Von Fehlern und Scheitern in der katholischen Kirche
Fehlerfreundliche Kultur in einer etablierten Organisation
Eigentlich ist zum Thema Fehler und Scheitern alles gesagt – auch in Kirche. Viele kluge Köpfe haben das Thema sowohl psychologisch wie auch pastoraltheologisch, pastoralpraktisch und organisationsentwicklerisch bedacht, Tools für eine fehlerfreundlichere Kultur in Kirche entwickelt, entsprechende Instrumente eingeführt, und doch bleibt ein fader Beigeschmack. So richtig will uns Fehlerfreundlichkeit in Kirche nicht gelingen.
Dieser Beitrag wirft einen Blick auf die Realität der Organisation katholische Kirche, wie sie der Autor in den vergangenen Jahrzehnten kennengelernt hat, benennt exemplarisch Faktoren und Hindernisse des Gelingens und formuliert Erwartungen und Anforderungen, die Kirche zu einem fehlerfreundlicheren Ort machen würden. Hierzu die Realität in aller Deutlichkeit zu benennen, ist zwingend – unter dem geht es nicht.
Ausgangslage
Seit einigen Jahren wird das Thema Fehlerfreundlichkeit und damit verbunden die Entwicklung einer veränderten Unternehmenskultur auch im kirchlichen Kontext verstärkt in den Blick genommen. Die systematische Einführung von Feedbackinstrumenten, Mitarbeiterjahresgesprächen etc. ist Ausdruck dieses Bemühens.
Eine ehrliche Bilanz wird in weiten Teilen zu dem Ergebnis kommen, dass Kirche, sagen wir in den letzten zehn Jahren, weder als ein fehlerfreundlicheres System wahrgenommen wird noch in nennenswertem Umfang Messgrößen erkennbar sind, die dies objektiv bestätigen.
Eindrücklich in vielfacher Hinsicht ist die Übernahme von Verantwortung und das Eingeständnis von Fehlern im Kontext des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Dieses kommt Verantwortungsträgern oftmals nur schwer über die Lippen, und die persönliche Verantwortung wird hierbei eher relativiert.
Ein weiteres Indiz für eine mangelhafte Fehlerkultur ist die Erfahrung, dass Fehler selten offen angesprochen werden, Verantwortung hierfür anderen zugeschrieben und eine offene Kommunikation mit Leitung hierüber tunlichst vermieden wird. Dieses Verhalten ist im System Kirche erlernt, da immer wieder die Erfahrung gemacht wird respektive zu beobachten ist, dass Fehler im Regelfall eben nicht als Lernchance, sondern als persönliches Versagen gedeutet werden.
Schaut man auf die kirchliche Realität heute, finden sich vor allem Appelle zum Thema einer gelingenden Transformation hin zu einer fehlerfreundlichen Kultur. Die vorgeschlagenen Instrumente sind seit Jahren dieselben: die Verwirklichung des Prinzips von trial and error, der Aufruf, mehr Experimente zu wagen, die Einführung einer intensiven Feedback-Kultur bis hin zur Etablierung von Beschwerdemanagementsystemen und die Bereitstellung von Ressourcen für neue Wege der Pastoral. Mich ermüden solche Aufrufe und Impulse zusehends.
Mich interessiert der Blick dahinter: Warum gelingt es uns nicht, all das Wissen, das wir zum Thema Fehler und Scheitern haben, in gute Praxis umzusetzen? Hierzu möchte ich drei Aspekte beitragen, die meiner Ansicht nach den Diskurs weiten und manche bisherigen Ideen relativieren. Es sind Gedanken zum Verhältnis von Profis und Laien, zum Verständnis von Transformation und Überlegungen zum Prinzip der Pfadabhängigkeit und Pfadbrechung.
Fehlerfreundlichkeit
1984 veröffentlichten Christine und Ernst Ulrich von Weizsäcker erstmalig einen Artikel unter der Überschrift „Fehlerfreundlichkeit“. Hierin stellten sie ihre Beobachtungen aus der Natur, vorrangig der Tierwelt dar und legten Schlussfolgerungen vor, weshalb es dem Fortbestand von Tierarten dient, fehlerfreundlich zu agieren, und dass dies in der Natur sozusagen als Instrument zur Weiterentwicklung angelegt ist.
