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Fehler in Organisationen

„Fehler in Organisationen gibt es nicht“, beginnt Jan-Christoph Horn seinen Beitrag zugespitzt – um daraufhin darzulegen, dass Fehler aus systemtheoretischer Sicht eine Weise der Betrachtung sind. Ein Plädoyer für eine andere „Fehlerkultur“, gerade auch in der Organisation Kirche!

Fehler in Organisationen gibt es nicht.

Das ist für einen Beitrag über Fehler in Organisationen ein interessanter Beginn. Um dem möglicherweise jetzt kommenden Einwand, dass diese Aussage ein Fehler sei, zuvorzukommen, führe ich die Gedanken hinter der Aussage aus und beleuchte ihre praktische Relevanz – auch für die Organisation von Kirche.

Mit dem vorgestellten Verständnis verändert sich nämlich die Weise, den Umgang mit Fehlern in Organisationen zu organisieren: Die Kategorie „Fehler“ wird irrelevant für das Gelingen von Organisationen.

1.

Systemtheoretisch gedacht gibt es keine Reproduktion von Prozessen, sondern nur Prozesse der Reproduktion. Als Folge gibt es keine Fehler in einem einwertigen Sinn, als Abweichung von einer vorgefundenen Input-Output-Regel (vgl. Gairing 2017, 92 f.).

Ein Fehler ist kein „Ding“, dass irgendwo darauf wartet, gemacht zu sein. Vielmehr entstehen Fehler in dem Moment, in dem man von einem Fehler spricht. Fehler sind die Konstruktion eines Beobachters, kein Strukturmerkmal z. B. einer Organisation. Fehler sind nicht die Folge, sondern die Erwartung des Widerspruchs zwischen zwei Zuständen. Womöglich wartet ein Beobachter darauf, dass ein Fehler gemacht wird. Aber das sagt dann mehr über den Beobachter als über seine Beobachtung.

Fehler sind also nur durch Beobachtung existent. Wer weiß, wie viele Fehler wir entdecken würden, wenn wir hinschauten. Aber wir schauen nicht hin und deswegen gibt es die Fehler als Fehler nicht. Die Beobachtung ist vor dem Fehler, nicht umgekehrt. Das erklärt, warum manche bei einer Beobachtung von einem „Fehler“ reden und kritisch gucken und andere über das identische Phänomen voller Begeisterung als „Innovation“ sprechen.

Beispiel? Wenn sich Getaufte und Gefirmte versammeln, Wort und Brot miteinander teilen, ja sogar unter sich besprechen, was das Wort der Schrift für sie bedeuten soll, und das Brot dankbar auf Gott hin segnen und seine liebende Verbundenheit darin schmecken, sagen manche „Fehler! Liturgische, sakramentale und amtliche Anmaßung“ und andere sprechen von einem theologisch gerechtfertigten Erwachen der Kirche in der Seele der Menschen und an den Orten und Gelegenheiten der Lebenswirklichkeit, in die hinein sich Gott offenbart, inkarniert, schöpferisch und geistlich wirkt. Wer hat Recht? Ziehen wir alle Vor‑Annahmen ab, ist es eine unentscheidbare Frage. Eine Frage der Perspektive, eine Frage der Beobachtung.

Also: Fehler sind Beobachtungen in einem Sinn- und Kommunikations- und eben auch Organisations-System, welche nur durch Beobachtung existent sind. Auslöser der Fehler-Wahr(!)nehmung ist eine beobachtete, konstruierte, wortspielerisch formuliert: durch Einbildung ausgebildete Wirklichkeit. Kognitionen erzeugen Wahrheiten, nicht umgekehrt. Fehler sind ein aus einem Erwartungswiderspruch beobachtetes Ereignis, verstanden als Fehler. Die Betrachtungsweise lautet: Nicht Systeme erschaffen Fehler, sondern Fehler erschaffen ein System (vgl. von Schlippe/​Schweitzer 2016, 102). Es sind überall Fehler, solange ich auf Fehler schaue. Wo jemand sagt: „Das ist ein Fehler!“ sei also die Rückfrage erlaubt: „Wer sagt das? Und welchen Sinn ergibt das für dich?“

