Repräsentativ-Umfrage zum Thema „Glaube im Alltag 3“ durch die GfK
Bereits zum dritten Mal nach 2006 und 2009 hat die Apotheken Umschau, eine Zeitschrift aus dem Wort und Bild Verlag (Baierbrunn bei München), die GfK Marktforschung (Nürnberg) mit einer repräsentativen Befragung zum Thema „Glaube im Alltag“ beauftragt. Dazu wurde eine für die deutschsprachige Wohnbevölkerung ab 14 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland repräsentative Stichprobe ausgewählt und im Dezember 2014 über 2.100 Interviews durchgeführt. Die Befragung hat drei inhaltliche Teile: Zugehörigkeit zu einer Kirche bzw. Glaubensgemeinschaft, religiöse Orientierung/Leben nach religiösen Riten sowie Haltung zu religiöser Bildung und Erziehung von Kindern. Die 37 Seiten umfassende Auswertung referiert die deskriptiven Ergebnisse der Befragung im Detail und schlüsselt sie zudem nach den Variablen Geschlecht, Altersgruppe, Ost-/Westdeutschland u. a. auf. Zusätzlich kommt durch die Vergleichsmöglichkeit mit den vorherigen Studien eine diachrone Perspektive in den Blick.
1. Zugehörigkeit zur Kirche bzw. einer Glaubensgemeinschaft
61 % der Befragten geben an, derzeit Mitglied einer Kirche/Glaubensgemeinschaft zu sein (davon sind 0,2 % konvertiert, haben also früher einer anderen Kirche oder Glaubensgemeinschaft angehört). 39 % gehören also keiner Kirche oder Glaubensgemeinschaft an; dabei ist zu unterscheiden zwischen denjenigen, die früher Mitglied waren, aber inzwischen ausgetreten sind (16 %), und denjenigen, die nie Mitglied waren (23 %). Gegenüber der Befragung von 2009 ist der Anteil der Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft um 4,4 Prozentpunkte gesunken; der Anteil der Ausgetretenen ist um 2,2 Prozentpunkte und der Anteil derjenigen, die nie Mitglieder waren, um 3,1 Prozentpunkte gestiegen.
Blickt man genauer auf die Religionszugehörigkeit, so gehören gemäß dieser Studie 58,8 % der Bundesbürger ab 14 Jahren einer christlichen Kirche an (davon sind 29,2 % katholisch, 28,2 % evangelisch bzw. evangelisch-freikirchlich, und 1,4 % gehören einer anderen christlichen Kirche an), und 1,7 % bekennen sich zum Islam. Angehörige des Buddhismus, Hinduismus, Judentums oder einer anderen Glaubensgemeinschaft kommen in der Befragung nur in Einzelfällen vor.
Der regionale Vergleich ergibt erwartbare Unterschiede: Während in den alten Bundesländern 70,1 % der Befragten einer christlichen Kirche angehören, sind es in den neuen Bundesländern nur 14,5 %. Bei den Katholiken ergibt der West-Ost-Vergleich ein Gefälle von 35,9 % zu 2,9 %, bei den evangelischen (Frei-)Kirchen eines von 32,5 % zu 11,1 %. Konfessionslos sind im Westen Deutschlands 27,3 %, im Osten 84,9 %.
Der Vergleich mit den Befragungen 2006 und 2009 zeigt einen Abwärtstrend bei der katholischen Kirche (2006: 32,8 %, 2009: 29,8 %, 2014: 29,2 %), bei den evangelischen (Frei-)Kirchen sogar einen deutlichen (40,7 % – 32,7 % – 28,2 %); umgekehrt ist der Anteil derjenigen ohne Religionszugehörigkeit klar angestiegen (23,5 % – 33,7 % – 39 %). Die Differenzierung nach Konfessionen ist aufschlussreich für die Analyse von Kirchenaustritten: Innerhalb der Teilgruppe der früheren Kirchenmitglieder ist der Anteil derer, die die katholische Kirche (durch Austritt oder Konversion) verlassen haben, von 2009 (25,4 %) bis 2014 (40,1 %) stark angewachsen, während der Anteil bei den evangelischen (Frei-)Kirchen von 71,3 % auf 57,9 % gesunken ist – damit liegt er freilich immer noch höher als bei der katholischen Kirche. Bei letzterer machen sich die Missbrauchsskandale (seit 2010) sowie die „Causa Limburg“ (seit 2013) in den deutlich erhöhten Austrittszahlen bemerkbar.
Folgende vier Gründe werden am häufigsten für den Austritt bzw. den Wechsel der Religionszugehörigkeit genannt: Mangelndes Interesse an Religion/Glaube allgemein (56 %), Kirchensteuer (54 %), mangelnde Identifikation mit den Zielen der Kirche (49 %) und mangelnde Identifikation mit den Vertretern der Kirche (38 %). In Ostdeutschland wird „mangelndes Interesse an Glaube/Religion allgemein“ anteilig deutlich höher genannt (71 %), während im Westen die mangelnde Identifikation sowohl mit den Zielen (52 %) als auch mit den Vertretern der Kirche (42 %) überrepräsentiert sind. Bei der Befragung 2009 war die Kirchensteuer mit 58 % der Nennungen noch der deutlich am häufigsten genannte Grund, während die drei anderen Gründe um mindestens 10 Prozentpunkte weniger angegeben wurden.
