Inhalt

Kirchliche Führung in der Praxis

Ein Erfahrungsbericht

Führung in der katholischen Kirche als komplexer Organisation ist durch die auch außerhalb der Kirche üblichen Bedingungen und Logiken mitbeein­flusst. Dennoch scheint es nicht einfach, Standards der Führungs- und Per­sonalentwicklung auf dem Hintergrund von Prozessen der Kirchenentwick­lung zu implementieren. Benedikt Jürgens beschreibt den manchmal etwas mühevollen, aber durch dezentrales Lernen dennoch möglichen Weg zu einer Kultur kirchlicher Führungsentwicklung.

Seit 2015 forscht das an der Bochumer Ruhr‑Universität angesiedelte Zentrum für angewandte Pastoralforschung (zap) zum Thema Führung in der katholischen Kirche. Die Notwendigkeit, sich diesem Thema zu widmen, liegt auf der Hand, die Probleme sind offensichtlich: Finanz- und Missbrauchsskandal, Reputationsverluste, Mitgliederschwund und Priestermangel, um nur einige Stichworte zu nennen. Das zap möchte hier einen konstruktiven Beitrag leisten, um die Führungspraxis im deutschsprachigen Katholizismus zu verbessern. Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit wird dabei von zwei Fragen geleitet:

  1. Welche Kompetenzen benötigen kirchliche Führungskräfte der obersten Ebene von Bistümern, Generalvikariaten, Caritasver­bänden, Krankenhäusern und weiteren Verbänden?
  2. Wie können diese Kompetenzen vermittelt werden?

Im Hintergrund der Arbeit steht die Überzeugung, dass der Schlüssel zur Bewältigung der Herausforderungen darin besteht, die organisa­torische Gestalt ernst zu nehmen, welche die Kirche seit Beginn des 19. Jahrhunderts angenommen hat. Der Prozess der organisa­torischen Differenzierung betraf zunächst die katholischen Vereine und Verbän­de, die vor allem im 19., aber auch im 20. Jahrhundert in Deutschland florierten. Spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat aber auch die verfasste Kirche organisatorische Gestalt angenommen, also die Bistümer, Generalvikariate und Pfarreien. Waren beispielsweise die Generalvikariate ursprünglich nur kleine Büros mit nur wenig Personal, so haben sie sich nun zu großen Verwaltungen mit mehreren hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickelt. In organisatorischer Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen Einrichtungen der ver­­fassten Kirche und katholischen Verbänden und Vereinen (vgl. dazu Jürgens 2019). Diese Beobachtung gilt auch für die Beratungs- und Entscheidungsprozesse in der Kirche, die ebenfalls stark reguliert sind. Dies gilt sowohl für Prozesse nach kirchlichem Recht (Bischofssynode, Sonderräte und Diözesansynoden) als auch für „freie“ Prozesse, die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland beobachtet werden konnten (Gesprächs- und Dialogprozesse, Leitbildprozesse usw.), die zwar nicht kirchenrechtlich reguliert sind, aber ebenfalls starke organisatorische Voraussetzungen haben.

Die Pastoraltheologie bearbeitet das Führungsthema – wenn überhaupt – stark unter dem interaktionalen Aspekt. Dabei wird Führung vor allem als Personalführung begriffen und im Kontext der Gemeindetheo­logie thematisiert (paradigmatisch z. B. Hilberath/​Scharer/​Haslinger 2000). Dieser Aspekt ist zweifellos wichtig und unverzichtbar. Aber die aktuelle Führungskrise ist nicht zu meistern, wenn man sich auf gute Personalführung und Gemeindeleitung beschränkt. Gerade die zu Be­ginn genannten Probleme machen deutlich, dass die Kirche es mit strukturellen Problemen zu tun hat, die den organisatorischen Aspekt der Kirche betreffen und auch auf dieser Ebene bearbeitet werden müs­sen. Hier gibt es großen Nachholbedarf. Dieser Aufgabe stellte sich das zap und machte dabei gemischte Erfahrungen.

