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Wie geht es den Seelsorgenden?

Ein Überblick über die Ergebnisse der „Seelsorgestudie“

Die so genannte Seelsorgestudie ist ein groß angelegtes empirisch-psy­chologisches Forschungsprojekt, innerhalb dessen zwischen 2012 und 2014 über 8.500 hauptamtlich in der katholischen Kirche angestellte Seelsorgende mittels eines umfangreichen Fragebogens zu verschiede­nen Aspekten v. a. ihrer beruflichen und spirituellen Identität befragt wurden. Hinzu kommt ein Studienteil mit qualitativen Interviews, deren Auswertung noch andauert. Träger des Forschungsprojekts ist ein Konsortium von fünf pastoralpsychologisch ausgerichteten Wissen­schaft­lern: federführend Eckhard Frick SJ (Anthropologische Psychologie – Hochschule für Philosophie/Spiritual Care – Universität München) sowie Klaus Baumann (Caritaswissenschaft – Universität Freiburg), Arndt Büssing (Lebensqualität, Spiritualität und Coping – Universität Witten/Herdecke), Christoph Jacobs (Pastoral­psychologie und Pasto­ralsoziologie – Theologische Fakultät Paderborn) und Wolfgang Weig (Psychopathologie/Sexualwissenschaft – Universität Osnabrück). Dieses Forschungskonsortium versteht sich als unabhängig und arbeitet nicht in kirchlichem Auftrag.

Im April 2015 wurden die Studie und ihre Ergebnisse in der katholischen Akademie in Berlin vorgestellt; zuvor wurden in diversen Bistümern be­reits die jeweiligen diözesanen Ergebnisse präsentiert. Gemäß den Pub­li­kationsgepflogenheiten in den empirischen Wissenschaften wurden bislang v. a. Teilaspekte der Studie in psychologischen oder gesundheits­wissenschaftlichen Fachjournalen als Originalarbeiten publiziert. Für die Rezeption der Studienergebnisse im theologischen und kirchlichen Be­reich ist dies sicher nicht von Vorteil. Ein Übersichtsband, der auch ei­nem nicht empirisch geschulten Publikum zugänglich wäre, liegt noch nicht vor, ist allerdings in Aussicht gestellt.

Design und theoretischer Hintergrund

Die Motivation zur Durchführung dieser Studie liegt besonders darin, das pastorale Personal in den Blick zu nehmen und Möglichkeiten seiner Förderung herauszustellen, denn es stellt eine Schlüsselressource in den gegenwärtigen kirchlichen Umbruchsprozessen dar. Hinzu kommt, dass man über das pastorale Personal nur wenig gesichert weiß; es liegt dazu relativ wenig bzw. relativ altes empirisches Material vor.

Die Befragung fand in 22 der 27 deutschen Diözesen statt sowie in zwei Ordensgemeinschaften. Die durchschnittliche Rücklaufquote betrug 42 %, was angesichts des sehr umfangreichen Fragenbogens ein äußerst zufriedenstellendes Ergebnis ist und das hohe Interesse der Seelsorgen­den an der Thematik widerspiegelt. 48 % der Befragten waren Priester (4.157 Personen), 12 % Diakone (1.039), 17 % Pastoralreferent/innen (1.518, davon 46 % Frauen) und 22 % Gemeindereferent/innen (1.888, davon 78 % Frauen). Der Altersschwerpunkt liegt zwischen 45 und 55 Jahren; knapp 25 % der Priester und 9 % der Diakone sind älter als 75 Jahre (in den anderen Berufsgruppen gibt es noch keine Personen dieser Altersgruppe). Diese „Ruheständler“ unterscheiden sich in vie­ler­lei Hin­sicht von den jüngeren Befragten und sind in der Analyse an vielen Stel­len eigens zu betrachten.

Der theoretische Hintergrund der Seelsorgestudie nimmt an, dass drei Bereiche als so genannte unabhängige Variablen zunächst für sich selbst interessant sind und weiterhin als Steuergrößen für weitere Effekte in Frage kommen: Merkmale der Person, Merk­male der Tätigkeit und Merkmale der Spiritualität. Diese drei Bereiche sind in sich selbst bereits mehrdimensionale Konstrukte und können einerseits selbständig unter­sucht werden, stehen aber auch untereinander in Wechselwirkung. Die Studie fragt nun danach, welche Auswirkungen diese drei Größen auf die so genannten abhängigen Variablen haben: Zufriedenheit, Engage­ment und Gesundheit. Als weitere Hintergrundtheorien fungieren a) das Ressourcen-Anforderungsmodell aus der Gesundheitspsychologie, das Gesundheit als (langfristiges) Wechselspiel von Ressourcen und Anfor­de­rungen versteht, b) das arbeitspsychologische Modell der Passung von Person und Umwelt, das Stress und Krankheit als Folge der fehlenden Passung zwischen Individuum und organisationalem Umfeld ansieht, c) das Modell beruflicher Gratifikationskrisen, wonach Stress v. a. dann ent­steht, wenn einer hohen beruflichen Verausgabung keine angemes­sene Belohnung gegenübersteht, und d) die religionspsychologische Sicht auf Spiritualität als Wirkfaktor gelingender Lebensentwicklung (vgl. dazu ausführlicher Jacobs und Büssing 2015).

