Weltkirche als Chance pastoraler Entwicklungen
Ein Blick auf die Gemeinden anderer Sprachen und Riten
Unverkennbar waren und sind die 2010er und 2020er Jahre für die katholische Kirche in Deutschland herausfordernde Jahre. Wohl in kaum einer anderen Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil war sie von Transformationsprozessen so durchzogen wie in dieser Zeit. Sucht man für diese Jahre nach Assoziationen zum Terminus „katholische Kirche“, so fallen Schlagworte wie Missbrauchsstudien, Papstwechsel, Synodaler Weg, Segnung von Paaren, die sich lieben, und so weiter. Nicht zuletzt die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung führt nüchtern einen Bedeutungswandel der katholischen Kirche in Deutschland vor Augen. Parallel dazu durchlaufen viele (Erz-)Diözesen Pastoralprozesse, die liebgewonnene Strukturen verändern. Diese Prozesse sind ebenfalls ein unverkennbarer Ausdruck dieser sich wandelnden Kirche, denn egal, welchen Titel sie tragen, die Eckpunkte sind identisch: Reaktion auf den Rückgang der Mitgliederzahlen, Flexibilisierung der Kirchenbindung, Kompensation des Fachkräftemangels (Priester, Lai:innen, Verwaltungspersonal), Immobilienentwicklung und neue (größere) Zuschnitte von Pfarreien.
Eine Gruppe von Katholik:innen in Deutschland scheint jedoch – glaubt man den Statistiken – diesen Entwicklungen zu trotzen. Es sind die sogenannten Gemeinden anderer Sprachen und Riten. Über Jahrzehnte hat sich der Begriff „muttersprachliche Gemeinden“ dafür etabliert. Ein Begriff, der kulturell unsensibel ist und geradezu kolonial wirkt. Nicht jedes Gemeindemitglied hat Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch usw. als Muttersprache. Das trifft insbesondere auf die Mitglieder zu, deren biographische Wurzeln nach Afrika und Südamerika reichen.
In diesen Gemeinden scheint die „alte“ katholische Welt noch unhinterfragt „in Ordnung“ zu sein. Der Synodale Weg spielt ebenso wenig eine Rolle wie das weite Verständnis der Segnung von Paaren, die sich lieben. Die Sonntagsgottesdienste sind gut besucht und kulturelle Angebote werden zahlreich wahrgenommen. Aber ist dem wirklich so und welche Entwicklungen sind zu beobachten?
Ein Blick zurück
Migration gehört zu Deutschland. Bezogen auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg setzten spätestens seit den 1950er und 1960er Jahren Arbeitsmigrationsbewegungen ein. Der starke Mangel an Arbeitskräften wurde durch ein Anwerben von zupackenden Händen aus dem Ausland kompensiert. Mehrere Anwerbevereinbarungen führten zu einem Anwachsen der Migrationsbewegung. Zwar war ein Rotationsprinzip in den Verträgen vereinbart, das vorsah, dass Arbeiter nach zwei Jahren in die Heimat zurückkehren, aber die Praxis sah anders aus. Viele Arbeitsmigranten blieben. Denn das Rotationsprinzip bedeutete auch, dass neue Arbeitskräfte immer wieder neu angelernt werden mussten. Und warum sollte man nicht in dem Land bleiben, das man mit aufgebaut hat? Wenn die eigene Perspektive nicht nur zwei Jahre in einem fremden Land bedeutet, sondern sich ein dauerhaftes Bleiben abzeichnet, möchte man nur ungern allein bleiben. So gab es in den 1970er Jahren eine starke Bewegung des Nachzugs von Familien.
Menschen bringen mit ihrer Migration ein ganzes Bündel an innerem Mobiliar mit in die neue Heimat. Neben der eigenen Persönlichkeit, die durch biographische Erlebnisse geprägt ist, sind Sprache, nationale Traditionen/Gewohnheiten und religiöse Lebensweisen mit im Gepäck.
Da sich das Anwerben von Arbeitskräften zunächst, neben der Türkei, auf die Länder Italien, Spanien, Griechenland, Portugal und das ehemalige Jugoslawien bezog, war besonders auch das Katholischsein im Gepäck. Das hatte auch Auswirkungen auf die Mitgliederstruktur in den Pfarreien, in deren Gebiet besonders viele Menschen aus dem Ausland zuzogen. So wundert es beispielsweise nicht, dass aufgrund der stark vertretenen Autoindustrie rund um Stuttgart dort der Anteil an Katholik:innen aus dem südeuropäischen Ausland signifikant hoch ist. Waren doch in der Automobilindustrie besonders viele sogenannte „Gastarbeiter“ tätig.