Dass es Fehler nicht gibt, meint nun nicht, dass Fehler eine Erfindung sind. Nein, Fehler sind Wirklichkeit. Denn wenn etwas als Fehler bezeichnet wird, hat das eine Wirkung, führt zu Folgerungen und Folgen. Die Sinnkonstruktion „Das ist ein Fehler“ materialisiert sich – zum Beispiel in Präventions- und Interventionskonzepten angesichts sexuellen Missbrauchs in Kirche und der Organisation des Umgangs mit Sexualität in der Organisation von Kirche insgesamt. Sie materialisiert sich, weil bestimmte Wirkungen in einer Beobachtung im Unterschied zu früher als Fehler bezeichnet werden. Es ist nur eben so, dass die Bezeichnung einer Beobachtung und dass eine Beobachtung überhaupt bezeichnet wird eine Wirkung hat, nicht der beobachtete und bezeichnete Gegenstand als solcher. Deswegen kann man – auch wenn es menschlich/allzu menschlich verständlich ist – auch nicht einfach fordern: „Es soll aufhören“, sondern meine Unterscheidung: „Sexueller Missbrauch ist ein Fehler“ fordert mich auf, diesen Unterschied zu materialisieren. Zum Beispiel politisch mit Aufklärung und Protest, emotional mit Wut und Aggression, „handfest“ mit Anklagen, Aufklärungsarbeit, Kirchenaustritt.

Ein verantwortlicher Umgang mit Fehlern in der Wirklichkeit der Wirklichkeit bedeutet, dass jeder Beobachter für die Folgen ihrer und seiner Beobachtung verantwortlich ist, denn man kann Beobachtungen zwar teilen, aber nicht abgeben. Auch nicht die Folgerungen aus Beobachtungen. Alltagssprachlich ist das der Unterschied zwischen einer „Sonntagsrede“ und dass jemand am Montag auch Konsequenzen zeitigt. Wer „A“ sagt, muss halt auch „A“ machen.

2.

Was bedeutet dieses Verständnis für die Arbeit mit und in Organisationen, konkret auch der Organisation von Kirche?

Mit der Hinzunahme der Beobachtung in das Konzept des Fehlers wird jedem ontologischen Gehalt des Verständnisses von Fehlern der Garaus gemacht. Fehler verlieren den Duktus des Vorwurfs oder der Pathologie, denn sie folgen nicht aus der trivialen Verkettung von Umständen, sondern entstehen aus einer nicht-trivialen Verkettung von Umständen (vgl. von Foerster/​Pörksen 2016, 54–59).

Wohin führt es auch, sich mit letztlich kausal-normativen Fragen über Fehler (welche gibt es? Welche sind gut? Welche sind schlecht?) zu beschäftigen? Genau, da kann man es nur falsch machen. Es sei denn, man möchte etwas behaupten. Zum Beispiel sich und die eigene Macht.

Fehler, so verstanden, verlieren ihren schlechten Ruf. Kontinuierliche Fehlerproduktion wird geradezu Bedingung von Veränderung. Es wird sinn‑voll, mit der Produktion von Fehlern nicht aufzuhören, also Erwartungsunterschiede deutlich zu machen, um diese anders entscheiden zu können. Gut wäre lediglich, nicht immer die gleichen Fehler zu machen, sondern unterschiedliche, überall, breit gestreut. So in etwa: „Kommt, lasst uns neue Fehler machen. Die anderen kennen wir schon.“

Die gerne beschworene „Fehler-Kultur“ in Organisationen ist dann tatsächlich als Kultur zu verstehen, als Basisannahme, Prämisse, Voraussetzung: „Wir werden Fehler machen. Und sind darauf angewiesen.“ Fehler kultivieren – darum geht es. Nach dem Sinn der Fehlerkultur in Organisationen gefragt ist jedoch häufiger dies zu hören: „Wir pflegen einen kultivierten Umgang mit Fehlern. Wir verzeihen, wir nehmen Fehler nicht krumm“.

Aus organisationsentwicklerischer Sicht ist das ein Fehler, weil es die „Produktion“ von Fehlern unterminiert. Wo eine Organisation zu solcher Fehler-Kultur einlädt, entsteht vielmehr eine Machtasymmetrie. Denn die Organisation – vertreten durch deren Leitbilder und/​oder Führungskräfte, im Falle der Organisation von Kirche zudem durch eine transzendent (mit anderen Worten: undurchsichtig) legitimierte Führung, während immerhin das als „Leitbild“ verstandene biblische Offenbarungswerk nach theologisch heiß umkämpften Diskursen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, mit den verbliebenden Ausnahmen in der amtlichen Auslegung der Schrift, dem „Volk Gottes“ gehört – behält doppelt gesichert die Oberhand: Sie bestimmt, was ein Fehler ist und wie lange und für wen die Erlaubnis gilt, auf diesen Fehler aufmerksam zu machen. Das ist eine toxische Struktur selbstbestätigender Koppelung. Konkret: Wenn freiwillig Engagierte eingeladen sind, sich bei Bedarf an eine Beschwerdestelle der bischöflichen Behörde zu wenden, aber Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörde sich erst an den Dienstvorgesetzten wenden sollen, bleibt die Kommunikation über Beobachtungen in Teilen kontrolliert. Was für eine Kultur ist das denn?

