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Weltrisikobericht 2018

Das Bündnis „Entwicklung Hilft“, ein Zusammenschluss von Hilfs­werken in Deutschland, gibt seit 2011 jährlich den Weltrisikobericht heraus, ein Instrument zur Abschätzung von weltweiten Katastrophen­risiken, das den Bedarf für Investitionen in bessere Maßnahmen zur Bewältigung und Anpassung an extreme Naturereignisse ausweist. Seit 2018 ist das Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht (IFHV) der Ruhr-Universität Bochum an der Erstellung des Weltrisikoberichts beteiligt.

Neben einem jährlich wechselnden Fokus (2018: „Kinderschutz und Kinderrechte“) ist der Weltrisikoindex zentraler Bestandteil des Be­richts. Der Weltrisikoindex ermittelt auf der Basis einer mathema­tischen Konzeption für 172 Länder der Welt einen Katastrophenrisiko­wert. Der Index berücksichtigt die Gefährdung durch extreme Natur­ereignisse wie Erdbeben oder Wirbelstürme sowie die Fähigkeiten einer Gesellschaft, auf solche Ereignisse zu reagieren. Die Grundidee des Weltrisikoindex ist, dass für das Katastrophenrisiko nicht allein das Auftreten extremer Naturereignisse relevant ist, sondern dass auch gesellschaftliche Faktoren verantwortlich dafür sind, ob es im Zusam­menhang mit extremen Naturereignissen zu einer Katastrophe kommt oder nicht. Denn jede Gesellschaft kann direkt oder indirekt Vorkehrun­gen treffen, die die Auswirkungen von Naturgefahren reduzieren – z. B. mit gut durchdachten Bauvorschriften, einem handlungsfähigen Katas­trophenschutz oder einem möglichst niedrigen Ausmaß extremer Ar­mut und Ungleichheit in der Bevölkerung.

Das Zusammenspiel von natürlichen Ereignissen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren bildet sich im Weltrisikoindex durch zwei Dimensio­nen ab: die Exposition (Gefährdung durch extreme Naturereignisse) und die Vulnerabilität (soziale, physische, ökonomische und umweltbezo­gene Faktoren, die Menschen oder Systeme verwundbar gegenüber Ein­wirkungen von Naturgefahren und negativen Auswirkungen des Klima­wandels machen). Der Weltrisikoindex ergibt sich aus der Multiplika­tion dieser beiden Dimensionen. Sie werden also nicht einfach unab­hängig voneinander addiert, sondern greifen ineinander. Das bedeutet z. B., dass eine hohe Exposition gegenüber Naturgefahren nicht notwen­digerweise ein hohes Katastrophenrisiko mit sich bringen muss, wenn eine Gesellschaft genügend Ressourcen zur Bewältigung und Anpassung hat.

Insgesamt gehen 27 Indikatoren in den Weltrisikoindex ein. Genauerhin erfasst die Dimension Exposition, wie stark die Bevölkerung eines Lan­des den Auswirkungen von Erdbeben, Wirbelstürmen, Überschwem­mungen, Dürren und des Meeresspiegelanstiegs ausgesetzt ist. Die Dimension Vulnerabilität wiederum setzt sich aus den Komponenten Anfälligkeit, Mangel an Bewältigungskapazitäten und Mangel an An­passungskapazitäten zusammen, die je zu einem Drittel in den Vulne­rabilitäts-Index einfließen:

  • Anfälligkeit beschreibt strukturelle Merkmale und Rahmenbedingun­gen einer Gesellschaft: öffentliche Infrastruktur (Zugang zu sanitärer und Trinkwasser-Grundversorgung, Wohnsituation), Ernährung, Ar­mut und Versorgungsabhängigkeiten sowie Wirtschaftskraft und Einkommens(ungleich)verteilung. Anfälligkeit wird hier als die Wahrscheinlichkeit verstanden, im Falle eines extremen Naturereig­nisses Schaden davonzutragen.
  • Bewältigung beinhaltet verschiedene Fähigkeiten von Gesellschaften, negative Auswirkungen von Naturgefahren und Klimawandel mittels direkter Handlungen und zur Verfügung stehender Ressourcen mini­mieren zu können: Funktionsfähigkeit staatlicher Behörden, Katas­trophenvorsorge und Frühwarnung, medizinische Versorgung, so­ziale Netze sowie materielle Absicherung/​Versicherungsschutz.
  • Anpassung wird im Gegensatz zur Bewältigung als langfristiger Pro­zess verstanden, der auch strukturelle Veränderungen beinhaltet und Maßnahmen sowie Strategien umfasst, die sich mit den in der Zu­kunft liegenden negativen Auswirkungen von Naturgefahren und Klimawandel befassen und damit umzugehen versuchen. Sowohl bei Bewältigung als auch bei Anpassung geht jeweils der Mangel an ent­sprechenden Kapazitäten in den Index ein.

