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Pastorale Innovation im Bistum Fulda

Lernen aus Überraschungen und Enttäuschungen

Die immer gleiche Botschaft des Evangeliums ist kein in sich geschlossenes Paket – sie steht in Resonanz mit dem Zeitgeschehen und wird zu jeder Zeit neu erzählt. Pastorale Innovation bedeutet, zwischen dem Inhalt des Evangeliums und den Bedürfnissen unserer Zeitgenossinnen und Zeitgenossen neue Chancen, Verbindungen, Bezüge und offene Türen zu finden. – Zehn Thesen zur Praxis pastoraler Innovation aus dem Bistum Fulda.

1. Bei Innovation geht es nicht um Originalität, sondern um Passung

Als strategische Initiative für pastorale Innovation im Bistum Fulda beschäftigen wir uns systematisch damit, was Menschen heute brauchen, damit sie auf neuen Wegen und bei neuen Gelegenheiten mit dem Evangelium in Kontakt kommen, und was haupt- und ehrenamtlich Engagierte dafür brauchen, um solche neuen Wege zu entwickeln. Dazu erproben wir neues Lösungswissen und arbeiten in agilen Schleifen. Wir entwickeln, gucken ab, probieren aus, evaluieren und lernen, zusammen mit den Menschen in unserem Bistum.

Als Leiterin der Initiative bin ich zusammen mit meinem vierköpfigen Team für drei Jahre von Bischof und Generalvikar im Rahmen der Bistumsentwicklung beauftragt. Wir arbeiten in Kooperation mit xpand, einer christlichen Organisationsberatung aus Dortmund. Wir stehen am Beginn des dritten Jahres und konnten bereits einige Erfahrungen sammeln, die ich in diesem Artikel mit Ihnen teilen möchte.

Es geht uns bei Innovation nicht um Originalität, sondern um Passung. Bei Innovation in Unternehmen geht es um die Passung zwischen Kunden und Produkt oder Dienstleistung. Bei Innovation in der Pastoral geht es uns um die Passung zwischen den existenzbezogenen Bedürfnissen zeitgenössischer Menschen und der Botschaft des Evangeliums. Da sich die spirituellen und existenzbezogenen Bedürfnisse von Menschen stark verändert haben und weiter verändern, bedeutet das für uns zunächst, die zeitgenössische Kultur und das, was Menschen darin bewegt, besser zu verstehen. Und von da ausgehend neue Wege und Formen zu entwickeln, die eine lebendige Begegnung und Erfahrung mit Gott leichter und wahrscheinlicher machen. Kurz gesagt: Bei pastoraler Innovation im Bistum Fulda geht es uns darum, für die Glaubensprozesse zeitgenössisch geprägter Menschen dienlich zu sein.

2. Es geht um einen Paradigmenwechsel

Uns wurde sehr schnell klar, dass es bei pastoraler Innovation nicht nur um ein paar Projekte oder Techniken gehen kann, sondern dass sie viel tiefer ansetzen muss: Es geht um eine veränderte Logik in der Pastoral. Um einen Paradigmenwechsel mit tiefgreifenden Haltungsänderungen.

Damit meine ich, eine Pastoral zu finden, die den Dreh nach außen schafft. Die nicht mehr vorrangig von den Bedürfnissen der aktiven Kirchenbesucherinnen und ‑besucher her denkt. Diese bilden nur eine Minderheit von fünf bis zehn Prozent der Kirchensteuer zahlenden Mitglieder ab. Ganz zu schweigen von den Personen jenseits von Mitgliedschaft, zu denen die Kirche gesandt ist.

Bei dem Paradigmenwechsel, den wir fördern, geht es uns um eine Pastoral, die von den Menschen ausgeht, die nicht da sind, und von dem, was sie sich wünschen, um neu mit Gott, Glaube und Evangelium in Kontakt zu kommen, und zwar nah an ihrem Leben und an dem, was sie bewegt.

