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Mit Gott fertig?

Konfessionslosigkeit, Atheismus und säkularer Humanismus in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme aus kirchennaher Sicht (Humanismusperspektiven 3)

Ein Buch eines evangelischen Pfarrers in dem atheistischen Verlag Deutschlands? In der Tat eine ungewöhnliche Konstellation. Doch dass sich kein kirchlicher Verlag fand, mag eine zentrale These der Publika­tion unterstreichen: Es mangele kirchlicherseits an Auseinandersetzung und Dialog mit dem säkularen Spektrum. „Die Kirchen sollten dieser Szene mehr Beachtung schenken, da sie sich in den letzten Jahren erstaunlich geschickt aufgestellt hat und gute Lobby-Arbeit betreibt. Die Organisationen vertreten zudem Positionen, die in der Gesellschaft wesentlich größeren Rückhalt finden, als die kargen Mitgliederzahlen vermuten lassen“ (21).

Der Autor, Andreas Fincke, ist dagegen einer der besten Kenner der Szene des organisierten Atheismus. Bereits als Referent an der Evange­lischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) erkundete er das Feld und pflegt bis heute intensive Kontakte, insbesondere auch zu Horst Groschopp, der als Herausgeber des Buches auftritt. Groschopp, ehemals Bundesvorsitzender des Humanistischen Verbandes Deutsch­lands (HVD) und Direktor der zugehörigen Akademie, schreibt dann auch in seinem Vorwort im Rückblick auf viele gemeinsam mit Fincke bestrittene Veranstaltungen: „Ohne diese regelmäßigen Streitgespräche hätte es nicht diverse Lernprozesse gegeben, wäre nicht das Vertrauen entstanden, das nun vorliegende Buch zu produzieren“ (16).

Ohne dass Fincke sich über viele Jahre hinweg beständig mit Atheisten und Konfessionslosen beschäftigt hätte, wäre aber auch nicht möglich gewesen, was den Kern des Buches ausmacht: ein Überblick über die Strukturen und Vernetzungen des organisierten Atheismus in Deutsch­land, der auch nicht allgemein bekannte Entwicklungen und Hinter­gründe beleuchtet. So etwa die teilweise von ideologischen Graben­kämpfen gezeichnete Geschichte der Freidenkerverbände, die Bemü­hungen um eine gemeinsame Interessensvertretung der säkularen Organisationen (die freilich mit der Unterschiedlichkeit der Interessen kollidieren), ideologische Verbindungslinien von Jugendweiheanbietern über die Wiedervereinigung hinweg, interne Diskussionen über die Ausrichtung des HVDs zwischen Kirchenkritik und Humanismus etc.

Insgesamt findet man hier – teils etwas knapper, teils etwas ausführ­licher – einen Durchgang durch die Szene: Freidenker, Weltanschau­ungsgemeinschaften wie der Bund für Geistesfreiheit und der Huma­nistische Verband Deutschlands (HVD), die Giordano-Bruno-Stiftung, Jugendweiheverbände, laizistische Arbeitsgruppen in Parteien, Vernet­zungsorganisationen und gemeinsame Initiativen wie etwa der Huma­nistische Pressedienst. Auch die Humanistische Union wird behandelt, da sie häufig mit dem HVD verwechselt wird, freilich aber durchaus auch so manche kirchenkritische Position mit den atheistischen Organi­sationen teilt. Am Rande geht Fincke sogar kurz auf die Sunday Assem­blys (eine Art säkularer Sonntagsgottesdienst – nur ohne Gott) und auf kirchlicherseits angebotene Lebenswendefeiern für Konfessionslose ein.

Fincke stellt dabei jeweils u. a. Herkunft, Entwicklung, Ausrichtung, Positionen und politische Forderungen vor. Er ordnet diese Organisa­tionen, Initiativen und Aktionen aber auch in den größeren Kontext der beständig zunehmenden Konfessionslosigkeit in Deutschland ein. Dazu erläutert das erste Kapitel Begrifflichkeiten wie „konfessionslos“, führt in die Komplexität und Widersprüchlichkeit statistischen Zahlenmate­ri­als ein und fragt nach Ursachen und Ausprägungen von Konfessions­losigkeit in Deutschland.

Zu unterstreichen ist Finckes Feststellung: „Im vereinigten Deutschland entwickelt sich derzeit eine ‚Kultur der Konfessionslosigkeit‘“ (36): Also nicht nur im Osten, sondern auch im Westen breitet sich eine Entfremdung von Kirche und Religion aus, die über die Generationen weitergegeben wird und sich immer weiter verstärkt. Zwar lautet vor diesem Hintergrund eine wichtige These Finckes, dass die atheistisch-säkularen Organisationen von dieser Entwicklung höchstens sehr begrenzt profitieren. Aber erst recht sind die Kirchen davon in einem Ausmaß betroffen, das noch nicht recht ins kirchliche Bewusstsein eingedrungen ist. In kompakter Form könnten hier die acht Thesen wachrütteln, die das Buch abschließen und deutlich machen, dass ein Weiter-so und ein Beharren auf bisherigen (kirchenfreundlichen) Regelungen nicht ausreicht.

Fincke ist also – mit Blick auf die Kirchen – sehr selbstkritisch. Er enthält sich aber auch nicht der (freilich keineswegs polemischen) Kritik an den behandelten Akteuren aus dem atheistisch-säkularen Spektrum – und greift dafür gerne auch auf Stimmen aus dem atheistischen Bereich zurück (etwa Horst Groschopp oder Joachim Kahl, so z. B. bei der Auseinandersetzung mit dem neuen Atheismus). So bietet das Buch also nicht nur eine bloße, unkritische Darstellung, sondern auch Einschätzungen und differenzierte Analysen.

Dennoch ist das Buch insgesamt kompakt und einfach gehalten. Bebildert ist es nur mit einigen weitgehend zusammenhanglos eingestreuten Bildern vornehmlich von einer Antipapstdemo, der Anhang enthält eine knappe Liste einschlägiger Internetseiten sowie eine kleine Auswahlbibliographie. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier der wohl beste Ein- und Überblick über eine disparate Szene geliefert wird, die zahlenmäßig übersichtlich, aber keineswegs gesellschaftlich bedeutungslos ist. Zudem ist der Band – trotz einiger, aber teilweise wohl unvermeidlicher Wiederholungen – flüssig und anregend zu lesen.

Martin Hochholzer