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Vom Leiten und Leiden – Anmerkungen zu überzogenen bzw. unterkomplexen Leitungsansprüchen in der Kirche aus kirchenrechtlicher Perspektive

Als Kanonist nimmt Thomas Schüller den Leser/die Leserin in das „Gebäude“ des kirchlichen Rechts mit hinein und zeigt, dass die Rede und die Praxis von „Leitung in der Kirche“ einerseits vielschichtig, aber doch mit großem Ge­staltungsspielraum für Getaufte und Geweihte verbunden ist. Ziel ist es, gemeinsam zur Sendung der Kirche beizutragen, Menschen die Treue Gottes zuzusprechen und sie einzuladen, ihr Leben in der Gegenwart Gottes zu leben.

Schon in meiner Zeit als Kirchenrechtler im Bistum Limburg konnte ich einen fast inflationären Umgang mit dem Wort Leitung im innerkirch­lichen Sprachgebrauch erleben. Selbst das kleinste Fachreferat in einem Dezernat, das nur aus einer Person bestand, bekam den Titel „Leiter“ bzw. „Leiterin; der/die sich also selbst leitete. In gleicher Weise kam immer wieder die Rede, sobald ein klerikaler wie laikaler Entschei­dungsträger aus der bischöflichen Kurie eine Pfarrei besuchte, von der sog. „Bistumsleitung“ auf. Es war eher ein Kampf gegen Windmühlen, wenn ich mit beharrlicher Konstanz darauf hinwies, dass allein der Diözesanbischof mit seiner ihm vom Papst übertragenen potestas ordinaria das Bistum leitet und nicht wir, die dem Bischof mit unserer fachlichen Expertise unterstützend zur Seite standen. Und so ist es fast in allen deutschen Diözesen, spätestens nach dem klugen Papier der deutschen Bischöfe „Gemeinsam Kirche sein“ aus 2015, dass nun alle Gläubigen aus charismenorientierter Sicht teilhaben an der Leitung der Pfarrgemeinde oder von gemeinsamer Leitung der Pfarrei durch ein Pastoralteam die Rede ist wie beispielsweise aktuell im Bistum Osna­brück, bei dem der kanonische Pfarrer oder der moderierende Priester nach c. 517 § 2 CIC geistlich leitet, was bei mir immer die Frage aufwirft, was das sein soll und wie ungeistlich dann der Leitungsdienst der nicht­priesterlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger demgegenüber sein muss.

In drei Schritten soll es aus kirchenrechtlicher Sicht mit Blick auf die Pfarrgemeinden um den Leitungsbegriff gehen und wie er sich zum Ordo und den anderen Seelsorgeberufen und ehrenamtlichen Verant­wortlichen verhält. Was meint Leiten im Kirchenrecht, wie sieht es um die Leitung der Pfarrei aus und wie könnten wir aus dieser Sackgasse des permanenten Leiten Wollens und irgendwie nicht Dürfens herauskom­men, wenn wir pneumatologischer denken würden?

