Und wenn es anders kommt: Gottes-Dienst ist Segen
Vielfalt kirchlicher Liturgie jenseits der Eucharistiefeier
… und oft kommt es anders
So zum Beispiel vor einigen Wochen bei mir, als meine Mutter mich während eines Besuches bei ihr bat, auf dem Grab meines Vaters nach dem Rechten zu sehen, denn schließlich stand sein 99. Geburtstag vor der Tür. Und natürlich waren die Wünsche meiner Mutter sehr konkret: Blumen und Pflanzen gießen, Laub vom Grab harken und den Schnecken den Garaus machen, die unverschämterweise alles anknabbern. Meinem Einwand, auch Schnecken wollten schließlich leben, konnte sie nun so gar nichts Gutes abgewinnen.
Dass ich zum Waldfriedhof meine beiden Hunde mitnehmen wollte, verstand sich von selbst. An ihnen lag es, dass dann zunächst doch alles anders kam. Denn die beiden freundeten sich auf dem Weg zum Friedhof mit einem anderen Artgenossen an. Die beiden „Herrchen“ kamen folgerichtig auch miteinander ins Gespräch, und daraus ergab sich ein längerer Spaziergang durch den nahe liegenden Wald. Auf dem Weg lag eine mir aus Kinderzeiten bekannte kleine Waldkapelle, deren Tür unerwarteterweise offenstand. Die Hunde waren schneller als wir beide, die wir uns immer noch fremder waren als die drei tierischen Artgenossen. Vermögen Tiere heilige Orte von unheiligen zu unterscheiden? Ich muss die Antwort schuldig bleiben, aber die drei liefen in die Kapelle hinein, und vor dem Altar blieben sie unvermittelt stehen, ganz ruhig. Meine unreflektierte Reaktion war ein leiser Aufruf: „Ach, meine Hunde haben sogar das Beten von mir gelernt.“ Was eher humorvoll gedacht war, erhielt eine sehr nachdenkliche Antwort meines fremden Begleiters: „Sie beten?“ Und er vertraute mir an, dass er oft hierherkäme, um einfach einen Augenblick zu verweilen.
Die drei Hunde waren ruhig, lagen im Mittelgang vor dem Altar, und wir zwei erlebten uns in einer andächtigen Stille. Nach einer Weile erzählte ich ihm dann, dass ich vor einigen Jahren als Pfarrer in einer Pfarrgemeinde mitgearbeitet hätte. Dort besuchte eine alte Dame den morgendlichen Gottesdienst stets gemeinsam mit ihrem kleinen Hund. Wenn ich ihr den Friedensgruß dann entgegenbrachte, war darin selbstverständlich auch immer ihr Dackel mit bedacht. Erstaunt darüber, mit einem Mitarbeiter der Kirche zu sprechen, vertraute der Wegbegleiter sich mir an, dass er nämlich gern in dieser Kapelle einen Segen erbitten würde für sich und seine Frau, was sich aber nach Gesprächen mit dem Ortspfarrer als ein kaum zu realisierendes Unterfangen erweist. Geschieden und wieder verheiratet, das könne ein Ärgernis bei anderen Christinnen und Christen nicht ausschließen.
Von der Sehnsucht nach Gottes-Dienst
Der fremde Herr, die alte Dame: Sie beide sind mir ein Beleg für die menschliche Bedürftigkeit, dem eigenen Glauben Ausdruck zu verleihen und ihn zu teilen mit den vielen, für die Glaube eben nicht Privatangelegenheit ist, sondern Weltgeschehen, ein Geschehen in der Welt.
