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Kirche: eine kleine Bildergalerie

Kirchenbilder sind auch nur Bilder. Von diesem Gedanken ausgehend lädt Martin Hochholzer zu einem Spaziergang durch Bilder (im Sinne von Abbil­dungen) von Kirche(n) ein und stellt dabei Eigenschaften, Stärken und Im­plikationen von Bildern (im direkten und im übertragenen Sinn) dar.

Zeige mir deine Kirche, und ich sage dir, wer du bist?
Mal sehen …
Wer auf einer Bilderplattform im Internet das Suchwort „Kirche“ eingibt, bekommt vor allem … Kirchen angezeigt: Bilder, auf denen Kirchenbauten abgebildet sind. Daneben ein paar andere Treffer: Bibeln, Kreuze, Kerzen, religiöse Kunst …

Bilder im Sinne von Abbildungen: ein guter Ausgangspunkt für diesen Beitrag. Auch wenn er sich letztlich vornehmlich um Kirchenbilder im übertragenen Sinn dreht.
Auf jeden Fall ist es bezeichnend, dass wir bei „Kirche“ an Verschiede­nes denken: Kirchenbauten, konfessionell geprägte Institutionen, aber auch das christliche Gottesvolk. Das alles ist sorgsam zu unterscheiden, hängt aber auch miteinander zusammen.
Kirchenbilder (im Sinne von Vorstellungen über Kirche) schlagen sich in ausgefalteten Ekklesiologien und in der konkreten Gestaltung von Kir­chen nieder. Und umgekehrt: Sichtbare Repräsentationen von Kirche – seien es Kirchenbauten, christliche Kunst oder auch das Auftreten von Amtsträgern – prägen das (Selbst‑)​Verständnis von Kirche. Und immer wieder werden neue Kirchenbilder entworfen oder alte neu in den Vor­dergrund gestellt: als handlungsleitende Visionen für eine Erneuerung von Kirche.

Somit gibt es ein Nebeneinander, aber auch ein Gegeneinander von Kirchenbildern. Das ist nichts Neues, sondern zeigt sich schon im Neuen Testament. Kirche als Leib Christi ist ein dort gebrauchtes Bild, aber es wird auch vom Hirten und seiner Herde, vom Volk Gottes, von seinem Tempel und von seinem Haus gesprochen. Ein weiteres Bild, das auf das Neue Testament zurückgeht, ist das der Kirche als Braut Christi: „Denn gekommen ist die Hochzeit des Lammes und seine Frau hat sich bereit gemacht“ (Offb 19,7).

Aber trägt dieses Bild noch? Oder ist es wie viele andere Bilder durch den Wandel der Zeiten brüchig geworden – wie wenn der Rahmen sich verzogen hätte? Ja, auch noch heute schmückt und schminkt sich eine Braut für den Bräutigam; auch heute noch ist eine Hochzeit ein Jubel­fest. Doch steht das Bild heute auch immer unter dem Verdacht des Kitsches, der Romantisierung – ein Lamm, das sich opfert, passt hier nicht ins Bild.

Bilder haben etwas Statisches. Sie frieren einen Augenblick ein. Damit überliefern sie ein bestimmtes Bild (etwa eines bedeutsamen Ereignis­ses oder einer Epoche) – das ist ihre Stärke. Und zugleich das Problem: Sie zeigen jeweils nur einen Ausschnitt, nur eine bestimmte Perspek­tive, nur eine Auswahl der möglichen Motive. Selbst „Schnappschüsse“ sind häufig inszeniert, vom Fotografen durchkomponiert. Um im Bild zu bleiben: Wir sehen im Fotoalbum den Brautkuss, das Anschneiden der Hochzeitstorte, den ersten Tanz – aber nicht die Putzfrauen, die den Festsaal am nächsten Morgen reinigen müssen.

Wer will denn das auch sehen? Bilder bewahren liebe Erinnerungen. Erinnerungen, die gefälligst so bleiben sollen. Das Foto der Braut bleicht im Laufe der Jahrzehnte vielleicht aus und bekommt Knicke, aber es zeigt strahlende Jugendlichkeit – bis über den Tod der abgebildeten Per­son hinaus. Bilder sind häufig als Idealbilder konzipiert, und da ist es außerordentlich praktisch, dass sie sich nicht von selbst anpassen, wenn Schönheit vergeht oder sich die reale Lage eintrübt.

