Ekklesien als eine mögliche zukünftige Gestalt von Kirche
Das ganze Neue Testament ist Evangelium: gute Nachricht für alle Menschen. Aber jede Zeit hat einige wenige Texte, die für sie besonders gute Nachricht sind. Die vielleicht beste Nachricht aus dem Neuen Testament für die Multi-Options-Gesellschaft der Postmoderne findet sich in Joh 14,2: „Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen.“ Bei Gott gibt es keine Knappheit. Es ist genug Platz für alle. Niemand muss sich sorgen, zu kurz zu kommen. Niemand muss mit anderen um den Platz kämpfen. Das ist die erste Verheißung. Um die Größe dieser Verheißung zu ermessen, muss man sich nur in Erinnerung rufen, dass sie vor dem Hintergrund extrem prekärer Wohnverhältnisse und regelmäßiger Hungersnöte formuliert wird.
Aber es ist da nicht nur viel Platz, sondern es gibt viele Wohnungen. Jede Wohnung aber, das kennen wir, ist anders. Denn jede/r braucht etwas anderes. In manchen Wohnungen könnte ich persönlich kein himmlisches Glück erleben. Ein Hirschgeweih an der Wohnzimmerwand löst in mir ganz unhimmlische Regungen aus. Ein puristisch durchgestyltes Loft lässt mich ebenfalls unbehaust. Für andere Menschen ist es anders. Katholische Himmelswohnungen sind wahrscheinlich anders möbliert als baptistische; evangelische Wohnungen anders als orthodoxe; Wohnungen für junge Leute anders als Wohnungen im Seniorenstift; Wohnungen von Frauen anders als Männerwohnungen … Milieubindung, Szene, ästhetische Cluster, Alter, soziale Klasse, regionale Heimaten, kulturelle Prägungen, politische und religiöse Präferenzen, Lebensformen, biographische Erfahrungen, berufliche Schwerpunkte und sexuelle Orientierung spielen in die Wohnbedürfnisse hinein. Wenn der Vers uns heute etwas über Glück und Vollendung sagen soll, müssen wir ihn lesen als: „Im Haus meines Vaters gibt es viele ganz verschiedene Wohnungen.“ Good news!
Mit dieser Lesart kommen wir jedoch sofort in Konflikt mit dem mächtigen Einheitlichkeitsparadigma, das alle Kulturen und Religionen durchzieht. Die katholische Kirche mit ihrer weltweit einheitlichen Liturgie ist eine eindrucksvolle Vertreterin dieser Idee, dass es für alle verbindliche, die Unterschiede nivellierende Normierungen geben muss. Seit dem „Ende der großen Erzählungen“ im Übergang zur Postmoderne haben wir jedoch entdecken müssen, dass jede Sozialgestalt, wenn sie nicht mit äußerer Gewalt durchgesetzt wird, immer mehr Menschen aus- denn einschließt.
Die spezifisch deutsche Gestalt der katholischen Eucharistiefeier mit ihrer Orgelmusik schließt beispielsweise die meisten jungen Menschen bereits mit dem ersten Lied aus der Feier aus. Die Konzentration des Gottesdienstes auf den Sonntagvormittag trifft auf eine sehr weit verbreitete Kultur, die den Sonntagmorgen als die einzige entspannte Familienzeit der Woche versteht. Bei über 90 % der Katholik/innen zieht der Gottesdienst in diesem „clash of civilizations“ den Kürzeren. Eine Glaubensgestalt, die mit Stille, langen Aufmerksamkeitsspannen, Impulskontrolle, Lesen, Reflexion … einhergeht, schließt einige gesellschaftliche Großmilieus von vornherein aus. Für die meisten Menschen ist das lokale Kirchengebäude nicht auf ihrer Landkarte und schon gar nicht auf ihrer Freizeitkarte möglicher Wohlfühlorte eingezeichnet.