2. Religiöse Orientierung/Leben nach religiösen Riten
Befragt man die Bundesbürger nach ihren religiösen Überzeugungen, so geben knapp 58 % an, an den einen Gott zu glauben. 50 % bekennen sich zu Jesus Christus als Gottes Sohn, 41 % glauben an ein Leben nach dem Tod, 33 % an Engel oder Wesen aus einer anderen Welt. Nur knapp 17 % glauben an die Existenz des Teufels und der Hölle. Mehrheitlich geben die Befragten an, keinerlei Glaubensrituale zu pflegen (knapp 56 %); 43 % nehmen nur an den hohen Festtagen an Gottesdiensten teil, und 42 % geben an, Kirchen oder religiöse Stätten im Grunde nur zur Besichtigung zu besuchen. 25 % beten regelmäßig, unabhängig von ihrer Lebenssituation; 13 % lesen gelegentlich in einem Glaubenswerk (Bibel, Koran, Talmud). 12,5 % tragen bewusst ein religiöses Symbol an oder bei sich. 8,8 % besuchen regelmäßig (mindestens einmal in der Woche) Gottesdienste, und (erstaunliche) 7,3 % geben an, mehrmals im Jahr zur Beichte zu gehen.
46 % der Befragten schätzen sich selbst als gläubig ein, und 41 % geben zum Ausdruck, der Glaube gebe ihnen Halt und Sicherheit in ihrem Leben. 37 % bekunden, dass sie in ihren Gedanken oft Gott anrufen und ihn um Beistand und Hilfe bitten. 24 % berichten, dass Schicksalsschläge in ihrem Leben sie dem Glauben wieder nähergebracht haben. Frauen bekennen sich anteilig häufiger zum Glauben und zu religiösen Werten und Traditionen; Männer hingegen erklären prozentual öfter als Frauen, sie pflegten keinerlei Glaubensrituale (+ 11 Prozentpunkte). Wenig erstaunlich bekennen sich Ältere häufiger zum Glauben, seinen Werten und einem Leben in seinen Traditionen. Jüngere zwischen 14 und 19 Jahren geben hingegen vermehrt an, an die Existenz der Hölle und des Teufels zu glauben (32 %). Befragte mit formal höherer Bildung (Abitur/Studium) äußern häufiger als der Durchschnitt, Kirchen und religiöse Stätten eigentlich nur zur Besichtigung aufzusuchen (52 %), lesen allerdings häufiger in einem Glaubenswerk (17 %). Arbeitslose bekunden häufiger als der Durchschnitt, keinerlei Glaubensrituale zu pflegen (64 %).
Eine höhere Zustimmungsrate zum Glauben und zu einer religiösen Orientierung lässt sich zudem in kleineren Ortschaften gegenüber Großstädten, in den alten Bundesländern gegenüber den neuen Bundesländern und bei Angehörigen der katholischen Kirche gegenüber den evangelischen (Frei-)Kirchen aufweisen. Ein vergleichender Blick auf die Ergebnisse von 2006 und 2009 „weist unter den Männern und Frauen ab 14 Jahre hierzulande eine zunehmende Abkehr von einer religiösen Orientierung, von einem Leben und Handeln nach religiösen Riten aus, bildet mithin einen gesunkenen Stellenwert von Religion im Alltag bzw. eines religiösen Lebens aus Sicht der Bevölkerung ab“ (26). Der Anteil derjenigen, die keinerlei Glaubensrituale zu pflegen angeben, ist bis 2014 um 4,7 Prozentpunkte gegenüber 2009 und um 9,9 Prozentpunkte gegenüber 2006 angestiegen; der Anteil derer, die angeben, nur an den hohen Festtagen am Gottesdienst teilzunehmen, ist seit 2006 um 5,3 Prozentpunkte gestiegen.
3. Religiöse Bildung und Erziehung von Kindern
Eine weite Mehrheit der Bundesbürger befindet, Kinder sollten zur Nächstenliebe erzogen werden (89 %); ähnlich hohe Zustimmung finden die Aussagen, Kinder sollten die religiöse Bedeutung großer Feste (sic) des Jahres kennen (88 %) bzw. Kindern sollte auch das Verständnis und die Toleranz für andere Religionen und Glaubensrichtungen vermittelt werden (86 %). Gut zwei Drittel (68 %) meinen, dass die christliche Religion Teil unserer abendländischen Kultur ist und daher auch der nächsten Generation weitergegeben werden sollte; 63 % sind dafür, dass Kinder am Religionsunterricht und an religiösen Ritualen teilnehmen, um nicht zu Außenseitern zu werden. 62 % plädieren dafür, dass Kinder die Sakramente (Taufe, Kommunion, Konfirmation) empfangen sollten. Ebenso wird mehrheitlich dafür votiert, dass Kindern der Glaube an Gott in der Erziehung vermittelt werden sollte (knapp 59 %), dass Eltern ihre Kinder mit den kirchlichen Riten in Gottesdiensten vertraut machen sollten (58 %) und dass möglichst alle Schulkinder den Religionsunterricht besuchen sollten (knapp 55 %). Knapp weniger als die Mehrheit bejahen die Aussage, dass Glaube und Religion ganz entscheidend sind, um Kindern Orientierung und Halt im Leben zu geben (48 %), oder dass religiöse Erziehung wichtig ist für die emotionale Entwicklung von Kindern (46 %).