Daher entwickeln wir diözesane Unterstützungsformate für haupt- und ehrenamtliche Innovateurinnen und Innovateure vor Ort und solche, die es werden wollen, weil sie denken oder sagen: „So können und wollen wir nicht weitermachen.“ Wir richten uns an Personen, die nicht einfach nur dem Bisherigen erlauben, noch etwas länger zu funktionieren. Die eine Unruhe spüren, neue Wege und Lösungen zu finden, und dafür bereit sind, mit Menschen auf anderen Wegen als bisher in Kontakt zu kommen – auch jenseits der eigenen Komfortzone.

3. Innovateurinnen und Innovateure brauchen Legitimation und Rückendeckung

Ganz unbedarft haben wir mit einem diözesanen Preis für pastorale Innovation angefangen. Menschen aus dem Bistum konnten sich mit ihren Projekten darauf bewerben. Eine unabhängige Jury hat daraus fünf Gewinnerprojekte gekürt. Dazu haben wir einen Tag für pastorale Innovation veranstaltet, aus dem eine begeisternde Motivationskonferenz wurde. Im Rahmen dessen wurde der Preis verliehen und wurden die Gewinner-Projekte geehrt. Wir haben dabei aus verschiedenen Überraschungen und Enttäuschungen gelernt.

Die erste Überraschung war, dass sich 40 Projekte auf den Preis beworben haben. Mit so vielen hatten wir gar nicht gerechnet. Das hat aber als Enttäuschung auch dazu geführt, dass 35 Projekte den Preis nicht gewonnen haben. Was das für viele bedeutet hat, hatte ich im Voraus komplett unterschätzt. Es wurde deutlich: Den meisten, die sich auf den Preis beworben haben, ging es nicht darum, das Preisgeld oder die Ehrung zu gewinnen, sondern um die Legitimierung ihrer neuen Wege von Kirche durch die Bistumsebene.

Innovateurinnen und Innovateure brauchen die Aussage: „Ihr dürft das nicht nur, sondern das soll so sein. Das, was ihr da wagt, ist Kirche der Zukunft und da wollen wir hin.“

Diese Aussage brauchen sie auf eine Weise, auf die sie sich nachhaltig berufen können, gerade auch gegenüber Stakeholdern vor Ort. Trägerinnen und Träger von Innovation sind in der Regel vor Ort gegen den breiten Strom bisheriger Selbstverständlichkeiten unterwegs. Daher brauchen sie stärkere Rückendeckung als andere kirchliche Akteure. Die Bedeutsamkeit und Kraft von rückenstärkenden Legitimierungen und offiziellen Labeln für Innovateurinnen und Innovateure kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

4. Die Innovation von nebenan ermutigt am meisten

Eine zweite Überraschung war, dass für die haupt- und ehrenamtlich Teilnehmenden des Tages die kleinen, regionalen Projekte der Preisverleihung wichtiger waren als die großen Expertinnen und Experten von außen, die an dem Tag gesprochen haben.

Für die, die vor Ort etwas Neues probieren, ist es wichtig zu erleben, dass Menschen an vergleichbaren Orten mutig und mit neuen Ansätzen Dinge ausprobieren, die wirksam sind. Das hat die meiste Ermutigung und den meisten Schwung gebracht. Innovationen von hippen Garagengründern aus New York, London oder Köln sind faszinierend, können aber auch entmutigen. Aber wenn Leute aus dem Nachbarort oder aus Pfarrei Y das können, dann können wir das auch, so war der Effekt.

5. Innovation braucht neue Formen fachlicher Begleitung

Eine dritte Überraschung und Enttäuschung stellte sich bei der Evaluation ein, mit der Antwort auf die Frage, was Teilnehmende aus ihrer Sicht für pastorale Innovation vor Ort am meisten brauchen. Ich war darauf gefasst, im Anschluss an den Tag einen Fonds einzurichten und verschiedene Schulungsformate anzubieten. Aber Geld als Bedarf hatte fast niemand angekreuzt. Stattdessen haben die Leute als mit Abstand am wichtigsten Folgendes zurückgemeldet: Unterstützung und Begleitung bei der Umsetzung vor Ort. Im Sinne von: „Wir sind schon auf so viele inspirierende Fortbildungen und Tagungen gefahren und begeistert nach Hause gekommen. Dann wollten wir das in unserem Kontext umsetzen, sind aber ganz schnell wieder in unsere alte Rille gefallen und die Energie war weg.“

Um innovativ wirksam zu werden, brauchen Akteurinnen und Akteure fachliche Begleitung, die genau an der Scharnierstelle zwischen Inspiration und Umsetzung ansetzt. Der Grund liegt auf der Hand: Es geht um nichts weniger als darum, einen Paradigmenwechsel in einen konkreten Kontext hinein zu buchstabieren. Die damit verbundene Selbstveränderung ist zu groß, um die Übertragung alleine zu schaffen.