Während es im hier vorgestellten Konzept von Fehlern in Organisationen also keine „guten“ oder „schlechten“ Fehler gibt, gibt es durchaus einen differenziert zu betrachtenden Umgang mit der Beobachtung von Fehlern in Organisationen. Über Fehler in Organisationen zu reden, kann dabei wenig produktiv sein, sogar gefährlich. Aber das liegt nicht am Fehler und seiner Beobachtung. Sobald Fehler nicht zu mehr konstruktiver Kommunikation in der Organisation führen, sondern zu weniger Konstruktivität und/​oder Kommunikation, ist aus der feierlich verkündeten Fehlerkultur ein Machtphänomen geworden. Wenn gewinnt, wer am meisten Fehler benennt, oder verliert, wer Fehler benennt, geht es nicht mehr um Erwartungswidersprüche in der Konstruktion organisationaler, auch kirchlicher, Wirklichkeit. Dann geht es nicht mehr um Fehler als Bedingung einer Rekonstruktion von Sinn, dann geht es um das Falsche, bei dem irgendwer schon gesagt hat, was es sei.

3.

Eine Organisation – auch die Organisation der Kirche – wird also nicht aus der Beobachtung von Fehlern etwas lernen, sondern aus der Beobachtung von Fehlern (vgl. Kleve/​Wirth 2019, 34): Was sind Prämissen einer Beobachtung, an dessen Ende die Bewertung „Fehler!“ steht? Was funktioniert da und sorgt für sich? Im gesicherten Lernraum der Beratung kann, um den Sinn eines Fehlers zu verstehen, dann eine paradoxe Verstärkung geraten sein: „Machen Sie bitte diesen oder jenen Fehler immer wieder.“

Daraufhin beginnt ein aufklärerischer und auch emanzipatorischer Suchprozess. Ziel dessen ist es nicht, Fehler als Problem zu eliminieren – organisationspsychologisch gesprochen: sie abzuwehren –, sondern sie als sinnvolle Lösung für irgendetwas anderes zu verstehen. Man muss das Problem erst lieben, bevor es sich lösen lässt.

Fehleranalyse wird weniger Controlling und mehr Introspektion und Interkommunikation sein. Statt „Wie machen wir den Fehler weg?“ stellt sich die Frage: „Wieso sehe ich da einen Fehler?“ Es gibt keinen Nicht‑Sinn, nur Unsinn – als Folge einer Beobachtung. Es gilt, den beobachteten Unsinn zu verstehen, anstatt Fehler zu einem Nicht‑Sinn zu erklären. Damit würde man abkürzen. Dabei erweitern Umwege die Ortskenntnis. Beobachtete Fehler lassen sich auch nicht „wegmachen“, weil man nie hinter die gemachte Beobachtung zurückkommt. Es sei denn, man macht den Beobachter weg. Was durchaus geschieht.

Wenn Fehler nicht einfach da sind, sondern entstehen, weil Dinge verknüpft werden, dann lösen sie sich nicht durch Ignoranz oder Tabuisierung auf, sondern durch neue, andere Verknüpfungen. Und es wäre absurd zu meinen, diesen oder jenen Umständen ausgeliefert zu sein. Wenn ich in der Lage bin, einen Fehler zu produzieren, kann ich auch in die Lage kommen, es nicht mehr zu tun.

Die Kommunikation über Fehler in Organisationen sollte sich also dergestalt verändern, dass sich die Kommunikation über Fehler in Organisationen verändert, ja, die Kommunikation in der, vielmehr über die Organisation als Ganzes. Hin zu einem Gespräch zwischen Steuerfrauen und ‑männern (griechisch kybernetikos), die sich über ihre Vorstellungen von Organisation austauschen. Vorstellungen sind Imaginationen und bilden innere Landkarten, die – in Abhängigkeit von Schiffstyp und Wetter – Navigationsimpulse für Steuerung setzen.

