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Kirche als soziales und pastorales Netzwerk

In der Befassung mit dem Internet kann die Kirche nicht nur lernen sich in ihrer Kommunikation des Mediums Internet selbst professionell zu bedienen. Vielmehr kann sie – wenn sie sich ihres eigenen Netz­werk­charakters bewusst wird – so neue Perspektiven für die Entwicklung neuer und adäquater Handlungsformen auch außerhalb des Internets nutzen.

Netzwerke sind heutzutage in aller Munde und wer mittels Internet und Computer arbeitet, der oder die taucht in eine weit verzweigte, ver­floch­tene, unübersichtliche und komplexe Welt von Informationen und Daten, unzähligen Bildern, Musikarten, Spielformen oder Perso­nen ein. In theoretischer Sicht lässt sich dieses weite inter­net­ba­sierte Netz von Netzwerken, Anbietern und Personen nicht durch eine einheitliche soziale bzw. soziologische Netzwerktheorie (Holzer, Netzwerke, 103f) erfassen. Es geht vielmehr darum, die Wirkmechanismen von internet­basierten Netzwerken zu beschrei­ben und sie im Zusammenhang von Kirche und pastoralem Handeln zu befragen, welche Chancen und Grenzen für heute und für die Zukunft der Kirche sich ergeben.

Netzwerke – eine Einladung zu Kreativität und Freiheit

Es geht bei Netzwerken darum, nicht etwas ganz Neues zu ent­­decken, sondern etwas ganz neu zu sehen. Das Netzwerkdenken selbst ist ja bereits eine Form, verschiedene Gedanken, Erkennt­nisse, Erfahrungen, Gefühle und Wissensreservate so zu kombi­nieren, dass dabei Sinnvolles und Kommunizierbares heraus­kommt. Wird die Kirche im Sinne eines Netzwerkes wahrge­nommen und gedeutet, so zeigen sich neue Perspek­tiven für ihre Sozial- und Handlungsformen. Netzwerke können näm­lich auf inhaltlicher, organisatorischer und vor allem auf kommunika­tiver sowie sozialer Ebene innovatives und kreatives Potenzial wecken und entdecken lassen. Ein wesentliches Moment liegt in der großen Varianzbreite der schier unbegrenzten Kombinationsmöglichkeiten der Knoten und Cluster (ein/e Gruppe bzw. Haufen von Knoten) von und in Netzwerken.  Meist wird diese Form als soziales Netzwerk im horizon­talen Kontext verstanden, in dem alle Personen auf gleicher Ebene agieren bzw. interagieren. Diese grundsätzlich flache Struktur sozialer Netzwerke bzw. social networks wie facebook und Co. macht den ein­ladenden und modernen Reiz aus, den sie haben. Für die vertikale Ebene wird meist die hier­ar­­chische Struktur von Organisationen als Gegenbeispiel herangezogen, was vor allem für die katholische Kirche als Institution durch ihre Geschichte und ihr Erscheinungsbild auch zutrifft. Dennoch: die katholische Kirche im Besonderen, aber auch andere Organisationen sind stets anders strukturiert als nur hierarchisch. Selbst eine straff hierarchisch strukturierte Organisation ist netzwerkartig aufgebaut, wenn auch meist mit einem eindeutigen Zentrum, in dem sich die personelle, strategische oder finanzielle Macht manifestiert. Die hierarchische wie die flache netzwerkartige Organisationsform können mittels komplexer und mehrdimensionaler Struktur(en) verbunden und konfiguriert werden. „An die Stelle der Ewigkeitsstrukturen“ setzt die Kirche „Mehrebenenstrukturen […], die ebenso Struktursicherheit garantieren wie Flexibilität gestatten und von daher einer diffe­ren­zier­ten Realität von Kirche angemessen sind“ (Hochschild, pil­gernde Kirche, 53). Dieser Mehrebenenstruktur wird der Kirche auf organisatorischer Ebene gerecht, weil sie sich immer zugleich auf der Makroebene als Weltkirche, auf der Mesoebene als Diözese bzw. Bistum und auf der Mikroebene als komplexes Gebilde von Pfarrge­meinden, geistlichen Zentren, Bildungseinrichtungen, kategorialen Formen von Seelsorge oder anderen katholischen Einrichtungen bewegt bis hin zum/zur einzelnen Christen/in. Diese drei Unterscheidungs­ebenen machen deutlich, dass auf jeder Ebene grundsätzlich die Netz­werklogik mit ihrer spezifischen Wirkweise greift, disparate Handlungs­formen, unterschiedliche Personen und Logiken wie auch verschiedene Gruppen, Organisa­tionen oder Institutionen zu verknüpfen. Je höher und komplexer die Ebene (z.B. die globale Ebene der katholischen Kirche), desto schwieriger lassen sich hier Netzwerkprozesse steuern und regeln im Sinne eines Gewinns für alle Beteiligten (Eder, Netzwerk, 121f).