Im ersten Moment war das für uns eine schlechte Nachricht, weil wir das so auch noch nie gemacht haben und es auch nicht die vielen fertigen Vorbilder gibt, die man schnell kopieren könnte.

Unsere Aufgabe ist also, Formate für Mentoring- und Beratungsdienste für pastorale Innovation zu entwickeln, die mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort an ihren Vorhaben arbeiten. Da hinein haben wir in den letzten zwei Jahren verstärkt investiert. Dazu haben wir verschiedene Formate entwickelt, ausprobiert und ausgewertet. Die Skala reicht von einstündigen Online-Formaten über dreistündige Workshops bis hin zu zweijährigen Begleitprozessen.

6. Investieren in Personen ist wichtiger als Investieren in Projekte

Mit dieser Schwerpunktsetzung haben wir uns implizit auch entschieden, uns bei pastoraler Innovation im Bistum Fulda nicht primär auf die Unterstützung von Projekten zu konzentrieren, sondern auf das Investieren in Personen. Das bedeutet, viel Zeit in wenige Personen zu investieren und auf die Fragen „Wo sind denn die Innovationen?“ nicht schnell Spektakuläres vorzeigen zu können.

Wir investieren stattdessen in Menschen, die miteinander einen pastoralen Perspektivwechsel einüben und ins Handeln kommen. Ich nenne es das Auszahlen in kleiner Münze und das konkrete Wühlen im Dreck – in unserer wertvollen Bistumserde. Oder, wie wir manchmal scherzhaft über uns selber sagen: „Wir kommen im Blaumann, nicht im Anzug.“

Es ist natürlich auf eine Art attraktiver, spektakuläre Innovations-Schönheiten zu züchten, die man nach außen zeigen kann. Aber ich sehe auch die Gefahr, dass diese wie schillernde Ballons über die Köpfe der Menschen im Bistum hinweg davonschweben und dass dadurch mit Innovation ein so großer Anspruch verbunden wird, dass nur sehr wenige sich trauen, ins Handeln zu kommen.

Vom Investieren in eine Haltungsänderung auf breiter Basis, die im Konkreten ausprobiert und als wirksam erfahren wird, erhoffen wir uns daher zurzeit das größte Veränderungspotenzial für eine langfristige Transformation von Pastoral.

Pastorale Innovation im Bistum Fulda arbeitet daher am Initiieren einer Graswurzel-Bewegung, die eine neue Kultur fördert. Dafür investieren wir nachhaltig in Personen.

Dazu ist uns bistumsweiter Austausch und Vernetzung sehr wichtig. Die Personen, die sich auf diese Wege machen, brauchen den Austausch und das Verbundensein mit anderen, die Ähnliches wagen. Dabei legen wir Wert darauf, dass Hauptberufliche und freiwillig Engagierte gemeinsam lernen. Durch die beruflichen Erfahrungen ehrenamtlich Engagierter aus ihren eigenen Kontexten entsteht ein Reichtum an Perspektive und Lebendigkeit, der beim Lernen hilft – und auch beim Einüben neuer Rollen und Haltungen zwischen Hauptberuflichen und freiwillig Engagierten.

7. Den Paradigmenwechsel im Handeln erfahren bewirkt die meiste Veränderung

In unseren Unterstützungsformaten verwenden wir innovationsrelevante Themen, die wir bei unserer Zielgruppe als Bedarf evaluiert haben. Diese liegen bewusst in der Schnittmenge von echtem pastoralem Perspektivwechsel und von etwas sehr Konkretem, dass ich vor Ort praktisch anwenden kann.

