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Beauftragungen nach can. 517 § 2 CIC – Leitung von Pfarreien durch Pfarrbeauftragte

Erste Erfahrungen mit dem Modell des /der neuen Pfarrbeauftragten im Bistum Osnabrück oder wie viel Leitung ist für „Laien“ erlaubt?

Yvonne von Wulfen schildert die Erfahrungen des Bistums Osnabrück mit verschiedenen Leitungsmodellen für Pfarreien. Dabei fokussiert sie aus­gehend von pastoralen, personalentwicklerischen und strukturellen Eck­daten auf die Umsetzung des Modells der so genannten „Pfarrbeauftragten“ und reflektiert abschließend darüber, ob dies als Ansatz für Veränderungen kirchlicher Realitäten oder eher als ein Beitrag zur Bewahrung des Bestehen­den anzusehen ist.

Wie viel Leitung ist für „Laien“ erlaubt? In dieser einfachen Frage stecken verschiedene Facetten der Beauftragung von „Nicht-Priestern“ mit Leitungsaufgaben in den Pfarreien. Welche Personen sind gemeint, wenn (nach wie vor) der Begriff „Laien“ verwendet wird? Welche Ver­antwortungsbereiche sind gemeint, wenn von Leitung gesprochen wird? Geht es um geteilte Leitung? Wer erlaubt hier was?

Letztere Frage scheint zunächst leicht zu beantworten: Im kirchlichen Gesetzbuch CIC heißt es in can. 517 § 2:

„Wenn der Diözesanbischof wegen Priestermangels glaubt, einen Diakon oder eine andere Person, die nicht die Priesterweihe empfangen hat, oder eine Gemeinschaft von Personen an der Ausübung der Hirtensorge einer Pfarrei beteiligen zu müssen, hat er einen Priester zu bestimmen, der, mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet, die Hirten­sorge leitet.“

Das Kirchenrecht erlaubt es dem Bischof, einzelne oder mehrere nicht ordinierte Personen mit Leitungsaufgaben zu betrauen. Schon dieser Satz hat es jedoch in sich. In der deutschen Übersetzung ist, Beteiligung an der Hirtensorge‘ formuliert. Der zu bestimmende Priester hat der deutschen Übersetzung zur Folge die Leitung der Hirtensorge inne – im Lateinischen heißt es: moderetur. Wer leitet also? Um unterschiedliche Lesarten und Übersetzungen ließe sich hier vortrefflich streiten – da das den Kompetenzbereich der Autorin übersteigt, bleibt das an dieser Stel­le ausgespart. Festzustellen ist: Die Kürze des Paragraphen macht diöze­sane Statuten für die lokale Umsetzung notwendig und räumt Freiheits­gerade in der jeweiligen Konkretisierung ein. Die Statuten in der Diö­zese Osnabrück schreiben sowohl den beauftragten Laien als auch dem benannten Priester Leitungsaufgaben zu. Um diese Leitungsrollen zu differenzieren, wurden dem sogenannten „moderierenden Priester“ Führungsvollmacht, dem­/­der „Pfarrbeauftragten“ Handlungsvollmacht zugeordnet. Es werden demnach unterschiedliche Leitungsanteile defi­niert (zu den hier kurz angerissenen rechtlichen Fragen sei z. B. auf Schüller 2011 verwiesen).

In der Leitungsaufgabe wird also zwischen allgemeiner Führungsver­antwortung und konkreter Handlungsvollmacht differenziert. So weit so theoretisch. In den jeweiligen Aufgabenschreibungen und durch die gemeinsame Erfahrung in der Umsetzung des Projektes müssen diese Begriffe gefüllt werden. So liegen bei den Pfarrbeauftragten die Finanz- und Personalverantwortung, auch gegenüber dem Pastoralteam (inklu­sive Priester vor Ort). Der sogenannte moderierende Priester trägt eine Führungsverantwortung im Sinne einer geistlich-spirituellen Leitung im Hintergrund und in der Verantwortung für die Sakramente. Er lebt nicht vor Ort und hat nur einen geringen Stellenanteil für diese Auf­gabe. Gemeinsam obliegt beiden die Sorge um die Entwicklung pasto­raler Zielsetzungen. Selbstverständlich haben „Laien“ schon lange in hohem Maß Verantwortung für diese Aufgaben übernommen. Die strukturelle Dimension ist die entscheidende Veränderung im System: eine formale Zuschreibung von Leitungsaufgaben.

