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Unterwegs mit DIR

Wanderexerzitien unter besonderer Berücksichtigung von Bergexerzitien

Foto: Archiv Betz.

Ziele von Exerzitien nach Ignatius von Loyola

„Vor Dir zu sein, und das ist alles – die Augen meines Körpers zu schließen,

die Augen meiner Seele zu schließen und regungslos bleiben,

in der Stille mich Dir zu öffnen, der Du da offen bist für mich,

in Deiner Gegenwart zu sein, Du, unendliches Jetzt.

Ich akzeptiere, nichts zu spüren, nichts zu sehen, nichts zu hören,

frei von jeglichen Gedanken, jedem Bild hier zu sein.

Dir ohne Hindernis zu begegnen, in der Stille des Glaubens vor Dir.“

(Michel Quoist)

 

„… der Du da offen bist für mich …“ – Der französische Priester und Autor Michel Quoist geht in seinem Gebet von der Glaubensüberzeugung und -erfahrung aus, dass das göttliche Geheimnis personal gegenwärtig ist und sich ihm offenbaren will.

Von dieser Überzeugung ist auch der Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola (1491–1556), überzeugt, als er in der Zeit von 1522 bis 1535 seine für die Exerzitienentwicklung so wichtigen „geistlichen Übungen“ als Grundlage für vierwöchige Exerzitien entwickelt hat. Sie sind heute noch die Ausgangsbasis für zahlreiche Formen von Exerzitien im ignatianischen Sinne.

Grundlegendes Ziel von Exerzitien ist demnach, eine lebendige Beziehung zu dem göttlichen Geheimnis aufzubauen und zu vertiefen. Die Exerzitandinnen und Exerzitanden werden angeleitet, sich immer weiter in ein Bewusstsein der ständigen Gegenwart Gottes einzuüben und dabei „den göttlichen Willen zu suchen und zu finden in der Ordnung (disposición) des eigenen Lebens zum Heil der Seele“ (Ignatius 1966, 15). Daraufhin ist der Mensch nach Ignatius geschaffen, darin besteht der Sinn seines Lebens (vgl. ebd. 25).

Was müssen wir dafür tun? Nach dem Gebet von Quoist eigentlich nichts!

Ist das einfach? Nein! Einfach nur da zu sein, frei von jeglichen Gedanken zu sein, ist erfahrungsgemäß schwer.

 

„… Dir ohne Hindernis zu begegnen …!“

 

Um auf dem Weg zum Ziel fortzuschreiten, bedarf es der Achtsamkeit auf sämtliche, auch die unscheinbarsten Gefühlsregungen, auf Situationen der Versuchungen, auf das, was zu Trostlosigkeit und Unzufriedenheit führt, bzw. auf das, was das Vorwärtskommen fördert. Als Mittel bietet Ignatius die Gewissenserforschung, Meditation, Betrachtungen, Gebet und „andere geistliche Tätigkeiten“ an. Bei all dem soll nicht das „Vielwissen“ entscheidend sein, sondern vielmehr das „Verspüren (sentir) und Verkosten (gustar) der Dinge von innen her (internamente)“ (ebd. 15).

Das Unterwegssein, das Gehen in der Natur hat sich bei Exerzitien als eine bedeutende und hilfreiche Methode erwiesen. Natürlich braucht es Zeit, um in einen Prozess zu kommen, der einen auf dem Weg der Suche nach der göttlichen Gegenwart, dem Verspüren und Verkosten weiterbringt. Bei Exerzitien sollte man deshalb fünf und mehr Tage unterwegs sein.

Die Atmosphäre der Natur als Resonanzraum

Die Natur, insbesondere in Gestalt der Bergwelt, ist eine Metapher für unser Leben. Sie wirkt auf uns ein und spricht körperliche und seelische Befindlichkeiten in uns an. Sie deckt sie sozusagen auf. Es kommt zur Resonanz zwischen Mensch und Natur.


Foto: Archiv Betz.
 

Ein beschwerlicher Aufstieg über ein Schotterkar ist für jemanden eine Lust und Freude, weil er oder sie sich in dieser Umgebung und der Bewegung in ihr befreit fühlt. Für andere ist es mühevoll, und das vielleicht nicht nur deshalb, weil die eigene konditionelle Verfassung schlecht ist, sondern weil – möglicherweise unbewusst – die Müllhalde des eigenen Lebens eine innere Barriere aufbaut und lähmt.