Gottesdienst ist dankbares menschliches Erwidern auf die immer zuerst geschenkte Zuwendung Gottes. Aber eben nicht nur, denn Gottesdienst ist auch öffentliches Bekennen eigener Glaubenssehnsucht und Glaubensmühe. Am wenigsten ist Gottesdienst Pflichterfüllung. Gibt es nicht so etwas wie ein Recht auf Gottesdienst? Diese Frage kommt nicht nur auf im Kontext eines immer offensichtlicheren Priestermangels und der daraus resultierenden theologischen Sorge, für alle die Heiligung des Sonntags durch die Feier der Eucharistie möglich zu machen. Nein, diese Einsicht, dass die Feier des Glaubens ein Grundrecht ist, erhält nicht minder eine Relevanz dadurch, dass gelebter Glaube immer auch öffentlicher Glaube sein möchte, gestalteter Glaube, geteilter Glaube. Und dies eben nicht nur in den Hoch-Zeiten des Lebens, sondern auch in den Krisenzeiten oder einfach: mitten im Leben.
Nicht die Heilsrelevanz macht die Dringlichkeit eines Gottesdienstes lebens- und sterbenswichtig; vielmehr versichtbart die Sehnsucht nach einer gottesdienstlichen Feier die fundamentale menschliche Suche nach Lebens- und Sterbenssinn, und dies ist für glaubende Menschen eine Suche, die nicht an Gott vorbeiführen kann und darf. Leonardo Boff spricht von einer Energie, die von niemandem manipuliert werden könne. „Doch man kann darum bitten, dass sie kommt und in uns fließt“ (Boff 2013, 22). Nichts anderes geschieht im Gottesdienst in der Begegnung mit der heiligen Lebensenergie ‚Gott‘, die immer gegenwärtig ist und doch auch der menschlich-demütigen Bitte bedarf. Im Gottesdienst berühren sich auf innigste Weise zwei Sehnsüchte: Die Sehnsucht Gottes, dem geliebten Geschöpf nahe zu sein, und die Sehnsucht des Menschen, dem liebenden Gott nahezukommen. Wer oder was immer dieser Sehnsucht den Riegel vorschiebt, und seien es selbst die Hirten der Kirche, die der nackten Lehre den Vorzug vor den gebrechlichen Menschen geben, der vergeht sich an Gott und an den Menschen. Denn in dieser Sehnsucht, in diesem „Schrei nach der Fülle“ hallt nichts anderes wider als die Stimme Gottes selbst, der den Menschen zu einer heilenden und heilsamen Gemeinschaft ruft. Und so darf sich der Mensch erkennen als ein „Gefährte der Liebe“ (ebd. 38).
Im Folgenden mögen einige Beispiele gottesdienstlicher Feiern vorgestellt werden, in denen der Autor dieses Beitrages seine Dienste zur Verfügung stellen durfte, weil er persönlich angesprochen wurde, jeweils eingebunden in den Kreis anderer, mit denen gemeinsam der Gottesdienst Gestalt annehmen konnte. Eingebunden in das gemeinsame Priestertum aller Getauften sind alle gerufen, ihr Leben geprägt und gestaltet vor Gott zur Sprache zu bringen; und wer sich gerufen fühlt, dem Glauben Gestalt und Prägung zu geben, dem bzw. der liegt die Verpflichtung dazu im Herzen, es auch zu tun.
Von der Frage nach dem richtigen Augenblick des Gottes-Dienstes
Wie zum Beispiel bei einem jungen katholischen Wissenschaftler, der standesamtlich mit einer Nichtgetauften verheiratet ist. Lange sind die beiden miteinander in einem regen Austausch. Keine bzw. keiner will den bzw. die andere überrumpeln. In allen Gesprächen zeigt sich ein hoher Respekt vor den Lebenserfahrungen des je anderen. Man mag fragen, wie es geschehen konnte, aber beide haben wohl den richtigen Augenblick verstreichen lassen, sich für eine kirchliche Trauung zu entscheiden.