Bleibt noch die Frage zum Begriff der „Laien“. Welche Personen sind als mögliche Pfarrbeauftragte im Blick? Zunächst hauptberufliche „Laien“: Gemeinde- und Pastoralreferent*innen, ggf. auch Diakone. Das Modell ist darüber hinaus auf die Weiterentwicklung der Beteiligung von Ehrenamtlichen an Leitungsaufgaben hin ausgerichtet.

Dieser Beitrag gibt einen kurzen Einblick in die derzeitige Praxis und die Entwicklungen in der Diözese Osnabrück. Dazu werden einige pasto­rale, personalentwicklerische und strukturelle Eckdaten benannt. Ein Einblick in die aktuelle Umsetzung des Modells der Pfarrbeauftragten erfolgt im zweiten Teil. Zuletzt geht dieser Beitrag den Fragen nach, wie weit diese Modelle Ansätze für Veränderungen kirchlicher Realitäten sind oder eher zur Bewahrung des Bestehenden beitragen und ob – neben Kirchenrecht und Bischof – die Gemeinden es erlauben, dass Laien in dieser Weise Leitungsverantwortung tragen.

1. Leitung und Partizipation im Bistum Osnabrück – pastoraltheologische Eckdaten

In den vergangenen Jahren erfolgten grundlegende pastoraltheolo­gische konzeptionelle Positionierungen für die Diözese Osnabrück. In seinem Vortrag „Gemeinsam Kirche sein“ (Bode 2016) nimmt Bischof Franz-Josef Bode Bezug auf das gleichnamige Hirtenwort der deutschen Bischofskonferenz (DBK 2015) und entwirft ein Bild von Leitung, das alle Getauften und Gefirmten – in besonderer Weise diejenigen, die im pastoralen Dienst beruflich tätig sind – in die Verantwortung nimmt. „Denn wir alle haben Anteil am Priestertum Christi, wenn auch auf ver­schiedene Weise …“ Er stellt heraus, dass diese Verantwortung nicht ohne eine spirituelle Dimension möglich ist. „Es ist wichtig, dass wir alle – wir, die Verantwortlichen in den verschiedenen Ebenen der Kir­che, – diese Jesusbeziehung, diese Gottesbeziehung leben. … Alle sind berufen zur Heiligkeit … alle miteinander durch Taufe und Firmung“ (Bode 2016, 8). Seit einigen Jahren finden diese pastoralen Leitgedanken Umsetzung im Ansatz „Kirche der Beteiligung“ (vgl. Engelhard 2017). Taufberufung, Lebensrealitäten und Glauben zu verbinden und eine immer wieder neu genährte spirituelle Grundausrichtung am Wort Gottes sind dabei zentrale Elemente.

Konkrete Umsetzung erfolgt auch in den Überlegungen zum Thema Leitung, die in einem längeren Beratungsprozess erarbeitet wurden. Folgendes wird darin für das Bistum Osnabrück sinngemäß festgestellt: Es gibt vielfältige Formen der Beteiligung und Verantwortung in unse­rer Kirche. Dazu zählen etwa die verschiedenen Formen von Sendung und Beauftragung der Getauften, die Verantwortung aufgrund von Wahl in den synodalen Räten und die Verantwortung, die an die Weihe ge­bunden ist. Als neue Verantwortungsformen sind in den letzten Jahren die Modelle ehrenamtlicher Verantwortung („Ehrenamtliche Gemein­deteams“) und der Verantwortung im Team zwischen Pfarrer und einem verantwortlichen Laien („Pastorale Koordination“) entwickelt worden. Als zukünftiger Auftrag gilt es, das Leitungspotential aller pastoralen Berufsgruppen zu nutzen, die Stärkung von Leitung in Teams voran­zutreiben sowie die Umsetzung von Leitungsmodellen zu fördern, in denen nach can. 517 § 2 CIC die Leitung einer Pfarrei an einen Nicht-Priester übertragen wird.