Ein konkreter Vorschlag zur Vermittlung von Führungskompetenz

Das zap ging zunächst davon aus, dass ein übergreifendes Qualifizie­rungsprogramm für zukünftige Führungskräfte der obersten Ebene ein Beitrag sein könnte, um Führungskompetenz systematisch im deutsch­sprachigen Katholizismus zu vermitteln. Zu diesem Ergebnis kam das zap nach umfangreichen Sondierungen im Feld.

Empirische Sondierungen und multiperspektivische Reflexion
In einer Umfeldanalyse wurden zunächst die bereits bestehenden Ange­bote zur Qualifizierung leitender Pfarrer evaluiert (vgl. Jürgens/​Diek 2015). Im Anschluss wurden weitere Führungskräfteentwicklungspro­gramme kirchlicher, aber auch säkularer Provenienz untersucht und ausgewertet (vgl. Jürgens 2017, 9–27). In einer Anforderungsanalyse konnten zwölf vertrauliche Gespräche mit kirchlichen Führungspersön­lichkeiten der obersten Führungsebene geführt werden (zwei Bischöfe, zwei Weihbischöfe, zwei Generalvikare, drei Geschäftsführungen [Kran­kenhausträgergesellschaft, Caritasverband, ein weiterer Verband], zwei Hauptabteilungsleitungen und eine Akademieleitung). Darüber hinaus gab es drei Kooperationsprojekte mit diözesanen Partnern zu den The­men „Durch Feedback lernen“ (Bistum Essen), „Organisationen durch Zielsteuerung entwickeln“ (Bistum Aachen) und „Führungskräfteent­wicklung evaluieren“ (Erzbistum Hamburg) (vgl. Jürgens 2016; ders. 2017, 27–32).

Diese Sondierungen zeigten, „dass die aktuellen kirchlichen Angebote nicht das Niveau der säkularen Anbieter erreichen. Im kirchlichen Be­reich fehlt eine wissenschaftliche Erforschung und Reflexion von Füh­rungspraxis, so dass eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Aus­bildungs- und Entwicklungsprogrammen nicht möglich ist bzw. relativ zufällig ist und von den jeweils handelnden Akteuren auf der Organisa­tionsseite (Auswahl und Entscheidung) und auf der Anbieterseite (Be­rater, Trainer, Dozenten) abhängt. […] Der Kompetenzvermittlung im kirchlichen Bereich fehlt die Breite der säkularen Angebote; insbeson­dere ist eine Fixierung auf interaktiv-kommunikative Aspekte zu kon­statieren.“ Es wurde deutlich, „dass der Dialog mit relevanten Vertre­terinnen und Vertretern anderer gesellschaftlicher Teilsysteme eine herausragende Rolle bei [säkularer] Führungskräfteentwicklung spielt – ein Aspekt, der in den kirchlichen Qualifizierungsangeboten nicht be­rücksichtigt wird“ (Jürgens 2017, 27).

Aus diesem Grund entschied sich das zap dazu, einen Vorschlag für ein übergreifendes Qualifizierungsprogramm zu unterbreiten. Dazu wur­den die empirischen Feldstudien auf mehreren Ebenen theoretisch reflektiert: Auf der pastoraltheologisch-sozialwissenschaftlichen Ebene in der Forschergemeinschaft des zap, auf der theologischen Ebene im Gesprächskreis „Führen und Entscheiden“ der Katholisch-Theologi­schen Fakultät der Ruhr-Universität (bisher elf Fachgespräche und ein öffentlicher Expertenworkshop) und auf der Ebene des interdiszipli­nären Führungsdiskurses in einer Sounding-Group mit Experten aus theologischer und ökonomischer Wissenschaft, kirchlicher und säkula­rer Führungspraxis sowie kirchlicher und säkularer Beratung (vgl. Jürgens 2017, 32–37; Theologie und kirchliche Führung 2019).

