Inhalt

„Suche den Frieden und jage ihm nach!“ (Ps 34,15)

Pilgertage im Herzen Europas (10.–14.8.2022)

Welche Vorstellungen zu „Frieden“ kommen Ihnen zuerst in den Kopf? Inwiefern bieten Pilgertage einen guten Rahmen, über dieses Thema in Bewegung zu kommen – sowohl geistig als auch körperlich? Diese beiden Fragestellungen waren sowohl in der Planung dieser Pilgertage als auch währenddessen immer wieder präsent.

Nun aber noch einmal einen Schritt zurück! Wie kam es dazu, Pilgertage durchzuführen und wieso überhaupt zum Thema Frieden? Nach erlebnisreichen und prägenden Pilgertagen in der Pfalz im September 2021 im Rahmen meines Dekanatspraktikums für den pastoralen Dienst im Bistum Trier war für mich klar, dass das Pilgern und In-Bewegung-Sein den Menschen wichtig ist – vor allem seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Diesem Impuls folgte die Überlegung, diese Pilgertage in einer Magisterarbeit zu reflektieren. Darüber hinaus ist es nicht erst seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wichtig, deutlich zu machen, welch ein fragiles Gut Frieden ist und dass wir uns immer wieder im Friedenstiften üben müssen. Ich sehe es als christliche und politische Verantwortung an, die Menschen zum Diskurs über den Frieden anzuregen.

Ein weiterer Grund dafür, das Thema Frieden in das Zentrum dieser Tage zu stellen, war die geographische Lage unseres Ausgangspunktes für die jeweiligen Tages-Etappen. Der Ort Bollendorf liegt an einem Grenzfluss, der Sauer. Beim Überschreiten der Bollendorfer Brücke befindet man sich im Nachbarland Luxemburg.

Die Region bietet noch andere Orte, welche für den europäischen Gedanken und den Frieden bedeutsam sind. So z. B. Schengen, ein Ort in Luxemburg am Dreiländereck Deutschland-Luxemburg-Frankreich, in welchem am 14.6.1985 das Schengen-Abkommen unterzeichnet wurde, das ein Reisen durch die beteiligten europäischen Staaten ohne Personenkontrolle ermöglicht.

Zum anderen gibt es auch Orte, die uns daran erinnern, dass Frieden ein fragiles Gut ist. Der Westwall, die 630 km lange Westgrenze während der NS-Zeit, ist solch ein Zeichen. Reste davon befinden sich in Luxemburg und in Teilen der Eifel.

An einem der Pilgertage machten wir uns auf den Weg nach Echternach. Dieser Ort kann auch als Friedensort gesehen werden. Der Friesenmissionar Willibrord, welcher von 658 bis 739 lebte, gründete die Abtei und ist in der Basilika begraben. Er setzte sich in seinem Dienst als Missionar verstärkt für eine Vermittlung zwischen der kirchlichen und der weltlichen Obrigkeit ein. Alljährlich findet am Pfingstdienstag auch die Springprozession in Echternach statt, welche zum immateriellen Weltkulturerbe gehört. Hierzu treffen sich nicht nur die Echternacher*innen, sondern auch zahlreiche anderen Pilger*innen aus der Großregion, um daran teilzunehmen. Im Zuge dessen ist Europa an diesem Tag zu Gast in Echternach und lebt auf besondere Art und Weise den europäischen Gedanken.

Blick auf Echternach. Alle Fotos: Judith Schwickerath.
 

Neben diesen besonderen Orten des Friedens bietet die Region auch aus touristischer Perspektive viele Möglichkeiten. Die Sandsteinlandschaft des deutsch-luxemburgischen Naturparks mit ihren zahlreichen Höhlen, Felsen und Schluchten fasziniert einen und lädt auch zum Verweilen ein.

Bevor nun die Struktur und der Aufbau der Pilgertage näher in den Blick genommen wird, soll noch ein Blick auf die Altersstruktur geworfen werden. Die meisten Pilger*innen sind in den 1950er Jahren geboren. Dies zeigte sich besonders in einer Diskussionsrunde zur Bergpredigt.

Die Pilgerinnen und Pilger vor der Echternacher Basilika.
 