Mit diesen Positionierungen entstand im Bistum ein Verständnis von Leitung (und Führung), das eindeutig auf das Zusammenwirken von Haupt- und Ehrenamtlichen setzt. Ebenso definiert es das Zusammen­spiel innerhalb der hauptberuflich Tätigen aus den unterschiedlichen Berufsgruppen neu. Solch tiefgreifende Veränderungen, die im pasto­ralen Bereich eng verknüpft sind mit Kirchenbildern und Rollenver­ständnissen, erfordern eine sensible Begleitung, die keinesfalls eine rein technisch-organisationale sein kann, sich also nicht allein in systemi­scher Rekonstruktion erschließt, sondern darüber hinaus immer eine theologisch-geistliche Dimension erfassen muss. Dieses Bild von Leitung stellt eine Abkehr von einem Verständnis dar, das diese als Standesrecht beschreibt (vgl. Werbick 2018). Leitung versteht sich also partizipativ.

2. Die handelnden Personen – personalentwicklerische Eckdaten

Ein solch bedeutsamer Wandel einer Organisation, wie es der derzeitige kirchliche Veränderungsprozess darstellt, kann nicht ohne persönliche Weiterentwicklung der Beschäftigten (gleiches gilt selbstverständlich auch für Ehrenamtliche) vollzogen werden. Eine gute und strategisch ausgerichtete Personalentwicklung kann Motor für solche Prozesse sein. Personalentwicklung kann dazu beitragen, den Beschäftigten zu positiv besetzten und adäquaten beruflichen Identitäten und angemessenen Kompetenzen zu verhelfen. Ohne Zweifel ist der zu erwartende Rück­gang personeller Ressourcen ein Motor für das Voranschreiten in der Umsetzung alternativer Leitungsmodelle.

Parallel dazu setzten sich, wie oben bereits angedeutet, zwei Erkennt­nisse durch. Erstens werden wesentliche Führungs- und Leitungskom­petenzen in den Berufsgruppen der pastoralen Laien verschenkt, wenn Leitungs- und Entwicklungsaufgaben nicht auch durch geeignete Per­sonen dieser Berufsgruppen besetzt werden. Zweitens sind in Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels gute Theolog*innen und Gemein­dereferent*innen nur mit angemessenen Entwicklungsmöglichkeiten zu halten.

Die oben skizzierte pastorale Grundidee, Leitung verstärkt als eine Auf­gabe aller Getauften und Gefirmten zu sehen, Leitung vermehrt als Teamleitung zu verstehen und die unterschiedlichen Anteile von Lei­tung auf mehrere Schultern zu verteilen, indem man unterschiedliche Verantwortungsbereiche definiert, führte zu verstärkten Bemühungen, differenzierter auf die Leitungsverantwortung zu blicken. Schon jetzt ist erkennbar: Führungskarrieren im pastoralen Dienst sind immer weni­ger den Priestern vorbehalten und Laien können nicht mehr nur Fach­karrieren ergreifen.

Verstärkt wird dieser Bedarf nach Neuorientierung durch die struktu­rellen Entwicklungen: Die enge Anbindung an eine Ortsgemeinde und eine daraus resultierende persönliche Nähe, die in der seelsorglichen Einzelbegleitung abgerufen wird, ein Kern, für viele Seelsorger*innen ein zentraler Kern und Anker in der persönlichen Berufung, ist durch die Vergrößerung der pastoralen Einheiten weniger realisierbar. Für alle pastoralen Berufe ist mit den größeren Einheiten eine stärkere fachliche Schwerpunktsetzung verbunden, eine Vielfalt im beruflichen Alltag damit eher weniger geworden.