Aus diesem Zuzug ergab (und ergibt) sich eine pastorale Verantwortung für die Diözesen. Wegweisend für eine migrationssensible Haltung war die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland – die sogenannte Würzburger Synode. Bereits 1976 wurde dabei festgestellt:
„Für die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien, die in der Heimat engen Kontakt zur Kirche hatten, liegen in den neuen Lebensverhältnissen und den andersartigen Formen des kirchlichen Lebens manche Hindernisse, die es ihnen erschweren, auch in der neuen Situation ihren Glauben zu leben. Die Ortskirche muß ihnen daher alle jene Hilfen anbieten, die sie befähigen, den hier an ihren Glauben gestellten Anforderungen gewachsen zu sein.
Für die ausländischen Katholiken, die ihren Glauben in der Heimat nicht mehr praktiziert haben, bedeutet der Aufenthalt in einem fremden Land die Möglichkeit, die Kirche in einem bedeutsamen Augenblick ihres Lebens als eine brüderliche Gemeinschaft der Glaubenden zu erfahren und auf diesem Weg einen neuen Zugang zu ihrer Verkündigung zu gewinnen.
Die kirchlichen Dienste müssen von der besonderen Lage der ausländischen Arbeitnehmer ausgehen, ihre Werte anerkennen und auf diesen aufbauen. Dazu gehören auch die in der Welt der Arbeit aufscheinenden Werte, das Wachsen eines universellen Bewußtseins, das Verantwortungsbewußtsein der meisten ausländischen Arbeitnehmer für ihre Familien und die Hoffnung, auf dem Weg in eine bessere Zukunft – besonders für ihre Kinder – zu sein. Andererseits ist in Betracht zu ziehen, daß es sich meist um Arbeiter der unteren Schichten handelt, die unter dem normalen sozialen und kulturellen Niveau leben, als Ausländer vielfach diskriminiert und oft dem kirchlichen Leben entfremdet sind. Die Seelsorge kann sich ihnen gegenüber nicht mit den überlieferten Formen kirchlicher Dienste allein begnügen, sondern wird neue missionarische Methoden entwickeln müssen, durch welche die Arbeiter in ihrer konkreten menschlichen Situation so angesprochen werden, daß sie auch für religiöse Werte empfänglicher werden.“
(Gemeinsame Synode 1976, 385 f.)
Hat sich seitdem an diesem pastoralen Auftrag etwas geändert? Vielmehr hat sich dieser Auftrag erweitert. Liest man die Ergebnisse der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung von 2023 dagegen, scheinen diese pastoralen Folgerungen auch eine Inspiration für die katholische Kirche in Deutschland allgemein zu sein.
Modelle der Gegenwart
So unterschiedlich die (Erz-)Diözesen sind, so unterschiedlich sind auch die Strukturen der Gemeinden anderer Sprachen und Riten. Die Instruktion Erga migrantes caritas Christi (Die Liebe Christi zu den Migranten) aus dem Jahr 2004 beschreibt mehrere Modelle, von denen sich bisher zwei durchgesetzt haben:
- Die Missio cum cura animarum als die „klassische […] Formel für eine Gemeinde, die im Entstehen begriffen ist, die bei ethnischen/nationalen Gruppen oder Gruppen eines bestimmten Ritus angewandt wird, die sich noch nicht gefestigt haben. Auch in diesen Seelsorgestellen/Missionen muss aber der Akzent immer stärker auf die interethnischen und interkulturellen Beziehungen gelegt werden.“
- „Die ethnisch-sprachliche oder durch den Ritus bestimmte Personalpfarrei ist hingegen dort vorgesehen, wo eine Einwanderergemeinschaft besteht, in der, auch zukünftig, ein Austausch stattfindet und wo die Immigrantengruppe einen bedeutenden zahlenmäßigen Bestand behält. Sie bietet die charakteristischen pfarrlichen Dienste (Verkündigung des Wortes, Katechese, Liturgie, Diakonie) und wird sich vor allem auf die kürzlich immigrierten Gläubigen beziehen, auf Saisonarbeiter oder auf solche, die im Turnus kommen, und auf diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen Schwierigkeiten haben, sich in die bestehenden territorialen Strukturen einzufügen“ (Erga migrantes 91).