Verwendete Instrumente

Folgende Facetten der theoretischen Konstrukte wurden mittels stan­­dardisierter Fragebogeninstrumente erfasst (keine vollständige Aufzählung):

  • die fünf (nichtpathologischen) Hauptdimensionen der Persönlichkeit, die so genannten Big Five (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit)
  • die Selbstwirksamkeitserwartung (die Gestaltungskraft, d. h. die Fä­hig­keit, mit Herausforderungen umzugehen/die Überzeugung, dass das, was ich tue, auch einen Effekt hat)
  • das Kohärenzgefühl (die „Lebenssicherheit“, d. h. inwieweit erfahre ich mein Leben und meine Umwelt als verstehbar, die Anforderungen als bewältigbar und mein Engagement als sinnvoll und lohnend)
  • die Häufigkeit religiöser Aktivitäten
  • die subjektive Wichtigkeit religiöser Aktivitäten
  • die alltägliche Erfahrung des Transzendenten/Gottes
  • geistliche Trockenheit/Gottverlassenheit
  • soziale Unterstützung, affektive Intimität und Einsamkeit
  • Probleme mit der Sexualität
  • Umgang mit dem Zölibat (nur bei Priestern)
  • wahrgenommener Stress
  • gesundheitliche Beeinträchtigungen
  • berufliches Engagement
  • Burnout (emotionale Erschöpfung, Entfremdungserfahrungen, persönliche Zielerreichung)
  • Lebenszufriedenheit
  • Arbeitszufriedenheit
  • Wahrnehmung des Organisationsklimas

Ergebnisse

Der Ergebnisüberblick muss sehr knapp ausfallen und stark auswählen. Ich schaue zunächst auf die unabhängigen (Person, Tätigkeit, Spirituali­tät), dann auf die abhängigen Variablen.

 

Person

Bei den Variablen der Person ist ein Einfluss des Geschlechts festzustel­len: Männer nehmen weniger Stress wahr als Frauen, sie haben aber auch eine geringere Selbstwirksamkeitserwartung und eine niedrigere Lebenszufriedenheit. Das Alter spielt insofern eine Rolle, als Ältere zum einen die höchsten Werte für Lebenszufriedenheit und die geringsten Werte für Angst, Depression, Stresswahrnehmung, zum anderen aber auch eine höhere gesundheitliche Belastung und eine geringere Selbst­wirksamkeitserwartung aufweisen.

Vergleicht man die Berufsgruppen untereinander, so haben die Priester die geringsten Werte bei Selbstwirksamkeit, Lebenszufriedenheit und (zusammen mit den Gemeindereferent/innen) Stresswahrnehmung. Bei alltäglichen Erfahrungen des Transzendenten haben die Pastoral­referent/innen die niedrigsten und die Diakone die höchsten Werte. Generell haben die Diakone insgesamt die günstigsten Werte auch bei Gesundheitsbeeinträchtigung, Stresswahrnehmung, Selbstwirksamkeit, Lebenszufriedenheit und spiritueller Trockenheit. Beim Kohärenzgefühl liegen alle Berufsgruppen im Normalbereich der Gesamtbevölkerung, wobei es bei den Priestern durchschnittlich geringer ausgeprägt ist. Auch bei den „Big Five“ liegen alle Berufsgruppen im Normalbereich. Im Vergleich der Berufsgruppen sind die Priester durchschnittlich weniger extravertiert, weniger verträglich und emotional labiler. Zudem zeigt sich eine moderat negative Korrelation zwischen Neurotizismus und Kohärenzgefühl: Je höher der Neurotizismus (emotionale Labilität), desto geringer das Kohärenzgefühl und umgekehrt.