Internet und soziale Netzwerke

Versucht man das Internet und die zurechenbaren virtuellen Welten grafisch darzustellen, kommt ein riesiges sternenförmiges Netz­werk­bild heraus. Das Internet als Netz der Netze entwickelt sich zu einem immer größeren Daten- und Informationsspeicher, in dem auch Persönliches, Soziales, Skurriles und Wegweisendes lagert und gespeichert wird. Eine entscheidende Weichenstellung ist in den letzten zehn Jahren gesche­hen: war das Internet früher vor allem von wenigen „männlichen“ Technikern bzw. Bearbeitern für viele Nutzer und Nutzerinnen pro­gram­miert worden (entspricht dem Terminus Web 1.0), so sind es beim Web 2.0 die Benutzer/innen selbst, die das Inter­net bzw. dessen Inhalte „erstellen, bearbeiten und verteilen [...] in quantitativ und qualitativ entscheidendem Maße [...], unterstützt von interaktiven An­wen­dun­gen.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0 [Stand 26.02.13]) Erst durch diese Veränderung wird verständlich, dass gerade die neuen internetbasierten sozialen Netzwerke wie facebook oder netlog so große Zustimmung erhalten. „Die sozialen Netzwerke im Internet sind der Areopag der Moderne. Und die Waren dieses Areopags sind die Perso­nen, deren Profile, deren Status-Updates.“ (Pelzer, Change Agents, 3). Diese neue Form der Kommunikation mittels social networking prägt und gestaltet in zunehmendem Maße die Gesellschaft wie auch das soziale und individuelle Leben der Einzelnen.

Netzwerk und Social Media

Ein Spezifikum in der Netzwerklandschaft stellen die neuen Medien – die sozial, internet- und netzwerkbasierten Social Media dar. Einzelne Kontakte bzw. Beziehungen von zwei oder drei Personen können immer weiter verzweigt gesehen und verstanden werden, „bis schließlich rie­sige Netzwerke von gewaltiger Reichweite entstehen. […] Diese [Bezie­hungs-]ketten verästeln sich wie Blitze und durch­ziehen die gesamte Gesellschaft in komplizierten Mustern. Die Situation war offensichtlich sehr viel komplexer, als ich [Nicholas Christakis, H.E.] zunächst ange­nommen hatte. Mit jedem Schritt, den wir uns von einem Menschen innerhalb eines sozialen Netz­werkes entfernen, nimmt die Zahl der Beziehungen zu anderen Menschen und die Komplexität der Veräste­lungen rasant zu.“ (Christakis / Fowler, Connected, 12). Das Neue an diesen Medien ist, dass sie eine unglaub­liche Dynamisierung von Steuerung und Machtgenerierung darstellen. Welche Macht man durch social networking haben kann, lässt sich exemplarisch an der Revolu­tion in Tunesien oder Ägypten in den vergangenen Jahren ablesen. Die andere Seite der Macht stellen Formen der Ausgrenzung (wie z.B. Cybermobbing) oder suchtähnliche Abhängigkeitsformen dar. Die entsprechenden Milieu-Studien zu den Sinus-Milieus® belegen, dass soziales Leben junger Menschen vor allem bei der „postmo­dernen“ Grundausrichtung ohne diese neuen Medien nicht mehr denk- wie lebbar ist. Dennoch sind auf die Grenzen und Gefahren der Social Media in jeglicher pädagogischer wie pasto­raler Hinsicht hinzuweisen, wer im jugendpastoralen Feld tätig ist.

Noch nicht ausgeschöpftes Potenzial

Auffällig ist, dass in analytischer Hinsicht das Wissen über die verän­derte mediale und soziale Landschaft da ist, aber es wenig konkrete und mutige pastorale Experimente gibt. Matthias Sellmann spricht davon, dass es kaum gute Apps für interessierte und neugie­rige Men­schen gibt, die in passagerem Modus der Kirche begegnen (Sellmann, Neue Medien, 17-22). Wird in diese Form eines pastora­len, ästhetisch ansprechenden und zeitgemäßen Angebots investiert, kommt die Kirche in Deutsch­land und in Österreich schnell an ihre Grenze, weil es an Geld, Ressour­cen und Personal mangelt. Dies soll keine Entschuldi­gung für Passivität sein, es macht nur deutlich, dass nur an wenigen Stellen wirklich inves­tiert wird. Ein innovatives Beispiel ist die Haus­kirche kafarna:um. Der Gründer und Hausvater Florian Sobetzko be­­zeich­net diese Haus­kirche für Jugendliche und Junge Erwachsene als „benutzergene­rierte Kirche“, da sie „sich im Internet medieninnovativ in der Erschließung neuer Mög­lichkeiten des Kircheseins“ [mitteilt]. Mitbestimmung heißt hier zum Beispiel die Bereitstellung von Schnittstellen, die auch technisch kompatibel sind.“ (Sobetzko, Ekklesiopreneure, 26). Hier wird ein wesentliches Erfolgskriterium benannt: bei all diesen Formen des Kircheseins geht es um „Schnitt­stellenkompatibilität und die Inklu­sivität als Kommunikations­prinzip“ (Sobetzko, 27). Dies sind ent­scheidende Momente in und bei Netz­werk­­prozessen, egal ob über Social Media oder in konven­tionellen Gesprächsformen. Jede Schnittstelle kann als Schwelle in einen anderen sozialen Raum, anderes soziales Milieu oder wie hier als Schnittstellen zwischen Technik und handelnden Personen gesehen werden.

