Vom Lebenshunger und dem Geschmack des Glaubens
paradEIS-Truck tourt durch das Erzbistum Berlin – Einblicke in ein sommerliches Pilotprojekt
Foto: Jörg Farys.
August 2021. Palais Populaire, Berlin. Unübersehbar steht ein Eistruck an der Ecke des Gebäudes direkt am bekanntesten aller Berliner Boulevards, „Unter den Linden“, und bietet den vorbeischlendernden Menschen seine erlesene Ware an. Sicherheitshalber erkundigt sich ein Passant mal lieber erst bei einem Touristen, der Eis schleckend vor dem Truck steht: „Sagen Sie, ham die hier Eis?“ – „Ja, schon“, entgegnet dieser, „aber die haben keine normalen Sorten, sondern bieten Lebenserfahrungen an. Da müssen Se sich eine wählen, die für Sie passt.“
Ratloses Staunen des Passanten, bevor er zögerlich an den paradEIS-Truck tritt, mit dem wir im vergangenen Sommer zwei Wochen lang im Rahmen eines sommerlichen Pilotprojekts der Citypastoral in Kooperation mit der Jugendkirche in Berlin, Potsdam und auf Rügen unterwegs sind. Schließlich wollen wir uns mit den Menschen gemeinsam auf die Suche nach dem Geschmack des Glaubens machen und ihn verkosten. Dazu haben wir fünf verschiedene Eissorten entwickelt, die es so nur an unserem paradEIS-Truck gibt; Unikate durch und durch: nämlich „Wagemut“, „Aroma Amor“, „Trostgold“, „Eden für jeden“ und „Traute Nuss“, die noch durch die drei exquisiten Toppings „Fragsahne“, „Streuzweifel“ und „Wandelsplitter“ ergänzt werden können.
Aber jetzt mal der Reihe nach:
Die (pastorale) Herausforderung
Hintergrund zu diesem Projekt sind Überlegungen, wie wir unsere christliche Botschaft in zeitgemäßer Sprache an alltäglichen Orten so anbieten können, dass auch Menschen, in deren Leben (der christliche) Gott und Glaube keinen Platz haben, damit in Berührung kommen – verständlich, ansprechend und einladend. Maßgeblich ist dabei die Erfahrung, dass wir (gerade in Ländern, die religiös so eigen geprägt sind wie Vorpommern, Berlin und Brandenburg) die Frage nach Gott ganz neu stellen müssen, damit ein konstruktiver Dialog gelingen kann.
Wie also können wir unsere christliche Hoffnungsbotschaft zeitgemäß verkünden? Welchen Stellenwert hat der Glaube in unserer säkularisierten Welt? Was können wir als Kirche von unserem Umfeld lernen? Und: Was glaubt eigentlich jemand, der nicht glaubt?
So versuchen wir mit diesem Pilotprojekt, auf eher ungewöhnliche Art mit den Menschen darüber ins Gespräch zu kommen, was bzw. an was sie glauben, und bieten ihnen eine „Folie“ an, auf deren Hintergrund sie ihr Leben deuten können. Dazu tauchen wir an ganz verschiedenen Plätzen in Berlin, Potsdam und auf Rügen auf: vor einem Museum. Auf einem Marktplatz. Am Ende einer großen Einkaufsstraße. Orte, an denen niemand damit rechnet, auf Kirche zu stoßen. Orte, an denen wir aber auf Menschen stoßen, die wir fragen, was ihnen wichtig ist im Leben; welche „Grundzutaten“ für sie nicht fehlen dürfen. Alltägliche Orte, an denen sich plötzlich und unaufdringlich „Glaubenskommunikation“ ereignet. Dabei geht es vorrangig um passagere Kurzkontakte, die nicht belehren oder moralisieren, sondern inspirieren und positiv provozieren wollen.
Foto: Jörg Farys.
Der Kontext, in dem wir leben und arbeiten
Im Erzbistum Berlin liegt der Katholikenanteil bei etwa 7 % der Gesamtbevölkerung. Eine überwältigende Mehrheit von knapp 80 % der Bevölkerung gehört keiner Religionsgemeinschaft an. Das Land Berlin ist multireligiös und atheistisch geprägt. Brandenburg und Vorpommern als Teil des Landes Mecklenburg-Vorpommern sind von einer doppelten Diaspora-Situation geprägt: einerseits in Bezug auf das protestantische Christentum und andererseits in Bezug auf Religionslose. So wird hier bereits – wie in ganz Ostdeutschland – Diaspora als Grundsituation von Kirche und Christsein heute gelebt. Da das christliche Umfeld immer kleiner wird und christliches Grundwissen sowie entsprechende Traditionen immer mehr verloren gehen, ist der religiöse Glaube längst zu einer persönlichen Entscheidung jedes und jeder Einzelnen geworden. So hat sich eine große Vielfalt an Lebenseinstellungen entwickelt. Das fordert die Kirche (positiv) heraus.