Die Sinus-Milieustudie hat einige dieser Ausschlüsse aufgedeckt. Pastorale Planer/innen versuchten in einem ersten Reflex darauf mit Ideen zu reagieren, wie „Kirche“ sich ästhetisch den nicht-erreichten Milieus anschlussfähig machen könnte. Die Ernüchterung konnte natürlich nicht lange ausbleiben. Niemand ist in der Lage, die eigenen ästhetischen Grenzen dauerhaft und authentisch in ganz verschiedene Richtungen zu überschreiten. Wird „Kirche“, gegen ihr eigenes Selbstverständnis, planerisch auf eine kleine Gruppe von pastoralen Hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen bzw. Mandatsträger/innen verengt, ist sie weder personell noch kulturell in der Lage, eine wesentlich größere Zahl von Milieus und Szenen als bisher zu erreichen. Schnell wurde auch die „Versorgungsidee“ sichtbar, die diesen Ansätzen zugrunde lag. Kirche aber, die von einigen wenigen für andere „gemacht“ wird, bleibt unvermeidlich auf einige wenige „Wohnungen“ beschränkt.
Die einzige denkbare Lösung liegt darin, die informellen Beschränkungen aufzuheben, wer Kirche sein, organisieren und leiten darf. Theologisch ist das kein Problem. Das Schreiben der deutschen Bischöfe „Gemeinsam Kirche sein“ ruft die vom 2. Vatikanischen Konzil angestoßene Klärung in Erinnerung, dass durch Taufe und Firmung allein alle Christinnen und Christen Anteil an der Sendung Jesu haben können. Alle sind gerufen, öffentlich Zeugnis für Christus zu geben. Jede/r Getaufte hat das Recht, zu beten und gemeinsamen Gebeten vorzustehen; das Recht, sich mit anderen Christ/innen zu treffen, um den Glauben gemeinschaftlich zu leben; das Recht, apostolisch tätig zu sein; das Recht, Vereine, Gruppen und Gemeinschaften zu gründen. Ob er/sie das im Sinne der katholischen Kirche tut, ist vielleicht einen Dialog wert, aber das ist frühestens der zweite Schritt. Das Erste ist das Vertrauen auf den Geist Gottes, der alle Getauften und Gefirmten leitet.
„Die im Volk Gottes versammelten und dem einen Leibe Christi unter dem einen Haupt eingefügten Laien sind, wer auch immer sie sein mögen, berufen, als lebendige Glieder alle ihre Kräfte, die sie durch das Geschenk des Schöpfers und die Gnade des Erlösers empfangen haben, zum Wachstum und zur ständigen Heiligung der Kirche beizutragen. Der Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst. Zu diesem Apostolat werden alle vom Herrn selbst durch Taufe und Firmung bestellt“ (Lumen gentium 33). Die Kirche wächst potentiell aus den Herzen und aus dem Handeln aller Getauften. Ihnen allen kommt eine nicht delegierbare Verantwortung für die Kirche und ihre Sendung in die Welt zu. Das Konzil wählt dafür mit Bedacht das Wort „Apostolat“ und stellt so auch die Sendung der Laien in die Nachfolgebewegung der Apostel.
Pastorale Praxis und diözesane Planung sind hier bisher in Deutschland meist deutlich zurückhaltender als diese theologischen Klärungen. Weltkirchlich ist es jedoch Standard, dass Laien in Verbindung mit dem Amt, aber aus eigener Kompetenz heraus, Gemeinden gründen und leiten. Formalisiert ist diese Praxis unter anderem im Pastoralprogramm AsIPA der asiatischen katholischen Bischofskonferenzen. Auf diese Weise gelingt es, Kirche an viele Orte zu tragen und Glaubensgemeinschaft in vielen Kontexten zu leben, die von der pfarrlich-amtlich organisierten Dimension der Kirche nicht erreicht werden.
Entscheidend ist dabei überall in der Weltkirche das Prinzip der Selbstorganisation. Die Gründer/innen und Leiter/innen werden zwar von amtlich beauftragten Personen der Bistümer ausgebildet und betreut, sie halten die Verbindung zu Bischof und zuständigem Pfarrer, aber sie schaffen eigenständig eine neue Gestalt von Kirche in ihrem spezifischen Umfeld. Von diesen lokalen Formen von Kirche wird erwartet, dass sie selbst-geleitet (self-ministering), selbst-missionierend (self-propagating) und selbst-unterhaltend (self-reliant) sind. Nichteuropäische Ortskirchen verlangen also explizit von den Gemeinden, dass sie in allen zentralen Belangen selbstständig sind. Sie müssen für ihre eigene Leitung, ihre Dienste und ihre Infrastruktur selbst sorgen. Sie müssen ihre eigene Katechese nach innen leisten und nach außen für das Evangelium einstehen. Und sie dürfen nicht finanziell von anderen kirchlichen Institutionen abhängig sein. Positiv formuliert heißt das, die Gemeinden sind strukturell, inhaltlich und finanziell ganz in die Verantwortung der dort versammelten Laien gegeben. Selbstständigkeit ist das entscheidende Kriterium für die kirchliche Anerkennung.
