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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser!

Fehler zu machen, hat in letzter Zeit eine zunehmend gute Presse. Vielleicht nicht gerade in der Schule, wo die Lehrer:innen nach wie vor auf Fehlersuche gehen bei den Arbeiten der Schüler:innen und davon die Noten abhängig machen. Aber in vielen Organisationen spricht man mittlerweile von Fehlerfreundlichkeit und dass man aus Fehlern lernen kann. Man kann vielleicht sogar einen Trend hin zu einer „Kultur des Scheiterns“ beobachten: In Fuckup-Nights erzählen Unternehmensgründer:innen von beruflichen Misserfolgen; CVs of failures/​Lebensläufe des Scheiterns berichten über diejenigen Dinge im Lebenslauf, die nicht von Erfolg gekrönt waren. Fehler und Scheitern werden so als notwendige Erfahrungen gesehen, die mitunter der Schlüssel zum Erfolg sein können. Mehr Mut zum Scheitern wird propagiert.

Wird also so aus einem sozialen Makel eine Vorzeigeleistung? Ganz so einfach ist es nicht. Auch wenn es mancherorts als schick angesehen wird, über die eigenen Fehlleistungen zu sprechen, sind Fehler und Scheitern doch oft noch tabuisiert. Die meisten Menschen reden nur ungern über die eigenen Rückschläge und Misserfolge. Es wird auch davor gewarnt, Fehler nun zu glorifizieren oder gar einen Freibrief für Fehler, schlechte Leistung oder Unfähigkeit auszustellen. Immerhin kann man sich wohl darauf einigen, dass ein Unternehmensklima, in dem Angst vor dem Scheitern herrscht, eine lähmende Wirkung entfalten kann und daher verändert werden sollte.

Wir haben verschiedene Autor:innen aus kirchlichen und theologischen Kontexten gebeten, uns ihre Perspektive auf das Thema Fehler und Scheitern zu schildern. Jan-Christoph Horn bietet aus systemtheoretischer Sicht eine Perspektive an, die Fehler nicht als etwas quasi ontologisch Gegebenes ansieht. Sie sind nicht einfach da, sondern entstehen erst durch die Konstruktion eines Beobachters. Die Produktion von Fehlern ist dann geradezu die Bedingung von Veränderung, da ihre Analyse nicht zu einem verstärkten Controlling führen soll, sondern zu mehr Introspektion und organisationsinterner Kommunikation, zum Austausch über Beobachtungen und Unterscheidungen. Andreas Fritsch stellt nüchtern fest, dass es der Organisation von Kirche schwerfällt, eine größere Fehlerfreundlichkeit zu verwirklichen. Damit zusammenhängend sind wirklich disruptive Innovationen im kirchlichen Kontext selten, realistisch sind eher effizienzorientierte, inkrementelle Transformationen. Helfen könnte der Blick auf die Laien als die „wahren Helden einer fehlerfreundlichen Kirchenkultur“.

Die Perspektive des Individuums nimmt Ralf Lutz ein. Aus psychologischer Sicht nennt er Rahmenbedingungen und Strategien im Umgang mit Scheitern. Auch der christliche Glaube kann Potenziale eröffnen: Umkehr und Reframing ermöglichen, Sinn trotz und im Scheitern entdecken lassen und aus Verstrickung und Lähmung befreien. Im Idealfall können Kirchen Orte des heilenden und produktiven Umgangs mit Scheitern eröffnen. Als systematische Theologin weist Sibylle Trawöger darauf hin, dass man dem Scheitern trotz Versuchen, es zu umgehen oder abzufedern, nicht entgehen kann. Es ist ein Widerfahrnis mit großer Bandbreite und hoher Ambivalenz, mit widersprüchlichen und paradoxen Momenten. Es bleibt bei der Gratwanderung zwischen einem Bruch, dem der Metanoia-Aufruf innewohnt, und dem unabwendbaren Abbruch mit dem Tod.

Bernd Ruhe steuert eine biblische Perspektive bei, indem er Fehler und Scheitern im frühjüdischen Buch Judit analysiert, sowohl bei den Israeliten, die im Verlauf ihr Vertrauen auf Gott aufgeben, als auch bei den Vertretern der militanten Großmacht, Nebukadnezzar und Holofernes. Indem Judit die Geschichte ihres Volkes anders deutet, wird sie zur Befreierin aus der Macht des Aggressors. Aus kirchengeschichtlicher Sicht blickt Bernward Schmidt auf das Thema Fehler, nämlich auf die Vorstellung des Unfehlbarkeitsdogmas von 1870, das päpstliche Lehramt mache – unter bestimmten Bedingungen – gerade keine Fehler. Bis heute wirkt so eine „immunisierende“ Ekklesiologie weiter, die es kirchlichen Amtsträgern schwer macht, Fehler einzugestehen.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre, die kein Fehler gewesen sein möge!

Ihr