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Gott – „all inclusive“: Ein Blick aus der Perspektive eines kirchlichen Jugend-verbands

Peter Otten schaut vom Horizont eines Jugendverbands auf Christian Henneckes Artikel – und stellt eine grundsätzliche Anfrage an seinen Ansatz: Ist die Betonung der Taufwürde nicht noch zu sehr vom Gedanken der Exklu­sion bestimmt, der die Bedeutsamkeit eines jeden anderen noch unter­schätzt?

Intro

23.7.2013, 21:00 Uhr

Die Libelle, die ich gestern am Terrassenfenster sah und der ich den Weg ins Freie mehrfach gewiesen hatte, bis sie für mich nicht mehr zu finden war: Jetzt liegt sie auf den Fliesen. Ich beobachte das Wunderwerk auf dem Boden. Es liegt in den letzen Zügen. Nur ein Beinchen zuckt noch. Oder auch nicht. Ich trage das Insekt vorsichtig in eine windgeschützte Ecke der Terrasse. Ich platziere einen winzigen Wassertropfen nah an seinen Mund und beobachte lange die vielleicht nur noch vom Wind bewegten Arme.

Sie ist tot.

Ich schiebe den Leichnam in eine Streichholzschachtel. Mit C. bestatte ich die Libelle am Ufer.

(Wolfgang Herrndorf)

Wenn die Kirche auf sich selbst bezogen ist, ohne es zu bemerken, glaubt sie, sie selbst besäße das Licht; dann verliert sie ihr „mysterium lunae“ und verfällt der so schrecklichen Misere spiritueller Weltlichkeit, jenem Lebensstil, bei dem man sich nur gegenseitig Ehre erweist. Um es vereinfacht zu sagen: Es gibt zwei Ansichten von der Kirche: die evange­li­sierende Kirche, die aus sich herausgeht, „Gottes Wort voll Ehrfurcht hörend und voll Zuversicht verkündigend“, und die verweltlichte Kir­che, die in sich, aus sich und für sich selber lebt.

(Papst Franziskus)

Track 2: Sonne und Mond

Papst Franziskus malt in seinem Referat, das er vor seiner Wahl gehal­ten haben soll, zwei Kirchenbilder: In dem einen dreht sich die Kirche um sich selbst. Sie ist ihre eigene Sonne: mit ihren Riten und Regeln, Sätzen und Schätzen, Gottesdiensten und Gebeten. Diese narzisstische selbstbezogene Kirche wird daran interessiert sein, dass sie selbst groß wird, und wenn sie schon nicht groß wird, wenigstens groß zu erschei­nen. Es ist eine Kirche des „um zu“ mit einem einzigen Zweck: sich selbst die Ehre zu erweisen. Diese Kirche, die sich vermeintlich konse­quent aus der Welt zurückzieht, gerade die nennt der Papst „verwelt­licht“. Das andere Bild ist das Bild einer evangelisierenden Kirche, wie der Papst sagt. Das bedeutet, dass sie sich vom Licht des Evangeliums wie der Mond bescheinen lässt. Sie weiß, dass sie nichts ist ohne das Wort Gottes, dass sie „hört und voll Zuversicht verkündet“ – also nicht für sich behält. Und das meint, modern gesagt, eine große Offenheit: Sie weiß, dass sie nichts ist ohne das Andere, den Anderen, ja, das Fremde gar, die andere Perspektive. Das Gegenüber.

Track 3: Offenheit

Fromm gesagt: Die Wahrheit, „die euch frei macht“, ist nichts zum Be­sit­zen. Sie steht in keinem Katechismus, auch in keiner Taufurkunde. Sie wird in keinem katechetischen Prozess, in keinem religiösen Ge­spräch eingeträufelt. Sondern sie wird geschenkt, jeden Tag und jede Stunde neu und, ja, das auch: fremd und anders. Sie kommt immer von anderen her, bisweilen und mehr als gedacht vom Fremden, und manch­­mal so unverhofft und zerbrechlich wie in dieser kleinen Ge­schichte vom Ende einer Libelle, die auch einen säkularen Schriftsteller plötzlich zum Propheten des Lebens macht. Es ist diese Haltung der offe­nen Perspektive, die interessant ist: für die Welt, aber für die Christinnen und Christen auch, die diesen Zeugnissen offen und mit Neugier begegnen. Diese offene Perspektive, die damit rechnet, dass das Reich Gottes anbricht, wann und wo Gott will – sie ist unverzichtbar für die Kirche und unverzichtbar auch für einen Verband wie die KjG. Denn die offene Perspektive ist die Perspektive Gottes.

