Lokale Kirchenentwicklung in der Praxis – Bericht aus der „Werkstatt“ einer Nürnberger Kirchengemeinde
Die Vorgeschichte
Die Kirchengemeinde Menschwerdung Christi im Süden Nürnbergs (Stadtteil Langwasser) gehört zur Diözese Eichstätt. Das Kirchenzentrum entstand vor 40 Jahren mitten im Birkenwald für gut 5.000 Katholiken. Viele von ihnen waren Spätaussiedler, vornehmlich aus Oberschlesien und dem Sudentenland. Die Kirche selbst wurde bewusst als „Haus unter Häusern“ konzipiert, um die Nähe Gottes zu den Menschen vor Ort anzuzeigen. Als 1971 die Pfarrkuratie zur Pfarrei erhoben wurde, gab der damalige Bischof Brems zu bedenken, dass der Priestermangel drängender werde (im selben Jahr wurden in Eichstätt keine Neupriester geweiht), die Kooperation mehrerer Gemeinden bedacht und die Definition der „Pfarrei“ den neuen Umständen angepasst werden müsse. Aber niemand sah sich damals veranlasst, die Neugründung zu hinterfragen. Und niemand dachte an Lokale Kirchenentwicklung. Es war nahezu selbstverständlich, dass in die Nachbarschaft der neuen Hochhäuser und Wohnsiedlungen eine Kirche gehört. Das Kirchenzentrum sollte Lebenszentrum sein. „Von der Wiege bis zur Bahre“, so das Motto des Gründungspfarrers. In Kindergarten, Jugend- und Pfarrheim, im Gottesdienstraum und der angrenzenden Seniorenwohnanlage sollten Menschen lebenslang Heimat finden. Die Räume und ihre Ausstattung ermöglichten Begegnung, Gemeinschafts- und Gemeindeerfahrung. Man konnte den Eindruck gewinnen, das Leben in der neu gegründeten Pfarrei würde wie von selbst heranwachsen, Kirchenzugehörigkeit und Glaube sich automatisch einstellen. Die Frage nach der Entwicklung des Einzelnen, von der Kirchenzugehörigkeit hin zum persönlichen Kirche-Sein, stellte sich nicht. Auch ahnte damals niemand, dass sich die Katholikenzahl bis zum Jahr 2013 fast halbieren und das Bedürfnis nach aktiver Gemeindemitgliedschaft proportional dazu abnehmen würde. Unser Grundsatz heute: Die Situation nehmen, wie sie ist, und sie als Anruf Gottes verstehen! Wir versuchen gemeinsam zu hören, was der Geist Gottes der Gemeinde heute sagt. Daraus ziehen wir Konsequenzen und entwerfen pastorale Wege – seit nunmehr elf Jahren.
„Baue meine Kirche wieder auf!“ Die Nachbildung des Kreuzes von San Damiano in der Seitenkapelle unserer Kirche erinnert uns immer wieder an Christi Auftrag an Franziskus. Da die äußeren Gemeindebauten stehen, konzentrieren wir uns auf die „Innenräume“ im Menschen. Wir investieren in Motivation, Schulung und Begleitung von Frauen, Männern, Jugendlichen und Kindern und verfolgen mit Leidenschaft die spirituelle Vertiefung der Gemeindemitglieder. Die Mitglieder des Pfarrgemeinderates treffen sich monatlich und verstehen sich als pastorales Team, das Prozesse in Richtung „zukunftsfähiger Kirche“ initiiert. So wurde z.B. das Gemeindeleitbild „...damit sie das Leben haben“ (Joh 10,10) gemeinsam entwickelt. Hieraus ergeben sich immer wieder Impulse, wie Jahresthemen und Veranstaltungen der unterschiedlichen Gruppen inhaltlich zu füllen sind. Nach dem intensiven Weg der vergangenen elf Jahre merken wir aber auch, dass eine gewisse Gewöhnung, Selbstverständlichkeit und auch Müdigkeit der Engagierten einsetzt. Oder ist es ein wohlverdientes Atemholen? Ja, es scheint wichtig, inne zu halten, Rast zu machen, sich des gegangenen Weges zu erinnern und die Wegerfahrungen mit denen zu teilen, die vermehrt danach fragen. Diese Nachfragen kommen meist von weiter her. Das Interesse der unmittelbaren Umgebung oder auch der Diözesanleitung hält sich dagegen sehr in Grenzen.