Ihre damalige Definition lautet: „Fehlerfreundlichkeit bedeutet zunächst einmal eine besondere intensive Hinwendung zu und Beschäftigung mit Abweichungen vom erwarteten Lauf der Dinge. Dies ist eine in der belebten Natur überall anzutreffende Art des Umgangs mit der Wirklichkeit und ihren angenehmen und unangenehmen Überraschungen. Beim Umgang mit ihnen werden Wahrnehmung, Urteilskraft und Reaktionsfähigkeit eingesetzt“ (von Weizsäcker/von Weizsäcker 1984, 168 f.).
Seit dieser Zeit hat das Konzept der Fehlerfreundlichkeit in der Sozialpsychologie ebenso wie in der Organisationsentwicklung Einzug gehalten und gilt heute als common sense. Eine Organisation, die sich Fehlerfreundlichkeit auf die Fahnen schreibt, diese lebt und entsprechend handelt, gilt als zukunftsfähiger, besser und gesellschaftlich anerkannter.
Wenn nach Christine und Ernst Ulrich von Weizsäcker die intensive Hinwendung zu und Beschäftigung mit Abweichungen das Instrument der Natur ist, um mit Fehlern umzugehen, dann gilt es zu konstatieren, dass in weiten Teilen kirchlicher Realität gerade die Vermeidung, die Diskreditierung sowie die Sanktionierung von Abweichung das konkrete Handeln beherrscht.
Das Verhältnis von Profis und Amateuren
Der Autor Erik Kessels hat in dem wunderbaren kleinen Büchlein „Fast Pefrekt“ Beispiele von Fehlversuchen und Irrtümern gesammelt, um diese als Inspirationsquelle darzustellen. In einem Abschnitt widmet er sich unter der Überschrift „Triumph der Amateure“ deren besonderer Gabe, mit ihrem Knowhow die Welt zu sehen. „Die Gabe der Amateure ist ihre Naivität. Wer die Regeln nicht kennt, weiß auch nicht, wie man sie bricht. Amateure haben keine Angst vor dem Scheitern“ (Kessels 2018, 43).
Mich erinnert dies an die Aussage, die der heutige Bundesfinanzminister Christian Lindner im Jahr 2019 via Twitter gegenüber der Fridays-for-Future-Bewegung getätigt hat: „Ich finde politisches Engagement von Schülerinnen und Schülern toll. Von Kindern und Jugendlichen kann man aber nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis.“
Im Kontext des Themas Fehler/Scheitern gehen nicht wenige Mitarbeitende in Generalvikariaten/Ordinariaten sowie Hauptberufliche im pastoralen Dienst selbstverständlich davon aus, dass der professionelle Umgang mit Fehlern eine ihrer Kernkompetenzen darstellt. Diese Überzeugung ist geradezu Teil ihrer professionellen Berufsidentität und gründet in der erlernten Fähigkeit zur Reflektion des eigenen beruflichen Handelns, der Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken und Schwächen z. B. im Rahmen einer pastoralpsychologischen Qualifizierung sowie der, zumindest in Teilen der genannten Berufsgruppe, vorhandenen Bereitschaft zu regelmäßiger Weiterbildung.
All dies kann hauptberufliche kirchliche Mitarbeitende durchaus dazu befähigen, Fehler zu reflektieren und sich Wissen bzgl. einer fehlerfreundlichen Kultur anzueignen. Es macht Hauptberufliche aber nicht per se fehlerfreundlicher oder fehlertoleranter. Vielleicht liegt dies an der von Erik Kessels formulierten Naivität, vielleicht besser: Unbefangenheit, die Hauptberuflichen fehlt oder verloren gegangen ist. Die Konzentration richtet sich zu sehr darauf, Dinge richtig zu machen, das zu tun, was erwartet wird oder von dem man meint, dass es erwartet werden könnte. Gleichzeitig gibt es nicht selten Erfahrungen mit dem System Kirche, dass Fehler nicht toleriert werden, über diese nicht offen gesprochen wird und im Regelfall Fehler eher sanktioniert werden.
Zurück zum Twitter-Zitat von Christian Lindner. Dieser Tweet hat seinerzeit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Akteurinnen wie Luisa Neubauer und Carla Reemtsma beweisen, dass durchaus Amateure die Zusammenhänge globaler Klimafaktoren beherrschen, konkrete Lösungsschritte entwickeln und gleichermaßen konsequent wie sachkundig Themen einbringen.
Was bedeutet dies für die Rolle und Bedeutung von Amateuren (Laien) in Kirche rund um das Thema Fehlerfreundlichkeit?
