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Charismenorientierung im Pastoralkonzept des Petrus-Wegs der Pfarrei St. Petrus, Bonn

Pfarrer Peter Adolf berichtet von den Erfahrungen von und mit Ehrenamt­lichen in Gemeindeleitung im Pastoralkonzept des Petrus-Wegs der Pfarrei St. Petrus in Bonn, das er mit initiierte. Sein Schwerpunkt liegt auf dem Aspekt der Charismenorientierung und der „Kultur des Rufens“, die bei diesem Ansatz zentral ist.

Dieser Beitrag war ein Impuls beim <link ausgabe-1-2018 termine-berichte vernetzungstreffen-ehrenamt>Vernetzungstreffen Ehrenamt unter dem Motto „Verantwortung teilen – Ehrenamtliche Gemeindeleitung“ vom 6. bis 7.2.2018 in Erfurt.

1. Das Anliegen des Petrus-Wegs und seine Umsetzung: Kirche der Nähe leben

Genötigt zur Bildung eines neuen pastoralen Großraumes in Bonn-Mitte im Jahr 2008 suchten wir als Pfarrei nach neuen Formen des Kircheseins, welche eine konstruktive Antwort auf die grassierende Distanzierung unserer Kirche von der Lebenswelt der Menschen darstellen könnten. Es kam für uns einem Wunder gleich, bei dieser Suche auf das Erzbistum Poitiers in Frankreich zu stoßen. Dort war bereits seit ca. 20 Jahren ein bistumsweiter Erneuerungs­prozess im Gang, bei dem es vor fälligen Strukturanpassungen um weit grund­sätzlichere Fragen ging. Die leitenden Anliegen waren dort:

  • Wie wird Kirche heute erkennbar, welches „neue Gesicht“ wird sie heute haben, wenn sie sich von der Wirkmächtigkeit des Evangeliums in Dienst nehmen lässt? Wohin weisen die „Zeichen der Zeit“, um diese neue Gestalt zu finden?
  • Wo sieht diese Kirche ihren Ort, wie findet und versteht sie ihre Ver­antwortung in der heutigen Gesellschaft?
  • Wer sind die Träger der Pastoral dieser erneuerten Kirche? In welchem Verhältnis stehen sie mit ihren verschiedenen Charismen und Verant­wortlichkeiten zueinander?
  • Welche Strukturen braucht diese Kirche heute, um ihre Sendung zu verwirklichen?

Es ist wichtig, die Frage nach der „Charismenorientierung“ im Kontext dieser grundsätzlichen Themen zu verorten, da Art der und Umgang mit den Charismen ja immer in einem engen Zusammenhang stehen mit der aktuellen Kirchengestalt in ihrer Lebenswelt.

Als wesentliches Anliegen haben wir für den Petrus-Weg die Vision und das daraus erwachsene Konzept einer „Kirche der Nähe“ von Poitiers über­nommen, um mit dem Leben der Menschen in Berührung zu kommen und ihnen die Berührung mit Kirche zu ermöglichen.

„Nähe“ meint nicht einfach „Nachbarschaft“, sondern Begegnung, Bezie­hungen, Austausch. Die „Gemeinden der Nähe“ geben der Kirche die Sichtbarkeit des durchreisenden Samariters. Sie bemühen sich, selber zum Nächsten für andere zu werden, für Fremde und für alle, die von der Brüchigkeit menschlicher Beziehungen verletzt sind. „Gemeinden der Nähe“ machen eine Kirche sichtbar, die den Menschen dort nahe sein will, wo diese ihre Wege zu Christus suchen.

„Kirche der Nähe“ hat als Basis eine Vielzahl von „Gemeinden“
Eine Gemeinde in der Pfarrei St. Petrus konnte bzw. kann dann errichtet werden, wenn fünf oder sechs getaufte und gefirmte Frauen oder Män­ner sich rufen lassen, die Verantwortung für den Weg der Kirche zu den Men­schen eines räumlich umrissenen Bereichs zu übernehmen. Zusammen bilden sie die Gemeinde-Equipe. Sie wird (möglichst) durch den Bischof oder von einem Stellvertreter für die Dauer von drei Jahren – mit der Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung – berufen und eingesetzt. Ihre vorrangigen Anliegen sind es, dass Menschen der Gemeinde einan­der kennenlernen, Beziehungen zu stiften, wo notwendig auf solidarische Weise Hilfe zu vermitteln und den Glauben zu bezeugen. Das Konzept des Petrus-Wegs sieht diese vier Bereiche für die Verantwortung der Christen in den Gemeinden vor:

  • Begegnung & Gastfreundschaft
  • Solidarität & Nächstenliebe
  • Glaubenszeugnis & Glaubens­vertiefung
  • Gebet & Feier des Glaubens

Es ist sehr wichtig, dass die Beauftragten für ihren Bereich weitere Akteure rufen, welche sich zusammen mit anderen einzelnen Aufgaben widmen. Jeder Bereich kann also beliebig viele temporäre oder dauerhafte Projekt­gruppen etc. enthalten.