1. Lokale Kirchenentwicklung verstehen
In seinem Artikel „Was meint Lokale Kirchenentwicklung?“ beschreibt Christian Hennecke Markierungspunkte Lokaler Kirchenentwicklung, Schritte des Verstehens und Gehens. Die einzelnen Stationen bebildern wir im Folgenden mit der konkreten Praxis der Gemeinde Menschwerdung Christi in Nürnberg-Langwasser.
- Wahrnehmen lernen: gemeinsame Prozesse geistlicher Unterscheidung einüben
Wahrnehmen lernen beginnt damit, den bisherigen Weg der Gemeinde zu achten und zu würdigen. Für das „Weitergehen“ braucht es dann Menschen, die Sehnsucht haben, Neues zu entdecken und Neues zu wagen. Und es braucht einige wenige Menschen, die Schritte vorausgehen können, weil sie bereits Wegerfahrungen mitbringen. Es braucht die Solidarität eines Teams, das sich im Hören auf den Geist führen lässt und bereit ist, als Kundschafter das Neue Land zu entdecken. Es braucht Mut und Offenheit, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu deuten. Was finden wir vor? Worauf macht uns Gott aufmerksam? Wie können wir darauf antworten? Für uns war zu Beginn des „Neuen Weges“ zentral, möglichst vielen Menschen in der Gemeinde und darüber hinaus eine geistlich-spirituelle Erfahrung zu ermöglichen.
- Geistliche Vertiefung
Glaubensseminare, Bibelkreise und neue Gottesdienst‐ und Verkündigungsformen ließen Gottesbeziehung, Glaubenswissen und Gemeindeidentität wachsen. Zu nennen sind hier z.B. Segnungsgottesdienste, Firm‐ und Tauferneuerung, die Aufführung biblischer Musicals im Zusammenwirken mehrerer Generationen, Kunstausstellungen in der Kirche und ihre geistliche Rezeption, ein gemeinsam geschaffenes Gemeindekreuz, ein dreibändiges, von vielen Gemeindemitgliedern geschriebenes und gestaltetes Sonntagsevangeliar, Kunstprojekte zur Gestaltung der Altarrückwand, ein selbstverfasstes Gemeindegebet und vieles andere mehr.
- Gemeindeleitbild
Der Gemeindename „Menschwerdung Christi“ ist uns Berufung und Auftrag. Wir haben ihn ausbuchstabiert im Gemeindeleitbild. Christus zu (be‐)kennen und ihn von ganzem Herzen zu lieben, in jedem Menschen seine Gegenwart zu suchen und in seinem Namen Geschwisterlichkeit zu leben, das erkennen wir als weg‐ und handlungsweisend.
- Gemeinschaft im Heiligen Geist
Zweimal jährlich finden Treffen mit der Geistlichen Gemeinschaft Lumen Christi aus Maihingen im Ries statt. Gemeinde und Gemeinschaft tauschen sich aus, hinterfragen und bestärken sich gegenseitig und vergewissern sich ihres je eigenen Glaubensweges.
- Glocken-Namen und Glockenzier
Ganz bewusst haben wir unseren vier Glocken ein „Programm“ gegeben, an das sie uns bei jedem Läuten erinnern: Christus, Heiliger Geist, Communio (Gemeinschaft), Ökumene und Frieden lauten ihre Namen.
2. „Kirche wohin? Schritte im Heute für Morgen“
... war das Thema des zweitägigen „Apostelkonzils 2012“ in unserer Gemeinde:
Über 90 Teilnehmer trugen ihre Impulse, ihre Fragen und Antworten für die Kirche der Zukunft zusammen. „Kirche wohin?“, diese Frage beschäftigt uns jeden Tag aufs Neue. Das Ausschauhalten nach Gottes Zukunft für unsere Gemeinde Menschwerdung Christi und die Kirche im Stadtteil Langwasser mit seinen gut 40.000 Einwohnern ist eine der ersten Aufgaben für uns Hauptamtliche. Zusammen mit dem Pfarrgemeinderat versuchen wir bewusst, über unseren Kirchturm hinaus zu blicken und uns zu vernetzen. Wir verfolgen und beteiligen uns an kirchlichen Initiativen in Deutschland und nehmen Impulse auf aus Europa, Asien und Afrika (Lumko-Institut, ASIPA, Lokale Kirchenentwicklung, Kleine Christliche Gemeinschaften). Wir wissen uns geführt, auch wenn manche pastorale Initiative in unserer Gemeinde noch in den Anfängen steckt und die Resonanz sehr unterschiedlich ist.