1. Leiten – ein vielschichtiger Begriff im Kirchenrecht

In den Begriffen moderari, directio alterior, regimen und potestas regimi­nis und schließlich im Begriff munus regendi, verstanden als Leitungs­dienst im Sinne des Motivs Christus, der König, bringt das kirchliche Gesetzbuch eine ganze Fülle von Aspekten der Leitung ins Wort, die unterschiedliche Akteure wahrnehmen können. Da geht es um die Lei­tung von kirchlichen Vereinen, in Ordensgemeinschaften mit Hausge­walt, der Oberaufsicht über das Handeln Dritter oder eben um hoheit­liches Handeln in Ausübung von mit einem Amt gegebener Jurisdik­tionsgewalt (lat.: potestas regiminis vel iurisdictionis), das sowohl allein nur Klerikern, zum Beispiel das Amt des Pfarrers nur einem geweihten Priester, aber auch Laien wie zum Beispiel das Amt des Richters oder der Richterin offenstehen kann. Bei den zentralen Ämtern (Papst, Bischöfe, Pfarrer, bezogen auf die drei verschiedenen verfassungsrechtlich wich­tigen Ebenen der verfassten Kirche), die mit Ausübung von Jurisdik­tionsgewalt verbunden ist, ist die Priesterweihe bzw. Bischofsweihe unabdingbar. Das bedeutet, dass diese Ämter iure divino (d. h. durch göttliches Recht, d. Vf.) mit Jurisdik­tionsgewalt verbunden sind und vor allem der Bewahrung der Einheit der Gläubigen in einer definierten Gemeinschaft wie Universalkirche, Bistum oder Pfarrei dienen. Die Jurisdiktionsgewalt des Diözesanbischofs teilt sich in die Bereiche der Gesetzgebung, die er persönlich wahrnehmen muss, der Verwaltung, für die der Generalvikar als sein Vertreter (alter ego) sich verantwortlich zeichnet, und die Rechtsprechung, die in der Regel durch den Gerichts­vikar (Offizial) ausgeübt wird. Aber selbst in diesen Kontexten ist an c. 129 § 2 CIC zu erinnern, der davon spricht, dass auch Laien an der Ausübung von Jurisdiktionsgewalt mitwirken können. Über den Weg der Delegation können Laien Jurisdiktionsgewalt ausüben, aber auch, indem ihnen vom Bischof ein Amt wie das des Richters/der Richterin oder einer Dezernentin oder zukünftig ab 2020 im Erzbistum München und Freising das des Amtschefs/der Amtschefin der Erzbischöflichen Verwaltung übertragen wird. Mit dem Amt wird jeweils Jurisdiktions­gewalt übertragen. Und hier kommt nun ein entscheidender Punkt ins Spiel, der in der Kirchenrechtswissenschaft und Dogmatik kontrovers diskutiert wird und auch die aktuellen Leitungsdebatten theologisch kontaminiert und erschwert. Mit Verweis auf das II. Vatikanum – vor allem Lumen Gentium (LG) und Christus Dominus (CD) – wird betont, dass es den Vätern auf dem Konzil darum gegangen sei, Weihegewalt (potestas ordinis) und Leitungsgewalt (potestas iurisdictionis) unter dem neuen Oberbegriff der potestas sacra, die mit der Priesterweihe sakra­men­tal geschenkt wird, zu verbinden. Zwei Dinge dazu: Zum einen bedeutet dies natürlich einen Bruch mit der kirchlichen Rechtsge­schichte, denn über lange Zeit wurden diese beiden Gewalten unter­schieden gesehen, und nur so ist es zu erklären, dass manche Äbtissin mächtiger war als die Diözesanbischöfe um sie herum, da sie Pfarrer ein- und absetzte, mit einem Wort: Trägerin von Jurisdiktionsgewalt war. Oder wir hätten heute keine Auxiliarbischöfe – in unseren Brei­tengraden ungenau Weihbischöfe genannt –, wenn nicht die Fürst­bischöfe weltliche Herrscher ohne Weihen gewesen wären, die für die sakramentalen Vollzüge einen geweihten Bischof brauchten, der ihnen zu Diensten stand. Und noch wichtiger wurde zweitens, dass man vor allem für die Diözese und Pfarrei unter Einfluss des Münchener Kano­nisten Klaus Mörsdorf betonte, dass Wort und Sakrament die Kirche auferbauen, die damit die Bausteine einer Theologie des Kirchenrechts seien. Bezogen auf die potestas sacra bedeutet dies, dass nur Priester und Bischöfe das Wort Gottes in einer Eucharistiefeier auslegen und ihr selbst vorstehen können. So zog man das Vorsteheramt in der Eucha­ristie theologisch auf das Engste zusammen mit der Ausübung der Wortverkündigung und drittens und für unseren Diskussionszusam­menhang entscheidend, auch mit der Ausübung von Jurisdiktions­gewalt. Daraus entstand das vor allem von Kardinal Walter Kasper in seiner Zeit als Bischof von Rottenburg-Stuttgart dogmatisch aufgela­dene Narrativ, dass Gemeindeleitung an den Vorsitz der Eucharistie gebunden sei, und weil nach dem II. Vatikanum der Zusammenhang von Verkündigung und Feier der Eucharistie wieder in den Blick geraten sei (Sacrosanctum Concilium 7: der Tisch des Wortes und der Tisch des Brotes), dies auch allein Aufgabenbereiche des Priesters und des Bi­schofs seien. Seitdem hört man wie ein Mantra diesen Dreiklang, und alle Diskussionen angesichts der dramatischen pastoralen Veränderun­gen im Lichte des Priestermangels, der gerne auch von Kardinal Kasper mit Verweis auf den angeblichen oder tatsächlichen Gläubigen- bzw. zugespitzt Glaubensmangel diminuiert wird, zerschellen an diesem modernen Narrativ der ausschließlich klerikalen und theologisch in einer absoluten Zuspitzung ideologisch aufgeladenen Leitung in der Kirche. Doch, so lässt sich bereits an dieser Stelle nachfragen: Ist das wirklich schon die Wahrheit und ist das alles, was dogmatisch und kirchenrechtlich gesagt werden kann? Ist da in Lumen Gentium 10 nicht die Rede vom gemeinsamen und vom besonderen Priestertum und die Rede davon, dass alle getauften und gefirmten Gläubigen am Sendungs­auftrag der Kirche, das Evangelium zu verkünden, in den Bereichen des Heiligens (munus sanctificandi), des Lehrens (munus docendi) und des Leitens (munus regendi) auf je eigene Weise teilhaben? Was hat dies für Konsequenzen für die Leitung einer Pfarrei oder einer Gemeinde, wie viele ehemalige Pfarreien, die in den letzten Jahren der Zusammen­legungswelle von Pfarreien in den deutschen Bistümern zum Opfer gefallen sind, nun heißen? Was leitet der Pfarrer eigentlich und wo übt er Jurisdiktionsgewalt aus? Und sind die, welche geleitet werden, rein passive Empfänger von Leitungsentscheidungen oder tragen sie als Geistbegabte dazu bei, dass eine Entscheidung überhaupt wirkmächtig werden kann? Diesen Fragen gilt es in einem zweiten Schritt nachzu­gehen.