 

Tätigkeit

Beim Feld „Tätigkeit“ ist zunächst die wöchentliche Arbeitszeit interes­sant: Priester (ohne Ruheständler) geben hier 52 Stunden an, Diakone im Hauptberuf 44, Diakonie mit Zivilberuf 19, Pastoral- und Gemein­­dereferent/innen (in Vollzeit) jeweils 45. Unter den Priestern geben die leitenden Pfarrer die höchste Wochenarbeitszeit an (56); die Ruhe­stands­­­priester arbeiten im Durchschnitt noch 21 Stunden. Die Größe der pastoralen Einheit beträgt im Durchschnitt 7.983 Personen und variiert stark nach Diözesen: Am kleinsten ist sie in den ostdeutschen Diözesen (Görlitz: 981), am größten in Nordrhein-Westfalen (Köln: 12.702, Aachen: 13.588, Essen: 20.424). Sie hat (genauso wie die Zahl der Pfar­reien, die Größe des Teams oder die Arbeitszeit) keinen wesent­lichen Einfluss auf die wahrgenommene Stressbelastung und Arbeitszufrie­denheit.

 

Spiritualität

(Mehrmals) täglich privat beten 58 % der Priester, 66 % der Diakone, 56 % der Pastoralreferent/innen und 63 % der Gemeindereferent/in­nen. Einmal jährlich (oder seltener) beichten 54 % der Priester, 70 % der Diakone, 91 % der Pastoralreferent/innen und 88 % der Gemein­derefe­rent/innen. Hinsichtlich der Wichtigkeit verschiedener Formen spiritueller Praxis ergibt sich über alle Berufsgruppen hinweg folgende Rangreihe (mit ab­steigender Wichtigkeit): prosoziale Praxis (besonders bei Diakonen), Ehrfurcht und Dankbarkeit, existenzielles Suchen nach Sinn, konventio­nelle Formen religiöser Praxis (z. B. Gebet oder Teil­nahme an der Litur­gie); Formen östlicher Spiritualität sind insgesamt ohne große Bedeu­tung.

Betrachtet man die statistischen Zusammenhänge zwischen religiöser Praxis bzw. der empfundenen Wichtigkeit religiöser Praxis, so zeigt sich kein wesentlicher Zusammenhang mit psychosomatischer Gesundheit oder Lebenszufriedenheit. Wohl aber zeigen die Wahrnehmung alltäg­licher Transzendenzen sowie Ehrfurcht/Dankbarkeit einen moderaten Zusammenhang mit Selbstwirksamkeitserwartung, Kohärenzsinn und Lebenszufriedenheit sowie einen schwach negativen Zusammenhang mit Depressivität und Stressempfinden. Das bedeutet, dass weniger das religiöse Tun als das innere Empfinden des Transzendenten wichtig ist (zumindest im Zusammenhang mit den genannten Variablen). Phasen geistlicher Trockenheit treten gelegentlich bei 46 % und oft/regelmäßig bei 12 % auf (hier wurde nur eine Teilstichprobe der Priester befragt). Prädiktoren für geistliche Trockenheit sind vornehmlich „innere Fakto­ren“ (mangelnde Wahrnehmung des Transzendenten, geringes Kohä­renzgefühl sowie Depressivität und emotionale Erschöpfung). Sie stellt allerdings ein ambivalentes Phänomen dar: Sie kann zur Entfremdung von Gott, aber auch zu spirituellem Wachstum führen.

 

Soziale Beziehungen

Alle Berufsgruppen – am wenigsten jedoch Priester – berichten eine hohe (subjektiv wahrgenommene) soziale Unterstützung und nennen häufig loyale Freundschaften. Priester schätzen ihre soziale Bedürftig­keit geringer ein als die anderen Berufsgruppen. Die Erfahrung platoni­scher Liebe, d. h. zwischenmenschlicher affektiver Innigkeit, ist bei den Seelsorgenden im Durchschnitt mit der Normstichprobe vergleichbar und innerhalb der Berufsgruppen ähnlich. Bei den Priestern fällt eine hohe Varianz der Werte auf, also eine große Heterogenität der Erfahrun­gen. Alle Berufsgruppen berichten kaum von sozialer Einsamkeit; Pries­ter jedoch erleben häufiger emotionale Einsamkeit (Abwesenheit einer innigen dauerhaften Beziehung zu einem anderen Menschen).

Die Bewertung von Sexualität und die Häufigkeit sexueller Probleme sind insgesamt unauffällig. Bei den Priestern fällt eine weniger positive Ein­schätzung von Sexualität und häufigere Nennung von Problemen auf. Zwei Drittel der Priester, die sich zum Zölibat äußern, berichten über positive Erfahrungen mit dem Zölibat. Ein Drittel der Priester gibt an, dass sich der Zölibat belastend auf ihren Dienst auswirkt. Gut die Hälfte der Priester (57,7 %) würden sich wieder für den Zölibat entscheiden, 25,1 % explizit nicht. Nur 27,6 % geben an, dass ihre Ausbildung hilf­reich war, um den Zölibat in ihren Dienst zu integrieren. Interessant ist schließlich, dass Priester, die in einer gemeinschaftlichen Wohnform leben, günstigere Werte als allein lebende Priester haben hinsichtlich Lebens- und Arbeitszufriedenheit, Identifikation mit dem Priestertum und dem Zölibat sowie Stress- und Gesundheitsbelastung.