Gegenüber dieser insgesamt hohen Wertschätzung religiöser Bildung und Erziehung ist aber auch eine sehr große Mehrheit dafür, dass Eltern die freie Wahl haben sollten, ob ihre Kinder an einem allgemeinen Ethik-Unterricht oder am Religionsunterricht teilnehmen (83 %). Fast zwei Drittel meinen, dass es keine Religion braucht, um Kinder zu sozial denkenden und handelnden Wesen zu erziehen (knapp 64 %), und knapp 57 % sind der Ansicht, Eltern sollten keinen Einfluss auf die religiöse Bildung ihrer Kinder nehmen, sondern diese später ihre Religion selbst wählen lassen. Ein gutes Drittel ist der Meinung, dass bei der eigenen Erziehung in Kindheit und Jugend Glaube und Religion keine Rolle spielten. Für ein tägliches Gebet mit den Kindern, z. B. bei Tisch oder vor dem Zubettgehen, sprechen sich 29 % aus. Christlich ausgerichtete Erziehungsvorstellungen sind wiederum stärker ausgeprägt bei Frauen, älteren Menschen, Bewohnern kleinerer Orte, Einwohnern aus den alten Bundesländern sowie Katholiken.
Im Vergleich zur Befragung im Jahr 2009 hat der Anteil derer, die für die Wahlfreiheit der Eltern zwischen Ethik- und Religionsunterricht plädieren, um 3 Prozentpunkte zugenommen, und der Anteil derer, die gegen den elterlichen Einfluss auf die religiöse Bildung der Kinder sind, um 1,6 Prozentpunkte. Bei den christlich geprägten Erziehungsvorstellungen sind hingegen abnehmende Zustimmungswerte zu verzeichnen (zwischen 1,5 und 5,7 Prozentpunkte).
Fazit
Insgesamt gibt diese Studie nicht nur eine detailreiche Momentaufnahme der aktuellen religiösen Situation in Deutschland wieder, sondern eröffnet auch durch den Vergleich mit den beiden Befragungen aus den Jahren 2006 und 2009 eine längsschnittliche Perspektive. Ein großer Teil der Ergebnisse ist nicht überraschend, besonders die Daten zur Kirchenzugehörigkeit und zur religiösen Orientierung, die sich mit bekannten Ergebnissen aus anderen Untersuchungen mehr oder weniger decken. Die hohe Wertschätzung religiöser Bildung und Erziehung ist demgegenüber bemerkenswert (zumindest gibt es zu diesem Thema weniger an empirischem Material). Aber auch hier ist relativierend festzustellen, dass es ebenso eine starke Tendenz gibt, Erziehung nicht unbedingt religiös auszurichten. Hinter dem Plädoyer für religiös ausgerichtete Erziehung steckt vermutlich auch nicht in jedem Fall eine dezidiert religiöse bzw. christliche Haltung, sondern eine volkskirchliche Position, die eher aus Gründen der Tradition oder der gesellschaftlichen Nützlichkeit als der Glaubensüberzeugung an religiöser Erziehung festhalten will.
Bezeichnend sind in allen drei Befragungsfeldern die Zeitvergleiche, die einen deutlichen und stetigen Abwärtstrend religiöser (d. h. in dieser Stichprobe vor allem christlicher) Überzeugungen und Bindungen (nicht nur) in Deutschland anzeigen. Alle Anhaltspunkte sprechen dafür, dass diese Tendenz sich auch mittel- und langfristig fortsetzen wird. Diese Daten können somit als Beleg für die Säkularisierungsthese verstanden werden, nach der Prozesse der Modernisierung einen letztlich negativen Einfluss auf die Stabilität und Vitalität von Religion ausüben – nicht in einem unausweichlichen, unumkehrbaren oder gar wünschenswerten Sinn, aber doch unterm Strich und „in the long run“ sehr wahrscheinlich (vgl. dazu auch den Beitrag von Detlef Pollack im aktuellen Heft [Oktober 2015] der Herder Korrespondenz: Konjunktur oder Verfall? Gründe für den religiösen Wandel aus religionssoziologischer Perspektive, in: Herder Korrespondenz 69 [2015] 531–534). Diese Entwicklung sollte jedoch aus kirchlicher Perspektive kein Grund zu Resignation oder Depression sein, sondern als Herausforderung angenommen werden, sich als Kirche unter veränderten Größenverhältnissen neu zu positionieren: als missionarische Kraft, die das Evangelium in einer sich beständig verändernden Gesellschaft wachhält und es neu zu lernen bereit ist.