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Kirche anders

Kongress der deutschsprachigen Pastoraltheologen und Pastoraltheologinnen

„Kirche anders“ – ein mehrdeutiger Titel, mit dem der Kongress der deutschsprachigen Pastoraltheologen und Pastoraltheologinnen Anfang September in Wiesbaden-Naurod überschrieben war. Doch egal, ob man ihn aus historischer, soziologisch-empirischer oder theologisch-normati­ver Perspektive liest, ist es ein Thema, das viele Diskussionslinien zu­sam­menführt, die gegenwärtig die Pastoraltheologie bestimmen. Kon­kret wurde nach den Sozialformen, nach den beteiligten Personen und nach der Katholizität, also der Frage nach Einheit und Vielfalt, gefragt.

Drei Schlaglichter seien aus den vielen Impulsen des Kongresses hervorgehoben:

Thomas Schlegel, evangelischer praktischer Theologe aus Erfurt, be­schrieb Begleitumstände (also nicht Bedingungen!) innovativer kirch­licher Sozialformen und bezog sich dabei auf Beispiele aus ländlichen, peripheren Räumen in Ostdeutschland. Wichtig sind zunächst Schlüs­selpersonen, die als Ideengeber oder Netzwerker fungieren, bei denen die Fäden zusammenlaufen, die sich aber nicht in den Vordergrund stel­len, sondern die Fähigkeit zur Kooperation haben. Doch wird schnell deutlich, dass diese Einzelnen für erfolgreiche Innovationen nicht aus­reichen und alleine wenig ausrichten können. Es braucht eben auch ein Team (meist von Ehrenamtlichen), das miteinander auf Augenhöhe um­geht und mit Engagement und persönlichem Interesse bei der Sache ist. „Weiche“ Faktoren spielen eine große Rolle, also Atmosphären und Hal­tungen wie Spaß, Beharrlichkeit, Agilität und Offenheit. Natürlich sind auch Ressourcen wie Finanzen oder Immobilien unabdingbar, aber als solche keine Gewähr für das Zustandekommen von Innovationen. Ent­scheidender ist letztlich die innere Motivation, für eine veränderte Praxis zu arbeiten, weil eine Spannung empfunden wird zwischen der derzeiti­gen Wirklichkeit und dem Wunsch, wie sie eigentlich sein sollte. Oft­mals gibt es einen Impuls von „oben“ oder „außen“, der die Innovation ins Laufen bringt. Es geht also nicht darum, dass man selbst eine ganz neue, originelle Erfindung macht, sondern darum, bereits Bestehendes oder Erfundenes in einem anderen Setting neu zu denken – kurz gesagt: Es geht um Transfer statt um völlige Neuschöpfung.

Ottmar Fuchs, emeritierter Tübinger Pastoraltheologe, nahm in seinem Impuls eine gnadentheologische Relativierung von Kirche vor. Er wendet sich darin gegen quasi magische, tendenziell pelagianistische Vorstel­lun­gen, die davon ausgehen, sich das Heil durch eigenes Tun, durch eige­nes Verdienst erwerben zu können. Kirche ist nicht notwendig für das Heil, sie ist höchstens notwendig für die Erfahrung von Heil. Die Liebe Gottes aber ist uns von ihm selbst her immer schon gesichert, selbst dann, wenn wir nichts davon wissen. Gott als das Absolute geht über uns, über die Relation zu uns und über unsere Korrelationsversuche hin­aus. Dies hat zur Konsequenz, dass die Gnadenordnung die Kirchenord­nung bestimmt und nicht umgekehrt; der Leib Christi ist nicht identisch mit den herrschenden Ausformungen von Kirche. Kirche ist als eine dis­perse Kirche zu denken, die sich ohne Kontrollmechanismen und bedin­gungslos in die Welt hinein zerstreut. Die Taufe des Äthiopiers in Apg 8 gibt ein Beispiel: Das Heil findet der Kämmerer nicht auf der Wallfahrt in Jerusalem, sondern in der Diaspora („Zerstreuung“), in der Periphe­rie. Die Wirklichkeit als sakramental zu verstehen, bedeutet das Ver­trauen, dass die Zerstreuten nicht im Stich gelassen sind, sondern dass es sicher ist, dass Gott bei ihnen ist.

Jürgen Maubach, Gemeindereferent in der Pfarrei St. Franziska in Aachen, stellte die verschiedenen Angebote dieser Pfarrei vor, insbeson­dere „Zeitfenster“, eine Gemeinde, die sich an „moderne Erwachsene“ richtet und u. a. durch die monatlichen Zeitfenster-Gottesdienste am Freitagabend überregionale Bekanntheit erlangt hat. Zeitfenster geht es aber nicht nur um ein neues Format, sondern um eine neue Art, Kirche zu sein. Am Anfang standen die eigene Unzufriedenheit mit den kirch­lichen Angeboten und der Gedanke, dass es anderen vielleicht genauso geht. Außerdem war klar, dass neue Milieus nicht in die alten Gemein­den integriert werden konnten, sondern dass etwas Neues zu schaffen ist: Die Krise ist zu gravierend für einige oberflächliche Korrekturen. Wichtig war, sich über die Motivation und die Ziele des Engagements klar zu werden. So entwickelte sich Zeitfenster als Name und als Pro­gramm: Es geht (im Bewusstsein eines engen Zeitbudgets vieler Men­schen) um „Zeit für Gott und die Welt und mich“. Wichtig ist im Hin­tergrund die Zusicherung des Bischofs von Aachen, dass es sich um ein Experiment handelt, das auch scheitern kann – und das wäre nicht schlimm. Für praktisch-theologisches Handeln lässt sich aus „Zeitfen­ster“ lernen, dass v. a. die kirchenleitende Ebene sensibel sein muss für „Ekklesiopreneure“, sie suchen und fördern muss. Und immer steht die ekklesiologische Frage im Hintergrund: Betrachte ich Kirche als Institu­tion, deren Mitgliedschaftsbedingungen klar zu umreißen sind, oder als Volk Gottes, zu dem alle Menschen berufen sind und dem alle Men­schen guten Willens angehören?