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Die Zukunft dieser Erde kann nur eine gemeinsame sein

Animate Life. Konferenz zum Futur 2 der Tier-Mensch-Beziehungen

Die Befassung mit Tierwohl und Tierrechten ist in der Gesellschaft und in vielen Wissenschaften bereits etabliert. Dass aber auch die Theologie sich seit längerer Zeit mit Fragen der Tier-Mensch-Beziehungen beschäftigt, scheint immer noch eine Nische darzustellen. In Zeiten von Corona-Pandemie, Klima- und Energiewandel sowie Fragen der Zukunft der Landwirtschaft und der Ernährung stellt die Thematik, wie der Mensch nicht-menschliche Lebewesen sieht, anerkennt und mit ihnen umgeht, in der zunehmenden ökologischen Vernetztheit eine zentrale Zukunftsfrage dar, die auch theologische Relevanz gewinnt und überhaupt nicht den Charakter eines Elfenbeinturms oder Glasperlenspiels trägt. So war die Konferenz zum Futur 2 der Tier-Mensch-Beziehungen „Animate life“, die vom 6. bis 8. Juli 2022 im Kathedralforum in Dresden stattfand, auch von zahlreichen Wissenschaftler:innen und veranstaltenden Einrichtungen geprägt und gestaltet, die bereits länger einzeln und miteinander zu dieser Thematik arbeiten.

Ausgangspunkt der Tagung war die vollendete Zukunft von menschlichen und nichtmenschlichen Tieren auf diesem Planeten, dessen Ressourcen sich durchaus als begrenzt erweisen. Der erste Teil der Konferenz galt der Art und Weise, wie Tiere in (Kon‑)​Texten vorkommen. Die Innsbrucker Philologin Gabriela Kompatscher-Gufler warb für eine nicht-anthropozentrische Lektüre, die z. B. in Heiligenlegenden auch einen animal standpoint einnimmt. Interessant wird in Texten, was die Tierbeschreibungen über den Menschen aussagen.

Im christlichen Kontext – darauf verwies der Aachener Alttestamentler Simone Paganini – sei insbesondere in der Tradition der biblischen Schöpfungserzählungen das Verhältnis des Menschen zur Umwelt, also auch zu den Tieren, durch Herrschaft und asymmetrisches Besitzverhältnis geregelt. Beide sind zwar von Gott geschaffen, aber nicht auf der gleichen Ebene. So kann laut Paganini die Bibel nicht unbedingt als Urkunde für posthumanistische Mensch-Tier-Beziehungen herangezogen werden. Der traditionelle Vorwurf, die jüdisch-christliche Tradition leiste durch den Herrschaftsauftrag des göttlichen Ebenbildes Mensch der Ausnutzung und letztlich der Kolonisierung und Zerstörung der Welt und dem Speziesimus gerade Vorschub, kann daher von der Schrift her nicht entkräftet werden.

Andreas Krebs von der Uni Bonn warb in seinem öffentlichen Vortrag für eine Anthropodezentrierung und für die Anerkennung einer „mehr als menschlichen Welt“, gerade auch angesichts von Artensterben. Der Rückgriff auf Husserls Phänomenologie führe laut Krebs zu einer neuen Herausführung aus menschlicher Selbstbezüglichkeit. Die Welt sei über die körperlichen Grenzen zwischen den Lebewesen (Haut, Membranen) hinweg miteinander in einem Austausch von Wesen durch Luft und Erde. Er forderte eine radikale Umkehr hin zu einer Perspektive der wechselseitigen Verbundenheit des „Irdischen“. Das Problem des Christentums sei die Vorstellung, dass den Menschen als „jenseitiges Wesen“ das Irdische und seine Zukunft letztlich nichts anginge, weil er seine Heimat ja im Himmel habe.