Für diese lokalen Formen von Kirche werden unterschiedliche Begriffe benutzt: Kleine Christliche Gemeinden, Basisgemeinden … Sobald sich das Wort „Gemeinde“ in den Beschreibungen findet, assoziieren deutsche Hörer/innen jedoch ganz andere Bilder. In ihnen entstehen Vorstellungen von Pfarrgemeinden mit ihren Hauptamtlichen, mit Eucharistiefeier, mit verschiedenen Gruppen und Aktivitäten, mit Pfarrgemeinderat und Pfarrstiftung, mit umfassendem Aufgabenportfolio. Die deutsche Erwartung an „Gemeinde“ hat mit den selbstorganisierten lokalen Formen von Kirche im globalen Süden wenig gemeinsam. Die komplexen Pfarrgemeinden selbstorganisiert leiten zu wollen und ganz in die Hand von Ehrenamtlichen zu geben, kann nur in eine Überforderung führen. Vielmehr geht es um Gruppen und Vernetzungen von Gruppen mit überschaubarer Mitgliederzahl und begrenztem Portfolio an Aufgaben. Diese Gruppen aber sind nicht „Unterorganisationen“, so wie die pfarrlichen Gruppen in Deutschland, sondern Kirche am Ort. Sie sind ganz Kirche, das heißt sie bemühen sich, gemäß den notae ecclesiae – einig, heilig, katholisch und apostolisch – zu leben und die Grunddimensionen von Kirche – Liturgie, Verkündigung und Diakonie – abzubilden. Sie sind auch keine Notlösung. Sie sind ein Geschenk des Heiligen Geistes, der weht, wo und wie er will, und der, wie der Apostel Paulus, „allen alles wird, um wenigstens einige zu retten“ (vgl. 1 Kor 9,22).
Um einerseits der Verwechslung mit der Pfarrgemeinde vorzubeugen, andererseits aber auch keine Vorentscheidung über die Gestalt der lokalen Kirche zu treffen, schlage ich das Kunstwort „Ekklesie“ vor, um dem Neuen einen Namen zu geben – einen Namen, der zu Rückfragen und neuen Assoziationen einlädt. Darin schwingt natürlich die griechische ekklesia mit, die im Neuen Testament sowohl die Kirche im Ganzen wie die Kirche an einem Ort wie die Kirche in den Häusern bezeichnet. Das neutestamentliche ekklesia wird deshalb auch je nach Übersetzung und Kontext mit „Kirche“, mit „Gemeinde“ oder mit „Versammlung“ wiedergegeben. Alle drei Übersetzungen gehen für mich in das Kunstwort „Ekklesie“ ein.
Ekklesien sind Kirche, aber sie sind nicht die ganze Kirche. Es sind lokale kirchliche Strukturen, die das Glaubensleben und die Sendung der Christ/innen stützen. Sie sind notwendig partikular, orts- oder themenbezogen, in einem weiten Sinn nachbarschaftlich, milieuspezifisch, plural, bunt und divers. Sie entstehen aus der Initiative von Glaubenden und antworten auf die Herausforderungen eines konkreten „Ortes“. Deshalb kann es keine Ekklesie zweimal identisch geben. Man kann nur das Prinzip der Selbstorganisation je neu kreativ zum Tragen bringen.
Eine Ekklesie ist immer eine Neugründung, auch dann, wenn die Gründung durch Transformationsprozesse aus einer bestehenden Kirchengliederung, einer bisherigen Pfarrgemeinde, einem Verband, einer kirchlichen Bewegung … heraus geschieht. Eine Ekklesie ist jedoch nicht das Ergebnis der Schrumpfung einer Pfarrgemeinde unter dem Druck der demographischen Entwicklung. Eine Ekklesie ist keine Pfarrgemeinde im Miniaturformat und es führt kein direkter Weg von der einen Kirchengestalt in die andere. Ekklesien schaffen eine neue Wirklichkeit in der katholischen Kirche in Deutschland. Ihre Existenz und Funktion ist von allem Anfang an anders gedacht als die Pfarrgemeinde und soll diese als weitere lokale (oder personale) Gestalt von Kirche vor Ort ergänzen.