2. Leiten und Geleitet werden in einer Pfarrei/Gemeinde

In der pfarrlichen Seelsorge geht um Seelsorgeämter, die Männern und Frauen übertragen werden, um im Auftrag und unter der Verantwor­tung des zuständigen Diözesanbischofs eigenständig seelsorglich tätig zu sein. Es geht tatsächlich um ein Kirchenamt. Wenn im Codex von Kirchenamt gesprochen wird, vom officium ecclesiasticum, dann ist c. 145 CIC die entsprechende Grundlage:

„§ 1. Kirchenamt ist jedweder Dienst, der durch göttliche oder kirch­liche Anordnung auf Dauer eingerichtet ist und der Wahrnehmung eines geistlichen Zweckes dient.

§ 2. Pflichten und Rechte, die den einzelnen Kirchenämtern eigen sind, werden bestimmt entweder durch das Recht selbst, durch das ein Amt eingerichtet wird, oder durch Dekret der zuständigen Autorität, durch das es eingerichtet und zugleich übertragen wird.“

Demnach muss ein Kirchenamt folgende Definitionsmerkmale erfüllen: 1. jedwede Aufgabe (munus); 2. durch göttliche oder kirchliche Anord­nung; 3. auf Dauer; 4. errichtet und 5. zur Wahrnehmung eines geist­lichen Zwecks.

Es geht mithin um unbefristete Dauerhaftigkeit und rechtliche Errich­tung in der Umschreibung genauer Aufgaben, d. h. Rechten und Pflich­ten, die mit einem bestimmten Amt in der Kirche verbunden sind. Neben den Ämtern iure divino, zu denen man das Amt der Päpste, des Bischofskollegiums und der Diözesanbischöfe zählen dürfte, gibt es Ämter rein kirchlichen Rechts, die im Laufe der Geschichte je nach den Notwendigkeiten vor Ort von den Diözesanbischöfen eingerichtet wur­den. Dies geschieht in der Regel in der Form der Gesetzgebung, aber auch durch Statuten, Verwaltungsakte oder durch Gewohnheit. In dieser Normsetzung müssen nach c. 145 § 2 CIC die Aufgaben, Rechte und Pflichten, die mit einem Amt verbunden sind, genau umschrieben sein. Der jeweilige Diözesanbischof ist – soweit nichts Anderes im Recht festgelegt ist (c. 157 CIC) – frei, diese Ämter zu verleihen.