Für beide Varianten hat sich durchgesetzt, dass sie von Seelsorgern betreut werden, die sowohl kulturell als auch sprachlich in der Gemeinde eine angemessene Seelsorge leisten können.
Den sich formierenden Gemeinden, egal unter welchem Modell, kam und kommt eine besondere Funktion zu: Sie schaffen eine religiöse und kulturelle Heimat in der Fremde. Durch informelle Netzwerke und Gemeindemitglieder, die als Brückenbauer:innen in die neue Heimat agieren, sind sie wichtige Anlaufstellen für Migrant:innen.
Es konnte jedoch auch beobachtet werden, dass durch das Anwachsen an Mitgliedern und den Aufbau eigener Strukturen sich solche Gemeinden immer mehr zu „geschlossenen Gesellschaften“ entwickelten. Ein wünschenswerter Austausch mit den Pfarreien, in deren Gebiet sie liegen, kam – wenn überhaupt – nur partiell zustande. Informelle Netzwerke stützten diese Parallelstrukturen. Aber auch herkömmliche Pfarreien gingen nur in geringem Maße auf die „neuen Nachbarn“ zu. So entwickelte sich ein Nebeneinander von Gemeinden anderer Sprachen und Riten und den Ortspfarreien. Das verfestigte auf Dauer den Eindruck der Migrantengemeinden, nur Mieter von Pfarreiräumen zu sein. Daher wundert es auch nicht, dass die Gemeinden anderer Sprachen und Riten in diözesanen Pastoralprozessen eher als Orte kirchlichen Lebens gesehen wurden denn als originärer Teil der Ortspfarrei.
Aktuelle Situation
In Deutschland bestehen rund 450 Gemeinden anderer Sprachen und Riten, zu denen über 3,5 Millionen Mitglieder gehören. Das sind rund 16 Prozent der Katholik:innen in Deutschland. Ihre Mitgliederzahlen sind über die letzten zehn Jahre verhältnismäßig stabil geblieben. Damit gehen sie derzeit gegen den Trend der Kirchenmitgliedschaftsentwicklung. Wenn man nun annimmt, dass sich der Trend der Austritte in den nächsten Jahren fortsetzt, die Mitgliedszahlen der Gemeinden anderer Sprachen und Riten jedoch stabil bleiben, wird ihr Anteil an der Gesamtmitgliederzahl wachsen. Es ist anzunehmen, dass dieser Effekt jedoch nur vorübergehend sein wird, sollte nicht eine erneute Migrationsbewegung aus Ländern mit mehrheitlich römisch-katholischer Bevölkerung einsetzen.
Eine weitere Beobachtung: Durch die Migrationsbewegungen der letzten Jahre (2015/2016 und seit 2022) gewinnen Kirchen orthodoxer Riten an Bedeutung. Bereits 2020 wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf, dass unter der Gruppe der Geflüchteten, die sich als Christ:innen bekennen, 42 Prozent orthodox seien. Lediglich 19,4 Prozent wurden als römisch-katholisch registriert (32,6 Prozent evangelisch; vgl. Siegert 2020, 4). Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Zunahme an Anfragen von orthodoxen Kirchen zur Anmietung bzw. Übernahme von katholischen Kirchen wider. Zukünftig braucht es daher sowohl eine Weitung der pastoralen und liturgischen Bildung als auch eine wachsende ökumenische Sensibilität.
Wachsen die Zahlen der Gemeinden anderer Riten, so haben Gemeinden anderer Sprachen – auch wenn die Mitgliederzahlen derzeit stabil bleiben – mit zunehmenden pastoralen Problemen zu kämpfen, die die katholische Kirche in Deutschland bereits seit Jahren kennt:
So ist auch in vormals starken katholischen Diözesen im Ausland ein Priestermangel zu erkennen; wenn sich im eigenen Land die Priesterseminare leeren, werden diese Diözesen kaum noch bereit sein, Priester ins Ausland zu entsenden. Diese sind jedoch für die priesterliche Seelsorge in den Gemeinden in Deutschland naturgemäß unabdingbar. Zudem lässt sich im eher priesterzentrierten Seelsorgeverständnis der Gemeinden anderer Sprache eine stärkere Leitungsrolle von Lai:innen nur schwer umsetzen. Das könnte zu einem Vakuum in der seelsorglichen Begleitung von Gemeinden anderer Sprache führen.