Ein konkretes Angebot: Qualifizierungsprogramm für zukünftige Führungskräfte der obersten Ebenen
Auf dieser Grundlage wurde dann ein Qualifizierungsprogramm ent­wickelt, das sich an einem Kompetenzmodell orientiert (vgl. Jürgens 2017a, 39–41; ders. 2017b) und dem ein ausformuliertes Curriculum zugrunde liegt. Dieses Programm besteht aus vier thematisch orientierten Modulen, die an zu den Themen passenden Orten stattfinden:

  • Politik: Berlin
  • Medien: Hamburg
  • Wirtschaft: Frankfurt a. M.
  • Wissenschaft und Kultur: München

Die vier inhaltlichen Module sind durch eine Einführungs- und Abschluss­veranstaltung gerahmt. Das Programm sieht vor, dass in allen Modulen methodisch mit fünf Bausteinen gearbeitet wird.

  1. Projektsupervision: Führungskräfte lernen vor allem anwen­dungsbezogen in und aus ihrer konkreten Praxis. Diese wird in Form von realen Projekten aus kirchlichen Organisationen the­matisiert und durch professionelle Supervision reflektiert. Ziel dieses Qualifizie­rungsbausteins ist die Vermittlung methodi­scher Schlüsselfähigkeiten und ‑kenntnisse, die in der Kirchen­entwicklung und im Veränderungsmanagement benötigt wer­den. Gleichzeitig spielen sie eine Vielfalt von organisatorisch relevanten Themen in das Qualifizierungsprogramm ein.

  2. Exposure: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Qualifizie­rungsprogramms besuchen relevante gesellschaftliche und kirchliche Organisationen. Durch den persönlichen Kontakt erhalten sie einen umfassenden Einblick in Selbstverständnisse, Aufträge, Aufgaben, Strukturen und Prozesse von Organisatio­nen und können auf diese Weise ihre Erfahrungen mit Organisa­tionen ausweiten und vertiefen. Indem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Vielfalt kirchlicher und gesellschaftlicher Orga­nisationen eintauchen, können sie außerdem Ideen für Vernet­zungs- und Kooperationsstrategien für die eigene Organisation entwickeln.

  3. Dialog: Für Führungskräfte ist der Erfahrungs- und Meinungs­austausch auf Augenhöhe ein wichtiges Feld, um den eigenen Standpunkt zu reflektieren, möglichst vielfältige Sichtweisen und Perspektiven kennenzulernen, in Alternativen denken zu können und verschiedene Handlungsoptionen zu entwickeln. Im Dialog mit Führungspersönlichkeiten aus den verschiedenen kirchlichen und gesellschaftlichen Handlungsfeldern erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Gelegenheit, in einen vertieften Austausch zu treten, sich inspirieren zu lassen, kon­trovers zu diskutieren und neue Kontakte zu knüpfen.

  4. Fachvorträge: Ausgewiesene Expertinnen und Experten aus Wis­senschaft und Praxis führen in Fachvorträgen in die für kirchliche Führung relevanten Inhaltsfelder ein. Ziel ist nicht die Vermitt­lung von enzyklopädischem Wissen, sondern eine fokussierte Erschließung des jeweiligen Fachgebiets, so dass die Teilneh­menden dieses persönlich vertiefen und im Anschluss selbst­ständig weiterarbeiten können. Die Fachvorträge bereiten das jeweilige Inhaltsfeld zielgruppenspezifisch und praxisrelevant auf und stellen durch geeignete Instrumente den Wissenstrans­fer sicher. Ziele dieses Qualifizierungsbausteins sind die intellek­tuelle Durchdringung und ein vertieftes Verständnis der für Füh­rungskräfte relevanten Inhaltsfelder.

  5. Spiritueller Transfer: Führungskräfte von kirchlichen Organisatio­nen deuten ihre Aufgabe vor dem Hintergrund ihres christlichen Glaubens und schöpfen in Gottesdienst und Gebet Kraft für ihre Arbeit. Dazu bieten die spirituellen Transfers der einzelnen Mo­dule Gelegenheit. Diese Bausteine greifen die thematische und lokale Prägung des jeweiligen Moduls auf und vertiefen sie im Rückgriff auf die Vielfalt der spirituellen und liturgischen Tra­­dition der Kirche in der Form eines Gottesdienstes (Eucharis­tiefeier, Wort-Gottes-Feier, Abendgebet o. Ä.). 