Es ist unausgesprochene Realität im Alltag vieler junger Wissenschaftler, die eine Aufgabe in der Universität vor Augen haben, dass die Arbeit alle anderen Lebensfragen in den Hintergrund zu stellen droht. Und was gewiss nicht nur für die beiden gilt, sondern ebenso für viele, die am Beginn ihres Arbeitslebens stehen, das greift tief hinein sowohl in den gelebten Glauben als auch in das Ringen um ihn: Arbeit frisst Leben auf. Arbeit gibt dem Leben in unserer Gesellschaft nicht nur Sinn, Arbeit ist nicht nur der Garant dafür, Leben in Freiheit und Verantwortung gestalten zu können; heute – und gerade heute – reißt die Arbeit auch Gräben in die Seele des Menschen und zerreibt ihn zwischen Verantwortungsgefühl und Lebenssuche. Eine vorausgesetzte Mobilität genauso wie die Selbstverpflichtung, den äußeren Umständen genügen zu müssen, lassen wenig Raum und Zeit, Heimat zu finden und Muße, sich selbst zu entdecken bzw. zu hinterfragen. So auch bei dem hier vorgestellten Ehepaar, das in den Augen der Kirche noch keines ist. Eine Woche vor einem erneuten Umzug, notwendig geworden durch eine Lehrverpflichtung in einer anderen Stadt, ereilte mich ein Anruf der Ehefrau, der Nichtgetauften. Nicht nur, dass sie sich verabschieden wollte von mir, der ich auch ihre beiden Kinder taufen durfte und ihnen Freund geworden bin, sie wollte mit mir auch überlegen, wie sie doch noch mit ihrem Mann (und ihren zwei Kindern) gesegnet in die neue Stadt ziehen konnten. Wenn ihr auch die Rituale und die Formalien fremd seien, so wolle sie doch mit ihrer Familie weiter nach dem suchen, was ihrem Liebsten schon vertraut und wichtig ist. Das überhöhte Maß eines Sakramentes wäre ihr fremd, ein Segen sei ihr wertvoll. Gerade in diesen Tagen, wo in der katholischen Kirche über das Sakrament der Ehe so viel nachgedacht wird (und mir scheint, dass die Hürden immer höher angesetzt werden, so dass der Eindruck entsteht, um das Scheitern einer Ehe zu verhindern, müssten zuvor die Vorbereitungen noch kontrollierter geschehen), gerade jetzt erinnert mich dieses Paar daran, dass Gottes Segen ein wunderbares Geschenk ist, uns Menschen anvertraut, reichhaltig zu schenken, nicht als Verdienst, sondern als vorauseilende Zusage Gottes.
Eine fröhliche und unbekümmerte Feier im Garten der Familie bleibt mir in nachhaltiger Erinnerung, wo eine dem anderen und wir gemeinsam die Hände auflegten und uns erfreuten an dem Versprechen Gottes, die Familie und uns zu behüten auf allen Wegen.
Von dem Zwischendurch und Mittendrin eines Gottes-Dienstes
Von alters her kennt die Kirche die Tagzeitengebete, die den Mühen und Verpflichtungen des Tages eine Pause gönnen und den Menschen an Wesentliches erinnern möchten. Der Versuch in einer Hochschulgemeinde, zumindest das Mittagsgebet gemeinsam mit anderen zu feiern, scheiterte kläglich. Wenn auch Form und Inhalt verschiedentlich verändert wurden, die Stühle blieben spärlich besetzt. Ein Mitarbeiter erinnerte sich dann des Sprichwortes: „Wenn der Ochs nicht zum Berg kommt, dann eben der Berg zum Ochsen.“ Und so wurden Anregungen zu Gebet und Besinnung täglich wechselnd auf die Homepage gesetzt, und eine wundersame Aufmerksamkeit erwies sich in unzähligen Klicks auf diese Seite im Internet, und dies nicht einmalig, bis die Neugierde abflaute, sondern jetzt schon seit mehreren Jahren stabil bleibend. In mir tun sich Phantasien auf, dass junge Erwachsene still im Linienbus zwischen Uni und Mensa meditieren, vielleicht sogar beim Mittagstisch mit anderen darüber nachsinnen. Gottesdienst im Sinne eines Schneeballsystems: Einer schenkt ein Glaubenszeugnis, und dieses teilt sich vielfach auf ungeahnten Wegen. Gottesdienst im Linienverkehr, Gottes Botschaft mitten im Alltag: eine ungewöhnliche Mitfahrgelegenheit für Gott im öffentlichen Straßenverkehr.