Das Bild des gut besuchten Sonntagsgottesdienstes täuscht zudem. In der Regel stehen Gemeinden anderer Sprache nur wenige Kirchen zur Verfügung, sodass die Gottesdienstgemeinde ein weites Einzugsgebiet hat. Manche Gemeindemitglieder nehmen mehrere Stunden Fahrzeit auf sich, um den Sonntagsgottesdienst in ihrer Sprache zu feiern. Das sorgt für den Eindruck einer vollen Kirche. Es ist eben nicht der Kirchturm in der Nachbarschaft.
Zudem kommt auch ein Generationenproblem auf die Gemeinden anderer Sprachen zu. Waren für die Großeltern und Eltern die Gemeinden noch wichtiger Teil von Heimat in der Fremde, geht jungen Menschen sowohl der Bezug zur Heimat der Familie als auch zur Kirche verloren. In vielen Gemeinden anderer Sprache sind resignierte Klagen zu hören, dass die jugendliche Generation die Heimatsprache der Eltern kaum noch spreche. Es wird deutlich, dass die Gemeinden anderer Sprache teilweise überaltern. Diese demographische Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen. Eine unsichere priesterliche „Versorgung“ aus der Heimat und eine sich ausdünnende Nachwuchsgeneration werden zum Schrumpfen von ehemals starken Gemeinden führen.
Diese Entwicklung trifft jedoch im Wesentlichen auf die Gemeinden zu, deren Mitglieder aus den ehemals prekären Lebenssituationen der aus dem Ausland angeworbenen Arbeiter der 1950er/1960er stammen und sich über die Jahre ein wirtschaftlich stabiles Leben in Deutschland aufgebaut haben. Die ehemals neue Heimat ist zur tatsächlichen Heimat geworden.
Es ist hingegen anzunehmen, dass die Gemeinden wachsen werden, deren Mitglieder aufgrund des aktuellen Fachkräftemangels wieder stärker eine Heimat in der Fremde brauchen. Durch den Fachkräftemangel im tertiären Sektor kommt es derzeit zu einer spürbaren Migrationsbewegung. Das trifft in besonderem Maße auf die vietnamesischen, philippinischen und indischen Gemeinden zu.
Aus Sicht des Erzbistums Berlin gibt es noch eine weitere Entwicklung: Besonders in der Region an der Grenze zu Polen ist seit mehreren Jahren ein stärkerer Zuzug von Menschen mit polnischer Nationalität zu verzeichnen. So sind rund 45 Prozent der Mitglieder der Pfarrei St. Maria Magdalena, zu der auch Frankfurt/Oder zählt, polnischer Nationalität. Diese fühlen sich jedoch in der Regel nicht der polnischsprachigen Gemeinde zugehörig, sondern leben ihren katholischen Glauben in der Territorialpfarrei – ihrer Wohnortpfarrei. Ihr katholisches Leben spielt sich in der Pfarrei und nicht in der muttersprachlichen Gemeinde ab. Das ist sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance für die Pfarrei, da es sich besonders um junge Familien handelt, die zugezogen sind.
Blick voraus
Die aktuellen Entwicklungen der katholischen Kirche in Deutschland verdeutlichen: Bliebe die bisherige Koexistenz von Gemeinden anderer Sprachen/Riten und Territorialpfarreien bestehen, würde es einen Rückgang des pastoralen Lebens für beide bedeuten. Abgrenzungen wie bisher – sowohl von den Pfarreien als auch den Gemeinden anderer Sprachen/Riten – können also nicht der Weg für die Zukunft sein. Bereits die Instruktion Erga migrantes caritas Christi sah – neben den zwei oben beschriebenen Modellen – voraus, dass sich die pastorale Wirklichkeit in Deutschland ändern wird, und schlägt daher zwei weitere Wege vor:
- „die interkulturelle und interethnische oder interrituelle Pfarrei, wo man sich zugleich um die pastorale Betreuung der Einheimischen und der Fremden, die auf dem gleichen Territorium wohnen, kümmert. Die traditionelle Territorialpfarrei wird so herausgehobener und stabiler Ort interethnischer oder interkultureller Erfahrungen, wobei die einzelnen Gruppen eine gewisse Autonomie bewahren, oder“
- „die Ortspfarrei mit Dienst an den Migranten einer oder mehrerer Ethnien, eines oder mehrerer Riten. Es ist eine Territorialpfarrei, die von der einheimischen Bevölkerung gebildet wird, deren Kirche oder Pfarrzentrum aber zum Bezugspunkt der Begegnung und des gemeinschaftlichen Lebens auch einer oder mehrerer ausländischer Gemeinden werden“ (Erga migrantes 93).