- Familienpastoral
Da Christsein heute vielfach nicht mehr in der Familie „vererbt“ und gelernt wird, sind uns Angebote für Familien besonders wichtig: Monatliche Familiensonntage, Familiengottesdienste und gemeinsame Unternehmungen sollen das Hineinwachsen in Glaube, Gottesdienst und Gemeinde ermöglichen. Die Hinführung zu den Sakramenten, beginnend mit der Begleitung der Tauffamilien, geschieht hier auf einem mehrjährigen katechumenalen Weg.
- Projekt 2014
Im Herbst 2012 haben wir das „Projekt 2014“ in Angriff genommen. Wir begleiten Familien mit Kindern und Jugendlichen in unterschiedlichen Gruppen: Eltern mit Kindern von 0 bis 3 Jahren treffen sich monatlich im Rahmen der Taufvor- und -nachbereitung. Die Taufe selbst geschieht in zwei Stufen: Aufnahme in die Gemeinde, Vorbereitungsweg und schließlich Tauffeier, vornehmlich im sonntäglichen Gemeindegottesdienst. Eltern von Kindergartenkindern sind eingeladen zu thematischen Elterngesprächen. Familien mit Kindern zwischen 6 und ca.14 Jahren bereiten sich im Rahmen der Familiensonntage, der WEG-
Gottesdienste und weiterer Katechesen auf das Sakrament der Eucharistie und der Firmung vor.
- Kirche in der Nachbarschaft (KiNa)
Derzeit versammeln sich monatlich sieben Gruppen in ihren Häusern zum BibelTeilen. Das Wort Gottes vertieft die persönliche Christusnähe, stiftet Gemeinschaft und macht sprach‐ und auskunftsfähig in Sachen „Glauben“. Als „Kirchen in der Nachbarschaft“ sind sie „vor Ort“, in den Straßen und Wohnblocks, bei den Menschen, die den Weg zur Kirche nicht finden oder in irgendeiner Weise Unterstützung brauchen.
- Netzwerk Gemeinde
Damit Gemeinde für ihre Mitglieder zur bergenden und stärkenden Heimat wird und sie ihre Sendung leben kann, braucht es Vernetzung untereinander: Haus‐ und Krankenbesuche, Geburtstagstelefonate, Kontakt zu Neuzugezogenen, Gemeindepaten für Kinder und Jugendliche, Ansprechpartner ... Unser „Netzwerk Gemeinde“ ist im Aufbau. Viele Gemeindemitglieder engagieren sich bereits darin.
- „Der Pfarrer kommt“
Zweimal in der Woche heißt es: „Der Pfarrer kommt“ – auf Einladung in eine Hausgemeinschaft. Zur Hausmesse oder zum (Bibel-)Gespräch. In der Kirche liegen kleine Einladungskärtchen aus, mit denen Nachbarn und Bekannte dazu eingeladen werden sollen.
3. Es „kircht“
All diese kleinen und großen Projekte und Initiativen sollen helfen, auf „neue Art Kirche zu sein“ und festgefahrene Einstellungen zu verändern. Wir sind unterwegs in der Haltung: „Kirche ereignet sich, wo Getaufte und Gefirmte sich vernetzen und Weggemeinschaften bilden“ (Bischof Joachim Wanke). Vieles hat sich im Gehen ergeben. Oft haben wir nur den nächsten Schritt erkannt. Erst als wir ihn gegangen waren, eröffnete sich der zweite.
- Die Vielfalt der Orte kirchlichen Lebens und die relativierte Bedeutung der Gemeinden
Unser Bestreben war zunächst, „Gemeindeentwicklung“ voranzutreiben, vor allem die Kerngemeinde beziehungsreich, sprach- und auskunftsfähig zu machen und zum Umgang mit dem Wort Gottes zu befähigen. Erst allmählich wächst der Blick dafür, dass auch der Kindergarten, die KAB (Katholische Arbeitnehmerbewegung), der Frauen- und Seniorenkreis etc. „Kirchorte“ sind.