Die Gemeinde-Equipe trägt so dazu bei, dass eine Kirche auf Augenhöhe entsteht, in der das Leben pulsiert. Dies geschieht weniger durch eigene Veranstaltungen als durch wachsame Präsenz und vernetzende Infor­mation.

Hinzu kommt der Moderator bzw. die Moderatorin der Equipe. Er muss ge­firmt sein und gemäß dem Evangelium leben. Seine Treue zu Christus bildet die Mitte seines Tuns. Weit davon entfernt, alles zu machen, ach­tet er darauf, die Aufgabe eines jeden zu respektieren und diese zu stärken. Er ist der Diener der Eintracht. Seine erste Aufgabe ist es, eine wirkliche Basis-Equipe zu schaffen. Er lädt zu den regelmäßigen Treffen der Equipe ein. Er leitet die Versammlungen und achtet die Arbeit jedes einzelnen. Er/​sie trägt Sorge für Zeiten der Geselligkeit. Er achtet in der Equipe auf die Bedürfnisse der örtlichen Gemeinde und darauf, dass sie in Frieden lebt. Er informiert die Gemeinde über die gesamte Arbeit und gibt Rechenschaft darüber. Er achtet auf die Entwicklungen der Bevöl­kerung und sensibilisiert die Gemeinde für die Situation. So öffnet er die Gemeinde für eine Erweiterung ihres Horizonts.

Er ist (berufenes) Mitglied des Pfarrgemeinderates … Er stellt die Verbin­dung zwischen der örtlichen Gemeinde, der Pfarrei und den anderen christlichen Gruppen her: Bewegungen und Verbände, religiöse Ge­meinschaften, Schulseelsorge …; oder er achtet darauf, dass die Verbin­dungen bestehen. Wenigstens am Ende seines Mandats von drei Jahren zieht er Bilanz mit der Gemeinde-Equipe. Er sorgt sich um das Rufen, für seine Gemeinde und für die Berufungen in der Kirche.

Eine Kultur des Rufens und des Vertrauens – der notwendige Nährboden für geistliche Prozesse in der Gemeinde

Woher kommen die Frauen und Männer, die sich bereitfinden, diese Verantwortung freiwillig und ohne Bezahlung zu übernehmen, sich rufen und senden zu lassen? Sie fallen nicht vom Himmel. Es bedarf einer „Kultur des Rufens“ in der Gemeinde/​Pfarrei, damit Menschen diesen Ruf wahrnehmen und ihm – manchmal mit Zittern und Zagen – getragen vom Vertrauen der Gemeinde folgen.

Die Pfarrei St. Petrus durfte erfahren, wie viel geistliche Energie und welch große Freude freigesetzt wurden, wenn Gläubige existentiell erlebten, gerufen zu sein, und wenn ihnen echtes Vertrauen in ihre je eigene unersetzbare Glaubens- und Lebenskompetenz entgegenge­bracht wurde. Jahrelange Exerzitien im Alltag und biografiebezogene Bibelarbeit legten ein solides Fundament für das Wahrnehmen der je eigenen Berufung. Es ist außerordentlich wichtig, Menschen zu ermuti­gen, sich als Mitglieder der Gemeinde-Equipe nicht von den Erwartun­gen einer „Versorgungskirche“ erdrücken zu lassen, sondern im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit ihre je eigenen Charismen zur Geltung zu bringen.

Die Mitglieder der Equipe sollen darüber hinaus selbst „Rufende“ sein, achtsam für jene, die mit ihrer Berufung die Gemeinde bereichern wollen und können. Sie zu ermutigen und ihnen zu einem Ort des Wirkens zu verhelfen, ist ein wichtiger Aspekt ihres Dienstes.

Der „Prozess des Rufens“ kann für die örtliche Gemeinde bzw. für die ganze Pfarrei ein Element der Dynamisierung werden, wenn alle einge­laden sind, sich bezüglich ihrer eigenen „Berufung“ und der ihrer Mit­christen zu befragen und sich durch Vorschläge an diesem Prozess zu beteiligen. Dieser endet nicht mit der Einsetzung einer Equipe, sondern läuft – bedingt durch die zeitliche Begrenzung ihres Wirkens – unter­gründig immer mit und kann so zu einer Haltung „geistlicher Wachheit“ beitragen.