Die Projektidee
Mit dem paradEIS-Projekt wollen wir deshalb vor allem Menschen ansprechen, in deren Leben Gott und (christlicher) Glaube nicht (mehr) vorkommen bzw. die mit „klassischen“ (kirchlichen) Angeboten nicht (mehr) erreicht werden, seien es Passant:innen, Tourist:innen, Menschen, die ihre alltäglichen Besorgungen tätigen.
Unsere Grundannahme: Wir glauben, dass jeder Mensch etwas glaubt – oder an etwas glaubt; ob an den christlichen Gott; daran, dass es eine „höhere Macht“ gibt; an etwas, das dem Leben Sinn gibt; an Werte und Normen als Orientierungspunkte … (vgl. den Gedanken, dass jeder Mensch einen „elementaren Lebensglauben“ besitzt – vgl. Theobald 2018).
Deshalb haben wir die Menschen, die an unseren paradEIS-Truck kommen, gefragt, was ihren Glauben ausmacht; welche Grunderfahrungen ihn wesentlich prägen. Denn wir sind neugierig darauf, wie unsere Gäste diese Fragen für sich beantworten, und wollen davon lernen. Dabei wollen die verschiedenen Eissorten Appetit machen, sich ganz persönlich und individuell damit auseinanderzusetzen.
So gerät beispielsweise ein Mitfünfziger direkt ins Grübeln: „Schon ungewohnt, nicht zu wissen, worauf man sich hier bei Ihren Eissorten einlässt. Mein Leben verläuft sonst in voraussehbaren Bahnen; da sind Überraschungen weitgehend ausgeschlossen. Aber der Geschmack ist viel intensiver, wenn man nicht weiß, was man im Becher hat. Vielleicht brauche ich in meinem Leben auch mehr Platz und Offenheit für neue Erfahrungen?!“
Solche positiven Irritationen sind durchaus gewollt, um einmal eine ungewohnte Perspektive einzunehmen und das „normalerweise Erwartbare“ zu hinterfragen – und damit vielleicht auch sich selbst.
Fotos: Angelika Abel.
Die Eissorten und Toppings
Um unsere Grundfrage zuzuspitzen, dürfen die Passant:innen eine Eissorte auswählen, die für sie der Beschreibung nach das enthält, was für sie eine „Grundzutat“ für ihr Leben ist. Ganz bewusst bestehen unsere Eissorten immer aus mindestens zwei Zutaten (z. B. Kokos-Mango-Ananas; Buttermilch-Ingwer-Orange), so dass unsere Gäste die einzelnen Geschmackskomponenten erst herausschmecken müssen. Mit den Toppings können sie ihre Auswahl noch näher differenzieren.
„Was mache ich denn, wenn mein Lebensgeschmack anders ist als mein Eisgeschmack? Habe ich dann noch eine zweite Chance?“, erkundigt sich eine junge Frau besorgt und scheint fast erleichtert, dass man bei unserem Sortiment neben seiner „Grundzutat“ auch noch einen „Trotzlöffel“ einer anderen Sorte wählen kann, wovon man gerne mehr im Leben hätte. Zum Trotz halt. Oder zum Trost.
Foto: Jörg Farys.
Für uns berührend: Die Sorten-Auswahl der Eishungrigen spiegelt eine unglaubliche Fülle an Lebenserfahrungen, ‑hoffnungen und ‑sehnsüchten wider, von denen die Menschen uns erzählen: wie beispielsweise die drei jugendlichen Biker in Berlin, die im vergangenen Jahr das Abitur abgelegt haben und nun aufbrechen zu einer einjährigen Radtour. Zunächst einmal Richtung Türkei, dann weiter nach Thailand. Ganz so weit sind sie allerdings noch nicht gekommen, denn sie starten ihre Tour gerade erst, kommen aus Schöneberg und wollen die Stadt unbedingt und symbolträchtig durch das Brandenburger Tor verlassen, um die weite Welt zu erkunden. Klar, dass sich die drei mit einer Kugel „Wagemut“ für ihr Langzeit-Abenteuer wappnen.
