Alles überall auf einmal
Wie Künstliche Intelligenz unsere Welt verändert und was wir dabei gewinnen können
Chat-GPT als iPhone-Moment der Künstlichen Intelligenz (17), die transhumanistische Annahme, die Menschheit sei eine vorübergehende Episode in der Entwicklung von Intelligenz, die Aussicht auf eine kollaborative Zukunft von Mensch und Maschine oder „das schlimmste Ereignis in der Geschichte unserer Zivilisation“ (Stephen Hawking) oder gar „der wahrscheinlichste Auslöser des Dritten Weltkriegs“ (Elon Musk): Hierbei handelt es sich um Aussagen, die Apokalyptikern Angst machen, weil sie die Auslöschung der Menschheit befürchten, und post-postmodernen Menschen nur ein müdes Lächeln entlocken, weil sich aus ihrer Sicht sowieso alles relativiert. Und dann gibt es noch die glorifizierenden Fundamentalisten, die die großartigen Möglichkeiten, z. B. die Steigerung von Produktivität und Kreativität im internationalen Wettbewerb, sehen.
Das Buch von Miriam Meckel und Léa Steinacker bietet eine umfassende, affirmative Darstellung zum Thema, die ausführlich informiert mit einer für Non-native-Speaker der KI-Sprache und KI-Neulinge verständlichen Ausdrucksweise. Die Autorinnen blicken auf die Anfänge der KI zurück mit ansprechenden Anekdoten und humoristischen Details. Sie erklären, wie KI-Systeme funktionieren, nämlich auf Basis von statistischen Wahrscheinlichkeiten und neuronalen Netzwerken, die dem menschlichen Gehirn ähneln. Menschen neigen dazu, Tiere und auch Nicht-Belebtes zu vermenschlichen, wie die Simulation mit ELIZA gezeigt hat, einem Computerprogramm, das Ende der 1950er-Jahre psychotherapeutische Gespräche imitierte. Der Erfinder, Joseph Weizenbaum vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), warnte zuletzt vor den Gefahren seiner eigenen Erfindung. Gerade weil KI in der Lage sei, menschliches Verhalten perfekt zu kopieren, lohne ein Blick auf die großen Fragen, die sich zwangsläufig stellen: „Was heißt es noch Mensch zu sein, in einer Zeit, in der KI-Systeme uns kognitiv längst überlegen sind?“ (32), und wie können Chancen für alle Menschen entstehen und wir dabei mitentscheiden, wo KI-Systeme eingesetzt werden und wo nicht?
Die Autorinnen, beide auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften spezialisiert, entwerfen ein positives Bild von den volkswirtschaftlichen Potentialen der KI und werben für eine Kooperation zwischen Menschen und der KI, wobei KI-Kompetenz eine Schlüsselqualifikation darstellen muss. Sie haben aber jederzeit die Gefahren im Blick und plädieren für ein Aneignen von Grundkompetenzen im Hinblick auf KI. So könnten Gefahren wie das Verstärken globaler Ungleichheiten, die Vernichtung von Arbeitsplätzen und die Abschaffung der Mittelschicht durch deren Ersetzbarkeit oder in einer Zeit von Big Data das Verstärken politischer Polarisierungen und gesellschaftlicher Vorurteile durch nicht neutrale Algorithmen reduziert werden.
Nichtsdestotrotz bleibt bei allem Fortschrittoptimismus doch der fade Beigeschmack: Die wettbewerbsstärksten Unternehmen wie Microsoft, Apple, Google, Meta und Amazon erwerben menschliches Wissen, ohne eine Gegenleistung dafür zu erbringen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Wird es zukünftig Kontroll- und Regulierungsmechanismen geben, die die Rechte von Menschen schützen, damit sie nicht zum Produkt einer Industrie werden, die ihre Existenz herausfordert? Und das eben nicht nur im Hinblick auf Datenschutz, sondern auch in Bereichen wie Medizin (Algorithmen zur Diagnosestellung), Politik (Wahlkampfmanipulationen), Strafgesetzgebung (Algorithmen zur Berechnung der Rückfälligkeit von Straftäter:innen) und in militärischen Belangen (z. B. die Verwendung von tödlichen autonomen Waffen). Die im Buch angesprochenen Unternehmungen einzelner großer Industrienationen (in Deutschland Datenschutz-Grundverordnung, Gesetz über digitale Dienste, Gesetz über digitale Märkte) werden gemäß den Autorinnen hoffentlich ausreichend sein. Sie ziehen eine Einrichtung auf UN-Ebene in Betracht, um das Geschehen global zu kontrollieren. Zudem längst nicht annähernd geklärt sind die ökologischen Beeinträchtigungen durch immer leistungsfähigere Prozessoren, die mit enormen Mengen an Wasservorräten heruntergekühlt werden müssen und Rohstoffe wie Lithium, Kobalt und seltene Erden benötigen, die zudem in geopolitisch sensiblen Gegenden abgebaut werden, wie die Autorinnen betonen (vgl. 260 f.).
Das Buch ist enthoben von jeglichen eschatologisch-soteriologischen Versprechungen, klärt präzise auf und analysiert fachlich kompetent. Damit bietet das Buch der Leserschaft eine solide Basis, um in die Diskussion einzusteigen.
Jasmin Hack