Inhalt

Durchblicke

Texte zu Fragen über Glauben, Kultur und Literatur

C. S. Lewis fasziniert und provoziert – auch in der Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben. Der 1898 in Belfast geborene und 1963 in Oxford gestorbene Schriftsteller und Literaturwissenschaftler bildete zusammen mit anderen Literaten und Geisteswissenschaftlern, u. a. J. R. R. Tolkien, dem Autor des „Herrn der Ringe“, in Oxford den be­rühmten literarischen Diskussionskreis „Inklings“. Lewis selbst gilt als einflussreicher christlicher Apologet und ist u. a. durch die auch ver­filmten „Chroniken von Narnia“ (erschienen 1950–1956) bekannt, die zahlreiche biblisch-christliche Themen aufnehmen. Neben den Narnia-Geschichten und anderen Klassikern wie „Pardon, ich bin Christ“ („Mere Christianity“, 1952), „Die große Scheidung“ („The Great Divorce“, 1945) oder „Dienstanweisung für einen Unterteufel“ („The Screwtape Letters“, 1942) finden sich noch zahlreiche weitere Texte, die bisher nur in englischer Sprache vorlagen und größtenteils vom 2020 verstorbenen Walter Hooper herausgegeben worden waren. Mit dem zu besprechenden Band liegt nun erstmals eine wohl überlegte Auswahl an Vorträgen, Essays, Briefauszügen und Passagen zu Fragen über den Glauben, zur Kultur und Literatur auch in deutscher Übersetzung vor. Sie wurden von Norbert Feinendegen, der in katholischer Dogmatik mit der Arbeit „Denk-Weg zu Christus. C. S. Lewis als kritischer Denker der Moderne“ promovierte und langjähriges Vorstandsmitglied der deut­schen Inklings-Gesellschaft war, ausgewählt, zusammengestellt, über­setzt und herausgegeben. Die „Durchblicke“ sind eine wahre Fundgrube für Lewis-Interessierte und ermöglichen sowohl einen ersten als auch einen neuen Blick auf diesen herausragenden christlichen Denker.

Der Band selbst wird durch eine knappe Einführung (7–28) eröffnet. Dort findet sich für jeden einzelnen Lewis-Text eine kurze Einführung, in der die vielfältigen Hintergründe und Zusammenhänge heraus­gearbeitet werden. Die Durchblicke selbst gliedern sich in drei Teile und versammeln dabei Schriften aus allen Bereichen, in denen C. S. Lewis gearbeitet hat: philosophisch-theologische, geistesgeschichtliche und literaturwissenschaftliche Durchblicke. Die dort versammelten Texte sind ausdrücklich nicht chronologisch geordnet, da „das erwachsene (christliche) Denken von C. S. Lewis keinen wesentlichen Wandel mehr durchgemacht hat“ (9). Nachgestellt sind ein Verzeichnis der Anmer­kungen (377–395) sowie der englischen Erstveröffentlichungen (397–399). Den Abschluss bildet ein Anhang mit Fotos aus C. S. Lewis’ Leben (401–416).