Identifizierte Themen sind für uns zurzeit: Nutzerorientierung, Visionsentwicklung, eine neue Sprache für den Glauben finden, Willkommenskultur und Gastfreundschaft, Charismen im Team, Evaluieren und Auswerten.

Menschen merken schnell, dass es sich bei diesen ganz konkreten, handfesten Dingen tatsächlich um Perspektivwechsel handelt. Wir erleben, dass die Themen aufwühlen und beschäftigen, auch über die Formate hinaus. Und dass sie gleichzeitig vitalisieren und ermutigen. Es werden zwei Dinge klar: dass pastorale Innovation neue Selbstwirksamkeit ermöglicht und dass sie über die bisherige Komfortzone hinausgeht.

Eines unserer Produkte ist zur Zeit der „Innotizer“, ein dreistündiges Workshopformat wahlweise zu einem der Themen. Er richtet sich vorzugsweise an Gruppen, die miteinander etwas entwickeln wollen. Wir helfen der Gruppe durch unsere Methoden dabei, mit Innovationsperspektive an ihrem eigenen Projekt zu arbeiten. Die Workshops sind so konzipiert, dass die Leute am Ende der drei Stunden mit konkreten Arbeitsergebnissen nach Hause gehen und Verabredungen zur Umsetzung getroffen haben. In diesem Jahr haben wir bereits rund 20 solcher Workshops an unterschiedlichen Orten im Bistum durchgeführt.

Das reicht beispielsweise von einem Team des bischöflichen Jugendamtes, das ein Jugendfestival nutzerorientiert neu aufstellen will, über ein Team der Berufungspastoral, das innovative Ansätze für die eigene Arbeit entwickeln möchte, vom Klausurtag eines Pfarrgemeinderates zur Entwicklung einer Vision für Kirche vor Ort bis zu Haupt- und Ehrenamtlichen einer neu fusionierten Stadtpfarrei, die in einem multikulturellen Kontext gastfreundlicher und einladender werden möchten.

Die Erfahrung ist, dass die Leute wirklich miteinander ins Arbeiten kommen, wenn sie so ein Geländer durch fachliche Begleitung bekommen. Der Schlüssel ist, schnell ins Handeln zu kommen. Das gelingt über Experimente. Damit üben Teams exemplarisch neue Haltungen, Fertigkeiten und Denkweisen ein und erfahren dabei Selbstwirksamkeit. Diese werten sie aus und kommen dadurch in weitere Lernschleifen. Das befähigt dafür, mittelfristig noch weiter über den bisherigen Rahmen hinauszugehen. Das ist unser Weg, um innovationsrelevante Haltungen zu fördern.

Kurzfristig bringt das Mikroveränderungen wie zum Beispiel das persönlich überbrachte Welcome-Paket für Neuzugezogene, die nutzerorientiert durchdachte Kinderecke, die Straßenumfrage im eigenen Ort zu den Bedürfnissen von Menschen und was sie sich von der Kirche wünschen, den selbstverantworteten Familiengottesdienst mit Freunden und Nachbarn im eigenen Garten, den handgeschriebenen Osterbrief an alle Menschen aus der Mitgliederkartei, den Poetry-Slam zum Mitmachen, die Glaubensveranstaltung in der Kneipe.

Mittelfristig erhoffen wir uns von diesem Ansatz nachhaltige Veränderungen, weil Akteurinnen und Akteure miteinander in ein neues Denken und Handeln finden und die Mittel dafür miteinander einüben. Uns ermutigen dabei Rückmeldungen wie: „Statt ‚Wir müssen was machen, um Leute um 9 Uhr in die Kirche zu kriegen‘ denke ich jetzt: ‚Nein, wir brauchen eine positive Außenwirkung, so dass Leute durch uns Kirche als positiv erleben.‘ Wie sich mein Kirchenbild verändert hat, staune ich selbst. Ich freue mich, nochmal ein so lebendiges und differenziertes Bild von Kirche zu bekommen.“

8. Innovation ist mehr als Technik: Es geht um Personen und ihre Sendung

Ich vergleiche pastorale Innovation gerne mit einer Schmiede. Im Freilichtmuseum Hessenpark heißt es: „Der Schmied war einer der wichtigsten Handwerker im Dorf. Nur er konnte die in der Land- und Forstwirtschaft benötigen Arbeitsgeräte herstellen und reparieren. Außerdem beschlug er die Zugtiere mit Hufeisen.“ Genau darum geht es uns: Wir wollen Arbeitsgeräte zur Verfügung stellen und in Zugpferde investieren.