Einsichten aus der fehlenden Resonanz
Das Qualifizierungsprogramm fand nicht die Resonanz, die für eine gruppendynamisch und wirtschaftlich sinnvolle Durchführung not­wendig gewesen wäre. Aus den Rückmeldungen zum Qualifizierungs­programm hat das zap gelernt, dass es Schwierigkeiten gab, präzise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu benennen, die das Potenzial für übergreifende Führungsaufgaben haben. Ein Grund dafür könnte sein, dass es bisher nur Ansätze einer systematischen Personalentwicklung in kirchlichen Organisationen gibt. Eine Führungskräfteentwicklung ist kaum zu erkennen. Zudem wurde deutlich, dass organisationsübergrei­fende Angebote im deutschsprachigen Katholizismus nur dann eine Akzeptanz finden, wenn sie von einer breiten Mehrheit getragen und bottom-up und partizipativ entwickelt werden. Dazu wäre ein aufwän­diger Prozess nötig gewesen, der deutlich länger als zwei Jahre gedauert hätte und dessen Ausgang mehr als ungewiss gewesen wäre. Auf über­diözesaner Ebene im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz ist eine Willensbildung zum Thema Führungskräfteentwicklung zurzeit eher unwahrscheinlich. Eine realistische Möglichkeit für eine nachhaltige und systematische Qualitätsverbesserung von Führung gibt es momen­tan wohl nur dezentral mit einzelnen kirchlichen Organisationen.

Ein dezentraler Ansatz: Bedarfsorientierte Kooperationsprojekte mit einzelnen kirchlichen Partnern

Diesen dezentralen Ansatz verfolgt das zap seit Anfang 2018. Dabei kann an die umfangreiche Projekterfahrung des zap im Allgemeinen und an die Erfahrung aus der Arbeit am Qualifizierungsprogramm im Besonderen angeknüpft werden, wodurch neue Erkenntnisse aus kirchlicher Führungspraxis gewonnen werden können. In diesem Zusammenhang sind vier Projekte zu nennen.

1. Mitarbeit im Zukunftsbildprojekt Kirchenbindung (Bistum Essen)
Das Bistum Essen entschied zu Beginn dieses Jahrzehnts, eine neue Vision für seine Zukunft zu entwickeln. Es startete mit einem Dialog­prozess in sechs eintägigen Diözesanforen mit jeweils rund 300 Teil­nehmer*innen, die zu verschiedenen Themen wie Kirchenstrukturen, Glauben, Nächstenliebe und Liturgie arbeiteten und diskutierten. Ein erstes Ergebnis dieses Prozesses war das Zukunftsbild.

Anschließend hatten die verschiedenen Stakeholder die Möglichkeit, das Zukunftsbild kennenzulernen und konkrete Ideen zur Umset­zung der Vision zu entwickeln. Infolgedessen wurden 40 Projektvorschläge entwickelt. Die Bistumsleitung beauftragte 20 Projekte mit der Um­setzung des Zukunftsbildes. Gleichzeitig startete das Bistum einen Prozess zur Entwicklung der Pfarreien und einen Dialog mit den pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über ihre Rollen und Aufgaben.

Gemeinsam mit weiteren Partnern (Institut M.‑Dominique Chenu, Berlin, CVJM-Hochschule, Kassel, und Seminar für Katholische Theologie der Universität Siegen) erhielt das zap den Auftrag, im Rahmen des Zukunftsbildprojekts „Initiative für den Verbleib in der Kirche: Wie senken wir die Zahl der Kirchenaustritte?“ des Bistums Essen begleitende Studien zur Kirchenbindung zu erstellen. Das zap wertete dabei in einer Meta‑Studie sämtliche im deutschsprachigen Raum erschienenen Studien zur Kirchenbindung aus (vgl. Szymanowski/​Jürgens/​Sellmann 2018).