Nun geht der Blick zurück auf die Pilgertage an sich und deren Struktur. Fünf Tage waren wir als Pilgergruppe unterwegs – der erste und der letzte Tag waren nur jeweils halbe Tage, welche von der Anreise bzw. Abreise geprägt waren. Diese Tage hatten die Überschriften „ANKOMMEN“ bzw. „AUFBRECHEN“. Die mittleren drei vollen Tage beschäftigten sich mit der Friedensthematik auf den jeweiligen unterschiedlichen Beziehungsebenen. Der zweite Tag trug die Überschrift: „ICH – DASEIN → Frieden für mich/Ich suche den Frieden in mir“. Der dritte Tag hatte die Überschrift: „Friede in der Gesellschaft → Ich suche den Frieden zwischen DIR und MIR“. Der vierte Tag hatte die Überschrift: „Friede in der Gottesbeziehung → Ich suche den Frieden zwischen GOTT und MIR“. Die Struktur der Tage unterliegt dem Modell der konzentrischen Kreise. Dieses kann sowohl von außen nach innen als auch von innen nach außen angegangen werden. In diesen Tagen wurde von innen nach außen gearbeitet. Es wurde damit begonnen zu überlegen, was Frieden für mich persönlich ausmacht, und darauf aufbauend wurde der Frieden mit meinen Mitmenschen und Gott in den Blick genommen.

Von den Impulsen her boten die Pilgertage gleichbleibende Elemente. Diese waren Körperwahrnehmungsübungen, Bibeltexte, Diskussions- und Austauschrunden, Meditationszeiten und der ignatianische Tagesrückblick. Der Tag startete nach dem Frühstück und einer ersten Weg-Etappe mit einer Körperwahrnehmungsübung. Hierbei geht es darum, Körper und Geist auf die vor uns liegende Tages-Etappe vorzubereiten. Ferner griff die Morgeneinstimmung auch die Thematik des Tages auf. Im Anschluss wurde der Bibeltext für den jeweiligen Tag eingeführt. Am ersten Tag beschäftigten wir uns mit Ps 34,15–23 und dem programmatischen Satz, welcher auch in der Überschrift dieser Tage auftaucht: „Suche Frieden und jage ihm nach!“ Der erste volle Tag beschäftigte sich erneut mit Ps 34,15–23, an diesem Tag jedoch mit einer zeitgenössischen Übersetzung von Huub Oosterhuis. Nach einer ersten längeren Pilger-Etappe im Schweigen wurde dann anhand von Zitaten bekannter Persönlichkeiten über den Frieden diskutiert und darüber, inwiefern sich diese Aussagen mit dem eigenen Verständnis von Frieden verbinden lassen oder dem auch widersprechen. Beispiele für diese Friedenszitate sind: „Wer selbst keinen inneren Frieden kennt, wird ihn auch in der Begegnung mit anderen Menschen nicht finden“ (Dalai Lama). Und: „Ich mahne unablässig zum Frieden; dieser, auch ein ungerechter, ist besser als der gerechteste Krieg“ (Cicero). Nach dem Abendessen gab es dann an jedem der Pilgertage die Möglichkeit, weitere Erfahrungen und Gefühle, die noch auf dem Weg aufkamen, mit der Gruppe zu teilen. Als Einstieg zu dieser Austauschrunde am Abend gab es einen ignatianischen Tagesrückblick. Das Gebet steht im eigentlichen Sinne für eine Einstellung und eine Haltung mir selbst gegenüber und gegenüber allem, was um mich ist und was geschieht. In Zuge dessen wird Rückschau auf den Tag gehalten, besondere Momente werden Gott hingehalten und mit ihm ins Gespräch gebracht.

Grüne Hölle.
 