- Sendungsorientierung
Um von der Sammlungs- zur Sendungsorientierung zu gelangen, braucht es bei vielen Gemeindegliedern und -gruppen noch einiges an Bewusstseinsbildung und Ermutigung. Immer noch fließt in manchen Kreisen das größte Bemühen dahin, in der kleinen Gruppe Beheimatung und Gemeinschaft zu erfahren. Das ist notwendig, darf aber nicht zum Selbstläufer werden. Keine Sendung ohne Sammlung! Keine Sammlung ohne Sendung! Dass sich die „Kirche-unter-sich“ zur „Kirche-für-andere“ entwickelt, die im Namen Jesu mit den Menschen „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ (GS 1) teilen, ist aber nicht fern: Ein kleiner Teil der Gemeindemitglieder ist wie selbstverständlich „mehrfach“ engagiert in Gemeinde und Nachbarschaft, bei Besuchsdiensten, beim Adventsmarkt im Stadtteil, beim Kultur- und Sozialmarkt im Einkaufszentrum, bei ökumenischen Veranstaltungen, bei Einladungen in andere Gemeinden und zu internationalen Treffen, wo es gilt, von „unserem Weg“ zu erzählen. Mitmenschliches Engagement wird meist noch als „normales Sozial-verhalten“ verstanden. Dies als Sendungsauftrag Gottes zu deuten, als „Kirche bei den Menschen“, kommt erst langsam ins Bewusstsein. Gedanken zur Predigt beizutragen, ein persönliches Glaubenszeugnis im Gottesdienst oder im Projekt „Schreibwerkstatt“ zu geben, ist aber längst nicht mehr außergewöhnlich. Eine Frau aus der Gemeinde sagte: „Früher waren wir Hörende, jetzt sind wir Sprechende“! Dieser Satz mag für das wachsende Sendungsbewusstsein stehen. Ein anderes Beispiel: Das schon mehrfach in verschiedenen Nürnberger Gemeinden aufgeführte Oratorium „Himmel trifft Erde“ – eine Komposition zum 40jährigen Kirchweihjubiläum 2012 – soll angemeldet werden zum Katholikentag 2014 in Regensburg. Ein Chormitglied dazu: „Wir haben eine Botschaft zu verkünden! Das ist unser Auftrag!“
- Spiritualität aus dem Evangelium
Geistliche Reifung beginnt an der Quelle: beim Teilen des Wortes Gottes. Das ist unsere eindeutige Erkenntnis. Wir haben gelernt, dass sich Christsein da entfaltet und aufblüht, wo Christus in seinem Wort zur Mitte wird. Gott dient uns. Er sammelt uns und schenkt uns Erfahrungen seiner Gegenwart. Das BibelTeilen – in Hausgemeinschaften („Kirche in der Nachbarschaft“), in Bibelkreis und (Weg-)Gottesdiensten, als Einstieg in Dienstgespräch und Pfarrgemeinderatssitzung ist uns wichtig geworden. Und wir erleben: Jede und jeder hat etwas zu sagen, kann etwas beitragen. Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Und jede und jeder kann die Leitung übernehmen z.B. beim „Bibelteilen in 7 Schritten“.
- Taufwürde und Charismen in den Mittelpunkt rücken
Im Gemeindeleitbild haben wir unsere Vision formuliert: „Das Ziel, das uns vor Augen steht, ist eine geisterfüllte, wachsende Gemeinde, voll Liebe und Leben, voll Lachen und Lebendigkeit, voll Glaube und Hoffnung, vernetzt mit allen Menschen guten Willens, mitten im Leben verwurzelt im Himmel!“ Der Weg zum Ziel ist noch weit und nicht anders möglich, als dass möglichst viele Getaufte ihr Kirche-Sein entdecken und das gemeinsame Priestertum entfalten, ihre je eigenen Charismen annehmen und zum Aufbau von Kirche und Welt einsetzen. Das ist fordernde und anstrengende Arbeit, die jeden Tag neu angegangen werden will. Die vergangenen 11 Jahre haben uns gelehrt: „Kirchenentwicklung“ braucht Ausdauer und viel Leidenschaft. Die konkreten Erfahrungen sind mal frustrierend und enttäuschend, dann wieder überaus spannend und erfüllend. Es ist wahr: Wir sind geprägt von jahrhundertealten Bildern von Kirche. Und nicht wenige Gemeindemitglieder wollen die Erinnerungen an die Kirche von gestern festhalten. Es braucht einen langen Atem, immer wieder neu die Kirchenbilder wachzurufen, die uns das II. Vatikanische Konzil ans Herz gelegt hat. Sich pilgernd und suchend auf den Weg zu machen, ist entscheidend. Und immer wieder sind es gerade die „Einzelaufbrüche“, die Mut machen.