Aus den o. g. pastoralen und personalentwicklerischen Überlegungen heraus entstand ein klarer Grundauftrag für die Personalentwicklung im Bistum Osnabrück. Es hieß Maßnahmen zu entwickeln, die für alle Berufsgruppen differenziertere Berufswege und Rollenverständnisse fördern und gleichzeitig die Frage der Leitung neu beantworten.  Das bedeutet also, sowohl in spiritueller Hinsicht neue Wege zu erschließen, als auch organisatorisch neu zu denken.

Konkrete Beispiele für solche Personalentwicklungsmaßnahmen sind im Bistum Osnabrück die benannten Modellprojekte für alternative Leitungsformen, die berufsgruppenübergreifende Fortbildung „Führen und Leiten“ sowie die Einführung von Pfarrerjahresgesprächen und Pfarrertagen, beide letztgenannten Maßnahmen dienen u. a. zur Wei­terentwicklung der priesterlichen Rollenbilder. Auf die Weiterentwick­lung des persönlichen Seelsorgekonzeptes und Rollenbildes aller haupt­beruflich Tätigen zielt der große Fortbildungskurs „Heute Seelsorger*in sein“ ab. Für alle diese Maßnahmen gilt es, in der Didaktik eine enge Verbindung zwischen spirituellem und methodisch-fachlichem Lernen bzw. Reflexionen zu ermöglichen.

3. Der Rahmen – strukturelle Eckdaten

Die Strukturreform in der Diözese vor etwa zehn Jahren erfolgte unter Beteiligung von Gremien und Gemeinden und führte zur Zusammen­legung von ursprünglich mehr als 250 Pfarreien zu 72 Einheiten (Fu­sionierte Pfarreien oder Pfarreiengemeinschaften). Das Prinzip „Kirche bleibt­/­lebt vor Ort“ und die o. g. pastoralen Leitgedanken waren zentral für die nachfolgende Entscheidung, zukünftig keine weiteren Zusam­menlegungen von Pfarreien vorzunehmen. Flankiert wird dies von der Erkenntnis, dass die erste große Strukturreform gerade erst ihre Wir­kung entfalten konnte. Zum Zeitpunkt der o. g. Entscheidungen waren viele Gemeinden damit beschäftigt, sich inhaltlich, pastoral neu zu orientieren, geschlossene Kooperationsvereinbarungen umzusetzen und sich mit veränderten Anforderungen an Haupt- und Ehrenamtliche zu beschäftigen. An einigen Orten waren die ersten der o. g. Modellpro­jekte für neue Leitungsmodelle erfolgreich eingeführt.

4. Aktuelle Situation

Im Bistum Osnabrück werden derzeit drei Modelle hauptamtlicher Lei­tung umgesetzt: a) „klassischer Pfarrer“, b) Pfarrer mit Pastoralem/r Koordinator*in und c) Leitung durch einen Pfarrbeauftragten entspre­chend der diözesanen Regelungen zur Umsetzung des can. 517 § 2 CIC, in denen es heißt:

„Präambel

(1) Leitung in der Pfarrei ist immer auch Dienst an der Einheit der Kirche.

(2) Der Dienst an der Einheit ist untrennbar mit dem Sakrament der Einheit, der Eucharistie, verbunden. Die Eucharistie ist Mittelpunkt der pfarr­lichen Gemeinschaft der Gläubigen (vgl. can. 528 § 2 CIC). Zwi­schen der Leitung der Pfarrei und dem Vorsitz des Priesters bei der Eucharistie besteht deshalb ein wesentliches Band.

(3) Zugleich hat der Diözesanbischof in Zeiten des Priestermangels die Möglichkeit nach can. 517 § 2 CIC getaufte und gefirmte Gläubige, seien sie ehren- oder hauptamtlich tätig, mit der verantwortlichen Wahrneh­mung bestimmter Aufgaben der Pfarrseelsorge zu beauftragen. Dies geschieht in Rückbindung an einen Priester, der die Hirtensorge leitend moderiert.

(4) Gemeinsame Pfarreileitung durch Priester und andere getaufte und gefirmte Gläubige ist ein gemeinsam ausgeübter Dienst an der Einheit der Kirche.