Es ist also nicht das Ziel, dass Gemeinden anderer Sprache und Riten sich auflösen und pastoral ganz in die Territorialpfarrei übergehen. Vielmehr geht es darum, gemeinsam pastorale Aufgaben zu stemmen und miteinander zu wachsen. Das bedeutet, dass Verantwortungen in der Pastoral – zum Beispiel in Pastoralteams – stärker gemeinsam wahrgenommen werden. Es braucht daher Formate des Austausches der Kulturen und religiöser Erfahrungen, um das Zusammenwachsen zu fördern. Es braucht ein lernendes Verständnis füreinander. Dafür sind die entsprechenden Strukturen zu schaffen. Eine Entwicklung, die auch mit entsprechenden Qualifizierungen von Ehren- und Hauptamtlichen einhergehen muss. Dazu zählen Formate zur interkulturellen Sensibilisierung, um die (katholische) Welt mit den Augen des/der Anderen sehen zu können.
Die Prozesse zur Immobilienentwicklung, die deutschlandweit in den Diözesen einsetzen werden, bieten Gemeinden anderer Sprachen und Riten die Chance, vom „Gaststatus“ als „Mieter“ von Räumen zu organischen Teilen der Pfarrei zu werden. Dazu zählt eine ausgewogene Mischung aus Autonomie über eigene Räume und Partizipation an Gemeinschaftsräumen. Pastorale Ideen für Orte sind also gemeinsam zu entwickeln. Gemeinden anderer Sprachen und Riten sind eben nicht nur Orte kirchlichen Lebens, sondern pastorale Gestalter in Pfarreien. Hierbei übernehmen die Verantwortlichen in den (Erz-)Bistümern die Funktion, Förderer des Dialogs zwischen Gemeinden anderer Sprachen/Riten und Pfarreien zu sein und Plattformen der Zusammenarbeit mit den Pfarreien und den (Erz-)Bistümern zu schaffen.
Diese Entwicklung, die zwar Mut zum Sich-Öffnen abverlangt, darf aber auch vor der gemeinsamen Vorbereitung des Empfangs der Sakramente nicht Halt machen. Taufe, Erstkommunion und Firmung sind keine Sakramente einer Nation, sondern führen zur Gemeinschaft in der universellen Kirche. Das bedeutet jedoch keinesfalls, die jeweiligen religiösen Traditionen zu ignorieren. Vielmehr geht es darum, wie sich religiöse Traditionen gegenseitig bereichern können und dadurch sogar ein Mehr an religiösem Verstehen ermöglicht wird. Und da die Liebe bekanntlich keine Grenzen kennt, kann die Zusammenarbeit der Gemeinden anderer Sprachen und Riten mit den Ortspfarreien eine Bereicherung der Ehevorbereitung werden.
Ebenso verhält es sich mit dem Einbringen der eigenen Charismen. Sie sind nicht exklusiv für eine Gemeinde oder für eine Nation bzw. Sprachgruppe. Sie dienen zum Aufbau der Kirche in ihrer Gesamtheit. Die Sorge um Arme, Kranke und Einsame ist eine Aufgabe von allen.
Zwischen den Gemeinden anderer Sprachen und Riten und den Pfarreien sind Berührungspunkte zu fördern, die eine gemeinsame Gestaltung der Pastoral ermöglichen, beispielsweise durch gemeinsame Jugendfahrten, internationale Chöre oder das gemeinsame Feiern von Festen im Kirchenjahr. Die (Erz‑)Diözesen, aber auch Verbände (wie bspw. der BDKJ) können dabei mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie die Sichtbarkeit der Gemeinden anderer Sprachen und Riten fördern. Ebenso sollte die interkulturelle Sensibilisierung stärker Teil des Ausbildungscurriculums des pastoralen Personals werden. Kulturelle Vielfalt muss sich zudem in der personellen Besetzung der pastoralen Dienste selbst widerspiegeln.
Die eingangs beschriebene Herausforderung des Wandels der katholischen Kirche in Deutschland bietet durch die aktive Gestaltungsteilhabe der Gemeinden anderer Sprachen und Riten die Chance für eine zeitgemäße interkulturelle Communio, die Weltkirche konkret werden lässt. Dazu braucht es jedoch Mut, aus der liebgewonnenen pastoralen Nische herauszukommen. Diesen Mut brauchen Pfarreien genauso wie die Gemeinden anderer Sprachen und Riten.