2. Evaluation der Voten zum Pfarreientwicklungsprozess (PEP) (Bistum Essen)
Im Anschluss an dieses Projekt erteilte das Bistum Essen dem zap den Auftrag, die Voten der Pfarreien des Bistums Essen zum Pfarreient­wicklungsprozess zu evaluieren. Das zap wertete dabei insgesamt ca. 40 Voten aus und leitete daraus Handlungsempfehlungen für die Weiterarbeit an diesem Thema für das Bistum Essen ab. Das Ergebnis der Evaluation und die Handlungsempfehlungen wurden dem Bistum Essen bisher intern zur Verfügung gestellt und mit den verschiedenen Anspruchsgruppen innerhalb des Bistums (verantwortliche Führungs­kräfte im Generalvikariat, Pfarrer, Pfarrgemeinderatsvorsitzende, Mit­glieder der Steuerungsgruppen) diskutiert. Eine Dokumentation und Einordnung der Auswertung in einen größeren sozial- und kulturwis­senschaftlichen Rahmen ist in Planung.

3. Denken und Handeln in Netzwerkdynamiken als Steuerungsmodell großer pastoraler Räume (Erzbistum Paderborn)
Im Auftrag der Erzdiözese Paderborn hat das das zap Netzwerkstruk­turen in zwei pastoralen Räumen analysiert. Die grundlegende Frage war, wie diese neuen und großen Strukturen vor dem Hintergrund sinkender Ressourcen gesteuert werden können. Wie kann die Kirche es schaffen, in immer größer werdenden Territorien mit weniger Personal weiter mit den Menschen in Kontakt zu bleiben?

Die Idee ist, Netzwerke zu nutzen, um die pastorale Arbeit auf intelli­gente Weise zu unterstützen. Dabei ist diese Option nicht nur eine prak­tische und effiziente Strategie oder ein Instrument, um den Mangel an Ressourcen auszugleichen, sondern auch eine starke theologische Vi­sion. Es ist die Idee einer dezentralen Kirche, die den Raum nicht mehr mit sich selbst als Zentrum arrangiert, sondern fragt, wo die Botschaft, Dienste und Angebote der Kirche in der Gesellschaft gebraucht werden. Die Frage ist nicht mehr, wie man die Welt in die Kirche integriert, son­dern, welche Rolle die Kirche bei der gesellschaftlichen Weiterentwick­lung spielen kann (vgl. Sellmann 2017a; ders. 2017b).

Wie die beiden Projekte im Bistum Essen steht auch dieses Projekt im Kontext der strategischen Weiterentwicklung einer Diözese, die auf der Basis eines Zukunftsbildes geplant und gesteuert wird. In diesem Pro­jekt wurden empirische Fallstudien in den pastoralen Räumen Neheim und Schwerte erstellt und religionssoziologisch und pastoraltheologisch reflektiert (vgl. Zimmer/​Hucht/​Sellmann 2017). Diese Einsichten flos­sen in die Entwicklung eines Fortbildungskonzepts zur Vermittlung von Netzwerkkompetenzen ein, das vom Erzbistum Paderborn systematisch umgesetzt wird.

4. Evaluation des „Projekts zur Förderung von Engagement und Mitverantwortung in den Kirchengemeinden im Erzbistum Köln“ (Erzbistum Köln)
Das Erzbistum Köln legte im Oktober 2016 einen „Fonds zur Förderung von Engagement und Mitverantwortung in den Kirchengemeinden“ auf. Dazu wurde in 60 Seelsorgebereichen jeweils für die Dauer von vier Jahren je eine Personalstelle für Engagementförderung (50 %) einge­richtet und das Projekt „Förderung von Engagement und Verantwor­tung“ gestartet, in dem die drei Vorläuferprojekte „Aufbau von Lotsen­punkten“, „Lokale Begleiter der Flüchtlingshilfe“ und „Ehrenamtskoor­dination im Seelsorgebereich“ zusammengefasst wurden (https://www.erzbistum-koeln.de/kirche_vor_ort/engagement_ehrenamt_esprit/). Dieses Projekt versteht sich selbst als eines von mehreren Unterstützungsinstrumenten für den Pastoralen Zukunftsweg des Erzbistums: „Die Konzeption des Projektes ist darauf ausgelegt, dass Motive des geistlichen Weges vor Ort aufgegriffen wer­den und zu verändertem Handeln führen. Die Stellen für Engagement­förderung unterstützen im Bereich Engagementförderung und Mitverantwortung die Pfarrer, Pastoralteams und Gemeinden darin, dem Pastoralen Zukunftsweg vor Ort konkrete Gestalt zu geben“ (https://www.erzbistum-koeln.de/kirche_vor_ort/engagement_ehrenamt_esprit/das-projekt-eee/praesenation/).

