Kirche, die sich aussetzt
Weltanschauungsarbeit als Paradigma für die Pastoral des Konzils
Wie soll Kirche sein? Die Rede von der Kirchenkrise und von notwendigen Reformen ist schon längst ein Dauerbrenner geworden – und damit verbunden die Frage nach der Rolle und insbesondere nach der Rezeption (oder Nichtrezeption) des 2. Vatikanischen Konzils.
Auch 50 Jahre nach dem Konzil lohnt es sich, Konzilstexte (neu) zu lesen. Die Weltanschauungsbeauftragten haben dies exemplarisch getan und sich auf ihrer Frühjahrstagung (11. bis 13. März 2013 in Freising) gefragt, was die Theologie des Konzils für das Verständnis von Kirche und speziell ihrer eigenen Arbeit im Kontext der Kirche bedeutet.
Im Fokus standen dabei die Pastoralkonstitution Gaudium et spes, die Erklärung zur Religionsfreiheit Dignitatis humanae sowie die Erklärung zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate. Mit Hans-Joachim Sander und Roman Siebenrock konnten dazu zwei namhafte Konzilskommentatoren als Referenten gewonnen werden.
Beide machten vor allem die neue Haltung deutlich, die das Konzil von der Kirche fordert. Nicht die Frage, wer die Kirche ist, sei entscheidend – so Sander –, sondern die Frage, wo: Die Welt – oder anders gesagt: bei den Menschen – ist der Ort der Kirche; nicht die binnenzentrierte Selbstbetrachtung, aber durchaus der selbstkritische Blick, angeregt durch die Erfahrungen mit dem Außen.
Wie begegnet Kirche, wie begegnen wir Christen also anderen Menschen? Was können die anderen von uns erwarten? Letztere Frage ist verbunden mit einer Selbstverpflichtung, wie sie Siebenrock in den Erklärungen zu den nichtchristlichen Religionen und zur Religionsfreiheit sieht: Für Religionsfreiheit eintreten etwa bedeute auch, für die Religionsfreiheit Andersgläubiger einzutreten. Hier liegt ein deutlicher Bruch zur vorkonziliaren Haltung der Kirche.
Wie gerade Siebenrock betonte, stehen die einzelnen Konzilstexte nicht für sich allein, sondern in vielfältigen Bezügen zueinander und entwerfen so insgesamt ein neues Bild von Kirche. So formuliert auch der Beginn der Kirchenkonstitution Lumen gentium eine Aufgabe, die in anderen Texten weiter expliziert wird, wenn dort die Kirche „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ genannt wird (LG 1). Sind also die Aussagen der Kirche über ihren Glauben – fragt Sander – verbindlich im Sinne von wertschätzend und wohlmeinend (und werden sie nicht dazu gebraucht, Menschen kleinzuhalten)? Sind die Verbindlichkeiten der Kirche verbindlich im Sinne, dass Menschen dadurch untereinander und mit Gott verbunden werden?
Will die Kirche dieser Aufgabe gerecht werden, muss sie sich einlassen auf die Menschen, sich ihnen aussetzen. Sie sollte nicht nach den Schwächen der anderen suchen, sondern zuerst einmal nach ihren Stärken. Und sie sollte bereit sein, sich fragen und anfragen lassen. Frag-würdigkeit sei, so Sander, ein Qualitätsmerkmal von Religion: Sehen die Menschen die Kirche als einen frag-würdigen Ansprechpartner, wenn sie durch „Andersorte“ (Heterotopien) – berührenden Orte, prägende Erfahrungen … – gezwungen sind, die Bahnen des Gewohnten zu verlassen und nach neuen Antworten zu suchen?
In der Weltanschauungsarbeit ist die neue Haltung, die das Konzil entwirft, geradezu paradigmatisch gefordert: Weltanschauungsarbeit ist tagtäglich mit Menschen anderen Glaubens und mit dem „Außerhalb“ konfrontiert. Sie kennt die Sehnsüchte von Menschen, wie sie sich in ihrer religiösen Suche zeigen, und die damit verbundenen Erfahrungsorte/Heterotopien. So stellt sie sich ständig der Herausforderung einer wohlwollenden Dialogbereitschaft, die den anderen nicht klein, sondern groß zu machen versucht. Zugleich trägt sie diese Erfahrungen bereichernd zurück in die eigene Kirche, ist somit Kundschafter und auch Berater. Diesen durchaus auch kritischen Reflexionsdienst für die eigene Kirche zu stärken und auszubauen ist eine Zukunftsaufgabe für die Weltanschauungsarbeit.
Aus der Tagung heraus ist eine Publikation geplant in der Reihe „Weltanschauungen“ (ehemals „Werkmappe“), herausgegeben vom Referat für Weltanschauungsfragen des Erzbistums Wien in Zusammenarbeit mit der KAMP.
Martin Hochholzer