Willkommen im Leben, kleiner Segen!
Ökumenische Segensfeiern für Familien mit Babys und Segensfeiern für werdende Eltern im Ruhrgebiet
Die Kapelle des St. Elisabeth-Hospitals, einer großen katholischen Geburtsklinik in Bochum, ist bis auf die letzte Bank gefüllt. Kinderwagen werden hereingeschoben, junge Familien strömen in die Kirche, manche tapsen etwas unsicher herein. Die Kleinsten sind bei diesem Gottesdienst die Hauptpersonen.
Babys im Alter zwischen vier Wochen und etwa einem halben Jahr und ihre Familien, in denen mindestens ein Elternteil katholisch oder evangelisch ist, haben eine persönliche Einladung zu diesem Gottesdienst erhalten. Etwa jede zehnte Familie hat sie angenommen und ist mit der ganzen Familie gekommen, manche haben auch die Großeltern mitgebracht. Insgesamt sind es so in Bochum viermal im Jahr etwa 40 Familien mit Babys, in Essen 80.
© Nicole Cronauge, Bistum Essen.
Es herrscht eine ganz besondere Stimmung bei diesem Gottesdienst, das merkt jeder, der den Raum betritt. Man hört Babys brabbeln, einzelne schreien ein bisschen, andere machen ein kleines Nickerchen. Es ist dieser wunderbare Gesang des Lebens, der die Kapelle erfüllt, jenes Lob, das sich Gott aus dem Mund der Babys erschafft (vgl. Ps 8,3). Und es mischt sich mit leichten, tänzelnden Klaviertönen, die in den Gesang der Babys einstimmen.
Gekommen sind die Familien zu einer ökumenischen Segensfeier für Babys, die viermal im Jahr in der Kapelle des Elisabeth-Hospitals stattfindet, einem von mittlerweile zehn Standorten im Ruhrgebiet, über Bistums- und Landeskirchengrenzen hinweg getragen von insgesamt etwa 70 Haupt- und Ehrenamtlichen, die in den Städten des Ruhrgebiets den jungen Familien in dieser besonderen Lebensphase Gottes Segen zusprechen.
Herausgefordert von der spirituellen Erfahrung des Elternwerdens und Elternseins
Die Geburt eines Kindes ist ein entscheidender Wendepunkt im Leben junger Eltern und bringt neben großer Freude auch ganz neue Herausforderungen mit: Junge Eltern spüren, dass sie nicht alles selbst in der Hand haben. Bei vielen entsteht nicht nur der Wunsch, Glück und Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen und das Neugeborene willkommen zu heißen, sondern auch die Sehnsucht nach Segen, nach Schutz und Behütetsein.
Segensfeiern für Familien mit Babys versuchen, in der sich radikal wandelnden Kultur des Elternwerdens ein niederschwelliges ökumenisches Angebot zu etablieren, das Kirche und Glauben bei jungen Eltern (wieder) ins Gespräch bringt. Sie knüpfen an die lange kirchliche Tradition des Muttersegens an, jedoch ausdrücklich unter den veränderten Bedingungen unserer Zeit, in der Geburt nicht mehr einfache Normalität, sondern Ausnahmeprojekt ist. (Die Geburt ist heute zugleich dramatisches biografisches Ereignis und selbst gesteuertes und zu steuerndes Projekt, in dem sich sowohl ein durch den medizinischen Fortschritt bedingtes Sicherheitsbedürfnis als auch eine Natürlichkeits- oder Ursprünglichkeitssehnsucht Ausdruck verschaffen; vgl. Rose/Schmied-Knittel 2011.) Eine Segensfeier für Babys und ihre Familien verortet sich im Rahmen einer „kreativen, situativen Konfrontation von Evangelium und gegenwärtiger Existenz“ (Bucher 2017) im Erfahrungsumfeld der Geburt. Insbesondere ist es die biblische Erzählung der Kindersegnung (Mk 10,13–16 parr), die sie ins Gespräch mit der Erfahrungswelt junger Eltern bringt.
Damit lassen sich diese Feiern als „missionarisch“ im Sinne dessen verstehen, was Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium skizziert: Missionarisch zu sein, bedeutet, so der Papst, „allen das Leben Jesu Christi anzubieten“ (EG 49), wofür es sowohl einer gründlichen Wahrnehmung der Wirklichkeit als auch besonders einer Offenheit bedarf, einer „Kirche mit offenen Türen“ (EG 46).
Segensfeiern für Familien mit Babys sind Ausdruck eines kirchlichen Perspektivwechsels, sie werden ausdrücklich und konkret von den Menschen her gedacht, die eingeladen sind – Christinnen und Christen in verschiedenen familiären Konstellationen, die gerade Eltern geworden sind. Es ist eben dieser spirituell und emotional angefüllte Ereigniszusammenhang von Schwangerschaft und Geburt, für den die Segensfeiern für junge Eltern einen Raum eröffnen.