Ein Wald kann jemandem lichtvoll erscheinen und Geborgenheit vermitteln, anderen unheimlich erscheinen und sie bedrücken, je nach innerer Stimmung.

Wasser kann einladen und helfen, die eigenen, existentiellen Lebensquellen zu entdecken. Man kann sich aber auch im Strudel verlieren.


Foto: Archiv Betz.
 

Ausgesetzte Wegpassagen können gegebenenfalls zu einem lebendigen Spiegelbild persönlicher ungesicherter Lebenssituationen oder überhaupt einer momentan völlig zerrütteten seelischen Verfassung werden, die möglicherweise in einer Panikattacke zum Ausdruck kommt.

Ein Joch bzw. Übergang kann Auslöser sein, zurückzublicken auf seinen bisherigen Lebensverlauf, was da gepasst hat und was nicht. Es können sich Aussichten und Wünsche auftun, wie es vielleicht auf der anderen Seite weitergehen könnte und sollte.

Gipfel sprechen wie von selbst von Gipfelerlebnissen, aber auch von der Gewissheit, dort nicht bleiben bzw. sie nicht festhalten zu können.


Foto: Archiv Betz.
 

Und dann können sich beim Unterwegssein Empfindungen von einer Weite und Stille geradezu aufdrängen, die befreien und hoffnungsvoll stimmen.

Dies alles und natürlich noch weitere Begebenheiten gilt es von den Exerzitienbegleiterinnen und -begleitern zu beachten, in Impulsen und in Reflexionsgesprächen mit der Gruppe oder mit Einzelnen aufzugreifen, zu vertiefen und danach zu fragen, wie diese Erlebnisse auf das je persönliche Leben hin gedeutet werden könnten. In der Weiterführung stellt sich dann immer auch die Frage, welche Rolle bei alldem auch die je konkrete Beziehung zum göttlichen Geheimnis spielt.

Einige Anmerkungen zum individuellen Prozess bei Exerzitien

Die folgenden Phasen geben nur eine grobe, schematische Orientierung über mögliche Verläufe von individuellen Prozessen während der Exerzitien, mit denen Exerzitienbegleiterinnen und -begleiter rechnen müssen. Sie können ein Richtmaß für die Auswahl von Impulsen sein oder Hinweise auf Gefühlslagen geben, die im Hintergrund von Aussagen mitschwingen.

1. Orientierungsphase

  • Thematisierung des „Aufbruchs“ in einen neuen Raum mit eigener Atmosphäre
  • Was bleibt von der Alltagswirklichkeit präsent, was drängt sich immer wieder auf?
  • Ziel der (Berg‑)Exerzitien: Einübung in das Bewusstsein der Präsenz Gottes

2. Faszination Bergwelt (Natur): Alles ist „schön“ – Alltag ist ganz weit weg:

  • Mit gegebener Distanz zum Alltäglichen kann dieses genauer angeschaut und sondiert werden nach den Aspekten: Was stört? Was brauche ich?
  • Thematisierung des „Alles-ist-schön“ ist möglich im Hinblick auf ein „Geborgensein IN der göttlichen Wirklichkeit“, die alles umgibt.
  • Die Möglichkeit des Gefühls der Gottesferne ist einzukalkulieren!

3. Wandel (von außen nach innen)

  • Erste Klarheit stellt sich darüber ein, was ich brauche und wie es weitergehen kann.
  • Ver-INNER-lichung SEINER Gegenwart: DURCH IHN als Tagesthema möglich („In [und durch ihn] leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ [Apg 17,28])
  • Abends ist bei Teilnehmenden mit dem Gefühl zu rechnen, dass sie das Ziel ihrer Exerzitien erreicht hätten.

4. Überprüfungs-/Einübungsphase

  • Möglichkeit zur Überprüfung des Ziels
  • Anleitung zur „Selbstversicherung“ SEINER Gegenwart, DURCH IHN zu leben und von IHM geliebt zu sein

5. Orientierung auf den Alltag hin

Positive Spannung zwischen Exerzitien als individuellem Prozess und Gruppendynamik

Exerzitien sind ein wesentlich individueller Prozess, in denen allein die Kommunikation zwischen den jeweiligen Exerzitandinnen/​Exerzitanden und dem göttlichen Geheimnis im Mittelpunkt steht. Gleichzeitig vollziehen sich Wander- bzw. Bergexerzitien in der Gruppe. Gruppenprozesse kommen automatisch in Gang, nicht zuletzt auch deshalb, weil es in der Natur immer zu Situationen kommen kann, in denen gegenseitige Hilfestellungen notwendig werden.