Von daher ist dieses Bild falsch und echt zugleich:

So schön diese Landschaft in den Südtiroler Alpen auch ist: Kirche ist nicht einfach heile Welt, nur Sonnenschein, Erholung, Ruhe, Frieden. Aber andererseits darf (und sollte!) Kirche das auch sein – gelegentlich, immer wieder. Schwierig ist es nur, wenn Kirche darauf reduziert wird. Wenn sie nur für besondere Anlässe (etwa Hochzeiten) gebucht wird und dann ein perfektes Bild abliefern soll. Kirche wird dann zum schmückenden Beiwerk in einer größeren Inszenierung. Das wird in diesem Bild sehr schön deutlich: Ist Ihnen aufgefallen, wie klein die Kirche im Gesamt des Bildes ist? Aber andererseits ist es keine Schande, sondern entspricht der dienenden Funktion von Kirche, wenn sie sich nicht in den Vordergrund drängt, sondern sich gegenüber Gottes Wirken (das sich hier etwa in den gewaltigen Dolomiten ausdrückt) zurücknimmt.

Es kommt also auch immer darauf an, wie man ein Bild deutet: Man kann ganz Unterschiedliches herauslesen. Oder auch damit verknüpfen. Bilder sind wirkmächtig, weil sie bestimmte Vorstellungen wecken oder weil sich bestimmte Hoffnungen und Träume damit verbinden (man denke etwa an die Bilder von Südseestränden mit Palmen, weißem Sand und azurblauem Meer in Reisekatalogen!).

Neugotik ist ein Stil v. a. des 19. Jahrhunderts, der an die mittelalter­liche Gotik anknüpft und damit mittelalterliches Bauen und auch Denken romantisch verklärt – also eklektizistisch einzelne Züge und Elemente des Mittelalters aufgreift und neu ausdeutet, aber dieses Zeitalter gerade nicht in seiner ganzen Komplexität, Vielfalt und Widersprüchlichkeit wahrnimmt.

Spannend wird es nun, wenn sich heute Traditionalisten (wie die Pius­brüder) für einen neugotischen Kirchenraum und den Geist des Mittel­alters, den sie dort muten, begeistern (so etwa hier). Darin bildet sich der doppelte Anachronismus ihres Kirchenbildes ab: Auf ihrer Suche nach der wahren, ursprünglichen, geschlossenen Kirche (die unbeein­flusst von den Aufbrüchen und Verwerfungen der Neuzeit ist) grenzen sie sich gegen die heutige Gesellschaft ab und gehen zurück in die Ver­gangenheit. Ein Idealbild von Kirche entdecken sie dabei im Mittelalter mit seinem Ordnungsdenken und der scholastischen Theologie – dies allerdings vermittelt durch die Brille der Neuscholastik und des Antimo­dernismus, die das offizielle Bild der katholischen Kirche des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts prägten, und verbunden mit einer aus derselben Zeit stammenden Ästhetik (u. a. der Neugotik!). Doch ist die Neuscholastik nur eine zeitbedingte, kontingente Interpretation der Scholastik – und ist die Scholastik nur eine zeitbedingte, kontingente Interpretation der christlichen Lehre, ihrer Ursprünge und Quellen.

Das Kirchenbild der Traditionalisten ist somit ein utopisches Kirchen­­bild, an dem sich aber einige typische Eigenschaften vieler Kirchenbil­der zeigen lassen. Kirchenbilder können normativ aufgeladen sein: So und nicht anders hat Kirche zu sein! Kirchenbilder können damit Ziel­vorstellungen transportieren: In diese Richtung soll sich Kirche entwi­ckeln (so etwa auch bei Kirchenbildern in den Dokumenten des 2. Vati­ka­nischen Konzils). Traditionalisten geht es freilich nicht um eine neue, erst noch zu entwickelnde Kirchengestalt, sondern um Bewahrung oder Wieder­herstellung einer bestimmten idealisierten Form von Kirche (die es so in Reinform freilich nie gegeben hat). Das propagierte Kirchenbild dient also der Beharrung und der Abgrenzung. Es soll Beheimatung bieten in der modernen, sich wandelnden Welt, die man als fremd und befrem­dend empfindet. Kirchenbilder haben somit nicht nur eine theologische Orientierungsfunktion, sondern können in sozialer und politischer Hin­sicht Leitbilder sein: Die Piusbrüder ersehnen auch eine andere, vormo­derne, vordemokratische Gesellschaft.

Unser Foto zeigt recht schön, wie man sich für Beheimatung an eine be­stimmte Kultur, an eine bestimmte Epoche, eine bestimmte Gesell­schaft und Ästhetik binden kann. Und trotz der Verspieltheit der For­men stellt der Kirchenraum auch eine bestimmte Ordnung vor Augen: in Form der vielen Heiligenstatuen, die nicht nur als geistliche Vorbilder dastehen, sondern auch ganz klar die Zugehörigkeit zu einer bestimm­­ten Konfession (nämlich der katholischen) markieren.

Noch etwas ist interessant an diesem Foto: Es scheint eine amerikani­sche Kirche zu sein (links ist eine US-Flagge zu erkennen). Was aber hat eine neugotische Kirche auf einem Kontinent zu suchen, auf dem im Mittelalter niemals gotische Kirchen gebaut wurden?