Wer ist wozu berufen? – Wenn die „Kultur des Rufens“ ein wesentlicher Zug im Bild der neuen Gestalt von Kirche sein soll, sind Prozesse des Unter- und Entscheidens notwendiger Bestandteil des Gemeindelebens. Sie rufen nach einer Kompetenz zur „Unterscheidung der Geister“. Diese nur beim leitenden Priester bzw. beim Team der Hauptamtlichen anzu­siedeln, widerspräche dem Charakter des gemeinsamen Priestertums aller Getauften und ihrer Verantwortung für die Pastoral. Sie fällt uns auch nicht schon mit der Taufe in den Schoß, sondern kann und muss erlernt werden, auch und gerade in Gruppen in der Pfarrei.

Eng verbunden mit der Kultur des Rufens ist die „Kultur des Vertrau­ens“ in den Gemeinden bzw. Pfarreien. Angesichts der Anonymität pastoraler Großräume könnte das Konzept des Petrus-Wegs missver­standen werden als eine Chance, überkommene Formen kirchlichen Lebens bzw. kirchliche Strukturen zu retten, zumal, wenn die terri­torialen Grenzen der „örtlichen Gemeinden“ mit denen der früher selbstständigen Pfarreien identisch sind. Solche Versuche sind auf Dauer zum Scheitern verurteilt. Erst das beherzte Eingeständnis des Endes dieser Art von kleruszentrierter Kirche, die Bereitschaft zum Mentalitäts­wechsel der pastoralen Akteure und das Vertrauen in die vom Geist Gottes zugesagten Charismen werden dem „neuen Gesicht von Kirche“ zum Durchbruch verhelfen können. Daher lebt der Petrus-Weg von einer „Kultur des Vertrauens“ inmitten aller Umbrüche. Dieses der Geistkraft Gottes geschuldete Vertrauen ist mehr als die rein mensch­liche Geste, welche allein von unserer Sympathie abhängig ist und unter dem Einfluss von Enttäuschungen wieder zurückgenommen wird. Es fußt auf dem Vertrauen, das Gott in die Menschen setzt, vor allem in die Kleinen und Schwachen. Hadwig Müller, deren „Geburts­hilfe“ beim Petrus-Weg uns sehr hilfreich war, hat uns den Satz mitge­geben: „Eine Kultur des Vertrauens verlangt die tägliche Übung darin loszulassen: Wissen loszulassen, den Wunsch, einzugreifen und zu kontrollieren, und die Überzeugung, man könne Glauben, Christsein, Gemeindebildung mit welchen Instrumenten auch immer ‚machen‘.“

2. Die Gemeinde-Equipen im Kontext der Pfarrei und deren Leitungsinstanzen

Eingebettet in die Kultur des Rufens und des Vertrauens repräsentieren die „Akteure des Evangeliums“ die Kirche am Ort, geben ihr ein Gesicht, machen sie berührbar und als Kirche lernbereit. Um diese hohe Verant­wortung tragen zu können – oft neben einem Beruf und der Verantwor­tung für eine Familie –, sind die Rahmenbedingungen wichtig: ein um­grenzter Raum, eine begrenzte Zeit und die Einsetzung im Namen des Bischofs.

Jeder Equipe ist ein bzw. der Priester der Pfarrei zugeordnet. Er ist nicht Leiter der Equipe, sondern ihr Begleiter und Inspirator. Als Ausübender des Dienstamtes achtet er darauf, dass die Equipe alle notwendige Un­terstützung und Befähigung erhält. Er trägt Sorge dafür, dass alle ihren Charismen und ihrem Ruf gemäß wirken können. Er tritt ein für die Communio mit den weiteren Equipen und Initiativen in der Pfarrei und achtet, wenn nötig, darauf, dass die Gemeinde-Equipe offen bleibt für die Anderen, d. h. für jene, die nicht zum vertrauten Kreis der aktiven Gemeinde­angehörigen zählen.