Was nun die verschiedenen Seelsorgeämter universalkirchenrechtlicher und partikularrechtlicher Art angeht, so ist zunächst c. 228 § 1 CIC ein­schlägig, der feststellt:

„Laien, die als geeignet befunden werden, sind befähigt (habiles), von den geistlichen Hirten für jene kirchlichen Ämter (officia ecclesiastica) und Aufgaben (munera) herangezogen zu werden, die sie gemäß den Rechtsvorschriften wahrzunehmen vermögen.“

Schaut man sich nun die Geschichte der Seelsorgeberufe Gemeinderefe­rentinnen/en und Pastoralreferentinnen/en in den deutschen Bistü­mern an, so ist offenkundig, dass es sich dabei um Seelsorgeämter han­delt (officia ecclesiastica). Aufbauend auf Taufe und Firmung werden diese Berufe zu einem Amt in der Seelsorge gesendet. Die entsprechen­den partikularen Gesetze in Deutschland für diese Berufe erfüllen alle Kriterien des c. 145 CIC. Im Jahre 1994 konnte sich die Deutsche Bi­schofskonferenz in ihrem Papier „Der Leitungsdienst in der Gemeinde“ erstmalig zu der Aussage durchringen, dass die verschiedenen pastora­len Dienste „ein echtes Kirchenamt“ seien, „das der kanonischen Amts­übertragung bedarf“ (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1994, 12f).

Bei alldem ist aber dennoch zu beachten, dass nach c. 150 CIC gilt: „Ein Amt, das der umfassenden Seelsorge (plena cura animarum) dient, zu deren Wahrnehmung die Priesterweihe erforderlich ist, kann jeman­dem, der die Priesterweihe noch nicht empfangen hat, nicht gültig übertragen werden.“

Zur umfassenden Seelsorge, bezogen auf den Heiligungsdienst der Kirche, gehört die durch Priesterweihe gegebene potestas ordinis, die Sakramente der Buße und Krankensalbung zu spenden wie der Eucha­ristie vorzustehen. Das klassische Amt hierfür ist das Amt des Pfarrers, der nach c. 519 CIC pastor proprius (eigener Hirte, d. Vf.) der ihm über­tragenen Pfarrei ist, in der er die Hirtensorge (cura pastoralis) unter der Autorität des Diözesanbischofs ausübt.

Damit komme ich zu einem wichtigen Punkt, der universalkirchen­rechtlichen Verortung der pastoralen Berufe in den deutschen Bistümern. Schauen wir uns c. 519 CIC noch einmal genauer an:

„Der Pfarrer ist der eigene Hirte der ihm übertragenen Pfarrei; er nimmt die Hirtensorge für die ihm anvertraute Gemeinschaft unter der Autori­tät des Diözesanbischofs wahr, zu dessen Teilhabe am Amt Christi er berufen ist, um für diese Gemeinschaft die Dienste des Lehrens, des Heiligens und des Leitens auszuüben, wobei auch andere Priester und Diakone mitwirken sowie Laien nach Maßgabe des Rechts mithelfen.“

Hierzu drei Anmerkungen:

1. Das Amt des Pfarrers ist konstitutiv bezogen auf den Dienst an der Gemeinschaft der Gläubigen einer territorial und/oder personal be­stimmten Pfarrei; nur von daher erhält dieses Amt seinen tiefen theo­logischen Sinn und ist nicht um seiner selbst willen da oder dient gar der eigenen klerikalen Selbstbespiegelung im Sinne des alten Pfarr­herrenmodells.

2. Der Pfarrer ist kirchenrechtlich ausdrücklich nicht als Einzelkämpfer konzipiert, er soll als pastor proprius eingebunden sein in eine Gemein­schaft von priesterlichen, diakonalen und laikalen haupt- wie ehren­amtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern, mit denen er gemeinsam und symphonisch im Sinne einer geisterfüllten Charismentheologie bis an die Ränder seiner Pfarrei geht, um in einer verbeulten Kirche denen nahe zu sein, die unter die Räder gekommen sind.