Von Gottes-Dienst an öffentlichen Orten
Die Vorgabe der bischöflichen Rechtsabteilung war unmissverständlich: Eine Taufe muss in einem Gotteshaus gefeiert werden. Geplant war es anders von der Familie des Neugeborenen. Sie wollten symbolisch der ganzen Welt zeigen, wie sehr sie sich über die Geburt ihres Sohnes freuen, und sie wollten der ganzen Welt – wieder natürlich symbolisch – Anteil gewähren am Fest der Taufe ihres Kindes. Der Vater, ein junger Künstler – er hatte gerade mit einem Meisterstudium an der Kunsthochschule abgeschlossen –, hatte einen 20 Meter langen Tisch gebaut, den er im Stadtpark aufstellen wollte. Die Taufe eines Menschen prägt das Gesicht der Welt neu und erinnert alle daran, in der Kindschaft Gottes zu stehen. Taufe ist nicht in erster Linie ein Familienereignis, Taufe ist ein Weltgeschehen. Der junge Vater hatte das verstanden, die bischöfliche Behörde vielleicht noch nicht so wirklich. Wie kreativ der Glaube macht, erwies sich dann in der Konkretisierung dieser ganz besonderen und doch allerweltmäßigen Taufe. Der Aussage des bischöflichen Notars Folge leistend, haben wir das Kind in der Pfarrkirche getauft. Aber keiner hat verpflichtend gesagt, dass auch die sogenannten ausdeutenden Riten in der Kirche gefeiert werden müssten. So haben wir also das Licht der Osterkerze mitgenommen in einer kleinen Laterne und sind mit der Familie und der Festgemeinschaft mit der U-Bahn zum Stadtpark gefahren. In der U-Bahn haben wir dem Jungen das Taufkleid übergelegt: Die Wärme der Liebe Gottes möge den Jungen bewahren vor der Kälte der Welt und den schamlosen Blicken anderer. In der Haltestation haben wir die Taufkerze entzündet als Symbol für das Licht, das der Glaube schenkt und das auch in dunklen Wirren des Lebens seine Leuchtkraft nicht verliert. Auf dem Weg zum Stadtpark lag das Krankenhaus, in dem die Mutter entbunden hat; dort haben wir das Kind mit dem Chrisamöl gesalbt und mit einer stillen Bitte die göttliche Fürsorge für alle erbeten, die in diesem Krankenhaus auf Heilung hoffen. Im Stadtpark angekommen, war der große Tisch gedeckt, und rasch waren die Besucherinnen und Besucher neugierig geworden und gesellten sich zu uns. Gemeinsam haben wir das Vaterunser gebetet und das Neugeborene in der Weltgemeinschaft der Christinnen und Christen willkommen geheißen. Es schloss sich eine fröhliche Feier an, und nicht selten hörte man: „So was hab ich ja noch nie erlebt.“ In der Tat: Die Aufnahme eines Menschen in die Gemeinschaft der Glaubenden bewegt mehr, als man denkt.
Von der Provokation eines Gottes-Dienstes, die keine sein möchte
Unvergessen ist mir eine Feier anlässlich des Bestehens einer 50-jährigen Freundschaft zweier Männer, die sich in einem Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg kennen- und lieben gelernt haben und die in der Nachkriegszeit im Kontext einer sehr rigiden Gesellschaft ihrer Liebe treu geblieben sind. Als ich diese beiden Männer in ihrem hohen Alter kennenlernen durfte, da sagte mir einer der beiden, dass er sich immer, jeden Tag seines Lebens, als ein von Gott Gesegneter erfahren hätte und dieser Segen Schutz und Ansporn für seine Liebe zu seinem Partner gewesen sei. Mein hilfloser Einwand, dass diese Treue zu Gottes Segen spätestens heute eines Ausdrucks bedarf, der gefeiert werden müsse, ließ den beiden Männern die Tränen in die Augen schießen. Und wir feierten einen Segensgottesdienst als Dankgottesdienst für 50 Jahre Liebe, Treue und geteilten Glauben in einer Kapelle, gemeinsam mit Freundinnen und Freunden.