Die Laien sind die wahren Helden einer fehlerfreundlichen Kirchenkultur. Sie machen im Regelfall nicht viel Aufhebens um Erfolgsgeschichten, gehen aber genauso souverän mit Misserfolgen und Scheitern um. Noch einmal Erik Kessels: „Sie laufen nicht unbedingt Trends hinterher und können es sich erlauben, im Bereich des extrem Ungewöhnlichen nach dem Großartigen zu suchen – obwohl sie es nicht immer erkennen, wenn sie es gefunden haben“ (Kessels 2018, 43).
Die Aufgabe von Hauptberuflichen bestünde dann darin, zusammen mit Amateuren genau diese Reflexion zu leisten: Welche Faktoren tragen zum Erfolg/Misserfolg bei? Wichtig wird sein, hierbei den Erfolg im Gelingen und im Scheitern denjenigen zu lassen, denen er gebührt. Den Amateuren!
Inkrementelle versus disruptive Transformation
Zur Beantwortung der Frage, warum die Realisierung einer größeren Fehlerfreundlichkeit einer Organisation wie der Kirche schwerfällt, hilft es, sich die Unterscheidung von unterschiedlichen Formen der Innovation und das damit verbundene Innovator’s Dilemma vor Augen zu führen. Der amerikanische Forscher Clayton M. Christensen unterscheidet drei Arten von Innovation.
- Effizienz-Innovation = z. B. Verbesserung von Produktion und Vertrieb
- Inkrementelle (erhaltende) Innovation = ein gutes Produkt/eine gute Dienstleistung besser machen
- Disruptive Innovation = Transformation eines bestehenden Produktes (einfacher und billiger, so dass es sich mehr und neue Kunden leisten können)
Für etablierte Firmen und Organisationen macht es Sinn, sich auf die inkrementelle Innovation zu konzentrieren. Das, was sich bewährt hat, mache ich nach und nach besser. So agieren wir auch in Kirche regelmäßig: Die Vorbereitung der Kinder auf die Erstkommunion wird aktualisiert, in den Ferienfreizeiten werden neue pädagogische Ansätze verfolgt, die Liturgie wird zielgruppenspezifisch differenziert, die Öffentlichkeitsarbeit professionalisiert etc. Ich fokussiere mich als Organisation auf das, was ich gut kann, und entwickle dies stetig weiter. Dies Vorgehen ist für Unternehmen logisch und nachvollziehbar. Inkrementelle Innovation kostet vergleichsweise wenig und orientiert sich stark an den Anliegen und Interessen der zentralen Kund*innen. Genauso gehen wir auch in Kirche üblicherweise vor.
Inkrementelle Innovation braucht als Instrument nicht das Prinzip von trial and error, noch nicht einmal eine systematische Erfassung und Bearbeitung von Fehlern. Im Wesentlichen reicht ein wacher Blick für das zentrale Portfolio und das Bedürfnis der Stammkundschaft. Es handelt sich eher um eine behutsame, erhaltende Innovation.
Bischöfliche Ordinariate und Generalvikariate setzen in ihren maßgeblichen Strategien auf Effizienz-Innovation. Wie optimiere ich den Einsatz zurückgehender Ressourcen, ist das handlungsleitende Paradigma. Dementsprechend werden Pfarreien vergrößert, Finanzmitteleinsätze angepasst und Immobilienbestände aktualisiert. Effizienz-Innovation erfordert eine Fehlerfreundlichkeit, die sich auf die Verhältnisbestimmung von Aufwand und Ertrag beschränkt.
Folgerichtig gibt es wenig Instrumente und Erfahrungen damit, diese Form der Effizienz-Innovation auf das Thema Fehler/Scheitern hin zu reflektieren. Ich kenne zumindest keine deutsche Diözese, die in den vergangenen Jahren die Schaffung größerer pastoraler Räume als falsch eingeräumt und Pläne entsprechend revidiert hätte. Stattdessen werden diese Entwicklungsschritte nicht selten als alternativlos dargestellt. Diese Metapher fördert sicherlich keine fehlerfreundliche Kultur.
Verfolgt man die kirchenpolitische Diskussion der vergangenen Jahre, so finden sich aktuell verstärkt Beiträge, die von einer notwendigen, grundlegenden Transformationsbedürftigkeit der Kirche sprechen. Nicht nur bestimmte Erscheinungsformen und Angebote der Kirche sind erneuerungsbedürftig, sondern die Kirche als Ganze steht unter Rechtfertigungsdruck und erlebt einen rasanten Relevanzverlust. Die Autorität kirchlicher Amts- und Würdenträger schwindet im gleichen Maße und Tempo, wie Menschen für sich selbst die Autorität in Anspruch nehmen, die Frage nach dem, was Kirche ist und was den katholischen Glauben ausmacht, nach eigenem Ermessen zu beantworten. Dies lässt sich exemplarisch im Prozess des Synodalen Weges beobachten.