Track 4: Der Andere ist meine Chance

Franziskus möchte die Welt mit dieser Perspektive Gottes betrachtet wissen. Er will keine exklusive Kirche, sondern eine inklusive, die damit rechnet, dass der (jeder) andere bedeutsam ist – und zwar tatsächlich. Bedeutsam in den Augen Gottes. Bedeutsam aber auch für mein eigenes Leben und sein Gelingen. Fromm gesagt: ein Kind Gottes ist, das mir selbst den Weg zu Gott und zum anderen zeigen kann. Eine Kirche, die damit rechnet, dass in den Biographien der Anderen Spuren verborgen sind, die mich tragen und mein Leben groß machen.

Track 5: Charisma

Und diese Spuren sind nicht immer nur Spuren von Innerlichkeit. Beim Weltju­g­endtag in Rio de Janeiro sagte Papst Franziskus zu den Jugend­lichen: „Macht doch eine Revolution.“ Der Kontext ließ darauf schlie­ßen, dass er nicht eine eher metaphorische Revolution der Liebe meinte, sondern das tatsächliche Rütteln an realen ökonomischen und sozialen Verhältnissen, die Menschen benachteiligen, ausbeuten, töten. Was meinen wir also, wenn wir von Charismen (beispielsweise im Rahmen von charismenorientierter Pastoral) sprechen? Auch das pragmatische Anpacken und die stille oder laute Solidarität? Meinen wir auch den, der im KjG-Ferienlager Vollgas gibt und dann wieder ein Jahr unter­taucht? Oder anders gesagt: Welche Weite hat unser Fragen nach Beru­fung? Ist das immer innerlich oder innerinstitutionell (innerver­band­lich, innerkirchlich, gar innerkonfessionell) oder rein spirituell ge­meint? Oder können Menschen außerhalb der kirchlichen Institution auch ein jesuanisches Charisma haben? Und wenn ja: Was bedeutet das für ihn? Für die Kirche? Hat charismatisches Handeln nicht immer auch eine politische Seite? Ist da nicht auch der Blick auf den Sozialraum wichtig? Um wessen Wohlergehen geht es dann? Um das derjenigen, die vermeintlich nicht dazugehören? Und ist die Zuwendung von der Art wie Gott selbst, nämlich „gratuité“ – also ein Geschenk der Überfülle? Oder gibt es die (unausgesprochene) Erwartung, dass der, der „profi­tie­ren“ will, auch bestimmte Standards des Engagements – in der Kirche, in der Gemeinde, in der KjG – oder bestimmte spirituelle geschweige denn moralische Standards erfüllt? Wenn ja, muss klar sein: Das ist nicht im Sinne Jesu. Inklusivität kann auch radikale Selbstentäußerung bedeuten, wie es die Dramaturgie der Evangelien zeigt. Erst der Andere. Dann noch ein Anderer. Und so weiter. Und dann, irgendwann, die Insti­tution, die dienende Struktur.

Track 6: Identität oder Ideologie

Daraus folgt: Egal, wie sich die Kirche in Form und Strukturen verändert – sie muss sich inklusiv, niemals exklusiv verstehen. Die Betonung des­sen, dass ich mich vom Anderen unterscheide, so formuliert es Hans-Joachim Höhn, führt dazu, gar nicht mehr damit zu rechnen, dass mich und den Anderen etwas verbindet, dass wir etwas gemeinsam haben. Ein so genanntes Alleinstellungsmerkmal wird dann – theolo­gisch verkleidet – dazu benutzt, sich vom anderen abzusetzen. „Offen­kundig wird bei dieser Strategie, sich im weltanschaulichen Pluralismus behaupten zu wollen, vorausgesetzt, dass die Identität der Kirche nur durch die Markierung einer Differenz verdeutlicht werden kann. Man sorgt sich um die Identität jener, die (noch) zur Kirche gehören, und stärkt diese durch die Verstärkung einer Differenz zu den „Außenste­henden“. Identität „nach innen“ wird hier durch eine Differenz „nach außen“ gefestigt. (…) In diesem Stil soziale und religiöse Eigenbrötelei zu pflegen, ist aber keine angemessen Weise, Öffentlichkeitsarbeit für das Evangelium zu betreiben. Die Kirche mag angesichts sinkender Mit­gliedszahlen kleiner werden. Sie kann es sich aber vom Evangelium her nicht erlauben, in Fragen des solidarischen Miteinanders kleinlich zu werden.“ (Höhn, 2f) Das Alleinstellungsmerkmal des Christentum sieht Höhn gerade in der Inklusion: „Das entscheidend Christliche besteht in der Botschaft, dass alle Menschen unterschiedslos Adressaten einer un­be­dingten Zuwendung Gottes sind. Darin liegt seine Identität. Wer da­ge­gen Identität durch Unterschiede definiert, muss immer auch aus­schei­den und ausschließen. Wer aber allein durch den Vorgang des Ausschließens seine Identität wahren will, gerät in die Nähe zur Ideo­logie.“ (Ebd.) Wer aber Adressat ist, kann auch Zeuge sein.