- Vertrauen wagen
Die Frage, die wir an den Beginn unseres Wirkens in der Gemeinde Menschwerdung Christi gestellt haben, lautete: „Wie gehen wir als Gemeinde in die Zukunft? Wie geht ER mit uns in die Zukunft?“ Unsere Devise: Lassen wir uns gemeinsam auf Gott ein. Sein Wort wird uns Weisung geben. Gehen wir vertrauensvoll einen geistlichen Weg. Handeln wir prozesshaft und zielorientiert zugleich! Und wichtig: Lassen wir uns stets überraschen vom Heiligen Geist! Das Vertrauen in Gottes Führung, gepaart mit der Bereitschaft zu Wagnis und Experiment, macht Zukunft möglich. Suchende und Lernende zu bleiben, als Einzelne und als Gemeinde, ist ein großes Charisma, ein Gottesgeschenk.
4. Lokale Kirchenentwicklung beginnen
Im Rückblick können wir sagen: Lokale Kirchenentwicklung hat in der Gemeinde Menschwerdung Christi in Nürnberg begonnen, schon vor Jahren, auch wenn uns dieses Wort erst jetzt zur Verfügung steht. Hennecke spricht von den „zarten Wurzeln“. Sie brauchen viel Pflege und kosten unseren ganzen Einsatz. Nachgehen, motivieren, stärken, begleiten, Konflikte klären, Gotteserfahrungen ermöglichen, persönliches Kirchesein wecken ... unser tägliches Geschäft! Wir erleben aber noch nicht die Masse des Kirchenvolkes, „das geradezu gewartet zu haben scheint auf eine echte Aufbruchsperspektive“, wie es Hennecke berichten kann. Doch einige sind interessiert und engagiert. Es geht uns um die „kritische Masse“ der Gemeinde, die das ganze durchsäuert. Wir sind noch nicht sicher, ob es uns gegeben ist. Aufhorchen lässt uns ein Satz von Hennecke: „Wenn nämlich nicht eine Diözese als ganze, oder doch zumindest ein Dekanat eine gemeinsame Zukunftsperspektive teilen, erscheinen länger dauernde und prägende Prozesse nicht sinnvoll“ (Hennecke 2013, 223). Der Blick auf Dekanat und Diözese macht uns nachdenklich und manchmal mutlos. Lokale Kirchenentwicklung ist noch ein Fremdwort, erscheint weit weg vom diözesanen Erfahrungsfeld.
5. Menschwerdung – Christwerdung – Kirchwerdung
Lokale Kirchenentwicklung kann nur da geschehen, wo sich Gemeinde begreift als Gemeinschaft der zum Herrn Gehörenden, auf Seinen Geist hörend, Ihm nachfolgend und den Menschen dienend. Vorausgehend aber sind Menschwerdungs- und Christwerdungsprozesse: Schritte des Vertrauens zueinander und zu Gott, Beziehung pflegend, Nähe zulassend, Leben miteinander teilend, Sakramente als Stationen auf dem Glaubens- und Lebensweg gläubig empfangend und feiernd. Wir begreifen den Namen unserer Gemeinde – „Menschwerdung Christi“ – im Sinne von Bischof Franz Kamphaus: „Mach’s wie Gott, werde Mensch!“ Es geht also nicht zuerst um die Kirche, sondern um den Menschen, um dieses geliebte Geschöpf Gottes. Ihm ist „das Geheimnis des Reiches Gottes anvertraut“. (Mk 4,11) Und es geht um IHN, der die Gemeinschaft der Glaubenden als Volk Gottes konstituiert und die Kirchwerdung an uns noch unbekannten Orten vorantreibt. Unsere „anfänglichen“ Erfahrungen finden wir gut aufgehoben in einem Wort von Jean-Marie Kardinal Lustiger: „Das Christentum in Europa steckt noch in den Kinderschuhen. Seine große Zeit beginnt erst noch.“
„Kirche der Zukunft – Pilger im Dialog“, dieses Jahresthema für die Pastoral in der Gemeinde fand der Pfarrgemeinderat für das Jahr 2012. Wir sind überzeugt, dass wir Gott finden, wenn wir unterwegs bleiben. Nötig sind Kontaktfreude, Interesse und Aufmerksamkeit für die Welt um uns. Gott begegnet uns, wie schon Abraham, überraschend im Gast, im Fremden, im Ungewohnten, im Unbekannten, im Neuen. Unruhig bleibt dabei unser Herz, stets aufs Neue „frag‐würdig“ unser Weg. Aber: Es gibt viel zu geben und noch mehr zu empfangen!