Der zweite volle Pilgertag beschäftigte sich mit der Frage nach dem Frieden mit meinem Mitmenschen. Der Bibeltext zu diesem Tag aus dem Buch Jesus Sirach (Sir 6,5–17) stellte die Frage nach den Merkmalen eines wahren Freundes. Ferner wurde auf den Friesenmissionar Willibrord hingewiesen, der auch als einer der ersten Europäer und Freund des Friedens zählt. An diesem Tag gab es eine Meditation mit Blick auf die Stadt Echternach und die Abtei, welche Willibrord gegründet hat. Hierzu gab es auch Impulsfragen, die sich mit der Frage nach dem Umgang mit meinen Mitmenschen beschäftigten. Zwei der Fragen waren: „Wo erlebe ich, dass Beziehungen mich zum Leben führen? Wo lösen Beziehungen Ohnmacht in mir aus?“ An der Abtei in Echternach erhielten wir eine lebendige Führung durch die Abtei, die die Begeisterung und einen positiven Nationalstolz zeigte und somit auch ein „Bekenntnis“ für den europäischen Frieden darstellte.

Passage Mandrack.
 

Der dritte Tag beschäftigte sich mit der Frage nach dem Frieden in der Gottesbeziehung und darüber hinaus nach einem allgemeingültigen Wertekanon, welcher ein gutes Zusammenleben ermöglicht. Der Bibeltext zu diesem Tag war Mt 5,3–11, die Seligpreisungen der Bergpredigt. Hierzu wurde eine Diskussion über diese Seligpreisungen angeregt. Wichtige Schwerpunkte waren die Frage nach dem menschengemachten Klimawandel und dem Umgang mit diesem durch die verschiedenen Generationen hindurch. Eine Erkenntnis hieraus war, dass die jüngere Generation dieser Zeit in ihren Handlungen und Parolen konsequenter ist als die früheren Generationen. Ein Beispiel hierzu sei die Fridays-for-Future-Bewegung oder die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen. Die Aussage eines Pilgers dazu war, dass die früheren Generationen auf die Missstände eher aufmerksam gemacht hätten, aber trotzdem in den vorgegebenen Systemen geblieben seien. Weiter kam die Frage danach auf, wie die Textstelle „die, die reinen Herzens sind“ zu verstehen ist. Anknüpfend daran wurde von schmerzlichen Erfahrungen der Beichtkatechese berichtet, verbunden mit der Frage, inwiefern ein Kind ein reines Herz besitzt.

Schankweiler Klause.
 

Der letzte Tag beschäftigte sich mit dem „AUFBRECHEN“. Nach einer kurzen Weg-Etappe feierten wir einen Wortgottesdienst, bei welchem die Pilgertage noch einmal in Form eines ignatianischen Tagesrückblicks nachklingen konnten. Die Bibelstellen aus dem Johannesevangelium (Joh 14,25 ff. und Joh 16,33 ff.), in welchen der Geist Gottes als Beistand erwähnt wird, sollten die Pilger*innen dazu ermutigen, das, was sie in diesen Pilgertagen erfahren hatten, weiterzugeben.

Neben den inhaltlichen Impulsen und dem Austausch in verschiedenen Formen wurden die Pilgertage anhand von Tandeminterviews ausgewertet. Die Fragen wurden mit Hilfe des Modells der Themenzentrierten Interaktion (TZI) erstellt. Dieses Modell wird als ein gleichseitiges Dreieck dargestellt, um welches herum ein Kreis abgebildet ist. Die Punkte des Dreiecks stehen für jeweils einen Pol. Der eine steht für das ICH, ein weiterer für das ES und der letzte Punkt des Dreieckes für das WIR. Der Kreis um dieses Dreieck herum ist mit GLOBE beschrieben. Dieses Modell soll somit die Ganzheitlichkeit von Leben, Lernen und Zusammenleben darstellen. Auf diese Pilgertage angewandt sah eine Auswahl der Fragen wie folgt aus:

  • Fragen zu ES: „Welche Vorstellung von Frieden hatten Sie vor diesen Tagen? Wenn Sie auf diese Tage zurückschauen: Hat sich diese Vorstellung verändert?“
  • Frage zu ICH: „Gibt es in Ihrem Leben einen konkreten Anlass bzw. Motivation, sich zu diesen Pilgertagen anzumelden?“
  • Frage zu WIR: „Tut Ihnen die Gruppe gut auf Ihrem persönlichen Pilgerweg?“
  • Frage zum GLOBE: „Hat das Wandern in der deutsch-luxemburgischen Grenzregion dazu beigetragen, über den Frieden intensiver nachzudenken, darüber mit den anderen zu sprechen und das Thema noch einmal anders zu sehen?“