Track 7: Staunen

Mit der inklusiven Perspektive steht und fällt alles. Sie ist entscheidend für das Gelingen oder Misslingen jeder kirchlichen Struktur, vielmehr noch: für das Erfüllen oder Verfehlen des Auftrags Jesu, das schon ange­brochene Reich Gottes zu verkünden. Wenn Christian Hennecke schreibt, es gehe bei Lokaler Kirchenentwicklung um einen geistlichen Entwicklungsprozess „zugunsten der Getauften, ihrer örtlichen Ge­mein­den, der Prozesse des Christwerdens und des Wachstums neuer Gemeindeformen“ – so scheint er den Sinn kirchlicher Pastoral zu­nächst eher exklusiv zu verstehen. Oder anders gesagt: Hennecke will Inklusion und Gleichheit nach innen (als Basis dient die gemeinsame Taufwürde), um Exklusivität nach außen zu gewinnen. Dabei ist die Gleichheit nach innen nicht durchzuhalten (Amt) und fördert darüber hinaus eine Art von Überzeugungstätermentalität: wir und die anderen. Bleibt die viel beschworene gemeinsame Taufwürde dann nicht doch die exklusive Eintrittskarte für diesen Club der Seligen? Natürlich ist Lokale Kirchenentwicklung auch ein geistlicher Entwicklungsprozess. Er darf es aber nicht in dem Sinne sein, dass es nur drinnen oder drau­ßen gibt. „Gottes Wirken hängt nicht ab von den Mitgliedszahlen seiner Kirche“, hat der Innsbrucker Pastoraltheologe Christian Bauer gesagt (Dambacher 2012). Bei Jesus habe es Menschen mit einer Art abgestuf­ter Zugehörigkeit gegeben. Es gab den Zwölferkreis der Apostel. Viel­leicht so etwas wie die Stammspieler im Sport. Dann gab es den Kreis der 72 Jüngerinnen und Jünger, den das Neue Testament bezeugt. Und dann hat Bauer noch etwas Interessantes gesagt: „Es gab sogar die, denen Jesus nur ein einziges Mal begegnet ist.“ Und: „Obwohl er sie in keine seiner Gruppen berufen hat, haben sie doch vollgültiges Heil erfahren“. Bauer meinte Menschen, die wie Zachäus auf den Bäumen sitzen und beobachten. Oder die, die die Apostelgeschichte als „Ring staunender Menschen“ beschreibt. Oder vielleicht reicht ein Blick auf die kanaanäische Frau (Mt 5,23). Sie berührt Jesus flüchtig und wird geheilt. Und dann schickt Jesus sie wieder nach Hause. Heute würde die Frau Gefahr laufen, sofort rekrutiert zu werden: für den Pfarrgemeinde­rat, die KjG – oder für einen katechetischen Gesprächsprozess. „Die kanaanäische Frau stillt ihre Sehnsucht nach der Gemeinschaft mit Christus in einem einzigen Moment“, sagt Michael Hochschild, „der dennoch ewig dauert, weil sie von ihrem Leiden fortan ge­heilt ist, der aber dennoch nicht zur Teilnahme an der üblichen Vergemeinschaftung des Christentums führt, sondern fast eine besondere Form der Exklusi­vität mit Jesus andeutet.“ (Hochschild 2001, 94) Diese Perspektive Jesu gilt es zu beachten: Ist er nicht vielleicht schon längst am Werk, wo Christen meinen, in katechetischen Unterweisungen erst noch das Unkraut jäten zu müssen?

