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Das Bodenpersonal – vielfältig, katholisch, vernetzt

Neue pastorale Wege in den sozialen Medien

Ein Leben ohne soziale Medien? Für mich kaum vorstellbar. Mein Alltag wird mitbestimmt durch Instagram, YouTube, TikTok und Podcast. Damit bin ich nicht alleine – auch vielen anderen Personen und in Kirche sind soziale Medien ein Teil der Realität. Die katholische Kirche ist zwar mit der Erkenntnis, dass wir uns auch in diesen Lebensraum begeben müssen, um die Menschen zu erreichen, spät dran. Aber wie heißt es so schön: besser spät als nie!

Im Bistum Osnabrück gab es schon früh eine Idee, Glaube im digitalen Raum zu entwickeln (Beispiel: Kirche in digitalen Angeboten wie FunCity). Seit 2010 ist das Bistum Osnabrück auf verschiedenen Social-Media-Kanälen unterwegs – darunter auch YouTube. Das Bodenpersonal war ursprünglich lediglich der YouTube-Kanal mit vier Creators, die wöchentliche Videos veröffentlicht haben. Mit der Entwicklung der sozialen Medien und dem Wachstum der Plattformen gab es auch immer mehr Personen im Kontext Kirche, die Beiträge, Videos oder Podcasts veröffentlicht haben. Darauf hat das Bistum Osnabrück reagiert und das Bodenpersonal als Marke geöffnet, um es zu einem Netzwerk umzufunktionieren. Das Bodenpersonal ist nun seit Dezember 2022 ein katholisches Netzwerk von Creators und Bloggenden der digitalen Kirche in den sozialen Medien. Die Aufgabe des Netzwerkes ist es vor allem, eine Vielfalt unterschiedlicher Angebote der katholischen digitalen Kirche abzubilden sowie Engagierte und Interessierte aus diesem Bereich miteinander zu vernetzen.

Das Netzwerk des Bodenpersonals besteht aktuell aus 36 Personen (Stand August 2024). Alle sind ehrenamtlich und hauptamtlich engagierte Personen, die auf YouTube, Instagram, TikTok sowie im Podcast über ihren Glauben, über Spiritualität, Kirchenpolitik und persönliche Themen sprechen oder schreiben.
Die Mitglieder des Netzwerkes sind alle katholisch und multiprofessionell aufgestellt, kommen inzwischen aus acht verschiedenen (Erz‑)​Bistümern (Osnabrück, Essen, Paderborn, Münster, Berlin, Trier, München-Freising, Limburg). Neben einigen Theolog*innen, Religionspädagog*innen, einer Ordensfrau, Priestern und Diakonen sind auch zwei Lehrerinnen, ein Jurist, ein Museumsdirektor und Studierende im Netzwerk aktiv. Im Bistum Osnabrück gibt es vier Personen des Bodenpersonal-YouTube-Accounts und mich als Koordinatorin, die anteilige Stundenkontingente für die Arbeit im Netzwerk haben. Die Mehrheit der Personen des Netzwerkes engagiert sich aber auf Social Media ehrenamtlich für die Kirche.
Das, was alle miteinander verbindet, ist die gemeinsame Botschaft: das Evangelium. Sie verstehen sich in gewisser Weise als christliche Pionier*innen, die Menschen in ihrer Selbstermächtigung stärken und eine positive innere Haltung fördern wollen.
Das Netzwerk funktioniert nicht ohne ihre Follower – das sind aktuell auf allen Kanälen zusammen etwa 5.600 Follower. Die Mitglieder und Follower unterscheiden sich in dem Sinne, dass Mitglieder aktiv Content für das Netzwerk produzieren; vergleichbar mit einem Pastoralteam oder Gremium in einer Ortsgemeinde. Die Follower sind quasi die Gemeindemitglieder – diejenigen, die konsumieren und reagieren. Mitglieder und Follower sind permanent im Austausch miteinander. Es gibt einen Unterschied zwischen aktiven und passiven Followern – also jenen, die sich durch Kommentare und Nachrichten mit einbringen, und anderen, die nur konsumieren und wahrnehmen.