Bilder sind transportabel, sie können mitgenommen werden. Das gilt auch für Kirchenbilder, für Ekklesiologien. Mit der von Europa (und später auch von anderen Kontinenten) ausgehenden Mission wurden auch bestimmte Bilder und Formen von Kirche exportiert – sie erschie­nen oft genug früheren Missionaren als selbstverständlich. Dass diese Bilder und Formen in einer bestimmten Kultur wurzeln, wurde dann nicht problematisiert, sondern führte dazu, dass den Objekten der Mis­sion mit dem Glauben auch eine (europäische …) Kultur übergestülpt wurde. Von daher bedeutet Inkulturation auch Überprüfen und Kritik von Kirchenbildern.

Im Fall einer europäisch geprägten Kirche in den USA liegt der Fall etwas anders: Auswanderer haben ihre Kirchenbilder mitgebracht und sie dann etwa in Form eines Kirchenbaus dauerhaft sichtbar gemacht. Auch hier haben Kirchenbilder die Funktion von Beheimatung in der Fremde oder besser: von Bewahrung des Alt-Heimatlichen gegen die Fremdheit in der neuen Heimat.

So kommt es häufig zu einem Nebeinander: Viele Migrantengemeinden feiern ihre eigenen Gottesdienste – unter sich, in freundlicher Abspra­che in den Kirchen der Einheimischen.

Wenn importierte Kirchenbilder auf einheimische Kirchenbilder tref­fen, ergeben sich aber häufig auch Konflikte. Im heutigen Deutschland etwa dann, wenn aus einem konservativen polnischen Katholizismus heraus Priester in den deutschsprachigen Raum kommen und ihre Vorstellungen, Praktiken und Ästhetiken (etwa Schwester-Faustina-Jesusbilder oder bestimmte Priesterbilder) mitbringen.

 

Bei so vielen (auch kontroversen) Kirchenbildern stellt sich die Frage: Welche Bilder sind berechtigt – welche nicht oder nicht mehr? Wir haben gesehen, wie vielschichtig Bilder sein können, wie unterschied­lich sie sich deuten lassen. Von daher wird es in vielen Fällen angemes­sen sein, ein Bild nicht ganz in Bausch und Bogen zu verwerfen, es aber in manchen seiner Implikationen zu kritisieren und durch ein besseres zu korrigieren. Des Weiteren gibt es wohl nicht das eine Bild, das alle anderen Bilder überflüssig macht (schon im Neuen Testament stehen ja viele Bilder nebeneinander!).

Und dann gibt es Bilder, die haben in früheren Zeiten ihre Berechtigung gehabt, sind aber mittlerweile überholt. So etwa dieses hier:

Im Aachener Dom befindet sich der Karlsthron, den über viele Jahrhun­derte hinweg die deutschen Könige nach Salbung und Krönung bestie­gen haben. Er steht damit exemplarisch für die Reichskirche – eine Ver­knüpfung weltlicher und geistlicher Macht (man beachte die herrschaft­liche Architektur!). Gerade im deutschen Mittelalter mit nur einer schwa­chen Zentralgewalt, ohne umfassende, flächendeckende Herr­schafts- und Verwaltungsstrukturen stellte die Reichskirche – trotz aller damit auch einhergehenden Kontrolle und Unterdrückung – einen wesentlichen Pfeiler für die Organisation von Ordnung und Stabilität (und damit auch für Freiheit) dar. Doch spätestens mit der Moderne sind Herrschaft, Verwaltung, Gesellschaft anders organisierbar und organisiert. Damit stellt sich auch die Rolle von Kirche in der und für die Gesellschaft anders dar. Das Bild von Kirche als Reichskirche ist obsolet geworden, nur noch manche Fundamentalisten halten es hoch.

 

Dagegen beobachten wir heute einen Trend zu Entkonfessionalisierung und behutsamer Anpassung an die Moderne. Das wird in diesem Bild sehr schön deutlich:

Kein Mief von Jahrhunderten, sondern hell und freundlich. Gerade im Vergleich zum Bild der neugotischen Kirche fällt (soweit das erkennbar ist) das Fehlen von konfessionell geprägter Ausstattung (Heiligensta­tuen …) auf. Glaube tritt hier nicht triumphierend, sondern schlicht, bescheiden und offen auf. Auch die Taufkerze im Vordergrund spiegelt das wider.

Doch ist diese Kirche wirklich ansprechend für alle? Die verschiedenen Milieustudien geben zu denken: Vielleicht fühlen sich hier viele junge Familien wohl, aber längst nicht alle Menschen bewegen sich in solchen Räumen. Auch modernes volkskirchliches Denken neigt dazu, stark introvertiert und wenig missionarisch offen für Kirchenferne und ‑fremde zu sein.