3. Und wer darin eine Gefahr für sein Leitungsamt sieht im Sinne, nur ein geweihter Priester könne doch als Pfarrer potestas iurisdictionis aus­üben, dem sei gesagt, dass ein Pfarrer kaum Leitungsgewalt hat und dementsprechend ausübt. Gut, er ist Dienstvorgesetzter des ihm an­vertrauten seelsorglichen Personals und dies kann in den so genannten XXL‑Pfarreien schon ein sehr großes Team sein. Was die kodikarisch vorgesehene Aufgabe angeht, dass allein der Pfarrer in rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten die Pfarrei rechtsgeschäftlich vertritt (c. 532 iVm c. 537 CIC), so ist davon in Deutschland durch ein Indult des Papstes wegen der besonderen staatskirchenrechtlichen Situation der kirchengemeindlichen Vermögensverwaltung kein Gebrauch gemacht worden. Vielmehr entscheiden demokratisch gewählte Gremien, in denen der Pfarrer primus inter pares ohne Vetorecht ist, diese Dinge. Was dann noch bleibt, sind einige Dispensen und Erlaubnisse, die der Pfarrer in Ehesachen erteilen kann und die Befreiung von privaten Eiden. Und das war es schon! Von daher kann ich sinnfreien Diskussionen nichts abgewinnen, die beim Pfarrer von Letztverantwortung – was ist vor­letzte Verantwortung? – sprechen, um so das Leitungsamt jurisdiktio­nell abzusichern. Es geht um gemeinsame Verantwortung für die Wei­tergabe des Glaubens, wobei jeder und jede der Seelsorger und Seelsor­gerinnen seinen wie ihren aufgrund von Weihe oder Sendung je spezi­fischen Beitrag leistet und die Gläubigen ermächtigt, Ja zu Christus zu sagen und aus diesem Glauben im Geist zu leben. Ich bin dankbar, dass im bereits erwähnten Papier „Gemeinsam Kirche sein“ diese Dimensio­nen klar herausgestellt werden. Nicht Abgrenzung in der näheren Be­stimmung der verschiedenen Seelsorgeberufe tut not, wohl Unterschei­dung nach Weihe und Sendung und damit verbundenen unterschied­lichen Seelsorgekompetenzen, sondern Betonung der gemeinsamen Verantwortung für die, für die man geweiht und gesendet wird. Hier ist also weder Platz für klerikalen oder laikalen seelsorglichen Paternalis­mus und die Pflege der eigenen Profilneurosen. Es sollte der Raum für die Freude sein, aus dem Evangelium heraus selbstlos und zugleich theologisch kompetent Rechenschaft vom Glauben abzulegen, der diejenigen trägt, die an Christus glauben.

Also sind alle vom Bischof beauftragten Männer und Frauen Seelsorger und Seelsorgerinnen? Warum diese harmlos klingende Frage?

In den letzten Jahrzehnten sind gelegentlich von interessierten Kreisen mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer wieder Diskussionen losge­treten worden, ob man auch die nichtpriesterlichen Männer und Frauen in der Seelsorge wirklich Seelsorgerinnen und Seelsorger nennen dürfe. So sprachen sich der inzwischen verstorbene Kardinal Meisner und der ehemalige Bischof von Limburg Tebartz‑van Elst, aber auch 1984 Josef Stimpfle als damaliger Bischof von Augsburg in einem eigenen Erlass mit Verweis, dass nur ein geweihter Priester Seelsorger sein könne, gegen diese Bezeichnung für Laien aus.

Das kirchliche Gesetzbuch kennt hingegen zwei Begriffe für den ansons­ten in der Umgangssprache doch recht unspezifischen Begriff des Seel­sorgers/der Seelsorgerin. Zum einen ist die Rede von cura pastoralis – von Hirtensorge, wie wir es eben in c. 519 CIC gesehen hatten – und zum anderen von cura animarum, das man mit Seelsorge übersetzen darf. Cura animarum ist der allgemeinere Begriff, cura pastoralis erweist sich als der speziellere Begriff. Beiden ist gemeinsam, dass sie Hand­lungsweisen der Kirche beschreiben, umfassend an der Sendung der Kirche mitzuwirken, die sich in den drei beschriebenen munera des Lehrens, Heiligens und Leitens ausdifferenziert. An diesen drei munera hat jede/r Getaufte auf je eigene Weise (suo modo) Anteil (c. 204 § 1 CIC), wobei bei der Seelsorge die amtliche Indienstnahme in den beschriebe­nen beiden Weisen hinzutritt. Cura animarum, die nach c. 150 CIC nicht die volle Seelsorge meint, bezieht sich also demnach immer auf be­stimmte Bereiche aus diesen drei munera und auf damit verbundene Aufgaben. Mit cura pastoralis wird die Seelsorge im Sinne von Hirten­sorge bezeichnet, die den Hirten der Kirche zukommt: d. h. für die Gesamtkirche dem Papst, für die Diözese dem Diözesanbischof und für die Pfarrei dem Pfarrer. Es ist ein Amt im Sinne des bereits mehrfach beschriebenen c. 150 CIC und meint plena cura animarum, volle Seelsorge.

