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Gabriel / Spieß / Winkler: Modelle des religiösen Pluralismus

Manche Sammelbände sind ein Sammelsurium unterschiedlichster Bei­träge. In diesem dagegen gruppieren sich die 14 Beiträge deutlich um ein gemeinsames Thema: den religiös-weltanschauliche Pluralismus und die sich daraus ergebenden Herausforderungen für Kirche und Staat. Weiterhin sollte man den Untertitel ernst nehmen, denn er weist auf eine – lockere – Dreigliederung hin, die dem Band insgesamt Struk­tur gibt:

Zuerst zeichnen einige Aufsätze Pluralismuserfahrungen und Strate­gien des Umgangs damit in der frühen Kirche (Martin Ebner) und im latein-europäischen Mittelalter (Christoph Auffarth) nach, bevor Wilfried Loth und Christian Spieß in ihren zwei Aufsätzen darstellen, wie sich die Einstellung der katholischen Kirche zum Pluralismus im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt hat; gerade der Beitrag von Spieß macht deutlich, welche grundlegende Wende in den Denkmodellen die Aussa­­gen des 2. Vatikanischen Konzils ermöglicht hat.

Die folgenden vier Beiträge lassen sich als religionssoziologisch charak­terisieren; der Blickwinkel geht vom Katholizismus hin zu Religion ge­ne­rell, er changiert zwischen der nationalen Perspektive (etwa bei der deutschen Religionsstatistik von Volkhard Krech) und dem globalen Blick von Karl Gabriel auf Globalisierungs-, Pluralisierungs- und Säkula­risierungsprozesse. Die Ausführungen von Judith Könemann und Ansgar Jödicke zur Partizipation religiöser Akteure bei Schweizer Volksabstimmungen fallen als Detailstudie formal aus dem Rahmen des Bandes, sind aber eine passende Illustration zu den sonstigen Beiträgen, die allgemeiner gehalten sind. Detlef Pollack und Nils Friedrich schließ­lich stellen eine Studie zur Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Viel­falt vor, die 2010 in West- und Ostdeutschland, Dänemark, Frank­reich, den Niederlanden und Portugal durchgeführt wurde: Gerade bei der Haltung gegenüber Muslimen und gerade in Deutschland zeigt sich eine deutliche Differenz zwischen Theorie (Toleranz und Pluralismus) und Praxis bzw. Einstellungen in der Bevölkerung.

Die Integrationsdebatte (die ja ebenfalls auf Muslime zentriert ist) lässt grüßen! Was sind aber überhaupt die Grundlagen dafür, als Angehöriger einer Religion in einem liberalen Verfassungsstaat zu leben und sich – als religiöser Mensch bzw. als Religionsgemeinschaft – in diesen Staat einzubringen? Um solche religionspolitischen Fragen geht es bei den letzten sechs Beiträgen. Die historische Entwicklung des Staat-Kirche-Verhältnisses in Deutschland bis hin zu den heutigen Herausforde­run­gen für ein Religionsverfassungsrecht zeichnet (freilich recht knapp) Christian Walter nach, während Ulrich Willems die verschiedenen Lö­sungen dafür in verschiedenen „westlichen politischen Gemeinwesen“ vergleicht. Die drei Aufsätze von Hermann-Josef Große Kracht, Thomas Gutmann und Thomas M. Schmidt durchdenken in rechtsphilosophi­­scher Weise das Verhältnis von liberalem Staat und Religion – insbe­son­dere die Zulässigkeit von religiösen Begründungen für öffentliche Wil­lensbildungsprozesse. Diese Frage beschäftigt auch Charles Taylor, des­sen Werk „Ein säkulares Zeitalter“ Katja Winkler vorstellt und mit den Positionen von Casanova und Habermas konfrontiert.

Dass sich in einem solchen Sammelband manches doppelt, stört nicht. Dass ein Sammelband – im Unterschied etwa zu einem Lehrbuch – mehr einzelne Aspekte beleuchtet und nicht alle angerissenen Linien systematisch weiterverfolgt, mag man bedauern, ist aber verständlich; so hätte sich der Rezensent z. B. über einen Aufsatz gefreut, der in Wei­ter­führung von Martin Ebners Ausführungen zum innerchristlichen Pluralismus der ersten Jahrhunderte den innerkirchlichen (und nicht nur den interreligiösen) Pluralismus heute in den Blick genommen hätte. Dass der vorliegende Band aber dennoch zumindest ansatzhaft einen Überblick über das Themenfeld zu geben vermag, ist positiv hervorzuheben.

Die Autoren sind vielfach Mitglieder des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster – durchaus keine unbekannten Namen, teilweise auch die „üblichen Verdächtigen“ wie Gabriel und Pollack (und im Hintergrund bzw. in den einzelnen Beiträgen tauchen immer wieder – wen wundert es – Namen wie Taylor, Casanova und Rawls auf).

Von daher das Fazit: Insgesamt nichts (ganz) Neues – aber vieles kom­pakt zusammengestellt. Ein Buch also sowohl für Interessierte, die sich in die Thematik einarbeiten wollen, als auch für diejenigen, die sich schon länger mit diesen Fragen befassen und Fragestellungen vertiefen, Hintergründe verstehen und verschiedene Positionen kennenlernen wollen. Auf jeden Fall ein Buch, das an zentralen zukünftigen und auch schon derzeitigen Herausforderungen für Staat, Kirche und Gesellschaft dran ist.

Martin Hochholzer