§ 1 Leitung von Pfarreien gemäß can. 517 § 2 CIC

(1) In Pfarreien, in denen die Seelsorge gemäß can. 517 § 2 CIC geord­net wird, ist das Amt des Pfarrers auf Dauer vakant.

(2) Der Bischof beauftragt eine Person oder mehrere Personen mit der verantwortlichen Wahrnehmung von Leitungsaufgaben in der pfarr­lichen Seelsorge. Die Person wird „Pfarrbeauftragte“ bzw. „Pfarrbeauf­tragter“ genannt. Pfarrbeauftragte sind mit Handlungsvollmacht (s. § 3) ausgestattet.

(3) Der Bischof bestellt einen Priester zur Ausübung der geistlichen Verantwortung in der Pfarrei, indem er ihm die leitende Moderation der Hirtensorge überträgt. Dieser Priester wird „Moderierender Priester“ genannt. Moderierende Priester sind mit Führungsvollmacht (s. § 4) ausgestattet.“

Alle drei Leitungsmodelle sind auf Ebene einer neu gegründeten Pfarrei­/­Pfarreiengemeinschaft angesiedelt und betreffen also eine pastorale Einheit, die aus zwei bis sechs ursprünglich selbstständigen Pfarreien und dementsprechend vielen Kirchorten besteht. Zusätzlich kann es in jedem der drei Modelle ehrenamtliche Verantwortungsmodelle auf lokaler Ebene geben, die über die klassische Gremienstruktur hinaus­gehen. Derzeit werden 41 Einheiten von einem Pfarrer, 25 (plus vier weitere auf dem Weg) von einem Pfarrer mit pastoralem/r Koordi­nator*in und zwei von einem Beauftragten nach can. 517 § 2 CIC ge­leitet (ebenso weitere in Vorbereitung). In mehr als der Hälfte der Ein­heiten sind pastorale Prozesse zur Förderung einer „Kirche der Beteili­gung“ angelaufen. In vier Einheiten sind ehrenamtliche Gemeinde­teams beauftragt, jeweils zwei in einer Einheit mit Pfarrer und zwei in einer Einheit, in der Pfarrer und pastorale*r Koordina­tor*in leiten. Es entwickeln sich weitere strukturelle Beteiligungsformen an Leitung durch Ehrenamtliche (dazu mehr bei Bernd Overhoff in dieser Euangel-Ausgabe). Diese unterschiedlichen partizipativen Strukturen – unter dem gemeinsamen inhaltlichen Dach „Kirche der Beteiligung“ – bieten die Möglichkeit, den verschiedenen pastoralen Realitäten gerecht zu werden.

5. Pfarrbeauftragte – Erfahrungen, Überraschungen und Ausblick

Hier soll der Fokus auf die Umsetzung des neuen hauptamtlichen Mo­dells der­/­des Pfarrbeauftragten gerichtet werden. Viele Aspekte sind mit den Erfahrungen in der Umsetzung der anderen neuen Modelle durchaus vergleichbar.

5.1 Widerstände und Herausforderungen

Selbstverständlich bringt ein Weg der Veränderung Widerstände und Herausforderungen mit sich.


Rollenbilder

Die klassischen Rollenbilder der pastoralen Berufsgruppen verändern sich. Es bedarf einer guten Kommunikation und der Entwicklung posi­tiver biografischer Szenarien, die auch Chancen in alternativen persön­lichen Entwicklungen aufzeigen. Neue Entwicklungsmöglichkeiten füh­ren auch zu Konkurrenz oder Unsicherheiten in der Entscheidung für oder gegen mehr Übernahme von Verantwortung. Das Ausfüllen einer Leitungsposition unter zudem wacher Beobachtung von Medien, Kolle­g*innen, Kritikern und Förderern ist besonders herausfordernd. Die Etablierung eines Rollenbildes einer Gemeindeleitung, die nicht gleich­zeitig die alleinige liturgisch-sakramentale Verantwortung innehat und trotzdem erst einmal am Vorgänger (einem Pfarrer) gemessen wird, erfordert Begleitung.