Track 8: Lebensraumorientierung

In Zukunft müsste es also eher um inklusive, eher sozial- und lebens­raumorientierte Pastoral gehen. Ein Beispiel: In den Vereinigten Staaten scheinen sich die Kirchen zunehmend auch mit den Folgen des demo­gra­phischen Wandels zu beschäftigen. Sie haben gemerkt, dass dies auch ihr Thema ist – weil sie als Gemeinden eben auch Teil eines Quar­tiers sind, in dem diese Menschen leben. Kirchengemeinden bilden dort mitunter eine „Caring Community“ in Kooperation mit der Kommune und mit professionellen Pflegediensten, um die Altenpflege des Quar­tiers mit zu organisieren. Ein anderes Beispiel: Im Kölner Osten organi­siert die KjG Geburtstage für Kinder, die in derart kleinen Wohnungen leben, dass sie sich genieren, Kinder zu einer Party einzuladen, oder die schlicht kein Geld haben, ihre Freundinnen und Freunde zu einem kom­merziellen Anbieter einzuladen. Diese KjG ist Teil einer inklusiven le­bens­raumorientierten Pastoral. Sie tun das Evangelium einfach und vollziehen das Gleichnis vom himmlischen Gastmahl, bei dem der Arme nicht mehr unter dem Tisch sitzen muss, einfach nach. Hier arbeitet die Kirche nicht zugunsten der Getauften oder ihrer örtlichen Gemeinde­formen, sondern weil die Christen davon überzeugt sind, im Anderen in das Antlitz Gottes zu schauen (auch wenn die Kinder und Jugendlichen diesen Gedanken sicher nicht bis in alle Einzelheiten reflektieren). Dies zu Ende gedacht zeigt auch, dass feste kirchliche Strukturen – die terri­to­rial verstandene Gemeinde, aber auch Verbände – wichtige kirchliche Sozialformen bleiben, vorausgesetzt, man versteht die Mitwirkung am sozialen und kulturellen Gefüge eines Quartiers als möglichen jesuani­schen Auftrag. Hennecke schreibt: „Dort, wo Christen sich wirklich auf die ‚Freude und Hoffnung, Trauer und Angst’ (GS 1) einlassen, dort kommt es zur Bildung kirchlicher Lebensräume. Dies allerdings nicht von selbst: immer mehr wird deutlich, dass auch hier ein prozesshaftes Vorgehen notwendig wird, das sich an Kriterien orientieren muss: Was macht denn eine kirchliche Schule zu einem Ort des Kircheseins? Wie kann man evaluieren, ob ein katholischer Kindergarten wirklich „Kleine Kirche“ ist?“ Mit guten Gründen kann man dem entgegnen: Sind die erzbischöflichen Gymnasien mit ihren Bürgertöchtern und -söhnen wirklich mehr kirchliche Orte als die Hauptschule, an der gut gebildete Christen nicht unter sich ihre Karriereplanung starten können? Was ist mit den nichtkirchlichen Schulen in den Quartieren? Den nicht-konfes­sio­nellen Kindergärten? Weht der Geist, von dem so viel die Rede ist, nicht auch dort? Kann es nicht sein, dass Spuren des Evangeliums längst da sind und Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen längst prophetische Zeugnisse?

Track 9: Unbegrenzter Kredit

Hennecke spricht von einer„Kultur des Vertrauens“, durch die der Pro­zess lokaler Kirchenentwicklung geprägt sei. Dabei könne man Vertrau­en nicht verordnen, sondern müsse es in Beziehungen und gemeinsa­men Projekten erringen. „Nicht wir“, so zitiert er aus einem Hirtenbrief des Hildesheimer Bischofs Norbert Trelle, „gestalten die Kirche; der Geist Gottes gestaltet die Kirche – in und durch uns.“ Auf Gott zu hören und ihm zu vertrauen sei die Grundlage für das zukünftige kirchliche Leben. Und dann bittet der Bischof um das Vertrauen der Menschen in seinem Bistum: „Wenn ich an bestimmten Stellen Vorgaben für die Pro­zesse Lokaler Kirchenentwicklung machen werde“, dann tue er dies, um nach dem Maßstab des Evangeliums Orientierung zu geben. Vertrauen bedeutet also keinen unbegrenzten Kredit.