Umso wichtiger ist es zu überlegen, wie Gruppensituationen sinnvoll in die jeweiligen individuellen Prozesse eingebaut werden können:

Reflexionseinheiten in der Gruppe, wenn man sie nicht von vornherein ausschließt, sind aus dem Grund heraus sinnvoll, dass innere Bewegungen, die jemand bei sich empfunden hat und nun zum Ausdruck bringt, bei anderen einen „Aha-Effekt“ auslösen können, indem sie sich bewusst werden, dass sie ja Ähnliches erlebt haben. Der je eigene persönliche Prozess wird gefördert.

Bei Situationen, in denen Teilnehmende der Hilfestellung bedürfen und andere diese leisten können, sollte hinterfragt werden, ob Bezüge zum jeweiligen Alltag gegeben sind. Wie schwer oder leicht fällt es mir, Hilfe anzunehmen bzw. zu gewähren? Welche Situationen sind das? Wie reagiere ich auf problematische Situationen im Alltag? Rückzug, forsches Drauflosgehen, Lust an der Herausforderung, Panik, Hilfesuchen …?

Spannungsreiche Situationen zwischen einzelnen Teilnehmenden können natürlich auch immer ein Anlass sein, die Frage danach zu stellen, was es denn genau ist, was da stört. Vielfach hat es ja weniger mit der anderen Person als mit einem selbst zu tun.

Wichtig für die Begleitenden ist es, die Teilnehmenden immer wieder zu sich selbst zurückzuleiten und auf Schweigezeiten Wert zu legen.

Methoden bei Exerzitien

  1. Sensibilisierung: Körperwahrnehmungsübungen, bei denen auf Bewegungs- und Atemfluss achtgegeben wird, und Gebete, in denen die Öffnung der Sinne thematisiert wird
  2. Impulse als Angebote (jede Person ist zunächst für sich selbst der entscheidende Impuls)
  3. Betrachtungen
  4. Singen
  5. Schweigezeiten als Hinführung zur Stille
  6. Kontemplation
  7. „Wenn du redest, dann soll deine Rede besser sein, als dein Schweigen gewesen wäre“ (Sprichwort)
  8. Gehen im Sinne der Entschleunigung: Möglichkeiten der Geh-/​Atemmeditation, evtl. mit Vers)
  9. Austauschrunden zur persönlichen Reflexion und Anregung für andere
  10. Persönliches geistliches Gespräch
  11. (Stationen‑)Gottesdienst

Rahmen bei Wander- und Bergexerzitien

  • Mindestens fünf Tage von Hütte zur Hütte oder von festem Standort
  • Anzahl der Teilnehmenden: bei zwei Leitenden zwölf Teilnehmende (Richtmaß! Es ist zum einen zu bedenken, wie schwierig das Gelände ist, zum anderen, wie viel Zeit zu persönlichen Gesprächen zur Verfügung steht und wie viele Gespräche überhaupt bewältigt werden können).

Anforderungen an die Leitenden

Wander-/bergtechnische Qualifikationen

  • Den Verhältnissen angepasste Fähigkeiten in konditioneller und bergtechnischer Hinsicht (es müssen genügend Reserven vorhanden sein!)
  • Kenntnisse über Orientierung und Wetter (im Gebirge über die objektiven alpinen Gefahren überhaupt)
  • Gespür für die Fähigkeiten und Grenzen der Teilnehmenden
  • Organisatorische Fähigkeiten
  • Wanderleiter-Ausbildung
  • Erste Hilfe

Geistliche Qualifikation

  • Selbst ein christlich spirituell geprägtes Leben führen
  • Biblisch-theologisches Grundlagenwissen („Evangelium“: Es kommt auf eine frohmachende Botschaft an, die stärkt und zuversichtlich stimmt!)
  • Qualifikationen bzgl. Gruppenpädagogik
  • Qualifikationen zur geistlichen Begleitung und Gesprächsführung


Foto: Archiv Betz.