Verlässlichkeit

Erfahrungen anderer deutscher Diözesen, in denen diese Beauftra­gungsmodelle auf Ebene einer Ortsgemeinde eingeführt waren und später wieder aufgehoben wurden, lassen die Frage aufkommen, wie verlässlich die Einführung dieses Modells Pfarrbeauftragte nach can. 517 § 2 CIC (und auch der anderen) ist. Die Umsetzung in der Diözese Osnabrück unterscheidet sich von derjenigen vorangegangener Modelle in anderen Diözesen, weil die Beauftragungen auf Ebene einer Pfarrei­engemeinschaft­/­Pfarrei erfolgen und nicht, wie in den damaligen An­sätzen auf Ebene einer „Ortspfarrei“. In den kommenden Jahren sind so dramatische Einbrüche in den Zahlen der Priester zu erwarten, dass eine rein priesterliche Antwort auf die Leitungsfrage zu einer Verstär­kung eines ausbeutenden Personaleinsatzes führen würde. Diese Ant­worten bedeuten selbstverständlich keine Sicherheit – auch nicht vor der Erfahrung, dass andere Wege sich besser bewähren und andere, vielleicht sogar flexiblere oder ressourcenschonendere Lösungen anbieten.

5.2 Chancen und Hoffnungen

Viele Beteiligte in unserer Diözese verbinden mit diesen neuen Lei­tungsmodellen die Hoffnung, dass Kirche vor Ort bleibt. Es gelingt vie­lerorts, die enge Verbindung einer Gemeinde an ihre kirchlichen Orte im Nahraum zu erhalten. Es erscheint auch vielen so, dass es leichter ist, ehrenamtlich Engagierte zu gewinnen, wenn der Verantwortungsbe­reich (lokal) überschaubar ist, der Bezug zur eigenen Lebenssituation davon berührt ist und an konkrete Erfahrungen anzuknüpfen ist. Auch wächst aus diesem Ansatz eine Aufbruchsstimmung, ein Gefühl, dass es Gestaltungsspielräume und Veränderungspotential gibt. Daraus kann – und nach den ersten Erfahrungen geschieht dies auch in beeindrucken­der Weise – neue Lebendigkeit, Freude am Glauben und neu erwecktes Engagement entstehen.

Mit Blick auf das pastorale Personal ist mit diesen Modellen die Hoff­nung verbunden, differenzierte Einsatzmöglichkeiten und berufsgrup­penunabhängigere Entwicklungen zu ermöglichen. Dieser Gewinn an Differenzierung und persönlicher Weiterentwicklung gilt nicht nur für die pastoralen Laienberufsgruppen, sondern noch viel mehr für die beruflichen Perspektiven und Spielräume der Priester. Für deren Ein­satzplanung zeichnete sich eine massive Engführung auf die Aufgabe des Pfarrers, insbesondere in geschäftsführenden Tätigkeiten ab, wo nun individuelle charismenorientierte Schwerpunktsetzungen besser möglich werden. Ein Priester muss nicht Pfarrer sein allein, weil es an Führungskräften mangelt.

5.3 Überraschungen

In Bezug auf das Modell der Pfarrbeauftragten gab es zwei große Über­raschungen: eine enorme positive Resonanz in der medialen Öffent­lichkeit und die Erfahrung, dass das Modell für den allergrößten Teil der Gemeinden überhaupt kein Problem darstellt. Im Gegenteil, die Reso­nanz lautet sinngemäß: „Na endlich habt ihr es kapiert!“ – es ist also nicht nur erlaubt (s. o.), sondern klar erwünscht.

6. Eine interessante Frage bleibt: Verändert diese Umsetzung des can. 517 § 2 CIC Kirche oder bewahrt es althergebrachte Strukturen?

