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Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie

„Es gilt als Faktum anzuerkennen, dass auch christliche Religiosität entgegen ihren Idealen extremismusgefährdet ist“ (28). Nach ihrer „Handreichung für Gemeindearbeit und kirchliche Erwachsenenbil­dung“ „Rechtsextremen Tendenzen begegnen“ legt Sonja Angelika Strube nun mit einem Sammelband nach; war die Handreichung (besprochen in euangel 3/2014) bewusst einfach und leicht verständlich gehalten – was zu Lasten der Informationsdichte ging –, so bewegt sich der gut zu lesende Sammelband auf akademischem Niveau. Das Anliegen ist aber ähnlich: die Gefahr der Verknüpfung von Christentum (unterschiedlicher Konfession) und Rechtsextremismus wahrzunehmen, zu analysieren und Handlungsoptionen für ChristInnen aufzuzeigen.

Wobei im zu besprechenden Band die Handlungsoptionen sich auf das Aufzeigen einiger Perspektiven für Theologie und Kirche beschränken. So entfaltet Hildegund Keul in einem vielschichtigen, anregenden Bei­trag Verwundbarkeit als Schlüsselwort für die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus: Einerseits gerieren sich Rechtsextreme als gefährdet, durch „Überfremdung“ etc. „verwundet“ zu werden – und sind zugleich Täter, die Wunden zufügen; andererseits fordert das Bei­spiel Jesu dazu auf, sich auf Verletzlichkeit um der Mitmenschen willen einzulassen. Andreas Lob-Hüdepohl thematisiert rechte Versuchungen und hält diesen Egalität, Solidarität und Empathie als christlichen Kern­bestand entgegen. Rainer Bucher analysiert bleibende Probleme durch das Nachwirken des vorkonziliaren Katholizismus und skizziert Eck­punkte für die inhaltliche, politische und religiöse Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. Klaus von Stosch skizziert zuerst Kenn­zeichen, Ursachen und Stärken „des“ Fundamentalismus – und blendet dabei, obwohl er katholischer Theologe ist, stillschweigend die Spezifika des katholischen Fundamentalismus aus; im Anschluss entfaltet er drei „Grundhaltungen Komparativer Theologie als Strategien zur Pazifizie­rung des Fundamentalismus“ (Demut, Empathie, Gastfreundschaft) – offen bleibt aber, wie diese an FundamentalistInnen vermittelt werden können.

Doch das sind – wie bereits gesagt – nur einige wenige Perspektiven für eine noch zu leistende theologische Arbeit. Der Schwerpunkt des Bandes ist aber die Vermittlung von Grundlagenwissen dafür. Nach einer einlei­tenden „Problemanzeige: Rechtsextreme Tendenzen in sich christlich verstehenden Medien“ durch die Herausgeberin schließen sich drei Ab­tei­lungen an, die von der eben schon vorgestellten vierten zu „Perspek­ti­ven einer nicht-fundamentalistischen christlichen Theologie“ abgerun­det werden:

Unter der Überschrift „Hintergrundinformationen aus der Vorurteils- und Rechtsextremismusforschung“ finden sich recht unterschiedliche Bei­träge. Fabian Virchow leistet weniger eine Klärung, sondern vielmehr eine (sicherlich notwendige) Problematisierung von Begriffen wie „Rechts­extremismus“, „Neue Rechte“ etc., die allerdings in ihrer Knapp­­heit den Nichtfachmann mit vielen Fragen zurücklässt. Beate Küpper und Andreas Zick stellen einige Forschungsergebnisse zum Ver­hältnis von Religiosität und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit vor – die weniger wegen des sparsamen Umgangs mit konkreten Zahlen im Beitrag, sondern insbesondere wegen der sich zeigenden besonderen Anfälligkeit von religiösen Menschen für Vorurteile ernüchternd ausfal­len. Informativ und differenziert ist die Analyse von Christoph Busch zu Entwicklungen, Strategien und Wirkungen rechtsextremistischer Hetze im Internet. Aus dem Rahmen fällt der Essay von Oliver Decker und Johannes Kiess, der Rechtsextremismus und Christentum nur am Rande im Blick hat, sondern die Beziehungen zwischen einer quasireligiösen Überhöhung der Ökonomie und entsprechend aus Wirtschaftskrisen resultierenden Regressionen/antidemokratischen Einstellungen ergründet.

