission betont. Das entspricht durchaus dem Missions­verständnis vieler freikirchlicher Evangelikaler, wo dann christlicher sozialer Einsatz schnell „nur“ unter „Ethik der Mission“ firmiert. (Frei­lich muss betont werden, dass es nicht nur evangelikale Hilfswerke, sondern auch einen sozial und gesellschaftlich sehr engagierten Zweig der evangelikalen Bewegung gibt. Das ändert aber nichts daran, dass tendenziell die Prioritäten im Evangelikalismus anders liegen.)

Freilich: In der Tat haben viele Katholikinnen und Katholiken nur wenig Übung darin, über ihren Glauben zu sprechen. Der Fokus des Buches auf die Glaubensweitergabe im Wort macht auf ein reales Defizit aufmerk­sam. Dass dabei die andere Seite der Medaille, das In-die-Welt-Bringen des Evangeliums in der tätigen Liebe, weitgehend aus dem Blick gerät, habe ich eben aufgezeigt. Das Missionsverständnis in „Mission Mani­fest“ hängt aber auch mit dem Blick auf Welt und Gesellschaft zusammen.

Sophia Kuby und Hans Buob (s. o.) sind keineswegs die Einzigen, die eine negative Weltsicht entfalten. Da ist von einer „epidemisch ge­wordenen Säkularisierung“ (16) die Rede, von einer „christusfernen Welt“ (81), von einem „Defizit an privater und gemeinsamer Hoffnung in der Welt“ (These 3), von „Heidentum“ (228). Dass die Gesellschaft in ihrer derzeitigen Verfasstheit der Kirche helfen kann, „zu ihrem ur­sprünglichen Wesen durchzudringen“ (208), oder dass im nicht mehr so christlichen Europa „heute bestimmte Werthaltungen in einem Maß ausgeprägt“ sind, „dass es christliche Nationen der Vergangenheit und ihre allerchristlichsten Herrscher erblassen lassen würde“ (36 f.): Ein solch positiver Blick auf die säkularisierte Gesellschaft, ihre Würdigung als locus theologicus, ist die Ausnahme im Buch.

Vielmehr sticht der christliche Glaube als eine Art „Heilmittel“ (230) hervor, um der Welt wieder Hoffnung zu geben (vgl. insb. These 3; „Hoffnung“ wird im Buch sehr oft gebraucht); dazu müsse er aktiv, in direkter Verkündigung verbreitet werden. Die Gelassenheit, Gott, der immer schon vor dem Missionar da ist, im Miteinander mit dem Nächsten und im gemeinsamen Einsatz für die Welt zu entdecken, kann sich hier nicht recht entwickeln.

Gegenüber der herkömmlichen Form von Kirche und Glaube nimmt „Mission Manifest“ eine ambivalente Haltung ein.

Da findet sich zum einen eine Relativierung der bisherigen Kirchenge­stalt, wenn es etwa in der Präambel zur zunehmenden Bedeutungs­losigkeit der Kirche heißt: „Das ist weniger schade um die Kirche als schlimm für die Menschen, die Gott verlieren oder Jesus nie kennen­lernen“ (vgl. 186). Andererseits zeigt man Bedauern: „Ich persönlich kann mich nicht freuen, wenn ich die Abbrüche sehe, die leeren Kir­chen, die jungen Menschen, denen kein Feuer mehr für Jesus gereicht wird, denen weit und breit kaum einer ein Licht anmacht für die große, sie rettende Geschichte von der Erlösung. Es macht mich sehr traurig. Manchmal möchte ich darüber weinen, dass wir schwächer werden (83 f.), so Karl Wallner (vgl. 99–101).

Parallel zu einer ausgeprägt negativen Weltsicht findet sich immer wieder auch eine ausgeprägt negative Sicht auf den Zustand von Glaube und Kirche: „Das dekorative Christentum, das es vielerorts noch gibt und das Menschen nur am Rand zu berühren vermag, zerbröckelt wie alter Gips“ (17; vgl. 79, 94, 104, 172, 228).