Meine emotionale Ergriffenheit angesichts dieser sehr eigenen und besonderen Liebesgeschichte prallte natürlich in meinen Gedanken auf viele Fragen und Vorbehalte, die die katholische Kirche gegenüber einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft hegt. Mir war es in dieser Situation Entlastung und Hilfe, dass ich betraut war mit einem seelsorglichen Auftrag, homosexuell geprägte Menschen und ihre Angehörigen in unserem Bistum zu begleiten und dies – wie es die Beauftragungsurkunde formuliert – unter Einbeziehung heutiger humanwissenschaftlicher Erkenntnisse sowie der Vorgaben der katholischen Kirche. Wohl wissend um die Problematik, diese beiden Vorgaben miteinander in Einklang zu bringen, entschied ich mich in dieser pastoralen Situation, meiner inneren Stimme zu folgen und meinen spontanen Vorschlag, der inneren Gewissheit des Freundespaares, gesegnet zu sein, eine liturgische Segensfeier folgen zu lassen, auch in die Tat umzusetzen. So feierten wir also im kleinen Kreis in einer Kapelle eine Segensfeier für ein homosexuelles Freundespaar, dankend für geschenktes und gewährtes Vertrauen und treue Zuneigung über 50 Jahre und fürbittend, im hohen Alter unter dem Segen Gottes einem heilsamen Lebensabend entgegengehen zu dürfen.
Es kann und soll hier nicht die grundsätzliche Frage in den Mittelpunkt gerückt werden, wie der Begriff der Ehe zu definieren sei. Einzig das legitime Bedürfnis von lesbischen und schwulen Menschen, ihre Liebe (und zuvor überhaupt ihre Liebesfähigkeit, die ja auch von nicht wenigen in der Kirche angezweifelt wird) dem Schutz der Liebe Gottes anzuvertrauen, möchte hier fragend und fürsprechend zur Diskussion gestellt werden. Und da ist zunächst festzustellen, dass dieses Bedürfnis groß ist, wenngleich dieses Bedürfnis von vielen gleichgeschlechtlich Liebenden viel zu selten offen in kirchlichen Kontexten geäußert wird.
Es bedarf eines gewachsenen Selbstbewusstseins, den Ortspfarrer oder die verantwortlichen pastoralen Gremien zu fragen, ob sie in der Gemeinde gottesdienstlich begleitet werden und eine Feier vor und mit Gott für ihre Liebe gestalten können. Wenn nicht Ablehnung, so ist doch oft abgemildert Hilflosigkeit die erste Reaktion. Das Argument, um der Gefahr einer Verwechslung mit einer sakramentalen Eheschließung vorzubeugen und anderen kein Ärgernis zu geben, sei eine Segnung gleichgeschlechtlich Liebender in einer Kirche ausgeschlossen, ist sowohl theologisch kaum zu begründen als auch pastoral fragwürdig, oder besser wörtlich: der Frage würdig. Es ist offensichtlich, dass eine Segensfeier eine Segnung in die Mitte stellt, und eine Segnung ist keine sakramentale Handlung. Die Kirche differenziert bewusst zwischen einem Sakrament und einer Segenshandlung, und das mag zweifelsohne auch begründet sein. Wenn nun inzwischen einzelne Bischöfe anerkennen, dass gleichgeschlechtlich Liebende verantwortungsbewusst und dauerhaft eine Partnerschaft zu führen fähig sind (so z. B. Erzbischof Koch in einem Pressegespräch im Verlauf der ersten Woche der Bischofssynode zu Fragen von Ehe und Familie im Oktober 2015), und wenn Verantwortungsbewusstsein, Verlässlichkeit, liebendes Zugewandtsein Attribute christlichen Lebens sind, was daran wäre eines Segens unwürdig? Ein Beispiel für eine Segensfeier ist vom Autor dieses Artikels veröffentlicht in einer anderen Publikation (vgl. Simonsen 2005). Dort wird sehr wohl erkennbar, dass eine Segensfeier für ein sich liebendes Paar keineswegs mit einer sakramentalen gottesdienstlichen Feier verwechselt werden kann und dass gleichwohl würdevoll und angemessen die menschliche Liebe wie auch die Verantwortung, diese zu pflegen, vor Gott gefeiert werden darf.