Die zweite Abteilung wirft „Schlaglichter auf christlich-fundamentalisti­sche Frömmigkeitsstile“. Solide führt Thomas Bremer in die Entstehung und das Selbstverständnis der Piusbruderschaft ein und zeigt ihren fun­damentalen Selbstwiderspruch auf; die Verknüpfungen zur politisch rechten Szene nimmt er aber nicht in den Blick. Anders dagegen Elke Pieck, die die rechte Identitätssuche in Umkreis der Deutschen Evangeli­schen Allianz (DEA) unter stigmatheoretischen Gesichtspunkten über­zeu­gend analysiert; ein Fragezeichen wäre allerdings zu machen, ob man die DEA bzw. den Evangelikalismus generell unter die Überschrift „Fundamentalismus“ stellen sollte, wie es durch die Abteilungsüber­schrift geschieht. Neben einem Beitrag von Uwe Gerber, der sich insbe­sondere dem protestantischen Fundamentalismus widmet, findet sich in der Abteilung noch von Thomas Auchter eine psychoanalytische Be­trachtung von Extremismus – freilich nicht nur religiösem, sondern auch politischem, weswegen der Beitrag auch anderswo hätte eingeordnet werden können.

Konsistenter dagegen die dritte Abteilung: Sie schaut auf verschiedene Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten. Katharina von Kellenbach liefert einen Einblick in verschiedene Ausprägungen von Antisemitismus und zeigt dabei auch Verknüpfungen zu spezifisch christlichen Proble­ma­­­tiken auf, etwa zum traditionellen Antijudaismus oder zur Frage der Judenmission. Yasemin Shoomans Beitrag zum antimuslimischen Ras­sismus erklärt kompakt Denkmuster, Zusammenhänge und Denkfehler bei Rassisten. Eine Untersuchung an deutschen und kanadischen Studie­renden, die ein weiterer Beitrag vorstellt, zeigt, dass auch ein höherer Bildungsgrad nicht gegen antimuslimische Vorurteile und Geschlechter­rollenstereotype immunisiert. Kerstin Söderblom schließlich erläutert Ursachen von Homophobie, typische Argumentationsmuster und kirch­liche Umgangsstile mit dieser Form von Rassismus – mit Schlaglichtern auf verschiedene Kirchen in verschiedenen Weltregionen.

Insgesamt eine vielfältige, aber gelungene Mischung von Beiträgen aus verschiedenen Disziplinen. Angesichts der Flüchtlingskrise und den dar­an anknüpfenden rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Agi­tationen ist die im Frühjahr 2015 erschienene Publikation eher noch aktueller geworden. Ein aktuelles Beispiel aus Erfurt: Wie verhält man sich als Bistumsleitung, wenn die AfD auf dem Domplatz – also vor der Kulisse des Domberges – eine fremdenfeindliche Großdemonstration abhält und man weiß, dass auch etliche Kirchenmitglieder mit dabei sein werden, die man nur ungern vergrätzen möchte? Vielfach ist kirchlicherseits das Bewusstsein für die rechte Versuchung und die damit verbundenen Gefahren für Gesellschaft, Staat und letztendlich auch Christentum und Kirche noch unterentwickelt; trotz vieler eindeu­tiger kirchlicher Stellungnahmen, Initiativen und Einzelfallentscheidun­gen ist im deutschsprachigen Raum eine konsistent und konsequent durch­gezogene amtskirchliche Position und Linie gegenüber Gruppenbe­zo­gener Menschenfeindlichkeit, Fundamentalisierungsprozessen und Grenzgängen zum Rechtsextremismus und deren AkteurInnen noch ein Desiderat.

Für eine solche Positionierung ist nicht nur ein Problembewusstsein, son­­dern auch eine theologische Fundierung notwendig. Dafür liefert der vorliegende Band wertvolle Impulse, ist aber – auch wegen der Knapp­heit der meisten Beiträge – eher nur ein Problemaufriss. Hilfreich für die weitere Auseinandersetzung sind sicherlich die (manchmal recht ausgie­bigen) Listen an verwendeter und weiterführender Literatur. Informatio­nen zu den AutorInnen und ein Stichwortverzeichnis runden die Publika­tion ab.

Martin Hochholzer