Der Deutsche Freiwilligensurvey 2019
Der Freiwilligensurvey (FWS) ist zwar nicht die einzige staatlich geförderte Untersuchung zum freiwilligen Engagement in Deutschland. Durch seinen Umfang und seine Möglichkeiten zum Zeitvergleich ist er aber das wesentliche Instrument der Sozialberichterstattung in diesem Bereich und damit Grundlage für politisches Handeln. Darüber hinaus ist er natürlich auch für alle anderen, die sich mit Ehrenamt, Engagement und Partizipation befassen, von hoher Relevanz.
Erstmals 1999 und seitdem alle fünf Jahre wird auf der Grundlage einer repräsentativen telefonischen Befragung ein FWS erarbeitet. Für den 5. Deutschen Freiwilligensurvey wurden die 27.762 Telefoninterviews mit Personen ab 14 Jahren also bereits 2019 geführt – neben Deutsch in fünf weiteren Sprachen; der Kurzbericht erschien jedoch erst im März 2021, die ausführliche Fassung im Juni. „Offiziell“ vorgestellt wurde die Studie mit einer digitalen Fachtagung am 9. Juni 2021.
Dabei wurde auch betont, dass die Daten – da bereits 2019 erhoben – nichts über die Entwicklungen im Ehrenamtssektor während der Corona-Pandemie aussagen. So richtet der FWS 2019 einen besonderen Fokus auf andere Aspekte, etwa auf den Einsatz für Geflüchtete (für die sich 12,4 % der Befragten innerhalb der letzten fünf Jahre engagierten), auf die Digitalisierung des Ehrenamts oder die Verbindungen zwischen freiwilligem Engagement und Einstellungen zur Demokratie. Den größten Teil des FWS machen Daten aus, die eine Betrachtung im Zeitverlauf erlauben.
Anteil der Engagierten an der Bevölkerung
Der Anteil freiwillig engagierter Personen an der Bevölkerung ist gegenüber dem FWS 2014 nahezu konstant geblieben, über die letzten 20 Jahre betrachtet aber deutlich gestiegen: von 30,9 % (1999) auf 39,7 % (2019). Dabei wurde beim FWS 2019 die Zahlen für 2019 und die vorausgegangenen Erhebungen erstmals auch nach Bildung gewichtet, da „[i]nsbesondere Personen mit höherer Bildung […] eher bereit [sind], an Befragungen teilzunehmen als Personen mit niedrigerer Bildung“ (44 [ausführlicher Bericht]). Dies führte zu einer erheblichen Korrektur der Zahlen, bei der Gesamtzahl der Engagierten etwa um drei bis vier Prozentpunkte. Denn – auch das ein zentraler Befund des FWS – mit dem Bildungsgrad steigt die Engagementquote erheblich: Personen mit hoher Bildung waren 2019 fast doppelt so häufig engagiert (51,1 %) wie solche mit niedriger Bildung (26,3 %) – eine Disparität, die sich in den vergangenen Jahrzehnten sogar noch verschärft hat; Menschen mit mittlerer Bildung liegen dazwischen (37,4 %), Schüler:innen wurden eigens erfasst (51,4 %).
Außerdem wirken sich weitere Ausprägungen soziodemografischer Merkmale negativ auf die Engagementquote aus: etwa Arbeitslosigkeit, geringes Haushaltseinkommen und hohes Alter. Dagegen liegen Frauen und Männer 2019 erstmals gleichauf – während früher Männer deutlich häufiger freiwillig engagiert waren. Eine Annäherung zeigt sich weiterhin zwischen Ost und West: 2019 stehen die Ostdeutschen mit 37,0 % nur noch 3,4 Prozentpunkte hinter den Westdeutschen.
Personen mit Migrationshintergrund engagieren sich deutlich weniger freiwillig. Hier gibt es jedoch gravierende Unterschiede: Personen ohne eigene Zuwanderungserfahrung und mit deutscher Staatsangehörigkeit erreichen mit einer Engagementquote von 38,7 % zwar nicht die der Befragten ohne Migrationshintergrund (44,4 %), doch mit eigener Zuwanderungserfahrung und ohne deutsche Staatsangehörigkeit fällt die Quote auf 15,2 % ab. Es kommt also auf die Details an – und hier macht sich die Fülle der Items im FWS bezahlt.