Öffentlichkeit

Eine Chance internetbasierter pastoraler Arbeit und Gestaltungs­mög­lichkeit ist im weiten Feld der medial strukturierten Öffentlichkeit zu sehen. Kaum ein Ereignis haben die unterschiedlichen klassi­schen wie sozialen neuen Medien so geprägt, wie die jüngste Ankündigung des Rücktrittes von Papst Benedikt XVI. Anfang Februar 2013. Hier rückt die katholische Kirche in den Mittelpunkt öffentlicher Medien und Debat­ten, die aus pastoraler Sicht eine große Chance darstellen. Vor allem die klassischen Printmedien und mehr noch ihre Online-Ausgaben, aber auch TV-Stationen, die Youtube-Plattform, Twitter-Nachrichten oder Kommentare im facebook zeigen ein breites und durchaus differen­ziertes Bild von Debatten, die ein anhaltendes Interesse an den Vorgän­gen der Kirche zeigen. Ob dies in der Pastoral ein Gewinn ist bzw. sein wird, ist offen und kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Auf jeden Fall ist bis zur Papstwahl und darüber hinaus die Kirche im Mittelpunkt auch der neuen netzwerkbasierten Medien und dies kann an dieser Stelle nur als Chance gesehen und gewertet werden. Es ist mög­lich, in theologischer wie historischer Hinsicht durch platzierte Meldungen und Kommentare in diversen Postings und social networks die Neube­stim­mung des Papstamtes durch dieses Ereignis darzustellen, den mutigen Schritt in Richtung Beweglichkeit der Kirche in die Moderne  hervorzu­heben und zugleich die Offenheit des Ausgangs dieser Neubestim­­­mung zu be­tonen. Wenn Netz­­werke in unserer Zeit Wirkung(en) haben, dann in Richtung Beweg­lichkeit und Ergebnisoffenheit. Das Zueinander der verschiedenen (Macht)Zentren und kirchenpolitischen Strömungen wird durch dieses Ereignis neu justiert und hat Auswirkungen auf das Gesamt der Kirche, das als ein großes Netzwerk von Netzwerken gesehen und gedeutet werden kann.

Jugendkirche

Jugendkirchen lassen sich generell als relativ neue, spannende und an­dere Orte in der üblichen pastoralen Landschaft und somit als Chance verstehen. Dieser Anders-Ort Jugendkirche bringt eine neue Dynamik in das Feld der Pastoral, weil sie nicht etablierte und bekannte Formen der Mitglieder- oder Gemeindepastoral bedient, sondern neue soziale wie pastorale Formen sucht und damit experimentiert. Durch internet­ba­sierte Recherche lassen sich „ansprechende“ und „einladende“ Beispiele von Jugendkirchen finden, die durch ihre Homepages und ihren gut gestalteten Platzierungen z.B. im facebook Einblicke in das Geschehen geben, wie am Beispiel von kafarna:um schon gezeigt wurde. Die Chance für Neugier und Lust auf Entdeckung für „Suchende“ wie auch für die mediale Öffentlichkeit geschieht nur, wenn diese Seiten pro­fes­sionell – und Jugendliche bzw. Junge Erwachsen in den neuen Milieus sind das – gestaltet, betreut und laufend adaptiert werden. Vor allem, wenn es darum geht, die „Milieus der modernen Performer, Experi­mentalisten und Hedonisten“ (Pelzer, Change Agents, 6) zu erreichen. „Diese Milieus werden“, so Pelzer weiter, „auf den herkömmlichen Kommunikationswegen wie Pfarrbrief, Gottesdienst, etc. kaum er­reicht. Aber sie sind auf facebook und anderen sozialen Netzwerken präsent.“ (Pelzer, Change Agents, 6) Diese Netzwerke gilt es zu nützen, zu intensivieren, neue und kreative Formen von Kontakt- und Bezie­hungsmöglichkeiten anzubieten, damit Kirche – wenn auch nur kurz und intensiv – weiterhin attraktiv wie relevant bleibt.