 

Dieses Manko legt Bilder von einer Kirche nahe, die den Menschen nach­geht. Die sich – versuchsweise – in neue Räume wagt. Fresh Expressions zeichnen z. B. ein solches Bild von Kirche. Sicher unge­wohnt für viele. Manches ist aber vielleicht noch ungewohnter:

Minecraft ist – in vielen Versionen – ein zigmillionenfach verkauftes Computerspiel, in dem man nicht nur Abenteuer erleben und kämpfen, sondern auch Gebäude errichten kann. Ein exotischer Ort für Kirche. Aber ein Hinweis darauf, dass sich Kirche auch in nichtkirchlicher Umgebung tummeln kann, wenn sie sich traut. Kirche, die sich auf die moderne Welt einlässt.

Oder doch nicht ganz: Wer auch immer die abgebildete Minecraft-Kir­che errichtet hat, hat sich deutlich an traditionellen Formen (kreuzför­miger Grundriss, Turm) orientiert. Wird hier also nicht doch recht un­reflektiert ein herkömmliches Bild von Kirche weitergetragen, verbun­den mit bestimmten konfessionell, kulturell etc. bedingten Prägungen?

 

Dann versuchen wir es doch mit einer Reduktion auf das Wesentliche (und ja: ein klein wenig Design darf doch sein):

Nur ein Kreuz – sonst nichts. Aber gerade dadurch der deutliche Verweis auf die für alle Christen zentrale Erlösungstat Jesu Christi. Eine solche Reduktion des Schmuckes eines Kirchenraums findet man bei jungen evangelikalen bzw. charismatischen Freikirchen. Diese agieren, ohne sich viel mit Tradition (etwa auch einer überlieferten kirchlichen Ästhe­tik) zu belasten, und geben sich frisch, modern, agil und unternehme­risch.

Wer hier einsteigt (und es sollen ja, angezogen durch das jugendliche Image, Leute zum Einsteigen bewegt werden), bekommt nicht den „Muff von tausend Jahren unter den Talaren“ übergestülpt, muss nicht Milieu und Ästhetik traditioneller Kirchlichkeit mitkaufen. Allerdings korrespondiert der Konzentration auf einen „Markenkern“ (das Kreuz) regelmäßig auch eine hohe Verbindlichkeit im Bereich Glaubenslehre, Ethik und Beteiligung am Gemeindeleben. Es steht also auch hinter dieser Ästhe­tik ein bestimmtes Bild, wie Christsein auszusehen hat.

Die Traditionslosigkeit und Autonomie in solchen Freikirchen bedeutet weiterhin, dass der Blick zuerst einmal auf der einzelnen lokalen Ge­mein­de liegt – bzw. auf dem persönlichen Glauben des einzelnen Chris­ten. Wenngleich dann auch die Zusammenarbeit mit anderen Christen ein wichtiges Anliegen sein mag und ein Bewusstsein da ist, Teil des gesamten Volkes Gottes zu sein: Eine solche Perspektive unterscheidet sich deutlich von einem Kirchenbild und einer Ekklesiologie (wie etwa in der katholischen Kirche oder der Orthodoxie), die von einer verfass­ten und hierarchisch geordneten weltweiten Kirche ausgehen.

 

Zum Schluss dazu noch ein Kontrastbild. Es ist sicher gewagt und daher nur als Experiment zu verstehen. Ebenso sicher aber ist es geeignet für eine wichtige Kontroverse in Zeiten, in denen etliche sich als kirchen­verbunden verstehende Christen meinen, sie könnten ihren Glauben an den Gott Jesu Christi mit einem Glauben an die Berechtigung von AfD-Forderungen bezüglich Migranten und Islam verbinden.

„Aber das ist ja nicht einmal eine Christin!“, könnte man einwenden. Doch das war der Nächste im Gleichnis vom barmherzigen Samariter auch nicht. Für eine verbeulte Kirche im Sinne von Papst Franziskus, die an die Ränder geht, müssen wir wohl noch so manches gutgemeinte Kirchenbild überdenken.

 

Was bleibt von unserem kleinen Spaziergang durch eine kleine (!) Aus­wahl von Kirchenbildern? Hoffentlich ein vertieftes Bewusstsein für das geheime Leben der Bilder! Denn Bilder sind nicht einfach nur Abbildun­gen, sondern transportieren vielfältige Botschaften, erzählen Geschich­ten, erheben kontroverse Machtansprüche, geben Orientierung, aber auch Beheimatung. Bei Bildern gilt es also aufzupassen und genau hin­zusehen, denn sie werden ohne Packungsbeilage geliefert und haben doch so manche Nebenwirkungen. Und doch: Was täten wir ohne sie?