Engagementbereiche
In welchen Bereichen engagieren sich Menschen freiwillig? Hier liegt im FWS 2019 unter 14 Bereichen „Sport und Bewegung“ vorne (13,5 %), gefolgt von „Kultur und Musik“ (8,6 %), „sozialer Bereich“ (8,3 %) und „Schule und Kindergarten“ (8,2 %). Noch vor „Freizeit und Geselligkeit“ (6,1 %) liegt der „kirchliche oder religiöse Bereich“ (6,8 %) an fünfter Stelle. Dabei ist zu beachten, dass der FWS die Angaben der Befragten nach verschiedenen Kriterien prüft, ob in seinem Sinne ein freiwilliges Engagement vorliegt; eine bloße Vereinsmitgliedschaft, ein Hobby, ein Praktikum oder eine Spende zählen beispielsweise nicht. Den größten prozentualen Zuwachs seit 2014 erfuhr übrigens der Bereich „Umwelt, Naturschutz oder Tierschutz“, in dem sich 2019 4,1 % der Befragten engagierten (2014: 3,1 %, 1999: 1,6 %). Hier ist das Geschlechterverhältnis ausgewogen, während ansonsten Männer etwa in Sport, Feuerwehr oder Politik dominieren, Frauen sich dagegen mehr in soziale und familienbezogene Bereiche einbringen.
Auch im kirchlich-religiösen Sektor sind die Frauen deutlich überdurchschnittlich vertreten (8,3 % der befragten Frauen ggü. 5,4 % der Männer). Gegenüber 2014 blieb hier die Engagementquote insgesamt konstant. Auch 2019 zeigte sich, dass die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche engagementförderlich ist: Während sich nur 33,8 % der Befragten ohne Religionszugehörigkeit freiwillig engagierten, waren es bei den Katholiken 45,3 % und bei den Evangelischen und Freikirchlern 46,1 % (islamische Religionsgemeinschaften: 21,8 %, sonstige Religionszugehörigkeit: 38,5 %); hier hat sich gegenüber 2014 fast nichts verändert.
Formen des Engagements
Was sich aber ändert und was der Zeitvergleich des FWS sichtbar macht, ist die Art und Weise, sich freiwillig zu engagieren (Stichwort „neues Ehrenamt“). Zum einen geht der Trend weg vom zeitintensiven Engagement: Wendeten 1999 noch 23,0 % der Befragten sechs oder mehr Stunden pro Woche dafür auf (bis zu zwei Stunden: 50,8 %), waren es 2019 nur noch 17,1 % (bis zu zwei Stunden: 60,0 %). Männer und Menschen mit niedriger Bildung nehmen sich aber durchschnittlich mehr Zeit und üben ihr Engagement häufiger aus.
Zum anderen nimmt die Bedeutung der Vereine und Verbände für freiwilliges Engagement (langsam) ab: Waren 1999 noch 57,2 % der Engagierten (mit ihrer zeitaufwändigsten oder einzigen freiwilligen Tätigkeit) in einem Verein oder Verband aktiv, waren es 2019 nur noch 51,7 %; die größeren „Vereinsmeier“ sind eindeutig die Männer (57,2 % gegenüber 46,2 % der weiblichen Engagierten). Den stärksten Zuwachs weist die Kategorie „individuell organisierte Gruppe“ auf (1999: 10,3 %, 2019: 17,2 %). Kirchen und religiöse Vereinigungen konnten ihren Anteil fast halten (1999: 13,7 %, 2019: 12,7 %).
Auffällig ist auch die kontinuierliche Abnahme des Anteils der Engagierten mit Leitungs- und Vorstandsfunktionen (bei der zeitaufwändigsten oder einzigen Tätigkeit): von 36,8 % im Jahr 1999 auf 26,3 % im Jahr 2019. Auch wenn sich dabei die Geschlechter angenähert haben, so sind die Männer 2019 nach wie vor in der Überzahl (30,5 % ggü. 22,1 % bei den weiblichen Engagierten).