Bild: © Bistum Osnabrück.

 

Die Mitglieder des Netzwerkes tauschen sich nicht nur über die sozialen Medien aus, sondern treffen sich auch jeden Monat in einem Online-Meeting, um dort über die Entwicklungen von Social Media, insbesondere Instagram, sowie deren Auswirkungen auf Gesellschaft und Kirche zu sprechen. In diesem Rahmen wird auch über die Themen der kommenden Wochen und Monate beraten.
Die Kommunikation und Koordination zwischen den Mitgliedern liegt bei mir als Netzwerkkoordinatorin. Dabei geht es sowohl um die Redaktionsplanung als auch um die strategische Ausrichtung und die öffentliche Kommunikation.
Die Hauptverantwortung für das Netzwerk und dessen Koordination liegt bei der Kommunikationsabteilung des Bistums Osnabrück und ist aktuell an die Stelle der Referentin für digitale Glaubenskommunikation geknüpft. Dennoch sind die Creators und Bloggenden für ihre jeweiligen Inhalte selbst verantwortlich. Das ist nicht nur mit einer Eigenverantwortung, sondern auch mit einer Freiheit in der Gestaltung der Inhalte und Beiträge verbunden, die die Personen dadurch behalten.
Die Aufgabe der Koordination ist es, den Rahmen festzulegen, damit das Netzwerk eine Struktur bekommt und behält. Um diese Struktur nicht fremdzuleiten, wurden zu Beginn der Netzwerkgründung Regeln sowie gemeinsame Werte festgelegt; gemeinsam mit denjenigen, die bereits von Beginn an dabei sind. Diese Regeln und Werte werden jährlich überprüft und angepasst – und zwar nicht von mir, sondern gemeinsam mit allen aktuellen Mitgliedern. Ähnlich wie eine Ortsgemeinde entwickeln sich auch der digitale Raum, die sozialen Medien und das Miteinander. Auf diese Veränderungen müssen die Mitglieder und das Netzwerk entsprechend reagieren.

Die Aufgaben, die sich die Mitglieder gegeben haben, reichen von Sichtbarkeit (einer vielfältigen Kirche) und Ansprechbarkeit bis hin zum Aufzeigen von Sinnperspektiven. Vor allem will das Netzwerk aber alle diejenigen erreichen, die auf der Suche sind, Menschen in ihrer (religiösen) Selbstbestimmung stärken und dabei auch anschlussfähig bleiben.
Die Mission dahinter: Zuhörende sein in den digitalen Räumen – d. h. sowohl in den Kommentarspalten der eigenen als auch der fremden Beiträge. Darüber hinaus geht es um einen Seelsorgeauftrag. Dieser fängt in den Wahrnehmungen der Follower an, die auf Beiträge reagieren, und geht bis zur Begegnung in den Direct Messages.
Im Bewusstsein dessen, dass das Bodenpersonal ein kleines Spektrum der katholischen Kirchenwelt anspricht, fördern die Mitglieder auch eine gewisse Akzeptanz anderer Ansichten und auch eine Debattenkultur. Durch diese Haltung soll eine spirituelle Autonomie vermittelt und gefördert werden. Dabei geht es weniger um einen Bildungsauftrag, sondern vielmehr um ein Sichtbarmachen und eine Stärkung dessen, was schon besteht.

Im digitalen Raum gibt es weniger hierarchische und patriarchale Strukturen – was vielmehr zählt, ist der Content. An diesem Punkt setzen die Mitglieder meistens an: Es geht um die eigene Meinung, den persönlichen Glauben, aber auch um Hintergrundwissen und Kontext. Die Follower sollen anknüpfen können, und das sowohl durch die weniger akademisierte und theologische Sprache als auch durch sensible, kreative, authentische, alltagsnahe Sprache und Partizipation. Engagement ist in den sozialen Medien heutzutage das A und O, die Anzahl der Follower spielt nicht mehr die Hauptrolle, sondern die aktive Beteiligung und Interaktion.