Vor diesem Hintergrund erhielt das zap vom Erzbistum Köln den Auf­trag, das Ehrenamtsförderungsprojekt zu evaluieren. Die Evaluation erfolgt in drei Schritten: eine quantitative Online-Umfrage zu Beginn (ist abgeschlossen), eine explorative qualitative Studie in der Mitte und eine erneute quantitative Online-Umfrage zum Abschluss des Projekts. Zurzeit laufen die Vorbereitungen zur qualitativen Studie.

Impulse aus der Praxis für die Führungskräfteentwicklung

Was kann aus den praktischen Erfahrungen mit dem Qualifizierungs­programm und den Kooperationsprojekten gelernt werden? Zunächst eine grundsätzliche Einsicht: Die fehlende Resonanz auf das Qualifizie­rungsprogramm bedeutet nicht, dass das Führungsthema kirchlicher­seits nicht für relevant gehalten und bearbeitet wird. Im Gegenteil: In allen vier beschriebenen Kooperationsprojekten geht es (auch) um Führung, möglicherweise ist es sogar das im Hintergrund stehende maßgebliche Thema. Es kann gezeigt werden, dass die vier Projekte als Fallbeispiele für das im Kontext des Qualifizierungsprogramms ent­wickelte Kompetenzmodell (vgl. Jürgens 2017, 39–41) dienen können, mit denen die bisher vorliegenden Kompetenzbeschreibungen weiter­entwickelt und verfeinert werden können:

  • In allen Projekten geht es um die Deutung kirchlicher Vollzüge im Licht des Evangeliums. Im Hintergrund aller Projekte stehen Leit­bilder oder Leitbildprozesse (Zukunftsbilder im Bistum Essen und im Erzbistum Paderborn, der Pastorale Zukunftsweg im Erzbistum Köln). Die Leitbilder sind auf unterschiedliche Weise zustande ge­kommen, haben sehr unterschiedliche Formen und auch unter­schiedliche Inhalte. Es sind Versuche, die relevanten Zeichen der Zeit zu erkennen, sie theologisch zu deuten und einen spezifischen Auf­trag für die einzelnen (Erz‑)​Bistümer zu formulieren. Sie alle dienen dazu, der Entwicklung der einzelnen (Erz‑)​Bistümer eine Richtung vorzugeben und haben damit eine orientierende Funktion. Hier bearbeitet Kirche das, was Karl Gabriel Ursprungslogik nennt (vgl. Gabriel 2011). Die einzelnen Kooperationsprojekte ihrerseits dienen dazu, die Leitbilder umzusetzen und Wirklichkeit werden zu lassen.
  • Ein wichtiges Thema aller Projekte ist die Positionierung der jeweili­gen (Erz‑)​Bistümern in ihrem gesellschaftlichen und kirchlichen Kon­text. Wie reagiert die Kirche auf die Erwartungen der Menschen? Was sollte die Kirche ihnen bieten? Welche Themen gibt es, bei denen die Kirche mit anderen gesellschaftlichen Partnern kooperieren kann? Welchen Beitrag können Pfarreien (Bistum Essen) und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Erzbistum Köln) zu den in allen Fällen durch die Bistumsebene initiierten und gesteuerten Kirchen­entwicklungsprozessen leisten? Wie kann es gelingen, diese Gruppen in die Bistumsprozesse zu inkludieren? Durch die Projekte wird deut­lich, dass Positionierung zwei Ausprägungen hat. Es geht zum einen um die gesellschaftliche Positionierung: In welchem Verhältnis steht die Kirche zu anderen gesellschaftlichen Akteuren? Welche Themen teilt die Kirche mit anderen gesellschaftlichen Akteuren? Hier bear­beitet Kirche das, was Karl Gabriel Einflusslogik nennt. Zum anderen geht es um die innerkirchliche Positionierung: In welchem Verhältnis stehen die verschiedenen kirchlichen Ebenen (Bistum – Pfarrei/​pastorale Räume) zueinander? Wie kann es gelingen, ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen? Hier bearbeitet die Kirche das, was Karl Gabriel Mitgliedschaftslogik nennt. Aufs Ganze gesehen zeigen die Projekte, dass die Kirche sich weiterhin eher für die innerkirchliche Positionierung interessiert und damit auf die „Mitgliedschaftslogik“ beschränkt. Größere und überraschende Lerneffekte im Hinblick auf ein weiteres Verständnis sind hier vor allem im Netzwerkprojekt mit dem Erzbistum Paderborn einge­treten.
  • In allen Projekten schließlich geht es um die Steuerung komplexer Kirchenentwicklungsprozesse. Die Steuerung ist zwar nie ein expli­zites Thema der Projekte, ist aber immer mit den Händen zu greifen. Parallel zu und eng verflochten mit den bestehenden kirchlichen Strukturen in den Generalvikariaten, Seelsorgebereichen, pastoralen Räumen und Pfarreien werden Steuerungsgruppen, Management-Teams, Arbeitsfelder und Projekte konstituiert, die Prozesse ent­wickeln und strukturieren oder Wege durch einzelne Etappen über­schaubar machen. Es geht dabei immer um zusätzliche Stellen oder anteilige Stellenumfänge und um Budgets. Überall wird die Hilfe externer Beratung und Begleitung in Anspruch genommen. Es werden keine Mittel und Wege gescheut, um das Kirchenschiff wieder in Fahrt zu bringen und in die gewünschte Richtung zu lenken. Hier bearbeitet Kirche das, was ich in Anlehnung an Karl Gabriel Organisationslogik nenne.