In diesem Sinn muss eine Führungskraft in einer Organisation nach dem Aufwachen am Morgen erst einmal schauen, ob die eigene Organisation noch da ist. Damit sind nicht die Aktienkurse, Bürogebäude oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeint, sondern die Konstruktion der Organisation in den eigenen emotionalen und mentalen Kognitionen.

Angenommen also, ein Bischof wacht morgens auf und denkt sich: „Ab heute brauche ich keinen Dienstwagen, keinen Privatsekretär, keine Hauskapelle und keine Soutane mehr“ – das verändert etwas. Ohne jedweden Kirchenentwicklungsprozess, der sich z. B. die Fehler in der Organisation vornimmt. Solche Prozesse verändern als Prozess selbst gar nichts, denn ein Prozess hat kein „Selbst“. Aber veränderte Erfahrungen, die Beobachter machen, können eine Veränderung ihrer Kognitionen bewirken. Gelingende Projekte der Kirchenentwicklung stoßen deswegen die Reflexion emotionaler und mentaler Kognitionen an – die Wahlmöglichkeit, anders entscheiden zu können. Auf diese Weise werden auch „Fehler“ nicht im System, sondern als System bearbeitet.

Die Beobachtung eines Fehlers in Organisationen hängt schließlich auch vom Kontext der Beobachtung ab. Etwas Identisches kann hier richtig und da falsch sein. Man denke an einen Menschen mit Stärken und Schwächen, die nur bezeichnet werden können durch einen Kontext, in dem sich diese zeigen: Ein konzeptionell denkender Mensch, der komplexe Zusammenhänge sprachlich abbilden kann, wird sich in die Erstellung eines Katechesekonzepts anders (besser?) einbringen als in das Bierzapfen auf dem Gemeindefest nach 22 Uhr. Zur Bewältigung vermeintlicher Fehler ist die Ordnung der Kontexte, in denen Fehler (angeblich) auftreten, also sinnvoll. Sinnvoller, als benannten Menschen als „leider nicht brauchbar“ auszugrenzen. Die Organisation von Kirche war jedoch nicht immer kontextsensibel – ist nur eine Beobachtung …

4.

Eine erwartbare Anfrage an das vorgetragene Konzept von „Fehler“ gehört geklärt: Was ist mit Entscheidungen, die einen entscheidenden Unterschied gemacht haben und später als Fehler bezeichnet werden? Ich kann jemand töten (… missbrauchen, ohnmächtig machen, nicht zur Ordination zulassen …) und später sagen: „Heute erkenne ich an, dass meine damaligen Konstruktionen von Beobachtungen bestimmt waren, die ich heute anders tätige und weswegen ich zu anderen Entscheidungen komme.“ Aber die damalige Entscheidung hatte in der Folge eine Wirkung auf autopoetische Kreisläufe, deren Selbstproduktion durch eine Intervention nachhaltig verändert wurde. Meint: Menschen sind tot, missbraucht, traumatisiert, beschämt, um eine bestimmte Berufsbiographie gebracht. Nicht, weil das jemand bewusst wollte, aber weil ein Handeln A in einem Handlungskreis B einen Unterschied gemacht hat.

Wenn sich ein Bischof also nachträglich zu seinen Fehlern in der Personalführung bekennt und bei den Opfern sexualisierter Gewalt entschuldigt, verändert das noch lange nicht die Selbstproduktion der Opfer als Opfer. Freilich kann es einen Unterschied machen, weswegen wohl jede Entschuldigung besser ist als keine. Aber es ist nicht kausal gesetzt, dass es damit erledigt ist. Oder wenn sich Frauen, denen sich eine priesterlich-zölibatäre Lebensform für sich geistlich erschließt, oder sich nach einer Lebens- und Liebespartnerschaft sehnsuchtsvoll sehnende Priestermänner zu anderen christlichen Kirchen hin orientieren und es dann heißt: „Unsere bisherige Dogmatik war ein Fehler“, kommen diese Frauen und Männer nicht zwangsläufig zurück, weil sich ihre Sinnproduktion an einer früheren Stelle von der damaligen Kirche entkoppelt hat.

Heißt: Fehler als konstruierte Beobachtungen zu verstehen ist zeitlos, die Wirkung aber immer in Zeit, Personen, Regeln, Organisationen eingebunden. Was passiert ist, ist passiert. Wenn sich ein Bischof Opfern sexualisierter Gewalt gegenüber nicht länger als Opfer der Umstände bezeichnet, sondern die Bedeutung der geschehenen Tat integriert, wird die Sinnkonstruktion „Fehler“ oder „nicht (mein) Fehler“ ergänzt. Sie wird um eine neue Beobachtung erweitert. Dem entspricht, dass sich Opfer sexualisierter Gewalt keine Zeitreise vor die erlebte Tat wünschen und den heutigen Führungskräften nicht den Tod, sondern dass etwas gelernt und aus dem Gelernten gehandelt wird. Keine Fehler zu machen, bleibt keine Alternative, aber aus den Fehlern nichts zu machen auch nicht.