Erkenntnisse aus den jeweiligen Interviews – gebündelt nach Fragen – waren:

  • Bei den Fragen zu ES: Die Erkenntnis, dass Frieden bei mir selbst beginnt und ich mich im Kleinen immer wieder in Friedenstiften üben muss, war schon vor diesen Tagen vorhanden. Durch die Pilgertage wurden die Pilger*innen darin bestärkt, dass es wichtig ist, mit anderen über deren Friedensvorstellungen ins Gespräch zu kommen und somit noch einmal andere Perspektiven und Vorstellungen einnehmen zu können.
  • Bei den Fragen zu ICH: Viele Pilger*innen betonten, dass sie Freude an Bewegung und der Natur haben. Des Öfteren wurden auch religiöse Motive angeführt, wie die intensive Beschäftigung mit Bibelstellen in diesen Tagen oder die zahlreichen Gebete und lyrischen Texte aus dem Pilgerheft. Ferner kamen auch schmerzliche Erfahrungen in Bezug auf katholische Kirche und Frauen auf, die jedoch in diesen Pilgertagen durch die Leitung der Pilgertage durch zwei Frauen aufgebrochen wurden, sodass noch einmal eine Hoffnung aufblitzen konnte.
  • Bei den Fragen zu WIR: Erneut kam hier die religiöse Komponente zum Tragen. Programmatisch ausgedrückt in der Aussage: Glaube bedarf der Gemeinschaft, um geteilt zu werden. Ein weiterer Aspekt war das Kennenlernen von neuen Menschen, welche oft die gleichen Interessen teilen. Hierzu wurde noch ergänzt, dass vor allem die Angebote des Bistums eine gute Anlaufstelle sind.
  • Bei den Fragen zum GLOBE: Mehrmals wurde die Gastfreundlichkeit des Guides bei der Führung durch die Abtei in Echternach betont. Weiter der glückliche Zufall, dass sich im gleichen Zeitraum eine Gruppe mit Jugendlichen aus ganz Europa in der Jugendherberge aufhielt und auf eine einzigartige Weise zeigte, wie ein gutes Zusammenleben stattfinden kann.

Zwei O‑Töne fassen dies nochmal zusammen:

„Was jetzt für mich persönlich das Besondere am Pilgern ist, also ich bin auch gern draußen, bin auch gern in der Natur und ich wandere auch gerne in Gruppen; nur, wenn du pilgerst, ist das nochmal was Anderes. Ich empfinde das sogar schon als ein Geschenk, dass da Leute sind, die im Vorfeld ein bestimmtes Thema vorgeben, und das ist gelenkt, da werden die Gedanken gelenkt, da kommst du nicht vom Hölzchen aufs Stöckchen, sondern du fokussierst dich auf ein Thema.“

„Mir ist nochmal sehr deutlich geworden, dass Frieden wesentlich komplizierter und vielschichtiger ist, als ich bislang glaubte. Frieden ist nicht einfach Harmonie oder die Abwesenheit von Krieg, sondern es ist viel mehr: Es ist Bewegung, ständige Arbeit, aber auch eine permanente Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und mit anderen Menschen.”

Abschließend kann gesagt werden, dass die Verbindung von Körperlich-in-Bewegung-Sein und Geistig-über-ein-bestimmtes-Thema-in-Bewegung-Sein die Pilger*innen auf ganz individuelle Weise geprägt hat. Ferner haben die Austausch- und Diskussionsrunden dabei geholfen, die eigenen Vorstellungen zu hinterfragen oder auch zu bestärken. Zudem wurde ein Austausch über religiöse und gesellschaftliche Themen ermöglicht.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Pilgern mit einem thematischen Schwerpunkt zahlreiche Vorteile mit sich bringt, welche sowohl in den O‑Tönen der Interviews als auch in der Zusammenfassung der Interviews gezeigt werden konnten. Ferner kann gesagt werden, dass eine Zusammenarbeit zwischen Kirche und Tourismusbranche ertragreich sein kann. Die Kirche bietet den Tiefgang und die Tourismusbranche die nötigen Strukturen.