Ekklesien ruhen auf Beziehungen auf, nicht auf Strukturen. Sie werden selbstorganisiert sein und von Freiwilligen getragen – die vielleicht ab und an von hinzukommenden Hauptamtlichen unterstützt werden. Abhängig von den jeweiligen konkreten Freiwilligen, von ihren Charismen und ihrem Engagement verändern sich die Ekklesien. Mit jedem, der dazukommt, ändert sich die Gestalt. Mit jeder, die weggeht, ändert sich die Gestalt. Sie sind im Fluss, wachsen, kommen in Krisen, verschwinden vielleicht wieder. Viele Lebensformen und Dienste in den Ekklesien werden immer improvisiert, fragil und punktuell bleiben.
Aber durch das Prinzip der Selbstorganisation haben sie einen entscheidenden Vorteil. Sie können an jedem Ort, in jedem Milieu, um jedes spezifische Bedürfnis herum entstehen. Dadurch werden sie sich in Deutschland auch zwangsläufig von den ihnen verwandten Kleinen Christlichen Gemeinden der Kirchen des globalen Südens unterscheiden. Deren soziale Voraussetzungen sind in unserer Gesellschaft (zum Glück!) oft so nicht gegeben. Auch ist die Begegnungsebene der Glaubenden in Deutschland vielfach nicht die geographische Nachbarschaft eines Stadtteils oder Dorfes, sondern eine thematische Nähe. Eltern mit kleinen Kindern aus einem größeren Umkreis finden sich leichter zusammen als Eltern, Alleinstehende und Senioren aus der gleichen Straße.
Die Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft legt es auch nicht nahe, dass alle Ekklesien mit einer einzigen Grundmethode – zum Beispiel dem Bibel-Teilen der Kleinen Christlichen Gemeinden – arbeiten. In der postmodernen Wirklichkeit schließt jede Festlegung mehr Menschen aus als ein! Bibel-Teilen mag für die eine Ekklesie die Methode der Wahl sein. Eine andere wird sich um einen frei gestalteten Kleinkindergottesdienst herum treffen, wieder eine andere als Taizé-Gebet, als Umweltaktivisten, als Meditationsgruppe, als Jugendkirche, als Gesprächskreis … Viele werden vielleicht länger gar keine eigene, gar spezifische Gottesdienstform entwickeln. Längst nicht jede Ekklesie wird sich überhaupt gottesdienstlich definieren.
Wichtige Impulse und Klärungen für mögliche Ekklesien in postmodernen Gesellschaften lassen sich derzeit in England gewinnen. Die anglikanische Kirche hat für Ihre Initiative der „Fresh Expressions of Church“ dreizehn verschiedene Grundtypen neuer Formen von Kirche identifiziert. Besucht man jedoch zwei Verwirklichungen eines einzigen Grundtyps, entdeckt man sofort, wie sehr sie nochmals verschieden sind. Jede fresh expression nimmt jeweils die Bedarfe und die Ressourcen vor Ort auf. Sie ist damit so einzigartig wie der Ort und die Menschen. Entscheidend ist, dass das spezifische kirchliche Handeln von Christen und Nicht-Christen gebraucht wird und den Aktiven Freude macht. Ansatzpunkt kann deshalb jede Art von Hobby oder Interesse und jeder third space (Freizeit-Ort) jenseits von Familie und Arbeitsplatz sein.
Ekklesien werden Infrastruktur, aber sie sind nicht zuerst Strukturen, Organisation und amtliches Handeln. Sie sind erst und lange (nur) ein Gesprächszusammenhang, eine kommunikative Praxis einer überschaubaren Gruppe von Christinnen und Christen. Territoriale Kategorien spielen dafür wahrscheinlich oft keine oder eine sehr untergeordnete Rolle. Ekklesien sind keine Verwaltungseinheiten. Sie bestehen aus Interaktionen, aus Handlungen, Begegnungen, Beziehungen, geteilten Erinnerungen, aus Meinungsbildung und Gespräch. Ihre communio entsteht je neu aus ihrer communicatio. Aber auch der klassische Haus- oder Familienkreis, der vor manchem inneren Auge jetzt entstehen mag, ist nur eine mögliche Form einer Ekklesie.