Das Bodenpersonal und die digitale Kirche sind kein Ersatz zu klassischen Gemeindestrukturen, sondern bieten vielmehr denjenigen, die in den digitalen Räumen auf der Suche sind, einen Safe Space und einen Anknüpfungspunkt für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben. Da Social Media ein Teil der Lebensrealität vieler Menschen sind, der mit großer Selbstverständlichkeit begangen wird und stattfindet, können sie nicht ausgeblendet werden und müssen als ein Teil von Kirche aktiv mitbedacht und ‑bearbeitet werden. Die Arbeit in den digitalen Medien kann also nicht nur als Ergänzung zur pastoralen Arbeit verstanden werden, sie ist vielmehr direkte pastorale Arbeit.
Es besteht eine große Wechselwirkung zwischen dem digitalen Raum bzw. dem Netzwerk und einer Ortsgemeinde​(‑struktur). Die Themen, Fragen und Anliegen, die Follower mitbringen, sind meist auch Themen in den Ortsgemeinden und umgekehrt. Es gibt Suchende, Zweifelnde und auch diejenigen, die Sicherheit und Orientierung geben können. Die Themenfindung orientiert sich sowohl an der Struktur des Kirchenjahrs als auch an den Themen, die die Gesellschaft, die Follower und Mitglieder in das Netzwerk einbringen.
Ein gutes Beispiel für diese Wechselwirkung ist der Kanal von „Couchpastor Maik“. Als Priester und Schulseelsorger ist er im stetigen Austausch mit jungen Erwachsenen und nimmt in seinen Arbeitskontexten auch Fragen und Sorgen wahr. Diese kann er wiederum in seinen YouTube-Videos und Facebook-Live-Gesprächen verarbeiten und benennen. Durch die Kommentare und Nachrichten, die Maik dort erhält, kann er wiederum auch Erfahrungen für seinen Alltag in der Schulseelsorge mitnehmen.

Großer Mehrwert bzw. Learnings aus dem Netzwerk sind definitiv die Zusammenarbeit und die authentische Sprache. Es braucht keine Hierarchie, keine engen Vorgaben und keine liturgische, theologische und akademische Sprache, um die Menschen zu erreichen. Ganz im Gegenteil: Es gibt so viele kreative, empowernde und inspirierende Personen, die – wenn man ihnen den Freiraum lässt – so viele Menschen in ihrer Spiritualität und ihrem Glauben fördern und unterstützen können. Dafür müssen wir diesen Menschen eine Plattform, einen Rahmen und Freiraum geben, entfalten tun sich diese Personen selbst und andere gleich mit.
Diese Form des Netzwerkens macht es leicht und schnell möglich, sich sowohl über die eigenen Bistumsgrenzen hinaus auszutauschen als auch mehr von denjenigen zu erfahren, die auf der Suche sind!

Der digitale Raum hat viele Facetten und Möglichkeiten, dass sich Menschen mitteilen und von ihren persönlichen Erfahrungen berichten. Es gibt für alles eine Nische. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kanal vom „Knastprediger“. Manfred Heitz arbeitet als Gefängnisseelsorger im Bistum Speyer und veröffentlicht auf dem gleichnamigen YouTube-Kanal Kurzpredigten für Gefangene im Strafvollzug. Ein analoges und digitales Angebot zugleich – er berichtet immer wieder auch anonymisiert von Erfahrungen, die er in der JVA macht, und spricht so seine Nische gezielter an.

Die Personen und unterschiedlichen Generationen sowie die Themen aus Gesellschaft und Religion entwickeln sich fast so schnell wie die sozialen Medien weiter. Vermutlich, weil sie eben Teil eines großen Ganzen sind und sich die eigenen Seh- und Hörgewohnheiten anpassen. Das Netzwerk schaut immer wieder auch auf diese Tatsache und versucht, die Angebote und den Content entsprechend zu gestalten. Deshalb kommen wir in Zukunft auch nicht um TikTok herum, und wer weiß, was nach Threads, Snapchat & Co. als nächstes kommt. Die katholische Kirche muss, wenn sie noch eine Relevanz bei den jüngeren Generationen wie Z, Alpha und Beta behalten will, auch in den sozialen Medien hörende, sehende und verkündende Kirche sein.