Die im Weltrisikoindex untersuchten Länder werden nach der 20 %-Quantil-Methode in fünf Klassen eingeteilt, die jeweils genau 20 % der Länder umfassen und die Höhe des Weltrisikoindex des be­treffenden Landes angeben (sehr gering – gering – mittel – hoch – sehr hoch). Insgesamt bestätigt der Weltrisikoindex 2018 die wichtigsten Ergebnisse der vorherigen Jahre: Katastro­phenrisiken sind ungleich verteilt, sie betreffen vor allem Inselstaaten und Staaten mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Die Regionen mit dem höchsten Katastro­phenrisiko befinden sich in Ozeanien, Südostasien, Mittelamerika und in West- und Zentralafrika. Unter den 15 Ländern mit dem höchsten Katastrophenrisiko sind neun Inselstaaten vertreten. Sie sind Natur­gefahren wie Überschwemmungen, Wirbelstürmen und dem Anstieg des Meeresspiegels in besonderem Maße ausgesetzt. Die drei Länder mit dem höchsten Risiko sind Vanuatu und Tonga in Ozeanien sowie die Philippinen; die Länder mit dem niedrigsten Katastrophenrisiko sind Saudi-Arabien, Malta und Katar. Deutschland liegt auf Rang 155 und fällt somit in die Klasse der Länder mit sehr geringem Katastrophen­risiko.

Europa ist der Kontinent mit den geringsten Weltrisikoindizes, doch auch hier gibt es Länder, die in die Klasse „hohes Risiko“ fallen: Alba­nien (Rang 45) und die Niederlande (Rang 65). Letztere sind ein Beispiel dafür, dass trotz einer sehr hohen Exposition eine geringe Vulnerabilität das Katastrophenrisiko begrenzt: Die Niederlande sind besonders be­droht durch den Anstieg des Meeresspiegels und liegen auf Rang 13 bei der Dimension Exposition, gehören aber gleichzeitig zu den zehn Län­dern mit der weltweit geringsten Vulnerabilität. Es ist also möglich, Katastrophenrisiken durch den Abbau der Anfälligkeit und den Ausbau von guten Bewältigungs- und Anpassungskapazitäten zu verringern. Dies gelingt besonders effektiv den beiden hoch exponierten Ländern Japan und Niederlande, die gleichzeitig zu den reichsten 20 Ländern der Welt gehören.

Umgekehrt ist offensichtlich, dass ärmere Staaten Unterstützung zur Reduzierung ihres Katastrophenrisikos benötigen. Hier sind vor allem Maßnahmen nötig, die die Vulnerabilität, die Verletzbarkeit durch ex­treme Naturereignisse verringern, besonders in Afrika: 13 der 15 Länder mit der höchsten Vulnerabilität liegen dort. Doch auch der schwerer zu beeinflussende Faktor der Exposition ist nicht einfach hinzunehmen: Stürme, Überschwemmungen und der Meeresspiegelanstieg wären reduzierbar, wenn man wirksame Maßnahmen gegen die globale Erwärmung ergriffe.

Der Weltrisikobericht macht jedenfalls eines sichtbar: Die Diskussion um den Klimawandel darf nicht allein aus der Perspektive seiner Ver­ursacher geführt werden, sondern muss auch seine Opfer stärker in den Blick nehmen. Der Klimawandel findet statt, und um das Ausmaß seiner katastrophalen Folgen zu reduzieren, sind Anstrengungen zur Prävention, Bewältigung und Anpassung nötig – vor allem auch durch die reichen Länder dieser Erde, die besondere Verantwortung für den Klimawandel tragen.

Der Weltrisikobericht sensibilisiert für diese Zusammenhänge. Selbst wenn die Arbeit mit Indizes auch Nachteile hat – der hohe Abstraktions­grad blendet die Komplexität von Katastrophen aus und lässt auch In­formationen unter den Tisch fallen –, so liegt doch mit dem Weltrisiko­index ein hilfreiches Werkzeug zur raschen Orientierung für Entschei­dungen und ein wertvolles Instrument für Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung vor.

Auf www.weltrisikobericht.de stehen die bisherigen Weltrisikoberichte seit 2011 sowie Unterrichtsmaterialien für Oberstufe und Erwachsenen­bildung zum Download zur Verfügung.