Es gibt eine geistliche Entsprechung: Im biblischen Schöpfungshymnus wird erzählt, wie Gott Unterschiede bezeichnet. Von dieser Geschichte des Anfangs aus lesen wir in der ganzen Bibel, dass die Geschichte der Menschen mit Gott einer fortwährenden Ausgleichsbewegung im Gefolge dieser einmal getroffenen Unterschiede gleicht. Diese Ausgleichsbewegungen lassen sich in der Kirchengeschichte weiterverfolgen und sollten auch die Organisation von Kirche unserer Tage auszeichnen. Nicht nur auf Jahrhunderte oder Dekaden bezogen, sondern all‑täglich.

5.

Fehler, die man beobachtet, können also Anstoß für Veränderung sein. Missverstanden wäre es, wenn man dabei nach dem Gegenteil des Fehlers sucht. Vielmehr gilt es – im Rückgriff auf das Formenkalkül von George Spencer Brown –, nach dem Sinn der Konstruktion des Fehlers zu schauen, also die Einheit der Unterscheidung zwischen Fehler und Nicht‑Fehler sichtbar zu machen, den Zusammenhang dessen, in dem ein Beobachter dann sagt: „Und so ist es richtig.“ Sinnbildlich kann man sich vorstellen, mit der Autorin oder dem Autor des Stücks zu sprechen, das als Dialog zweier Positionen auf der Bühne gespielt wird. Es kennzeichnet systemisches Denken, dass die Auflösung von A nicht Nicht‑A ist. Mehr Nicht‑A reproduziert, ja, stabilisiert vielmehr A, obwohl es das Gegenteil ist (vgl. von Schlippe/​Schweitzer 2016, 108).

Beispiele: Eine Theologie der Freiheit des Menschen braucht Schuld als Bedingung der Rede von Freiheit, die Schuld überwinden möchte. Und wer über Fehler in Organisationen nicht mehr reden möchte, muss aufhören, darüber zu reden, nicht mehr über Fehler in Organisationen reden zu mögen. Auch progressiv denkende Kritikerinnen und Kritiker feudal-absolutistischer Kirchenkultur stabilisieren ein Fehlersystem, dessen Auflösung sie erhoffen, wenn sie immer wieder konsternieren: „Die Fehler in der Organisation von Kirche sind diese und jene.“ Gleiches gilt natürlich im kirchenpolitisch umgekehrten Fall. Deswegen läuft der Synodale Weg so, wie er läuft: Weil jeder Beobachter nur die eigenen Beobachtungen reproduziert, etabliert sich das Richtige als das Gegenteil des Falschen. Es wird gesetzt, dass ein Problem „da war“ und nicht durch eine Beobachtung – die auch eine andere hätte sein können – entstanden ist. Der Weg, dieses Paradox durch geistliche Unterscheidungsmethoden zu lösen, ist auch aus systemischer Sicht gewinnend und die Ähnlichkeit der theologischen Grundierung dieses Tuns in Trinitätslehre, Pneumatologie und Ekklesiologie mit dem systemischen Denken interessant (siehe dazu meine Überlegungen in Horn 2022). Dieser Weg wird gelingen, wenn die geistliche Unterscheidung nicht nur als Methode, sondern als Instrument der Selbstaufklärung verstanden wird: „Beobachte deine Unterscheidungen. Entdecke andere Unterscheidungen. Das hat dein System dann bereits verändert.“

6.

Fehler in Organisationen gibt es nicht. Fehler sind kein Zustand, sondern sie ereignen sich. Sie sind Wirkung in Folge einer Beobachtung.

Ich möchte einladen, im Zugehen auf Fehler in Organisationen einwertige Lösungen – eine Sache kann nur eine Sache sein – fallen zu lassen. Die Frage, was Wahrheit ist, und der Geist, der weht, wo er will, öffnen geistlich-theologisch den Raum dafür.

Da, wo sich Beobachter über ihre Beobachtungen austauschen, ist der produktive Umgang mit „Fehlern“ in Organisationen grundgelegt. Er ist auch der Organisation von Kirche zu wünschen. Das wäre kein Fehler.