 

Zufriedenheit

Die Lebenszufriedenheit der Seelsorgenden ist etwas höher als der Durch­schnitt der Bevölkerung, jedoch vergleichbar der Bevölkerung mit Uni­ver­sitätsabschluss: Bei der Frage „Wie zufrieden sind Sie, alles in allem, mit Ihrem Leben?“ (Skala 0–10) ergibt sich ein deutscher Bevölkerungs­durchschnitt von 7,0, in der Seelsorgestudie und bei den Personen mit Universitätsabschluss liegt er bei 7,6. Dabei sind keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Berufsgruppen zu erkennen, wohl aber gibt es Unterschiede bedingt durch Alter und Einsatzfeld. Bei den Priestern etwa ergibt sich eine umgekehrt U-förmige Verteilung: Die Lebens(- und Arbeits)zufriedenheit liegt am niedrigsten in der Gruppe der 45–55-Jäh­ri­gen; sie steigt stetig an sowohl in Richtung der älteren wie der jüngeren Altersgruppen. Am unzufriedensten mit ihrem Leben sind die Pfarrvi­kare/Kooperatoren, am zufriedensten die Ruheständler noch vor den kategorialen und den diözesanen Diensten.

Die Arbeitszufriedenheit der Seelsorgenden ist leicht höher als die der Allgemeinbevölkerung. Die höchste Zufriedenheit liegt bei der Tätigkeit selbst, die höchste Unzufriedenheit bei den organisationalen Bedingun­gen. Die größten Unterschiede zwischen den Berufsgruppen liegen bei der Bezahlung und den Entwicklungsmöglichkeiten (Gemeindereferen­t/in­nen sind unzufriedener). Lebens- und Arbeitszufriedenheit korrelie­ren bei den Seelsorgenden stärker als in der Normalbevölkerung (am stärksten bei den Priestern).

 

Engagement

Das berufliche Engagement der Seelsorgenden ist vergleichbar mit dem von Menschen in anderen Berufsfeldern. Zentraler Motivationsfaktor ist dabei die eigene Spiritualität, weiterhin Selbstwirksamkeit, Kohärenz­gefühl und positives Teamklima. Das Burnout-Risiko unter Seelsorgen­den ist eher niedriger als in vergleichbaren Berufsgruppen (z. B. Ärzte, Lehrer, Sozialarbeiter). 1 bis 3 % der Befragten haben (vermutlich) ein Burn­out, weitere 6 bis13 % eine Nähe zum Burnout. Die Wahrnehmung des Transzendenten im Alltag schützt nicht vor Burnout, entscheidender sind gute Arbeitsbedingungen. Berufliche Stressoren sind v. a. (in abstei­gender Bedeutung) mangelndes Kohärenzgefühl, fehlende Distanzie­rungsfähigkeit, hohe Arbeitsbelastung und fehlende Wertschätzung.

 

Gesundheit

Die psychosomatische Belastung ist bei Priestern höher als in den ande­ren Gruppen, hier zeigen 23 % erhöhte Werte. Besonders hoch ist sie bei Pfarrvikaren/Kooperatoren (32 %), am geringsten bei kategorialen und diözesanen Diensten (16 %). Männer weisen eher erhöhte Depressivität auf, Frauen stärker ängstliche Symptome.

Psychosomatische Belastung wird am besten vorhergesagt durch Stress­erleben, geringe Selbstwirksamkeit und geringe Lebenszufriedenheit. Stresserleben wiederum wird am besten vorhergesagt durch Ängst­lich­keit, Depressivität, geringe Selbstwirksamkeit und geringe Lebenszu­friedenheit sowie geistliche Trockenheit im Sinne einer spirituellen Kri­se. Externale Stressoren haben (im untersuchten statistischen Regres­sions­modell) nur eine untergeordnete Bedeutung. Man kann also zu­sam­menfassen, dass Selbstwirksamkeitserwartung und Spiritualität schützende Faktoren gegenüber Stresserleben und stressbezogener Gesundheitsbelastung sind.

 

In diesem Überblick konnte nur ein Bruchteil der Ergebnisse präsentiert werden; für weitere Informationen ist auf die Publikationen des For­schungskonsortiums zu verweisen. Ebenso wird es Aufgabe der weiteren Rezeption sein, Konsequenzen der Ergebnisse für Personalverantwort­liche und den Aus- und Fortbildungsbereich zu ziehen, sie aber auch pastoraltheologisch zu diskutieren.