So wird die bisherige Volks- und Verwaltungskirche auch deutlich kritisiert, etwa, wenn es über die Initiatoren des Buches heißt: „Einig waren sie sich auch, dass das Heil nicht in Plakatkampagnen und TV-Spots, der Organisationsentwicklung, Strukturmaßnahmen und einer weiteren Bürokratisierung der Kirche liegen würde“ (16). Stattdessen wird ein offensiveres Christsein gefordert: „Man war zu lange in einer Mentalität eines ängstlichen Appeasements gegenüber der christus­fernen Welt gefangen, suchte vorrangig Anschlussfähigkeit“ (81; vgl. These 10 sowie 106). Und man fordert auch ein „frömmeres“ Christsein, das mehr auf dem Gebet basiert: „Ich bin überzeugt davon, dass gerade tausend strategische Köpfe rotieren und Millionen verbraten werden für pastorale Planspiele. Ich möchte das nicht schlechtreden – aber beten die Entscheidungsträger auch?“ (143; vgl. 16, 76 f., 224). Man traut „einem volkskirchlichen Katholizismus, der oft nicht mehr ist als ein Wertesystem oder eine moralische To-do-Liste“ (200 f.), offenbar nur wenig spirituelle und missionarische Kraft zu: „Nicht die Säkularisie­rung, nicht der fortschreitende Atheismus, multireligiöse Konkurrenz oder gesellschaftliches Mobbing sind die Ursache für den Attraktivitäts­verfall der Kirche, sondern ihre verwaschene Gestalt – das mehrdeutige Bild, das sie bietet“ (173).

Entschiedenheit, Eindeutigkeit und Profil sind also gesucht – und wer­den teilweise sehr zugespitzt eingefordert: „Ohne bewusste Entschei­dung ist das Christentum nur ein kultureller Ausdruck“ (57). Hier wird ein Konfliktpotential deutlich, ein Gegensatz von volkskirchlichen Ge­wohnheitschristen und Neubekehrten, wie ihn etwa Bernhard Meuser offen thematisiert (168 f). Und man kann eine gewisse Tendenz erken­nen, das Dazwischen zwischen dem propagierten „Hochspannungs­christentum“ und einem „passiven“ Volkskirchentum zu übersehen. Verräterisch ist etwa auch dieser Satz bei Johannes Hartl: „Eine Volks­kirche, deren neue Mitglieder durch den traditionellen Weg der famili­ären Sakramentalisierung dazu kommen, kann freilich auch lange weiter bestehen, egal, wie gut es ihr gelingt, persönlich entschiedene Christen hervorzubringen“ (155).

Wie soll das mit dem Weiterbestehen funktionieren, wenn es in diesem volkskirchlichen Paradigma nicht doch (neben vielleicht vielen nur we­nig religiösen Mitgliedern) auch etliche gibt, die den Glauben leben, zumindest an ihre Kinder weitergeben und sich in der Kirche engagie­ren? Vielleicht hilft dieser Vergleich: Menschen können eine stürmi­sche, hoch emotional aufgeladene Beziehung eingehen, wenn sie sich als Erwachsene in einen anderen Menschen verlieben. Menschen wach­sen aber auch für gewöhnlich in einer Familie auf, wo die nächsten Be­zugspersonen (Eltern, Geschwister, evtl. nahe Verwandte) vorgegeben sind/​werden; die jeweilige Beziehung kann dann im Einzelfall auch sehr emotional werden, sie hat aber auch eine Dimension des Selbst­verständlichen (die Eltern sind – bestenfalls – einfach immer für einen da und umgekehrt). Also: Auch wer volkskirchlich sozialisiert wurde und niemals ein Bekehrungserlebnis hatte, sondern aus einer gewissen Haltung der Selbstverständlichkeit mit Gott lebt, kann sehr bewusst, treu und engagiert Christ sein.