Was die Nutzung des Internets für das freiwillige Engagement betrifft, mag es überraschen, dass der Anteil der Nutzer:innen seit 2009 nahezu konstant geblieben ist (er betrug 2019 57,0 % der Engagierten) – nur von 2004, wo erstmals danach gefragt wurde, auf 2009 ist ein steiler Anstieg zu diagnostizieren. Zur Erinnerung: Die Daten des FWS 2019 wurden vor der Pandemie erhoben! Weiterhin ist der Anteil der Engagierten, die ihre Tätigkeit ausschließlich oder überwiegend im Internet ausübten, zwischen 2014 und 2019 – nur in diesen beiden Jahren wurde danach gefragt – mit 2,6 % gleich geblieben. Interessant ist aber, dass die über 65-Jährigen bei der Internetnutzung im Engagement über die Jahre stark aufgeholt haben (2009: 26,7 %, 2019: 48,0 %) und sich damit dem Durchschnittswert bereits stark angenähert haben.
Engagement, Demokratie und politische Partizipation
Angesichts der Fragen nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und der Zukunft des politischen Systems, die Deutschland ja seit einigen Jahren intensiv bewegen, hebt der FWS die Bedeutung freiwilligen Engagements hervor. Zum einen zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen freiwilligem Engagement und politischer Partizipation: Engagierte beteiligen sich beispielsweise wesentlich häufiger als Nicht-Engagierte an Demonstrationen oder Unterschriftenaktionen oder nehmen Kontakt zu Politiker:innen auf (Demonstration: 15,1 % ggü. 5,9 %, Unterschriftenaktion bzw. Petition: 47,8 % ggü. 22,4 %, Kontaktaufnahme: 23,3 % ggü. 7,0 %).
Allerdings fragt der FWS nur einzelne exemplarische Felder politischer Partizipation ab und seine Daten allein sagen auch nichts darüber aus, warum freiwillig Engagierte sich häufiger politisch einbringen. Auffällig ist jedenfalls, dass sich mit dem Bildungsstand ebenfalls das Ausmaß politischer Partizipation massiv erhöht (32,0 % der Befragten mit niedriger Bildung – egal ob freiwillig engagiert oder nicht – gaben mindestens eine der abgefragten Formen politischer Partizipation an, dagegen 64,9 % der Befragten mit hoher Bildung).
Neu im FWS sind die 2019 erstmals gestellten Fragen nach der Einstellung zu gesellschaftlichen Institutionen und Demokratie. Engagierte zeigen durchweg etwas mehr Vertrauen in Institutionen wie Polizei, Bundestag oder Parteien als Nicht-Engagierte. Zudem halten Engagierte häufiger Demokratie für eine gute Regierungsform (95,0 % ggü. 87,8 % der Nicht-Engagierten) und sind auch häufiger zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland (72,2 % ggü. 65,8 %). Allerdings: Hier offenbart eine Differenzierung bei allen Befragten nach Bildung und Alter größere Unterschiede.
Eine bleibende Aufgabe
Insgesamt eröffnet der Freiwilligensurvey zum wiederholten Mal wertvolle Einblicke in den Engagementsektor und belegt den Einsatz eines großen Teils der Bevölkerung. Auch wenn in diesem Beitrag nur einige Ausschnitte aus der Fülle des Materials vorgestellt werden konnten, zeigt sich doch die Vielfalt der abgefragten Aspekte. Dabei werden auch Aufgaben für Engagementpolitik und -förderung deutlich: Für Personen mit niedriger Bildung und/oder niedrigem Einkommen ist es offenbar schwieriger, sich ehrenamtlich einzubringen, ebenso für Menschen mit Migrationshintergrund. Die gute Nachricht: 58,7 % der 2019 nicht Engagierten wären grundsätzlich zu einem Engagement bereit – eine Quote, die seit 1999 stetig gestiegen ist.
Eine weitere Herausforderung wurde bei der oben bereits erwähnten Fachtagung zur Vorstellung des FWS 2019 wiederholt thematisiert: Es gibt auch demokratiefeindliches Engagement, etwa bei Corona-Demos oder gegen Geflüchtete. Das spricht dafür, mit einer Demokratie- wie Engagementerziehung schon früh anzusetzen in den Schulen. Aber hier tut sich auch schon einiges: Auffällig ist, dass 31,0 % der Schüler:innen angaben, in den letzten Monaten an einer Demonstration teilgenommen zu haben (der bei Weitem höchste Wert unter allen Bildungsgruppen) – da lässt wohl die Fridays-for-Future-Bewegung grüßen.
Die „Langfassung“ des Freiwilligensurveys lässt sich ebenso wie der Kurzbericht hier herunterladen.