Gottes-Dienst ist Segen: für alle seine Geschöpfe
Ein Nachklang zu dem anfangs Erzählten sei noch gestattet: In der Pfarrkirche haben wir des inzwischen verstorbenen Dackels der alten Dame in einer Wort-Gottes-Feier gedacht. Liebe zum Geschöpf und ein Trauerempfinden für das, „was man sich vertraut gemacht hat“, ist des Gottes-Dienstes wert. Denn Gottesdienst ist immer auch Dienst Gottes an dem, was er aus Liebe geschaffen hat. Dass die treuen Besucherinnen und Besucher der Werktagsgottesdienste dem verstorbenen Tier die Ehre erwiesen und der traurigen Dame ihre Anteilnahme geschenkt haben, mag auch ein Hinweis sein darauf, dass die Geschöpfe Gottes vielleicht in dem Grad ihres Reflexions- und Denkvermögens verschieden sein mögen, nicht aber in dem Grad ihrer Liebesfähigkeit und -bedürftigkeit.
Und der fremde Herr von dem Spaziergang, der sich so ganz anders gestaltet hat, ist nicht mehr fremd. Er ist zum Vertrauten geworden, und sein Wunsch nach Segen für sich und seine Partnerschaft wird gewiss nicht unerhört bleiben. Gottes-Dienst fragt nicht, Gottes-Dienst schenkt sich.
Gottes-Dienst wirkt und erschöpft sich nicht im Zeichenhaften
Legendär ist das Bild Leonardo Boffs vom Zigarettenstummel, der dem Sohn zum sichtbaren Zeichen für das Leben und Sterben des Vaters wurde, da dies die letzte Zigarette war, die der Vater geraucht hatte. In diesem Symbol bündelt sich alle Erinnerung an den liebenden und fürsorgenden Vater und vergegenwärtigt sich sein ganzes Leben (vgl. Boff 1976, 27–33). Wenn ein Sakrament Verweis auf etwas Dahinterliegendes, unwiderruflich Leben und Heil Schenkendes ist und also für den, der im christlichen Glauben verwurzelt oder in ihm suchend ist, eine Vergegenwärtigung Gottes ist, dann ist Gottes-Dienst sakramental. Die katholische Kirche sieht in der Siebenzahl der Sakramente umfassend die wirksame und dem Menschen dienliche Realisierung der Gegenwart Gottes gegeben, gleichwohl sie in ihrer Geschichte durchaus um den Prozess weiß, der zu dieser Dogmatisierung der Sakramente geführt hat. Der Versuch Leonardo Boffs, den Sakramentenbegriff aus dieser Dogmatisierung zu lösen und ungeachtet einer Unverletzbarkeit dieser kirchlichen Vorgabe alles das Leben Bewegende und ihm Gestalt Gebende als ein mögliches Symbol für den Dienst Gottes am Menschen und der Welt zu erkennen, sollte heute mehr denn je eine neue Würdigung erfahren, um auf diese Weise den Lebenserfahrungen und Lebenssehnsüchten der Menschen entgegenzukommen, in ihren – vielleicht als „kleine Sakramente“ bezeichenbaren – Lebensvollzügen Gottes Gegenwart zu erkennen, in dem, was ihrem Leben nahe, begreifbar und nachvollziehbar ist und ihnen ermöglicht, eine Gotteserfahrung zu machen, die gewiss immer geheimnisvoll und den Verstand überragend und zugleich doch lebens-notwendig ist. Die Vielfalt der Gottesdienste nicht in eine Werteskala einzuordnen, sondern in Ergänzung zueinander zu sehen, wäre zeitgemäß, ohne dem Zeitgeist zu frönen. In jedem gefeierten Gottesdienst erweist sich die tiefe Sehnsucht des Menschen nach Gottes-Dienst an ihm. Deshalb ist Gottes-Dienst ein Grundrecht; er ist Grund, dem Leben Sinn zu verleihen, und es ist Recht Gottes, dem Menschen immer nahe zu sein.