Soll die Transformation der Pfarrei gelingen, ist dafür eine Neuformatie­rung des priesterlichen Weiheamtes eine wesentliche Voraussetzung. Das II. Vatikanische Konzil hat das Weiheamt deutlich als „Dienstamt“ (ministerium) markiert. Eine örtliche Gemeinde verzichtet nicht etwa auf Priester, sie empfindet gerade deren Notwendigkeit. Die Verände­rung im Stil der pastoralen Amtsausübung verbietet jede Form geistlicher Machtausübung. Der Priester ist Diener der Einheit in der Verschieden­heit der Charismen und steht der Feier der Sakramente vor. Schließlich ist er das lebendige Zeichen für den Anderen und weist so darauf hin, dass das Leben der Kirche in Christus, dem Haupt der Kirche, wurzelt.

Somit ist der Priester nicht das Zentrum der Gemeinden bzw. der Pfarrei, sondern kreist gleichsam um diese und ist besorgt, sie zu ihrem Dienst zu befähigen. Er trägt Sorge für die notwendige Unterscheidung zwi­schen der weiterhin erforderlichen Fachkompetenz der hauptamtlichen Mitglieder des Pastoralteams und den Charismen der Berufenen. Das Vertrauen in die Wirksamkeit des Geistes in den Getauften vermag ihn von dem Druck zu befreien, alles unter seiner Kontrolle haben zu müs­sen, auch wenn er für alle wesentlichen Vollzüge der Kirche vor Ort der Letztverantwortliche bleibt.

Die übrigen Mitglieder des Pastoralteams der Hauptamtlichen fördern die Gemeinschaft zwischen den Gemeinden und den übrigen pastoralen Einrichtungen und Initiativen der ganzen Pfarrei. Gemeinde- oder Pastoralreferenten können nicht Mitglieder der Gemeinde-Equipen sein, ihre Mitwirkung ist jedoch gefragt bei der Unterstützung bzw. Qualifizierung der Equipe oder für gemeinsame Projekte. Generell sind die Mitglieder des Pastoral­teams für jene Bereiche zuständig, welche die ganze Pfarrei betreffen.

Unter diesen Voraussetzungen haben die Gemeinde-Equipen Anteil an der Leitung der Pfarrei. In ihrer Gemeinde üben sie diese Funktion als Equipe ge­meinsam aus. Die Moderatoren der Gemeinde-Equipen haben als berufene Mitglieder Sitz und Stimme im Pfarrgemeinderat (PGR). Sie informieren den PGR über ihre Erfahrungen und beraten im Licht des Evangeliums ge­meinsam über deren Auswirkungen auf die Pfarrei. Der PGR seinerseits gibt Anregungen und Impulse an die Gemeinde-Equipen. Dieser Aus­tausch ist vom Geist der Communio getragen, möchte die „Zeichen der Zeit“ erkennen und dient so dem gemeinsamen Auftrag, der Wirkmäch­tigkeit des Evangeliums in diesem Gebiet zur Geltung zu verhelfen. Die Gemeinde-Equipe ist nicht als Ausschuss oder Arbeitsgruppe des PGR zu betrachten.

3. Die Gemeinde-Equipen im Kontext der vorherrschenden pastoralen Leitbilder

Diese fragmentarischen Ausführungen zum pastoralen Konzept des Petrus-Wegs haben hoffentlich zeigen können, wie stark das Profil des so genannten Ehrenamts vom Konzept der jeweiligen Pastoral vor Ort geprägt ist.

Das Gelingen des Petrus-Wegs ist außerdem wesentlich abhängig von Faktoren, die außerhalb der einzelnen Gemeinde bzw. Pfarrei liegen. Das diesem Konzept zugrunde liegende Verständnis von der Dynamik des Evangeliums, von Kirche in der Welt von heute, vom Priestertum aller Getauften und vom priesterlichen Dienstamt kann in einem Bis­tum nicht von Pfarrei zu Pfarrei verschieden sein, sondern muss von allen geteilt werden, damit dieses Konzept kein Inseldasein führen muss.

Als „kopernikanische Wende“ bezeichnet Christian Hennecke den dem Petrus-Weg zugrunde liegenden Wandel des priesterlichen Selbstver­ständnisses. Erst aus ihm erwächst die Chance, dass die getauften und gefirmten Christen nicht länger Helferinnen und Helfer der Priester sind, sondern Träger und Zeugen der befreienden Botschaft des Evan­geliums Jesu Christi, eben „Akteure des Evangeliums“.

Nicht minder bedeutsam ist dafür in unserer säkularen Gesellschaft eine Pastoral, die das „brennende Interesse Jesu am Alltag der Men­schen“ wieder zum Ausgangspunkt allen pastoralen Tuns macht, wie dies etwa im Konzept der „Leben zeugenden Pastoral“ (vgl. Feiter/​Müller 2012) geschieht.