Kongresse der Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologinnen und Pastoraltheologen
In diesem Jahr veranstaltete die Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologie zwei große Veranstaltungen: das Symposion „Christliche Identität in Europa auf dem Prüfstand. Pastoraltheologische Begegnungen: Horizonte und Optionen“, das von 19. bis 22. März 2013 in Prag stattfand, und den Kongress „Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums (GS 4) identifizieren, interpretieren, intervenieren, inspirieren“, der vom 16. bis 19. September 2013 in Salzburg tagte.
Das Symposion in Prag wurde in Kooperation mit dem Netzwerk der mittel- und osteuropäischen Pastoraltheologinnen und Pastoraltheologen durchgeführt und von Teilnehmenden aus mehr als zehn verschiedenen Ländern besucht, die allesamt passiv wie aktiv Deutsch als Tagungssprache beherrschten. Deutlich wurden – nicht nur in den einführenden Länderreferaten – die großen gesellschaftlichen sowie kirchlich-religiösen Differenzen zwischen den Ländern des ehemaligen kommunistischen Machtbereichs und den „westlichen“ Ländern, aber auch zwischen den Ländern innerhalb dieser Blöcke sichtbar: von stark säkularisierten Ländern wie Ostdeutschland, den Niederlanden oder Tschechien über Ungarn mit seinen nationalistischen und antisemitistischen Bestrebungen bis hin zu Polen, wo die Kirche trotz den Abbruchprozessen seit dem Umbruch von 1989 eine dominierende nationale Institution darstellt. Insofern kann man nicht von einer christlichen Identität in Europa im Singular sprechen, sondern muss die interne Vielfalt des Gebildes „Mittel- und Osteuropa“ in Rechnung stellen. Christliche Identität ist immer stark durch den jeweiligen nationalen Kontext geprägt – und kann darüber hinaus nur im Prozess erworben werden.
Zu lernen war auf dem Symposion, dass der jeweils andere nicht einfach aus der eigenen Perspektive beobachtet und bewertet werden darf, indem etwa die (mittel-)osteuropäischen Kirchen aus der westlichen Perspektive als primitiv oder rückständig angesehen werden – nach dem Motto: Ihr macht jetzt dieselben Entwicklungen durch, die wir schon in den 60er, 70er oder 80er Jahren durchgemacht haben. Vielmehr sind hier Entwicklungen am Werk, die sich einer eindimensionalen Betrachtungsweise entziehen. Und umgekehrt sollte in der östlichen Perspektive verlernt werden, dass die Kirchen in den westlichen Nachbarländern Produkte eines fehlgeleiteten und degenerierten, kranken Christentums seien.
Hilfreich für den Umgang mit den vielen gegenseitigen Vorurteilen kann vielleicht das Bild des Prager Religionsphilosophen Tomáš Halík vom Europa mit den zwei Lungenflügeln sein: Möglicherweise sind die Kirchen im Westen Europas auf der intellektuellen Seite besser vorbereitet für die Aufgaben, die sich ihnen in der Spätmoderne stellen; das östliche Christentum hat dafür in geistlich-spiritueller Hinsicht einen Vorsprung.
Für die Zukunft ist eine weitere Kooperation zwischen den beiden Netzwerken wünschenswert, die über die gegenseitige Information und Beobachtung hinaus stärker zu wirklicher Zusammenarbeit kommt. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist das Desiderat eines Handbuchs der Pastoraltheologie in Europa festzuhalten.
Der Salzburger Kongress zu den „Zeichen der Zeit“ wurde mit der Methode des open space durchgeführt. Sowohl Themenformulierung wie Methode ließen eine große Offenheit und Breite in der Befassung mit dem Thema zu.
In seinem einführenden Referat unterschied der Münchener Sozialethiker Jochen Ostheimer zwischen zwei Verwendungsweisen des Begriffs der Zeichen der Zeit: In einem eher praxisnahen, stärker situativ-operativen Sinn stehen die Zeichen der Zeit kairologisch für das Gegenüber, dem ich nicht ausweichen und das durchaus verstörende Wirkung auf mich haben kann; sie können auf ganz unterschiedlichen Skalierungsebenen beobachtet werden. In einer eher grundsätzlichen, abstrakt-akademischen Lesart wird unter den Zeichen der Zeit ein theologisches Paradigma verstanden, das sich im Sinne einer kontextuellen Theologie von ahistorischen, platonisierenden Ansätzen absetzt. Generell ist erkenntnistheoretisch zu beachten, dass jede Beobachtung von Zeichen der Zeit eine Bezeichnung anhand einer Unterscheidung macht; jede Beobachtung bleibt an ihre Grund-Unterscheidung gebunden. Diese stellt gleichzeitig die Bedingung ihrer Möglichkeit wie ihren blinden Fleck dar. Dass jeder in seinem Beobachten von Zeichen der Zeit an seine inneren Strukturen gebunden ist, stellt somit kein Phänomen der Beliebigkeit, sondern der Kontingenz dar. Pastoraltheologie kann unter diesen Vorzeichen als investigativ verstanden werden, insofern sie versucht, die in der Welt vorkommenden Spuren Gottes zu entdecken. Entsprechend plädiert der Innsbrucker Pastoraltheologe Christian Bauer für eine „Spurensuche einer teilnehmenden Beobachtung der Gegenwart“.
Bei den verschiedenen Arbeitsgruppen des open space wurden beide Lesarten der Zeichen der Zeit zugrunde gelegt: Es ging sowohl um konkrete Gegenwartsphänomene, denen sich die Pastoraltheologie zu stellen hat (z.B., um nur einige zu nennen, gender und diversity, Heterotopien in der Ausbildung pastoraler Berufe oder die Ausbildung einer „dritten“, nämlich muslimischen Theologie), als auch um die fundamentaltheologische Bestimmung dessen, was unter Zeichen der Zeit zu verstehen ist. Dabei wurde deutlich, dass die Zeichen der Zeit offenbarungstheologisch als Signale des Heilswillens Gottes (auch e contrario) zu verstehen sind, der in der Geschichte in Geheimnissen (nicht in Rätseln) spricht. Es braucht daher eine Deutungsgemeinschaft der Hörenden bzw. Suchenden, die die Gottesdimension in den Zeichen der Zeit normativ bzw. appellativ auf sich beziehen. Zeichen der Zeit bewahren somit sowohl vor einem Offenbarungspositivismus wie vor einem Offenbarungssubjektivismus. Sie fordern zum Risiko heraus, lenken den Blick besonders auf Ungerechtigkeit und Opfer und werden oft durch soziale Bewegungen aufgeworfen.
Auf der Mitgliederversammlung der Konferenz stand die Neuwahl des Vorstandes an. Zum Vorsitzenden wurde erneut Richard Hartmann (Fulda) gewählt; weitere Mitglieder des Vorstands sind Martina Blasberg-Kuhnke (Osnabrück) und Hans Pock (Wien).