Kirche aus der Netzwerkperspektive. Metapher – Methode – Vergemeinschaftungsform
Kirche aus der Netzwerkperspektive betrachten: ein vielversprechender Ansatz! Dazu will das zu besprechende Bändchen des evangelischen Zentrums für Mission in der Region (ZMiR) anregen.
Der Blick auf Netzwerke lässt insbesondere auf Beziehungsstrukturen schauen. Erhellend ist hier der Beitrag von Felix Roleder und Birgit Weyel zu „Kirchengemeinde als Netzwerk“, der auf Untersuchungen im Kontext der V. Kirchenmitgliedschaftserhebung der EKD basiert: „Wir haben alle Mitglieder einer konkreten evangelischen Kirchengemeinde ab 14 Jahre danach gefragt, wer mit wem über den Sinn des Lebens spricht und wo dies geschieht“ (58). Hier zeigte sich einerseits, dass für diesen Austausch die Wirkung der Sonntagsgottesdienste über die Gottesdienstteilnehmer hinausreicht und dass verschiedenste Einrichtungen (z. B. Kindertagesstätte) eine Vernetzungsfunktion haben – dass es aber auch „strukturelle Löcher“ gibt, wo Menschen keine Verbindungen (und sei es auch nur indirekt) zur „Kerngemeinde“ haben.
Doch gerade hier liegt noch missionarisches Potential in Netzwerken, sofern ihnen die kirchliche Organisations- und Institutionslogik Freiräume gibt – so Hans-Hermann Pompe im nächsten Beitrag. Dass hier auch das Kirchenrecht nicht behindern muss, sondern sich als Ermöglicher von rechtlichen Freiräumen verstehen kann, zeigt der Beitrag von Rainer Mainusch.
Gemeindeentwicklung netzwerkorientiert zu betreiben – dazu wurde in der bayerischen Landeskirche bereits geforscht; Daniel Hörsch stellt Erträge vor – und in einem abschließenden knappen Beitrag, wie mit so genannten Netzwerkkarten in einfacher Form Netzwerke vor Ort sichtbar gemacht werden können.
Leider ist aber manches im Buch nicht so gut gelungen. So lässt etwa der mit „Geistliche Netzwerke“ betitelte Beitrag von Christhard Ebert den Rezensenten trotz einiger wichtiger Hinweise etwas ratlos und irritiert zurück – zu Beginn erst einmal zu erläutern, was das Anliegen des Artikels überhaupt ist und wie die unter 1. postulierten „Eigenschaften einer künftigen Kirchengestalt“ (113) begründet sind, wäre hilfreich gewesen.
Gravierender ist aber gerade für Leserinnen und Leser, die sich noch nicht mit Netzwerktheorie befasst haben, die zwar schon in der Einführung beklagte (9), aber nicht behobene Unklarheit des Netzwerkbegriffs. Erst im vierten Beitrag – von Thomas Schlegel – findet sich (ab S. 35) erläutert, was Netzwerke ausmacht und auszeichnet. Schlegel tut dies in ekklesiologischem Interesse: Wie verhält sich die Netzwerkperspektive auf Kirche zu der Betrachtung von Kirche als Gemeinschaft, Organisation, Institution? Mit seinem informativen Beitrag liegt Schlegel im Gesamtduktus des Sammelbandes, nämlich „Netzwerk“ als eine andere Perspektiven nicht ausschließende Brille auf Kirche anzuwenden, um so neue Möglichkeiten des Kircheseins und der Kommunikation des Evangeliums zu erschließen.
Sympathisch ist das kompakte Format des Bändchens, in dem die Beiträge – von denen hier nicht alle einzeln vorgestellt wurden – auch nur einige wenige Seiten lang sein dürfen. Wenngleich manches aus einem spezifisch evangelischen Blickwinkel geschrieben wurde, so liefert die Publikation doch konfessionsübergreifend Anregungen, unter der Netzwerkperspektive über eine zukunftsfähige Gemeinde- und Kirchengestalt nachzudenken, die das Evangelium auch in einer zunehmend entkirchlichten Gesellschaft zum Tragen bringen kann.
Martin Hochholzer