Für einen Musiker hingegen kommt nur die Sorte „Trostgold“ infrage: Er ist auf dem Weg ins Krankenhaus, wo seine Tochter auf eine Diagnose wartet. Für sie nimmt er eine extra große Portion mit.
Doch auch mit dem vielfältigen Versagen der Kirche und dem dadurch verursachten Leid werden wir in einigen Gesprächen konfrontiert, denn der enorme Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche wiegt schwer.
Wer etwa sein Eis mit „Fragsahne“ als Topping krönen will, bekommt ein kleines Kärtchen dazu, auf dem er eine Frage notieren kann, deren Antwort noch aussteht. Frage einer Frau nach einem Todesfall in der Familie: „Der Seelsorger hat Feierabend und läuft an uns Weinenden ohne ein Wort vorbei und geht nach Hause. Warum?“
In fünf Schritten zum „Masterplan“
Auch wenn die „Grundidee“ zu diesem Projekt schnell (und natürlich bei einem gemeinsamen Eis vor einer Kreuzberger Eisdiele) geboren wird, braucht es letztlich fünf Schritte, um aus einer anfänglichen „Schnapsidee“ ein ausgefeiltes Konzept erwachsen zu lassen: So initiieren wir zunächst (1) eine kleine Umfrage, in deren Rahmen wir von den Befragten wissen möchten, was ihren Glauben wesentlich ausmacht; welche Grunderfahrungen ihn prägen. Aus den Begriffen, die in der Umfrage genannt werden, entstehen in Zusammenarbeit mit einer freien Autorin (2) Beschreibungen für fünf Eissorten sowie drei Toppings. Dabei werden nicht nur die meistgenannten Begriffe berücksichtigt, sondern bewusst ganz verschiedene Glaubensaspekte und ‑erfahrungen ins Wort gehoben. Mit den so herauskristallisierten Eissorten auf dem Papier erarbeiten wir (3) in Kooperation mit einer Eismanufaktur, welche konkreten Geschmackskomponenten am besten zu unseren Vorgaben passen würden. Doch ohne Schweiß kein Eis, schließlich sind wir „genussgastronomische Greenhorns“. Und so steht erst einmal auf unserem Lehrplan (4) die Aneignung von fachspezifischem Knowhow, sprich: Einführung in die Lebensmittelhygiene beim Gesundheitsamt, technische Einweisung in die Funktionalität eines Foodtrucks, Einführung in die hohe Kunst der Gelaterie. Mit Hilfe einer (5) Öffentlichkeitskampagne, in deren Rahmen wir Projekt-Logo und Truckbranding, „Dienstkleidung“ (T‑Shirts und Schürzen) und Begleitmedien (Postkarten, Beachflags, Liegestühle), Newsletter, Projekthomepage und Social-Media-Content planen, versuchen wir, dem Projekt einen roten Faden zu geben und es einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Und dann: nix wie los. Berlin! Potsdam! Rügen! – wir kommen!
Projekt-Planung in Pandemie-Zeiten: trial and error
Und so starten wir das Projekt im vergangenen Sommer zunächst mit einer zweiwöchigen Pilotphase – zum einen, um den Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Rechnung zu tragen, zum anderen, um erste konkrete Erfahrungen mit dieser mobilen Form des Kircheseins im öffentlichen Raum zu sammeln. Und der Plan, damit Kontaktmöglichkeiten zu schaffen und ein Gesprächsangebot zu eröffnen, geht auf.
Als würden wir jedes Mal die Repeat-Taste drücken, wiederholt sich die Anfangsszene an allen drei Standorten: Kaum fangen wir an, Liegestühle, Beachflags, Aufsteller um unseren Truck herum zu positionieren, Stromkabel zu verlegen und Wimpelketten aufzuhängen, kommen schon die ersten interessierten Nachfragen von Vorbeischlendernden. O-Ton aus Potsdam: „Sind Sie ein junges Start-up, das auf den Markt strebt und sein Produkt testen will?“ – „Nee, wir sind eigentlich ein altes Fossil, das verhindern will, ganz vom Markt gedrängt zu werden!“
Die Auswahl an Eissorten und Toppings ermöglicht dabei einen leichten und ungezwungenen Gesprächseinstieg mit den Passant:innen: „Den Glauben zu verkosten – ein schöner Gedanke. Das ist wirklich ein besonders sinnliches Erlebnis. Damit haben Sie mich gepackt“, lässt uns dann auch prompt ein „eigentlich überzeugter Atheist“ wissen, der konstatiert, dass er zwar nicht an einen Gott glaube, bevor er zu einem großen „Aber …“ ansetzt.