Ein neues behutsames Wahrnehmen dieses Erfahrungszusammenhangs von Schwangerschaft und Geburt hat im Rahmen des Zukunftsbildprozesses des Bistums Essen und auch bei den Zukunftsprojekten der Evangelischen Kirche in Essen neue Überlegungen zu einem Eltern- oder Familiensegen im Umfeld der Geburt angeregt, dessen Resultat die Segensfeiern für Familien mit Babys sind.
Die Tradition der Kirche hat seit jeher und mit der Zeit in steigendem Maße die besondere existenzielle und spirituelle Dichte der Lebenswende Geburt verstanden. Erst die katholische Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils hat diesen Muttersegen in die Liturgie der Tauffeier integriert, weshalb ein besonderer Segen für Kinder und Eltern anlässlich der Geburt seitdem nur noch in Ausnahmefällen unabhängig von der Taufe gespendet wird. Gleichzeitig kann heute „von einer selbstverständlichen Verbindung von Geburt und Taufe […] nicht mehr ausgegangen werden“ (Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 2008, 42), womit auch die aus dem volkskirchlichen Kontext stammende und gemeindetheologisch fokussierte Zusammenlegung von Taufe und Segen anlässlich der Geburt heute problematisiert werden muss.
Und was ist mit der Taufe?
Zu den Segensfeiern kommen Familien, für die klar ist, dass sie ihre Kinder taufen lassen, manche Babys sind sogar schon getauft. Aber es kommen auch Familien, die lange keinen Kontakt zur Kirche hatten, die sich unsicher sind, selbst vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht haben, die in einer gemischten Partnerschaft leben (christlich/ohne Konfession; interreligiös). Diese Familien hätten anlässlich der Geburt ihres Kindes normalerweise keinen Kontakt zur Kirche. Sie kommen, weil sie schon die persönliche Einladung mit einer schön gestalteten Glückwunschkarte als überraschendes Geschenk der Kirchen erleben. Sie kommen, weil sie in dieser sehr dichten Lebenssituation die Sehnsucht nach Segen verspüren – sich aber (jetzt) nicht für eine Taufe entscheiden können.
Evangelische und auch katholische Kirche haben im Blick auf eine Segensfeier für Babys die Befürchtung, diese könnte mit einer Taufe verwechselt werden, weshalb für die (katholische) Pastorale Einführung zur Feier der Kindertaufe alles zu vermeiden ist, „was den Eindruck erwecken könnte, das gemeinsame Gebet und der Segen seien ein Ersatz für die Taufe“ (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2008, Nr. 15); die Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis der Taufe in der evangelischen Kirche hält darüber hinausgehend fest, „eine Kindersegnung als eigenständige gottesdienstliche Handlung [sollte] nicht stattfinden“ (Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 2008, 46). Der Hintergrund beider Texte ist jedoch ein vonseiten des Pfarrers bzw. der Pfarrerin ausgesprochener Taufaufschub, in dem eine Segensfeier nicht zum liturgischen Lückenbüßer werden soll. Gänzlich anders verhält es sich bei einem missionarischen Projekt, das Eltern und Kinder anlässlich der Geburt zu einem Gottesdienst einlädt.
Die Angst vor einer Verwechselung zwischen Segensfeier und Taufe ist unseren Erfahrungen nach auch bei Eltern, die nicht (mehr) selbstverständlich in kirchlichen Traditionen beheimatet sind, unbegründet. Sie nehmen eine Segensfeier als wertschätzendes Gottesdienstangebot anlässlich der Geburt ihres Kindes wahr und nehmen gleichzeitig die Taufentscheidung ernst. Manche nehmen sie so ernst, dass sie sich gegen die Taufe entscheiden, für andere – etwa in religionsübergreifenden oder auch konfessionsverbindenden Ehen oder in Partnerschaften, in denen einer der Partner keiner Glaubensgemeinschaft angehört – ist diese Entscheidung per se keine einfache.