Ja, die Gefahr eines gewissen Elitarismus ist nicht ganz von der Hand zu weisen, und diese ist mit dem im Buch prominenten Jüngerschaftsbe­griff verbunden, wie sich insbesondere im Beitrag von Maximilian Oettingen zeigt: Zwar weist er unter Rückgriff auf Gerhard Lohfink zuerst darauf hin, dass es zu Jesu Zeiten nicht nur die Jünger in unmit­telbarer Jesusnachfolge, sondern auch die Apostel als engsten Kreis auf der einen Seite und das „Volk“ als lose mit Jesus verbundene Gruppe an­dererseits gab (130 f.). An diese Unterscheidung innerhalb der Jesusbe­wegung anknüpfend entwickelt etwa die „Kirchenaustrittsstudie“ des Bistums Essen eine neue Wertschätzung für Kirchenferne (vgl. Collet/​Eggensperger/​Engel 2018, 223–227). Oettingen dagegen fokussiert im Folgenden (131–133) recht einseitig und hermeneutisch unterbestimmt auf besonders radikale Nachfolgeforderungen Jesu in verschiedenen Evangelien, überträgt das einfach auf die heutige Zeit und versteigt sich zu Aussagen wie: „Betone ich, dass ein schales, bloß konventionelles Christsein nicht einmal für den Misthaufen reicht?“ (133).

Gewiss, die Ausführungen von Oettingen sind besonders zugespitzt. Doch auch sonst wird in „Mission Manifest“ mit dem sehr häufig ge­brauchten Begriff „Jünger“ eine Form des Christseins propagiert, die sich deutlich von volkskirchlicher Gelassenheit abhebt und andere Pri­oritäten setzt: Mission, offensives Glaubensbekenntnis, Emotion und Erfahrung (vgl. 18, 35, 63, 73, 182–190).

Die Bibel spielt dabei eine wichtige Rolle, aber auch die kirchliche Lehre (insbesondere der Katechismus – vgl. These 7). Dabei wird freilich die (akademische) Theologie ein Stück weit in den Hintergrund gerückt: Bernhard Meuser betont, dass Bibel und Katechismus nicht gegenein­ander ausgespielt werden dürfen (188 f.) – dass es die Theologie (inklu­sive der Exegese) ist, die Bibel und Katechismus miteinander verbindet, fällt dabei unter den Tisch. Maximilian Oettingen reiht die Theologie hinter „Kerygma“ und Katechese ein und meint: „In der kirchlichen Praxis haben wir die Reihenfolge der genannten Verkündigungsformen auf den Kopf gestellt. Zumindest im deutschsprachigen Raum betreiben wir viel Theologie, aber kaum Katechese. Und nur ganz selten gibt es eine Erstverkündigung“ (128). Katharina Fassler zieht in Bezug auf ihr Theologiestudium das Fazit: „Erfahrungen sind mir wichtiger als das Studienwissen“ (214). Und noch an einigen anderen Stellen wird die Theologie gegenüber anderen Eigenschaften und Fähigkeiten (z. B. spirituelle Verbindung zu Gott, Fähigkeit zur Vereinfachung, missio­narisches Bewusstsein, Führungskompetenz) relativiert (vgl. 128 f., 151 f., 155, 165, 170, 222 f.). Besonders drastisch (wieder einmal) Oettingen: „Manchmal habe ich den Eindruck, dass es sogar Theologen gibt, die (während sie endlos auf der Autonomie und der Freiheit des Menschen herumreiten) diesen Urvorgang des christlichen Glaubens noch nicht realisiert haben: dass alles damit anfängt, dass man das Ruder seines Lebens an Jesus abgibt“ (130).

„Wer zu viel Angst vor einfachen Antworten hat, der gibt bald gar keine mehr“ (155): Dieser Satz von Johannes Hartl bringt es auf den Punkt: Es geht um eine deutliche Positionierung mit einer offensiven Zielrichtung (Mission), die sich nicht bei theologischen „Spitzfindigkeiten“ aufhalten will, die auch mit Glaubenszweifeln wenig anzufangen weiß (vgl. 123 f., 197, 232), dafür aber für ein klares, sich von der „Welt“ abgrenzendes Profil plädiert (vgl. These 10 sowie 174, 177 f., 190, 216), das trotz aller Nähe zu freikirchlichen und evangelikalen Denkformen konservativ-katholisch imprägniert bleibt.