Aber auch: Hürden und Herausforderungen
Doch wie es zu einem waschechten Pilotprojekt gehört, müssen wir auch die eine oder andere Hürde nehmen. Nicht nur, dass unser paradEIS-Truck wegen Schwierigkeiten mit der Kupplung für zwei Tage einen Boxenstopp in der Werkstatt einlegen muss: Versuchen Sie mal, bei lausigen 13 Grad und Dauerregen, ergänzt durch heftige Windböen, Eis auf Rügen zu verteilen. Geht gar nicht! Da fliegt einem fast die Kugel aus dem Becher. Die wenigen Touristen, die sich nach draußen trauen („Man kann ja nicht den ganzen Tag nur in der Ferienwohnung hocken!“), müssen ihre Kapuzen und Schirme mit beiden Händen festklammern und sich gegen den Wind stemmen. „Haben Sie auch Glühwein?“, erkundigt sich dann auch prompt ein durchgefrorenes Ehepaar. Nee, haben wir nicht. Dafür aber alle Hände voll zu tun damit, unser gesamtes Equipment über Nacht wieder zu trocknen. Als dann am nächsten Nachmittag eine besonders heftige Windböe meint, Teile unserer Ausrüstung in die Luft wirbeln und auf der anderen Seite des Trucks wieder kaputt auf den Boden krachen lassen zu müssen, ist unsere Stimmung kurzfristig unserem Sortiment entsprechend unterhalb des Gefrierpunkts angekommen.
Und trotzdem: keine Kurzgeschichte – sondern ein Fortsetzungsroman!
Die Suche nach dem Geschmack unseres Glaubens ist definitiv keine Kurzgeschichte für einen Sommer, sondern ein Fortsetzungsroman. Deshalb halten wir es mit dem deutschen Schriftsteller Siegfried Lenz: „Mein unerträglich schlichtes Prinzip: Weitermachen!“
Und so entwickeln wir für die Saison 2022 ein neues Format, um den Wirkungsradius des Projektes deutlich zu erweitern – sowohl personell als auch lokal/regional betrachtet. Dabei wollen wir unsere Kolleg:innen in den Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen einladen, diesen „Schritt nach draußen“ ebenfalls zu tun, und stellen dazu uns, unser Knowhow und unser Equipment zur Verfügung. Denn die Idee lautet paradEIS2go und meint konkret: Wir suchen kirchliche Akteure als Verbündete, die uns mitsamt des paradEIS-Trucks für Feieranlässe anfragen, bei denen sie sich in ihren Ort oder Stadt(teil) einbringen wollen, bzw. die mit Kooperationspartner:innen aus ihrem Umfeld gemeinsame Veranstaltungen oder Aktionen planen: interreligiöse Feste, Einschulungsfeiern an staatlichen Schulen, interkulturelle Begegnungen, Präsenzangebote in sozialen Brennpunkten, der „Tag des offenen Denkmals“, ein Wochenmarkt direkt neben dem Kirchengelände und vieles mehr. Dabei ist angedacht, dass wir uns um das Eis und die Toppings, das ganze Equipment und den „technischen“ Support rund um den paradEiS-Truck kümmern, damit die Kolleg:innen den Rücken frei haben für Begegnungen und Kontakte – außerhalb unserer üblichen Kirchenmauern und ‑gebäude; „mitten im Leben“ eben.
Foto: Jörg Farys.
Und – die Moral von der Geschicht’?
Unser zweiwöchiger „Pilot-Einsatz“ im vergangenen Sommer ist nicht nur geprägt von vielen tollen Begegnungen und Gesprächen, sondern auch von ebenso wichtigen Learnings, die uns (wieder neu) bewusst geworden sind:
1. Lernerfahrung: Glaube muss mit allen Sinnen und ganzheitlich erlebbar sein
- Es ist leichter, mit Menschen in (ungezwungenen) Kontakt zu kommen, wenn man etwas in der Hand hat (was für die Menschen relevant ist).
- Eine Pastoral, die alle Sinne anspricht, berührt tiefere emotionale Schichten im Menschen; unsere Glaubensinhalte sind oftmals zu verkopft.
- Es ist wichtig, Neugier zu schaffen durch positive Provokation/Irritation, indem Glaubens- und Sinnes- bzw. Lebenserfahrungen kombiniert werden.