Das Investieren in Personen und ihre Zurüstung mit Handwerkszeug sehen wir stark miteinander verwoben. Bei pastoraler Innovation, wie wir sie verstehen, geht es uns um eine doppelte DNA:

Der „blaue“ DNA-Strang steht für Handwerk. Wir können von Innovations- und Kreativitätstechniken aus dem Unternehmenskontext und von Entwicklungen des wertorientierten Marketings sehr viel lernen. Hierbei geht es beispielsweise um agile Methoden und Tools, Innovationswissen aus anderen Kontexten, Tools zur Visions- und Strategieentwicklung und Wissen über gesellschaftliche Mega-Trends.

Der „rote“ DNA-Strang steht, damit verbunden und verwoben, für Haltung und Sendung. Handwerk alleine würde für uns zu kurz greifen. Hier geht es beispielsweise um mein persönliches Warum, um meine Mündigkeit aus der Taufe, um einen neuen Blick auf die Menschen, zu denen ich gesendet bin, um Wissen über Glaubensprozesse in der Postmoderne, um die Haltung, dass Gott schon da ist und ich ihn nicht „bringe“, und um ein positives Verhältnis zu zeitgenössischen Kulturen.

Pastorale Innovation will keine schnellen Lösungen suchen, die dann überall standardisiert implementierbar sind. Sie arbeitet für die Überzeugung, dass vor Ort individuelle Lösungen gefunden werden müssen. „One size fits all“ funktioniert nicht mehr. Es geht uns nicht darum, einige Modelle schnell in der Fläche zu duplizieren, sondern es geht darum, mit den Leuten auf ihren Ort gesehen, einzuüben: Welchen Menschen möchten wir hier dienen? Was sind die Bedürfnisse dieser Menschen? Und was könnte unser Beitrag sein?

Pastorale Innovation kann aus meiner Sicht keine schlagkräftige, skalierbare Projektmaschinerie von mechanistisch Umsetzbarem liefern. Sondern das Loslassen des Funktionierens kann bereits Teil der Lösung sein.

9. Ein Kulturwandel braucht Multiplikatorinnen und Multiplikatoren

In der aktuellen Literatur zum Thema Kulturwandel in Organisationen wird als ein Schlüssel dafür, ob eine Veränderung zu einer Transformation wird, angesehen, Botschafterinnen und Botschafter für das Thema an verschiedenen Stellen der eigenen Organisation zu gewinnen. Die Literatur spricht sogar von mindestens 16 % der eigenen Mitarbeitenden.

Unter dem Titel SHIFT haben wir begonnen, mit einer Ausbildung zur Multiplikatorin oder zum Multiplikator für pastorale Innovation im Bistum Fulda so ein Netzwerk aufzubauen. Die SHIFT-Ausbildung umfasst verschiedene innovationsrelevante Inhalte aus unserer DNA sowie Begegnungen mit Innovationsexpertinnen und ‑experten aus anderen gesellschaftlichen Feldern.

In mehrteiligen Seminaren haben wir bisher 33 Personen in zwei Jahrgängen ausgebildet, die inzwischen verschiedene Praxiseinsätze als Innovationsberaterin oder ‑berater absolviert haben. Daraus ist ein starkes Netzwerk entstanden, das miteinander verbunden ist und etwas schultern kann. Zurzeit sind etwa zwei Drittel der Personen hauptamtlich Beschäftigte und ein Drittel ehrenamtlich Engagierte. Es handelt sich um eine breite Mischung von Männern und Frauen von 22 bis 67 Jahren aus verschiedenen Regionen, verschiedenen Berufsfeldern und mit verschiedenen spirituellen Ausrichtungen.