Hier wird klar, dass die Offenheit des Prozesses einerseits und kirchli­ches Lehramt/Tradition andererseits in einer Spannung stehen. Die defi­nierte Gleichheit aller Gläubigen, die sich aus der gemeinsamen Taufwürde ergibt, findet irgendwann ihre Grenze – in jedem Fall in Leitungs- und Ämterfragen. Ein Bistumsmitarbeiter erzählte einmal das Beispiel von Erzieherinnen in einem Familienzentrum, die sich mit an­de­ren interessierten Frauen treffen, gemeinsam in der Bibel lesen und bald auch schon beginnen, Gottesdienst zu feiern. Auf meine Frage, in welcher Beziehung dazu der Ortpfarrer stehe, kam die Antwort: „Er muss dafür sorgen, dass das alles katholisch bleibt.“ Begännen sie ir­gend­wann, die Messe zu feiern, dann sei das eben nicht mehr katho­lisch. Ver­dienen die Frauen in dem Beispiel nicht auch Vertrauen? Verdient der Geist nicht auch Vertrauen? Oder hat er doch (patriar­chalisch-strukturelle) Grenzen? Sind Charismen auf bestimmte Dinge, Berufungen und Eigenschaften begrenzt? Weht der Geist an bestimm­ten Orten weniger oder gar nicht – zum Beispiel in der städtischen Hauptschule oder in dem städtischen Altenheim, das in einem ehema­ligen Bordell untergebracht ist, weil das Geld nicht reicht? Wenn das so ist, dann ist es besser, dies auch von vorneherein deutlich zu sagen und nicht so zu tun, als sei in einer Art pneumatischem Sturm erst einmal alles möglich.

Track 10: Nähe und Weite

„It needs a village to raise a child,” sagt ein afrikanisches Sprichwort. Es braucht also ein Netzwerk möglichst unterschiedlicher Menschen, die möglichst vielfältige Erfahrungen ermöglichen. Es braucht aber auch ei­nen konkreten Ort. In einem Verband wie der KjG finden junge Men­­schen in der Regel beides: ein Netzwerk von Menschen und einen Ort. Der Ort befindet sich zunächst in einer lokalen KjG-Gruppe oder Pfarrei vor Ort. Dabei gibt es Gruppen mit unterschiedlicher Nähe und Distanz zur jeweiligen Gemeinde. Es gibt eine Nähe, wenn Jugendverbands­ar­beit ein Element des jugendpastoralen Konzeptes ist, wenn die Jugend­li­chen wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Es gibt eine Distanz, weil sich Jugend­liche womöglich von den vorgefundenen gemeind­li­chen Formen emanzipieren wollen, Jugendverbands­arbeit eher keine Rolle bei den Verantwortlichen in der Gemeinde spielt oder die Jugend­lichen in der KjG weniger Erfahrungen mit den kirchlichen Strukturen, Sprachspielen und der Ästhetik haben. Weil sie vielleicht Seiteneinstei­ger oder Passagers sind. Der Ort kann sich aber auch auf regionaler Ebe­ne oder gar in Veranstaltungen oder Engagements auf diözesaner Ebene befinden. Im Verband sind alle und jede anzutreffen: Kartei­leichen, Distanzierte, religiös Unmusikalische, Suchende, normale Christen, Katholiken, Protestanten, Engagierte, Stand-by-Mitglieder. Wichtig ist aber: Das ist gut so und darf so sein. Platt gesagt: Im Verband müssen auch diejenigen mitmachen dürfen, die nicht jeden Tag in der Bibel lesen. Und die trotzdem durch ihre jahrelange Treue in der päda­gogi­schen Arbeit bei Gruppenstunden, Aktionstagen und Ferienlagern zu wichtigen LebensbegleiterInnen junger Menschen werden – und gerade dadurch viel vom Reich Gottes verwirklichen. „Meiner Ansicht nach“, schreibt der Pastoraltheologe Christian Bauer, „lassen sich Ge­meinden (…) als stabile Orte der Nähe verstehen, die jedoch keine Orte der Enge sein dürfen, und pfarreienmissionarisch als dynamische Räume der Weite, die jedoch keine Räu­me der Ferne sein dürfen. Es gilt also: Nähe und Weite statt Enge und Ferne!“ (Bauer 2013, 352). Was für Pfarreien und Gemeinden gilt, gilt natürlich auch für Verbände. Wer Nähe und Weite zusammen denken kann, denkt inklusiv. Er kann loslassen, ist nicht vereinnahmend und stellt seine Zuneigung und Solidarität nicht unter Bedingungen. Und hat viel vom Evangelium kapiert.

Reprise

8.11. 2012, 16:04 Uhr

Meine alte Kunstprofessorin, die schlimmste, menschlich unangenehm­ste Person, die mir in meinem Leben begegnet ist, hat nun auch ihren von kleinen Navigationssackgassen begleiteten, gut gelungenen Inter­net­auftritt. (…)

Einer ihrer letzten Sätze, an den ich mich erinnere, geäußert auf einer der letzten Klassenbesprechungen: „Jesus hat die Welt erlöst, das ist bewiesen.” Auf meine Frage „Wie?” erhielt ich nie eine Antwort.

(Wolfgang Herrndorf)

Verkündigt das Evangelium, und wenn es nötig sein sollte, dann auch mit Worten.

(Papst Franziskus)