Da nun Priester, Diakone und Pastoralreferentinnen/en und Gemein­dereferentinnen/en ein Kirchenamt innehaben und in der beschrie­benen Weise Seelsorge in allen drei munera, aber mit unterschiedlichen Aufgabenzuschnitten verantworten und leben, sind sie kirchenrechtlich auch alle Seelsorger und Seelsorgerinnen, da diese Bezeichnung – wie aufgezeigt – nicht den Priestern vorbehalten ist. Von daher nehmen alle Seelsorger und Seelsorgerinnen auch Aufgaben in diesen drei Bereichen wahr, wobei Leitungsdienst per se nicht immer direkt mit Jurisdiktions­gewalt verbunden sein muss. Leitung meint dann die Kombination von Verantwortung und Entscheidungsgewalt in der zugewiesenen Aufgabe.

Ein letzter Aspekt: An vielen Orten wurde durch Zusammenlegung (bzw. Errichtung einer neuen größeren Pfarrei) aus einer bisherigen Pfarrei eine Gemeinde, die also kirchenrechtlich nicht mehr als eigene Rechtsperson existiert. In ihnen werden zunehmend Ehrenamtliche in sogenannten Leitungsteams mit der Verantwortung für diesen Ort eingesetzt. Kirchenrechtlich ist hier c. 516 § 2 CIC einschlägig und gibt den Diözesanbischöfen weiten Handlungsspielraum, wenn es dort heißt, dass für den Fall, dass eine Gemeinschaft von Gläubigen weder als Pfarrei noch als Quasipfarrei errichtet werden kann, der Bischof für die Hirtensorge andere Vorkehrungen treffen darf. Diesen kirchen­rechtlichen Gestaltungsfreiraum sollten die Bischöfe nutzen, um ge­eignete Frauen und Männer als verantwortliche Ansprechpart­ner/Innen vor Ort einzusetzen. Auch hier wäre es angemessener, weniger von Leitern, sondern mehr von bischöflich beauftragten Verantwortlichen vor Ort in der Gemeinde zu sprechen.

3. Und wem dient das Leiten?

Abschließend soll noch der eingangs gestellten Frage nachgegangen werden, wem das Leiten in der Kirche dient und ob es ein allein linear hierarchisch von oben nach unten gehender Prozess ist, bei dem die einen in aktiver Haltung entscheiden und anordnen und die anderen, die „einfachen“ Gläubigen demütig, gehorchend und rein passiv diesen Weisungen folgen. Michael Böhnke hat in den letzten Jahren mit Bezug auf die Grundform der Epiklese, die Herabrufung des Heiligen Geistes in den liturgischen Vollzügen, vor allem im Bereich der Sakramentenspen­dung und insbesondere bei der Eucharistie, darauf hingewiesen, dass nur in dem Bitten aller Gläubigen im Gebet, Gott möge seinen guten Geist schicken, um seine Treue gegenüber dem Volk zu erweisen, sakra­mentale Vollzüge, aber auch der Leitungsdienst in der Kirche gelingen können. „Wer die Kirche nur von der Vollmacht her begründet sieht, springt zu kurz. Er übersieht, dass Kirche in der eschatologischen Treue Gottes gründet.“ (Böhnke 2018, 201) Daraus folgt für die Leitung in der Kirche als Interaktionsgeschehen zwischen amtlich Bevollmächtigten und Gläubigen: „Erstens, den Menschen, die Gott um seine Gegenwart bitten, die Treue und Gegenwart Gottes zuzusprechen, mit anderen Worten, ihnen Gewissheit über die Erhörung ihrer Bitte zu geben, oder einfacher: sie zu segnen; und zweitens Menschen dazu einzuladen, ihr Leben aus Gottes Gegenwart heraus zu gestalten und deshalb nicht auf­zuhören, Gott um seine Gegenwart zu bitten. Beides charakterisiert die Sendung der Kirche und ist Aufgabe aller Getauften. Von ihr und nicht von der Vollmacht her ist Leitung zu bestimmen. So können Eltern selbstverständlich ihre Kinder segnen und dazu ermutigen, ein Leben im Vertrauen auf die unbedingte und barmherzige Treue Gottes zu führen.“ (Ebd., 201f.)