In diesen komplexen Prozessen lernt Kirche sehr viel – auch und gerade für das Thema Führung. Das ist sehr erfreulich: In den Kooperations­projekten erleben sich sowohl das zap als auch die einzelnen kirchlichen Partner als lernende Organisationen. Dabei wird vor allem on the job gelernt: Man lernt, wie ein Leitbild entwickelt und umgesetzt wird, indem man es entwickelt und umsetzt. Man lernt die Kooperation mit gesellschaftlichen und kirchlichen Partnern, indem man mit ihnen zusammenarbeitet. Man lernt, wie man Kirchentwicklungsprozesse aufsetzt, indem man Kirchenentwicklung betreibt. Die Lernerlebnisse bei dieser Art zu lernen sind besonders intensiv und nachhaltig, weil sie mit Selbstwirksamkeitserfahrungen gekoppelt sind, die man nicht ver­gisst und die man später immer wieder aktivieren kann. Die Projekt­beteiligten erfahren durch die Kooperation einen beachtlichen Kompe­tenzzuwachs.

An dieser Stelle könnte kirchliche Personalentwicklung bei der Aus- und Weiterbildung pastoraler Mitarbeiter anknüpfen. Wenn sich bestimmte Kompetenzen in der Praxis in mehreren Fällen als relevant erweisen, warum werden sie angehenden Priestern, Gemeinde- und Pastoralrefe­ren­tinnen und ‑referenten nicht bereits während des Studiums und in der zweiten Ausbildungsphase vermittelt? Es wäre doch gut, wenn sie lernen würden, wie man Leitbilder entwickelt, wie man relevante The­men identifiziert und setzt oder wie man Prozesse aufsetzt und steuert. Es böte sich an, diese Lernerfahrungen zu sichern, sie systematisch aus­zuwerten, in didaktische Konzepte umzusetzen und sie in die kirchli­chen Aus- und Weiterbildungsprogramme einzuspeisen. Das Erzbistum Paderborn setzt diese Einsicht bei der Vermittlung von Netzwerkkom­petenzen um. Wünschenswert wäre, wenn auch weitere Führungs­kompetenzen systematisch in der Fort- und Weiterbildung vermittelt würden.