Dabei ist eine Lernerfahrung, was für einen Qualitätssprung die Kooperation mit der Personalabteilung bedeutet. Bereits in der Konzeptionsphase der Ausbildung haben wir miteinander ausgehandelt, in welchem Rahmen die Leute nachher eingesetzt werden können. Dadurch hat sich das Angebot von einer interessanten Fortbildung hin zu einer Qualifizierungsmaßnahme für einen Dienst im Bistum gewandelt. Das hat dem Ganzen eine andere Verbindlichkeit und Attraktivität gegeben: eine Möglichkeit, sich innerhalb der eigenen Dienst- oder Engagementzeit fachlich gut ausgerüstet in einem Zukunftsfeld von Kirche zu bewegen, und das in einem starken Netzwerk.

Ein SHIFT-Absolvent sagt über die Ausbildung: „SHIFT entwirft keinen fertigen Bausatzkasten, der einfach nur angewendet werden muss, und dann sind wir fit für Gegenwart und Zukunft. Vielmehr wird ein Haltungswandel auf verschiedenen Ebenen angestrebt.“

Zurzeit sind wir zusammen mit den 33 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Lage, auf Bedarf nach Unterstützung pastoraler Innovation vor Ort gut zu reagieren. Von den 16 % sind wir aber noch weit entfernt. Und offen ist noch, wie stark es gelingen wird, diese Multiplikatorinnen und Multiplikatoren perspektivisch an strategisch relevanten Stellen einzusetzen, so dass ihre Kompetenz maximale Wirkung auf die Weiterentwicklung der Organisation entfalten kann.

10. Innovation braucht Macht im System

Bei pastoraler Innovation geht es um die Entwicklung der Gesamtorganisation, nicht um ein paar Projekte. Daher haben wir zu Jahresbeginn eine operative Winterpause eingelegt, um systematisch zu lernen. Dazu haben wir uns mit verschiedenen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern aus Unternehmen, Wissenschaft und kirchlicher Organisationsentwicklung getroffen und Gespräche in Form von Qualitativ-Interviews geführt. Wir wollen noch mehr lernen, was es braucht, um innerhalb einer Großorganisation radikalere Innovationen und Aufbrüche wahrscheinlicher zu machen, was potenzielle Trägerinnen und Träger an Mandaten und Organisationsformen dazu brauchen und was wir jetzt tun müssen, damit Christinnen und Christen in zehn Jahren vor Ort in Mikrostrukturen lebendig ihren Glauben leben und ihre Orte sozial mitgestalten.

Das Ergebnis war auf breiter Linie, dass es für Innovation gerade in etablierten Organisationen andere Rahmenbedingungen und Denkweisen braucht, als die Organisationskultur hergibt, die in der Regel absichernd arbeitet. Daher empfehlen Expertinnen und Experten den Aufbau eines zusätzlichen Strangs innerhalb der eigenen Organisation, der gute Rahmenbedingungen für Agilität schafft und der erfolgreichen Innovationen durch organisationale Absicherung aus dem punktuellen Projektstatus heraushilft. Sonst gelingt ein Paradigmenwechsel nicht, sondern fällt man schnell in die Rille von Optimierung und Verbesserung des Bestehenden zurück. Gleichzeitig braucht es die Verbindung der Innovation zur Organisation, sonst hat sie keinen Einfluss auf das Gesamte. Diese Nähe und Distanz auszubalancieren, ist schwierig und muss immer wieder neu justiert werden.

Trotzdem muss eine Organisation sich dem stellen. Innovation und Kirchenentwicklung brauchen Macht im System, gerade weil sie Paradigmenwechsel sind. Sonst bleibt es ein Kurieren an Symptomen.

 

An unserem nächsten Meilenstein können Sie teilhaben: Am 27. April 2024 veranstalten wir die „handfest“-Konferenz für Kirche im Aufbruch, bei der Sie an unserem Lernen teilhaben können. Sie versteht sich als Vernetzungsevent mit dem Themenschwerpunkt „Selbstorganisierte Teams als Träger von Innovation“. Mehr dazu bald auf www.innovation-bistum-fulda.de.