Die klare Antwort: es hat Veränderungspotential! Das Modell und seine Einführung bieten die Chance auf einen Neuanfang und Aufbrüche. Deren Wirkkraft hängt gleichzeitig auch von den handelnden Personen ab. Wie beschrieben wird das Modell auf dem Hintergrund einer „Kirche der Beteiligung“ eingeführt. Das bedeutet, die Eigenverantwortung, die Gestaltungsmöglichkeiten und die Bedürfnisse der Menschen vor Ort gut in den Blick zu nehmen. Mit dem Start des Modells ergeht die Einladung, in einen solchen Erneuerungsprozess einzusteigen.

Einige weitere Anstöße in dieser Diskussion:

6.1 Dieses Modell verändert Kirche, weil …

… es Möglichkeiten schafft, die Planung der Strukturen unabhängiger von der Frage der Zahl der leistungsfähigen Priester zu gestalten.

… es Hoffnungen weckt, die Organisation von und Haltungen in Kirche verändern zu können und daran mitzuwirken.

… mehr Teamarbeit und vor allem Leitung im Team entsteht.

… es Leitung als differenzierte Aufgabe mit unterschiedlichen Anteilen definiert.

… es expliziter Auftrag der Pfarrbeauftragten ist, die Verantwortungs­übernahme Ehrenamtlicher weiter zu entwickeln.

… Menschen sich (neu) fragen, wie sie vor Ort Kirche sein wollen.

… es eine Alternative zu größeren Zusammenlegungsprozessen ist.

… die beteiligten Priester mehr Freiräume erleben, ihrer Berufung entsprechend tätig zu sein.

… in der konkreten Aufgabenzuschreibung mehr Freiheiten entstehen, nach persönlichen Kompetenzen und Charismen zu schauen als nach festgeschriebenen Rollenbildern.

…nicht zuletzt der Umgang mit den aktuellen Krisen eine weniger hierarchische Struktur nahelegt, in der Macht auf mehrere Schultern gelegt, Leitung nicht als Standesfrage definiert und eine ortsnahe und damit beeinflussbare Leitungsstruktur erhalten wird.

6.2 Dieses Modell könnte auch verhindern, dass sich Kirche weiterentwickelt, weil …

… das Risiko besteht, dass die Pfarrbeauftragten einfach zum Pfarrer­ersatz werden und damit keine Notwendigkeit entsteht, Kirchenbilder weiter zu entwickeln und Ehrenamtliche mehr zu beteiligen.

… Ängste entstehen, die dazu führen, am Alten besonders festzuhalten. 

­… es eine „versorgende“ Pastoral tradiert.

… Entwicklung von der persönlichen Haltung der Beteiligten abhängt.

­… die Frage der Verantwortung für die Sakramente nicht verändert wird.

6.3 Blickwinkel Change Management

Die Frage lautet demnach wohl besser: Welchen Beitrag leistet das Mo­dell zur Veränderung? Aus der Perspektive von Change Management Ansätzen (vgl. beispielsweise Krämer 2012), lassen sich folgende Über­legungen anstellen:

Das Modell ist ein starker Motor in den Phasen der Bewusstseinsverän­derung (= alle merken: Kirche ändert sich) und der Motivation (= es weckt Kräfte, Interesse und Aufbruchsstimmung). Damit Veränderung dann wirklich stattfindet, braucht es Akteure (= Change Agents) sowie Visionen und Ziele. Das Modell hat, insbesondere durch den bischöfli­chen Auftrag, aber auch durch die Begleitung einen hohen Erlaubnis­charakter (= Rahmenbedingungen), der Veränderungen ermöglicht, weil Sicherheit ein wichtiger Faktor in Veränderungsprozessen ist.

In der Begleitung sind Maßnahmen zum Konfliktmanagement und zur Beteiligung angelegt. Die Voraussetzungen sind so geschaffen, dass ein Veränderungscharakter oder -potential besteht.

Trotz alledem bleibt die hohe Abhängigkeit von personenbezogenen Einflüssen. Diese Hauptakteure sollen stellvertretend durch ein Zitat abschließend Gehör finden: „Doch ich bin sicher: Indem Menschen andere Bilder von Leitung konkret im pastoralen Alltag erleben, wird sich etwas ändern!“ (Pfarrbeauftragte in persönlicher Korrespondenz aus dem Juni 2019).