Disruptive Innovationen können von Organisationen bestenfalls nur ansatzweise zentral gesteuert oder strukturiert gemanagt werden.
Das Innovator’s Dilemma liegt laut Christensen darin, dass es aus Sicht einer etablierten Organisation (Kirche) wirtschaftlich keinen Sinn macht, sich der disruptiven Transformation zuzuwenden, da diese zu teuer, zu unsicher und zu wenig an den bisherigen Stammkunden orientiert ist. Durch disruptive Entwicklungen auf dem Markt der entsprechenden Angebote (in unserem Fall der Weltanschauungsmarkt) kann allerdings genau diese disruptive Transformation auf längere Sicht dazu führen, dass sich ein neues Angebot eines Konkurrenten am Markt durchsetzt und die etablierte Organisation Marktanteile verliert. Der zentrale Fehler läge dann darin, sich seines eigenen Knowhows, Wissens und seiner Marktmacht zu sicher zu sein. Mir scheint, dass diese Entwicklung sich derzeit z. B. im Kontext des Themas Tod und Trauer ereignet.
„Alle drei Arten von Innovation sind wichtig und es muss eine Balance geben. Ein Problem ist aber, dass die Effizienz-Innovation die größte Rendite bringt. Das ist hart für die Unternehmen. Denn damit können sie nicht wachsen. Entrepreneurship ist daher ein Backup-Plan für Unternehmen, weil sie sich intern nicht erneuern können. Entrepreneurship bedeutet Versuch und Irrtum und wir haben noch nicht gelernt, wie man das intern machen kann. Auch inkrementelle Innovationen sind wichtig, um den Markt am Laufen zu halten. Nur schaffen sie per Definition kein Wachstum“ (Christensen 2020).
Schaut man erneut auf unser Portfolio von Instrumenten hin zu einer fehlerfreundlichen Kirchenkultur, so kann man gemäß diesem Zitat von Christensen diese Instrumente eher der Logik des Entrepreneurship im Kontext der disruptiven Innovation zuordnen.
Zugespitzt formuliert lässt sich daher fragen: Sind unsere Ansätze von Versuch und Irrtum und die Appelle zu Experimentierfreude die falschen Instrumente für die de facto vorherrschende inkrementelle bzw. effizienzorientierte Transformation? Und wenn ja, liegt dann darin genau das häufige Scheitern begründet? Als weiteres Indiz für diese These mag gelten, dass in einer großen süddeutschen Diözese mehrere dutzend Stellen für Innovation zur Verfügung stehen, aber nicht abgerufen werden.
Im Sinne der Begriffseinführung von Christine und Ernst Ulrich von Weizsäcker gefragt: Haben wir einen angemessenen Umgang mit der Realität?
Die Konsequenz aus der Unterscheidung der Typen von Innovation und deren Bedeutung im Kontext des Themas Fehlerfreundlichkeit könnte daher heißen: Hören wir auf, flächendeckend und mit viel Zeit, Energie und Knowhow eine Vorzeigeorganisation beim Thema Fehlerfreundlichkeit werden zu wollen. Wir müssen nicht immer am großen Rad drehen, sondern sollten aus Fehlern im Alltagsgeschäft lernen. Konsequent kleine Schritte gehen und diese reflektieren ist womöglich die erfolgversprechendere Strategie.
Pfadabhängigkeit und Pfaddurchbrechung
Der Begriff Pfadabhängigkeit beschreibt die Tatsache, dass einzelne handelnde Personen, aber auch Organisationen in der Gestaltung ihrer Verfahrenswege nicht vollkommen frei sind. Diese werden im Wesentlichen durch erlernte, bewährte und bekannte Vorgehensweisen bestimmt. Es wird auf ein Verhaltens-Portfolio zurückgegriffen, das sich in der Vergangenheit als hilfreich erwiesen hat.
„Pfadabhängigkeit bedeutet, dass durch frühe Ereignisse und Entscheidungen Maßnahmenpfade geprägt wurden, welche einen bleibenden Einfluss auf nachfolgende Ereignisse und Entscheidungen besitzen“ (Johnson/Scholes/Whittington 2011, 237).
Diese Pfadabhängigkeit gilt auch für Organisationen wie die Kirche.