Das umfangreichste erste Kapitel (29–153) widmet sich philosophisch-theologischen Fragen. Hier sei ein 1945 gehaltener und 1970 erstmals veröffentlichter Vortrag herausgegriffen, der auf einer Versammlung von anglikanischen Priestern und Jugendleitern der Kirche von Wales gehalten wurde. Er widmet sich der „Christlichen Apologetik“ und erläutert die Grundzüge von Lewis’ eigenem apologetischen Vorgehen. Vieles davon mutet überraschend aktuell und relevant an. So konsta­tiert Lewis knapp, dass die grundlegende „Situation eine missiona­rische“ und Großbritannien „Missionsgebiet“ (80) geworden sei. Hier bietet er Anregungen, wie ein solches missionarisches Handeln aus­sehen könnte. Sein Ausgangspunkt ist hierbei der „Glauben, der von den Aposteln gepredigt wurde, von den Märtyrern bezeugt, in den Glau­bensbekenntnissen verkörpert, von den Kirchenvätern ausgelegt“ (75) – er blickt also auf den Glauben der Kirche, unterscheidet ihn von rein „persönlichen Überzeugungen“ (ebd.) und sucht seinen Hörern im Blick auf die Verkündigung des Glaubens die Grenzen einer Anpassung an den Zeitgeist aufzuzeigen (77). Damit rückt für ihn auch die Wahrheitsfrage in den Fokus, die für jegliche Glaubenskommunikation entscheidend ist, denn „das Christentum [ist] eine Äußerung […], die, wenn falsch, ohne jeden Belang ist, wenn wahr, aber von unendlichem Belang“ (90; vgl. auch 76) ist. Im Zuge dessen richtet Lewis einen Appell an seine Hörer, „das Christentum [nicht] zu verwässern“ (87). Konkret schlägt er u. a. vor, nicht mehr Bücher über das Christentum zu schreiben, son­dern fordert mehr „Bücher von Christen über andere Themen – mit ihrem Christentum im Hintergrund“ (78). Lange vor allen Milieustudien blickt er auf die unterschiedlichen Adressaten christlicher Verkündi­gung, plädiert für deren erfahrungsgesättigtes (nicht vermeintliches!) Kennenlernen und fordert dazu auf, sich immer wieder neu auf Sprache und Lebenswelten des Gegenübers einzulassen. Ähnlich wie aktuellste Beispiele, die sich mit der kirchlichen Sprache auseinandersetzen (z. B. Feddersen/Gessler, Phrase unser), fertigt er Wortlisten an, die verdeut­lichen, was viele mit bestimmten kirchlichen Begriffen verbinden. Aus­gehend von diesen Überlegungen stellt sich hier die Frage, ob Lewis Verkündigung als eine Übergabe eines materialmäßig bestimmbaren, systematisch zu ordnenden Glaubensinhalts versteht, der einfach von einem zum anderen weitergegeben werden könnte, oder ob Verkündi­gung in diesem Ansatz auch als ein personales und geschichtlich indivi­duelles Geschehen interpretiert werden könnte und müsste. So ist man mit diesem Text in aktuellste Debatten hineingeworfen.

Die geistesgeschichtlichen Durchblicke (155–256) bieten Einführungen in die Literatur sowie das Natur- und Menschenbild des Mittelalters und der Renaissance sowie Anmerkungen zur Frage der Bedeutung einer ein­seitigen naturwissenschaftlichen Perspektive auf die Welt. In seiner An­trittsvorlesung als Professor an der Universität Cambridge aus dem Jahr 1954 warnt Lewis, ebenfalls hochaktuell, vor Geschichts- und Kultur­vergessenheit. Ebenfalls zeigt er in einem Beitrag auf, wie er sich eine „Weihnachtspredigt für Heiden“ vorstellt – trotz zum Teil überkomme­ner Terminologie lesenswert, auch angesichts des anzunehmenden katechumenalen oder gar vorkatechumenalen Status vieler getaufter Christen. Die literaturwissenschaftlichen Durchblicke (257–274) ver­sammeln hierzulande größtenteils unbekannte Überlegungen Lewis’, u. a. zum Problem der Metaphorik der Sprache, zum Verhältnis von Psychoanalyse und Literaturkritik oder zur Frage, was Dichtung über­haupt ist. Seine Besprechungen der Bücher „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ seines Freundes J. R. R. Tolkien, den er für den Nobelpreis vorgeschlagen hat, sind erhellend. Berührend sind seine Erwiderungen gegenüber denen, die ihm im Blick auf seine Narnia-Geschichten christ­liche Propaganda vorwarfen, sowie seine Erklärung, wie und warum er Kinderbücher schreibt.

Der Band will mehr sein als ein „Sammelsurium von Stellungnahmen zu völlig unterschiedlichen Themen“ (8) – ein Anliegen, das er erfüllt. Lewis’ Ausführungen bieten sowohl Orientierung als auch kontroverse und provokante Diskussionsgrundlage. Beeindruckend ist dabei die vielfach durchscheinende Überzeugung, dass „jemand, der nicht in der Lage ist, seine eigenen Glaubensüberzeugungen (ob nun religiös, philo­sophisch oder ästhetisch) in schlichter Sprache auszudrücken, entweder nicht weiß, was er eigentlich sagen will, oder selbst nicht hinter dem von ihm Behaupteten steht“ (8) – so formuliert es Feinendegen. Insofern kann dieser anspruchsvolle und empfehlenswerte Band auch als ein Diskussionsbeitrag in aktuellen Debatten, z. B. um die kirchliche Sprache, gelesen werden.

Markus-Liborius Hermann