In einem zweiten Teil der Tagung fragten die Beiträge danach, ob nicht-menschliche Tiere auch an der Gestaltung von Welt und Geschichte teilhaben können, man ihnen also agency zuschreiben könne. Der Begriff geht auf die posthumanistischen Studien von Donna Haraway zurück. Mieke Roscher, Kasseler Sozial- und Kulturhistorikerin, verwies auf die typisch westliche Sicht auf Tiere, die mit Kolonialismus einhergeht. Der Konstanzer Wirtschafts- und Sozialhistoriker Clemens Wischermann zeigte anhand seiner Analyse von Feldpostbriefen auf, dass im Ersten Weltkrieg die Pferde von den Soldaten zwar einerseits als „Kameraden“ mit dem gleichen Schicksal heroisiert wurden, andererseits aber inoffiziell Pferde in großer Hungersnot dann doch gegessen wurden. Tiere würden dazu benutzt, um durch Metaphorisierungen menschliche Themen und Probleme zu bearbeiten, z. B. Leiden zu verschleiern. Oftmals gehe es um Projektionen, so auch im Christentum mit seinem Opferbegriff z. B. beim Pelikan, der sich selbst für seine Jungen die Brust aufreißt (Physiologus). Auch das Bild des Gotteslamms, das das Buch mit den sieben Siegeln öffnet und auf dem Thron sitzt, sei aufschlussreich. Roscher verwies auf ihre Studien über Zootiere, nach denen die Tierbestände Teil des konkurrenten Wettrüstens während des Kalten Krieges waren: Wer zuerst einen Panda hat, hat gewonnen. Im deutschen Kaiserreich war der Berliner Zoo ein Mittel, um die Idee des Bürgertums zu verbreiten, z. B. Tiere entgegen ihrer Artgerechtigkeit in „Kleinfamilien“ auszustellen.

Die Medienforscher Brett Mills und Monika Weiß zeigten anhand von Zeichentrickfilmen für Kinder (Peppa pig und Affe Koko) auf, auf welche Weise und in welchen verschiedenen Ebenen Tiere semi-menschlich oder menschlich in filmischen Medien für Kinder animiert und damit „humanisierend“ angeeignet werden.

Die aus den USA digital zugeschaltete Catherine Keller, Protagonistin der Prozesstheologie, verwies in ihrem Beitrag auf die beseelte Welt, die auch durch nicht-animale Lebensformen repräsentiert wird. Es geht also nicht nur darum, die Dualismen von Mensch – Tier oder Tier – Pflanze, sondern auch von lebend – nichtlebend zu überwinden, sodass der Blick auf ein gesamtes Ko-Habitat des Lebens sichtbar wird, an dem auch Boden, Stein, Wasser und Luft partizipieren. In der Folge zeigte der Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad auf, dass naturbasierte Spiritualitäten wie z. B. der Schamanismus zu einem neuen Animismus beitragen können, einem naturbezogenen Verständnis, dass alles lebendig und „beseelt“ (animated) und das Leben miteinander verstrickt (entangled) ist.

Im letzten Schritt ging es dann um die Frage nach der gemeinsamen Zukunft von menschlichen und nicht-menschlichen Tieren. Julia Blanc, als Theologin in Passau tätig, formulierte mit dem Rückgriff auf befreiungstheologische Ansätze und auf die Enzyklika Laudato si’ theologische Begründungen für tiergerechtes Verhalten. Noch weiter spann Franca Spies (Luzern) als Fundamentaltheologin den Bogen, indem sie eine christliche Erlösungstheorie in einem posthumanistischen Kontext skizzierte, die die biopolitischen Optionen christlicher Heilsvorstellungen machtkritisch analysiert und dadurch die Gestaltung von Spezies-Grenzen reformiert und den Speziesismus überwindet. Die Relationalität des Menschen mit der ganzen Schöpfung ist in der Erlösung mitzudenken, nicht nur der Mensch als „Krone“ oder „Spitze“ der Schöpfung, auch die Tiere werden in einer miteinander verwobenen Welt miterlöst.

Natürlich gab es bei dieser Tagung vegane Mahlzeiten. Es ist dieser Thematik und ihren Repräsentant:innen zu wünschen, dass sie mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Nicht nur wegen der Tierwürde und -rechte, sondern gerade auch angesichts von Artensterben, Auswirkungen des Klimawandels auf Lebewesen und Verfütterung eines großen Teils der landwirtschaftlich erzeugten Pflanzen an Tiere zur Fleischproduktion ist nicht nur ökologisch-nachhaltig, sondern auch theologisch die Frage nach der Zukunft dieser gemeinsamen Welt und der Rolle des Menschen in seiner „Gestaltung“ dieses Planeten aufgeworfen. Die Tagung hat den Autor, der selbst Fleisch konsumiert, doch sehr zum Nachdenken über eigenen Konsum und Lebensweise gebracht. Alles in allem eine äußerst anregende und theologisch bedeutsame Tagung, die viele kreative Wissenschaftler:innen und Interessierte und darunter erfreulich viele Jüngere überkonfessionell zusammengebracht hat.