„Jede Organisation ist ein individuelles Gebilde und verfügt über eigene Traditionen, Werte und Eigenschaften. Diese Bedingungen, seien sie historisch gewachsen oder Ergebnis einer vorübergehenden Konstellation, prägen auch die Art und Weise der Gestaltung von System-Management. Bestimmte, historisch gewachsene oder vom jeweiligen NPO-Typ (Nonprofit Organisation) abhängige Eigenschaften und Merkmale lassen bestimmte strukturelle Lösungen oder Vorgehensweisen (Abläufe, Prozesse) nicht zu oder verlangen ganz bestimmte Lösungen und schließen andere von vorne herein aus. Diesen individuellen System-Bedingungen hat das Management einer NPO Rechnung zu tragen“ (Gmür/Lichtsteiner/Schwarz 2013, 86).
Dies gilt auch für den Umgang einer Organisation mit dem Thema Fehler/Scheitern. Wie bereits oben erwähnt, gibt es erlernte Verhaltensweisen, wie mit Fehlern im System Kirche umgegangen wird. Diese tradieren sich, unabhängig davon, ob sie angemessen und zielführend sind.
Zur Gefahr für die Zukunft einer Organisation wird diese Pfadabhängigkeit dann, wenn der erhöhten Veränderungsdynamik des Umfeldes mit den immer gleichen Strategien begegnet wird. So entsteht eine immer größere strategische Drift, die die Gefahren der Pfadabhängigkeit deutlich macht. „Ebenso können pfadabhängige Fähigkeiten, die tief in der Vergangenheit verwurzelt sind, immer starrer innerhalb einer Organisation werden. Pfadabhängigkeit wird manchmal als ‚Furchen in einer Straße‘ beschrieben. Mit jedem Wagen, der darüber rollt, werden sie tiefer und tiefer“ (Johnson/Scholes/Whittington 2011, 241).
Für den Themenbereich Fehler/Scheitern kann dies zur Folge haben, dass Anspruch und Wirklichkeit der Organisation immer weiter auseinandergehen, Mitarbeitende wahrnehmen, dass anderen Organisationen der Umgang mit Fehlern besser gelingt, Bewerbende sich eben nicht für einen Arbeitsplatz bei Kirche entscheiden. So konstatierte eine Fachkollegin, die in ihrem Fachgebiet in eine kommunale Einrichtung wechselte, dass sie dort so viel Wertschätzung, Anerkennung und Feedback erfahren hat wie noch nie.
Mit dem Begriff der Pfadkreation bzw. Pfadbrechung wird demgegenüber in jüngster Zeit versucht darzustellen, dass trotz dieser Gefahr einer größer werdenden Pfadabhängigkeit die Möglichkeit besteht, diese bewusst zu durchbrechen und die strategische Drift zu verringern.
Garud und Karnøe sprechen im Konzept der Pfadkreation Akteuren die Möglichkeit und Fähigkeit zu, eine absichtsvolle Abweichung (mindful deviation) von bisherigen Pfaden vornehmen zu können, um besser auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren zu können. „Entrepreneurs may intentionally deviate from existing artifacts and relevance structures, fully aware they may be creating inefficiencies in the present, but also aware that such steps are required to create new futures. Such a process of mindful deviation lies at the heart of path creation“ (Garud/Karnøe 2001, 6).
Die Aufgabe, Verantwortung und die Möglichkeit, solche absichtsvollen Abweichungen beim Thema Fehlerfreundlichkeit zu initiieren, hierzu zu ermutigen und diese auch gegen Widerstand durchzusetzen, liegt bei Leitungsverantwortlichen.
Hier gilt es, persönlich voranzugehen und beispielgebend zu handeln. Der Chef/die Chefin muss eigene Fehler (öffentlich) eingestehen, Mitarbeitenden glaubhaft vorleben, dass Fehler zur Arbeit dazugehören, und für sich selbst Räume der persönlichen Fehlerreflexion schaffen.
Was wir könnten, wenn wir wollten
Die drei entfalteten Aspekte geben wesentliche Hinweise für eine veränderte Fehlerkultur in Kirche.
Wir vertrauen auf die Kompetenz der Laien auch im Kontext des Themas Fehler und Scheitern, wir wählen die unserer Situation und Organisationsform angemessenen Instrumente und machen nur diejenigen zu Führungsverantwortlichen, die in der Lage und bereit sind, selbst Vorbilder einer veränderten Fehlerkultur zu sein oder zu werden.
So banal sich dies anhört, so herausfordernd wird es in der Praxis sein. Was hier, wie so oft, hilft, ist ein gutes Maß an Demut und Bescheidenheit, gepaart mit dem festen Willen zur Veränderung und der Bereitschaft, nicht auf andere zu warten, sondern selbst den ersten Schritt zu gehen – manchmal gegen jede Tradition und Erfahrung.