Eine Ekklesie ist Kommunikation, ist kommunikative Praxis von Getauften. Christinnen und Christen schließen sich in Ekklesien freiwillig und selbstorganisiert zusammen, um gemeinsam dem Glauben Gestalt zu geben, um Gott zu feiern und in die Gesellschaft hinein zu wirken. Eine Ekklesie ist ein Geschehen. Ein Verb würde ihrem Charakter eigentlich besser gerecht als ein Substantiv: Wir „ekklesieren“, wir vergemeinden uns, wir leben Kirche – aktuell, konkret, punktuell, hier und jetzt, je neu. Eine Ekklesie ist, neben anderen lokalen oder kategorialen Gestalten von Kirche, ein zeitgebundener, lokal beschränkter, milieugebundener Ausdruck der Kommunikation und damit der communio der Kirche.
Soll gemeinschaftlich geteilter Glaube für viele Menschen möglich sein, so braucht es überall eine große Diversität von Ekklesien. In der Postmoderne ist Diversität die entscheidende Chance und nicht eine Bedrohung für Kirche. Dazu müssen Leben und Lehre Jesu, der Glaube der Kirche, die spirituellen und liturgischen Traditionen je neu gegründet, formuliert und gelebt werden. Das ist keine Übersetzungsleistung, sondern echte Kreativität. „Never clone!“ – niemals kopieren, lautet deshalb einer der wichtigsten Leitsprüche der anglikanischen Fresh-Expressions-Bewegung.
Das meiste, was dann als Ekklesien entsteht, wird niemals zu mir persönlich passen: zu traditionell, zu progressiv, zu laut, zu still, zu viel Gregorianik oder zu viel Lobpreis. Ich könnte so nicht glauben. Ich würde mich mit diesen Menschen nicht wohlfühlen. Vielleicht müsste ich tief Luft holen, um für mich zu klären, ob das auch katholisch ist. Aber anderen geht es mit dem, was mir guttut, was meinen Glauben stützt, was meine Gottesdienstform ist …, genauso: Passt nicht. Mein Stil, meine Bedürfnisse aber dürfen keine Barriere sein, die verhindert, dass Menschen zu Jesus Christus finden. Andere Stile dürfen aber auch für mich kein Hindernis errichten. Liturgische, ästhetische, theologische, spiritualisierende … Gewalt und Übergriffigkeit sind die Totfeinde lebendiger Kirche.
Damit selbstorganisierte Ekklesien möglich werden, braucht es die Heilige Schrift als Basis, weite Räume geistlicher Erfahrung und Reflexion und die Erlaubnis zu offenen, riskanten Kirchen-Experimenten. Vieles wird schiefgehen, viele Ekklesien werden sich nicht bewähren und bald wieder verschwinden. Wer aber Fehler und Sackgassen vermeiden will, wird die notwendige Diversität verfehlen, die einzig die Chance verheißt, viele Zeitgenossen mit dem Evangelium in Berührung zu bringen.
Leider können Ekklesien jedoch nicht generalstabsmäßig geplant werden. Es gilt in Abwandlung die Weisheit Joseph Cardijns: „Die ersten und unmittelbaren Apostel der Arbeiter müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst sein.“ In jedem Milieu, zu jedem Thema, um jede Aufgabe herum … entstehen Ekklesien authentisch nur, wenn sie von Menschen auf den Weg gebracht werden, die selbst zum Milieu gehören, denen das Thema existentiell nahegeht, die schon in der Aufgabe engagiert sind. Ekklesien können und sollen von außen, von der ganzen Kirche gestützt werden, aber gegründet werden können sie nur von innen heraus.
Pastoralplanerisch bleibt also nur die Möglichkeit, Ekklesien als Verwirklichungen katholischer Kirche bekanntzumachen, für Experimente zu werben, wo nötig, entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, Risiken mitzutragen. Diözesane Planung kann Ressourcen zur Verfügung stellen und Freiräume eröffnen. Sie kann sinnvolle Abläufe, Kriterien und Einbindungen beschreiben. Sie kann ermutigen und werben. Sie kann gegen zu frühen Gegenwind schützen und trösten, wenn etwas schiefgegangen ist. Aber sie kann keine Ekklesien gründen. Nur die Selbstorganisation der Glaubenden hat das Potential, viele ganz verschiedene Wohnungen für die Gottsucher/innen zu schaffen.
Im Haus Gottes aber sind viele Wohnungen – wie im Himmel, so auf Erden. Evangelium Jesu Christi: gute Nachricht für heute.