2. Lernerfahrung: (Glaubens-)Kommunikation muss zeitgemäß sein und sich auf die Lebensvollzüge der Menschen einlassen. Da hat Kirche großen Nachholbedarf.
- Neugier und Offenheit vieler Passant:innen, sich auf die Frage nach dem Geschmack ihres Lebens einzulassen; Interesse an der Idee „hinter dem Eis“
- Auf der einen Seite: Viel Lob und Komplimente, dass Kirche auch mal positiv in Erscheinung tritt – auf der anderen Seite nutzen viele die Gelegenheit zu sagen, was ihnen grundsätzlich an Kirche nicht schmeckt.
- Auf der einen Seite großes Erstaunen, dass Kirche in einem Kontext auftaucht, in dem man nicht mit ihr rechnet – auf der anderen Seite große Skepsis, kostenfrei Eis angeboten zu bekommen („Das machen Sie doch nicht einfach nur so, oder?“ – „Sie wollen doch was von mir, stimmt’s?“ – „Muss ich dann was unterschreiben?“)
- Glaubenskommunikation muss Themen zur Sprache bringen, die eine Alltagsrelevanz für die Leute haben.
- Um dem Anspruch der Alltagsrelevanz und Innovation gerecht zu werden, kann der Prozess der Projektentstehung aufwendig und zeitintensiv sein, weil die Projektidee sich erst langsam herausschält und immer weiter zugespitzt wird.
- Die offene und neugierige Haltung einer „Kirche, die sich aussetzt“ war bereits bei der Projektentstehung hilfreich und notwendig zur Zielerreichung des Projekts. Die Projektidee entwickelte sich endgültig erst im Gegenüber und Miteinander der Kooperationspartner:innen.
3. Lernerfahrung: Anders Kirche sein …
- … erfordert „andere“ soziale Kompetenzen:
- Auf der einen Seite Lust und Interesse bei Kolleg:innen, im Eistruck mitzumachen – auf der anderen Seite Unsicherheit, „wie man mit Leuten, die man ja gar nicht kennt, ins Gespräch kommen soll“ („Das hat Spaß gemacht – aber ‚Straßenkampf‘ muss ich erst noch lernen.“).
- Smalltalk hat seinen Wert – und will gelernt sein!
- Gespräch über existentielle Fragen (hier: Lebensglaube) funktioniert mit einem „Maulöffner“ (hier: Eis) besser und ungezwungener/spielerischer.
- … ermöglicht, „andere“ (neue) Zielgruppen anzusprechen:
- Menschen verschiedenen Alters und religiöser Sozialisation. Vor allem auch: jüngere Menschen. Fragende. Zweifelnde. Skeptiker.
- Junge Menschen sind bereit und neugierig, sich auf eine unbekannte/ungewöhnliche Gesprächssituation einzulassen, weil es ihrem Lebensgefühl entspricht.
- Die Kombination aus existentiellen Lebensthemen und einer unkonventionellen „Darreichungsform“ entspricht der Lebenssituation der jungen Menschen und knüpft an deren Offenheit, Suchbewegung und Begeisterungsfähigkeit an.
- …erfordert einen „anderen“ Blick auf das Lebensumfeld/den Kontext:
- Herausforderung, sich auf die Bedingungen des jeweiligen Lebenskontextes einzulassen und damit auseinanderzusetzen, wie der Alltag der Menschen in der Stadt/dem Stadtteil aussieht und was sie bewegt
- Kirche gewinnt, wenn sie Teil säkularer Netzwerke und Kooperationen ist, mit denen sie gemeinsam Projektideen realisiert.
- Kirchliche Angebote im öffentlichen Raum konkurrieren mit anderen Anbietern; das fordert Kirche positiv heraus.
- …erfordert, eine „andere“ Art der Pastoral wertzuschätzen:
- Pastoral des „kostbaren Augenblicks“ – kurze, aber intensive Begegnungen; starke Impulse, die für die Menschen wertvoll sind.
- Wenn Kirche sich an Alltagsorte der Menschen begibt, wird sie als Teil ihres Lebenskontextes wahrgenommen. Es entstehen Kontaktflächen und Orte der Erstbegegnung mit dem Thema „Spiritualität“.
- Diese „andere“ Art der Pastoral macht sich nicht an kirchlichen Gebäuden fest, sondern an Menschen, die bereit sind, sich „auszusetzen“ und immer wieder aufs Neue die Frage zu stellen, was die Leute gerade brauchen.
Foto: Jörg Farys.