Ausblick

„Mission Manifest“ setzt sich mit der heutigen Situation der katholi­schen Kirche im deutschsprachigen Raum intensiv und kritisch aus­einander. Dabei legen die AutorInnen den Finger in so manche Wunde des nach wie vor volkskirchlich geprägten Katholizismus – insbesondere liberaler Prägung! – und der kirchlichen Organisation: Dass diese Art des Christentums nicht mehr recht zieht, vielmehr deutliche Verfalls­erscheinungen aufweist, ist nicht von der Hand zu weisen.

Demgegenüber präsentieren sich die katholischen Kreise, aus denen die AutorInnen stammen, mit vielfältigen Neuaufbrüchen, Initiativen, mit einer frischen Begeisterung für den Glauben und mit hoher Engage­mentbereitschaft. Das kann durchaus mitreißen, bietet „Empower­ment“. Freilich erfinden sie nicht das Rad neu, sondern treffen sich mit vielen Überlegungen, die in der aktuellen Pastoralentwicklung präsent, aber oft noch nicht an die Basis durchgedrungen sind.

An der Sprache, an den Themen, Thesen, Interessen und Betonungen, an der Weise des Denkens lässt sich erkennen, dass die AutorInnen zum einen von einem (manchmal sehr) konservativen Katholizismus, teil­weise aber auch sehr deutlich vom Evangelikalismus und auch vom Charismatismus geprägt sind. Diese Sprach- und Denkformen wollte dieser Beitrag herausarbeiten, um eine Basis für eine weitere konstruk­tiv-kritische Auseinandersetzung zu bieten, die auch an bereits vorlie­gende Erkenntnisse und Erfahrungen zu den christlichen Strömungen anknüpft, auf denen der Katholizismus à la „Mission Manifest“ aufruht. Dafür steht viel Literatur bereit, insbesondere zum Evangelikalismus (z. B. Hemminger 2016).

Das kann helfen, Ambivalenzen sichtbar zu machen, sowohl Potentiale als auch Einseitigkeiten sowie „Risiken und Nebenwirkungen“ besser herauszuarbeiten. Nur ein Beispiel: Dass ein gewisses Elitedenken (das ich für „Mission Manifest“ bereits thematisiert habe) durchaus nicht untypisch für den Evangelikalismus ist, konstatiert mit Stephan Holthaus sogar jemand, der selbst zum evangelikalen Milieu gehört (vgl. Holthaus 2007, 80 f.).

Natürlich ist der Katholizismus à la „Mission Manifest“ noch einmal eine ganz eigene Größe (und letztlich muss jeder Autor und jede Auto­rin einzeln betrachtet werden). Einfache Rückschlüsse etwa direkt vom protestantischen Evangelikalismus her verbieten sich! Doch ist die Ambivalenz dieses Katholizismus bereits im Kapitel „Implikationen“ deutlich geworden.

Von daher sollte man den Untertitel des Buches, „Die Thesen für das Comeback der Kirche“, mit Gelassenheit betrachten: Hier liegt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der Entwurf, nicht der große Wurf für die Rechristianisierung Deutschlands und Europas vor, sondern lediglich die Vorstellung einer Ausprägung (neben anderen) des zeitgenössischen Katholizismus. (Bezeichnend ist die Einsicht von Johannes Hartl: „We­der Katechismus noch Kirchenrecht scheinen die Kategorie der ‚persön­lichen Bekehrung‘ zu kennen“ [160].) Der Blick auf den freikirchlichen Evangelikalismus (der ja im Buch wiederholt empfohlen wird) zeigt jedenfalls, dass ein solches „Hochspannungschristentum“ im säkularen Mitteleuropa offenbar nur eine kleine Minderheit von einigen Prozent der Bevölkerung anzusprechen vermag.