Ein Modell der Konkurrenz bietet sich unserer Erfahrung nach für eine Verhältnisbestimmung zwischen Taufe und Segen für Familien mit Babys nicht an, vielmehr kann eine solche Segensfeier zum Ausgangspunkt eines gegenseitigen Annäherungsprozesses zwischen jungen Eltern und Kirche werden, als „Beginn eines Weges auf eine spätere Taufe hin“ (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2008, Nr. 15). Unsere Erfahrungen lehren, dass vermehrt im Nachhinein zu den Segensfeiern unter Berufung auf die gottesdienstlichen Erfahrungen immer wieder Familien mit den Segnenden Kontakt aufnehmen und nach den Modalitäten und Möglichkeiten einer Taufe fragen oder auch familiengerechte taufkatechetische Angebote gerne wahrnehmen. Segensfeiern für Babys stellen die Taufe also nicht in Frage, sondern weisen auf sie hin. Gleichzeitig werden sie damit auch zu einer Anfrage an heutige Taufpastoral und ‑katechese, die deutlich herausstellen muss, dass Taufe nicht zu einem Segen am Lebensbeginn banalisiert werden darf, sondern vielmehr von ihrer inneren Logik her die Hineinnahme in eine Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus und die Zugehörigkeit zu seiner Kirche bedeutet.
Am Schluss des Gottesdienstes erhält jede Familie eine kleine Erinnerung an den Gottesdienst, die dazu einlädt, dem Segen Gottes – seinem unbedingten Ja zu jedem Menschen – im Alltag Raum zu geben. Sie besteht aus einem Schutzengel als sichtbares Zeichen für die Begleitung Gottes und einem Flyer, der die Bedeutung von Segen erklärt und einfache Anregungen für eine familiäre Segenspraxis bereithält. Ein ganz alltägliches Helferlein rundet das Give-away ab: ein Lätzchen mit dem Aufdruck „Ich bin gesegnet, auch wenn mal was danebengeht!“, das im ganz normalen Alltag daran erinnert, dass Gott jeden Menschen gewollt und gesegnet hat und ihn in allen Lebenslagen begleitet.
Segensfeiern für werdende Mütter und Väter
Parallel zu den Segensfeiern für Familien mit Babys hat das Projekt auch die Phase der Schwangerschaft und des Elternwerdens in den Blick genommen. Anders als viele parallele Angebote, die Segensfeiern für Schwangere anbieten, bezieht der Fokus der werdenden Eltern auch die werdenden Väter mit ein. Beide Partner – je für sich und vielleicht in einer unterschiedlichen Perspektive – sind, so unsere Erfahrungen, ansprechbar für die Frage nach dem Ganzen des Lebens und der Schöpfung, auch und gerade in ihrer spirituellen Dimension. Deshalb lohnt der Versuch des Anknüpfens an die fast ausschließlich medizinisch geprägten und vernetzten Orte und Akteur*innen der Schwangerschaftsbegleitung, in der diese existenziellen Erfahrungen oft keinen Raum erhalten können. Es ist insbesondere die „gleichzeitige Gegensätzlichkeit der Gefühle“ (vgl. Dillen 2015, 211) bei Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft, denen dabei Rechnung getragen werden muss. Das gilt grundsätzlich für alle Eltern, ist jedoch je nach den konkreten Gegebenheiten (Risikoschwangerschaften, finanzielle/soziale Situation, eventuelle Vorerfahrungen mit Fehlgeburten etc.) noch einmal sehr unterschiedlich und erfordert beim Umgang größte Sensibilität. Segensfeiern können werdenden Eltern Räume eröffnen, in denen alle ihre inneren Stimmen – gerade auch die, die in dem medizinisch dominierten Routineablauf der Schwangerschaftsvorsorge keine Stimme haben (dürfen) – zur Sprache kommen können.
Auch hier gibt es im Ruhrgebiet besondere Segensfeiern. Sie finden freilich in einem sehr viel kleineren Rahmen statt als die Segensfeiern für Familien mit Babys. Vielerorts sind sie an die Kreißsaalführungen angeknüpft, bieten werdenden Eltern im Anschluss an diese Führung einen Moment des Durchatmens, eine Besinnung auf die Freude und auf Sorgen und sprechen ihnen den Segen zu. Die werdenden Eltern erhalten in diesen Feiern im Rahmen eines Fürbitt-Ritus ein Babybrei-Gläschen, das außen mit einem Segensgebet bedruckt ist und in dem die Eltern ein Teelicht anzünden können. Zu Hause erinnert dieses Gläschen dann auch in den unterschiedlichsten Situationen von Schwangerschaft und Geburt an die Erfahrung des Segens. Aus Rückmeldungen werdender Eltern lange nach den Segensfeiern wissen wir, dass vielen dieses einfache Gläschen zu einem wichtigen Begleiter in dieser Zeit wird.
Informationen online:
Segensfeiern für werdende Eltern
Segensfeiern für Familien mit Babys
Die ersten Erfahrungen mit Segensfeiern für werdende Väter und Mütter und Segensfeiern für Familien mit Babys sind detailliert in zwei Arbeitshilfen zu diesem Thema zusammengefasst worden: