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Was wachsen darf, was schrumpfen muss

Der Bericht des Club of Rome und die Große Transformation legen einen Mix von neuen Technologien und Verhaltensänderungen der Bevölkerung, was Konsum, Verbrauch und damit das Bruttosozialprodukt betrifft, nahe. Das Wirtschaften kommt damit in eine neue Ära: Manches darf wachsen, einiges aber muss tatsächlich schrumpfen, um Nachhaltigkeit zu erzielen.

„Die Grenzen des Wachstums“

Dieser vor über 50 Jahren erschienene Bericht des Club of Rome ist bis heute eine der am meisten zitierten, einflussreichsten und unverändert umstrittensten Publikationen der Geschichte der Umweltpolitik. Er erschien in 35 Sprachen mit einer Gesamtauflage von über 30 Millionen. Zusammen mit „Der stille Frühling“ von Rachel Carson zählt er zu den frühen Klassikern der Umweltbewegung.

Die Analyse modellierte damals mit einem World3 genannten Computermodell die Interaktion von fünf stilisierten Variablen im Zeitraum von 1972 bis 2100: Bevölkerungszahl, Technologie, industrielle Produktion, nichterneuerbare Ressourcen und Umweltverschmutzung. Das Bruttosozialprodukt, das gemeinhin im Begriff des Wirtschaftswachstums gemeint wird, war nicht dabei, sondern allenfalls mittelbar im Begriff der industriellen Produktion enthalten.

Die Autor*innen modellierten mehrere Szenarien, die unter anderem unterschiedliche Ressourcenverfügbarkeit und unterschiedliche Technologieentwicklung annahmen. Die meisten führten zu einem Kollaps im Laufe des 21. Jahrhunderts. Jedoch betonte der Club of Rome, dass der Bericht auch eine positive Botschaft enthielte: Bei vorausschauender Politik könnte dieser Kollaps vermieden werden.

Die Autor*innen veröffentlichten nach 20 und nach 30 Jahren jeweils Updates des Berichts, die die ursprünglichen Ergebnisse im Grundsatz bestätigten. Die Ressourcenverfügbarkeit war jedoch nicht die erste Grenze, an die das Weltsystem stieß. Dagegen erwies sich die Umweltverschmutzung in der Form von ungiftigen, auf den ersten Blick scheinbar harmlosen Stoffen wie CO₂ und nun auch Plastik als das bisher hartnäckigste Problem, das nur schwer in den Griff zu bekommen ist und unsere globalen ökologischen Systeme massiv aus der Balance bringt.

Auch unabhängige Analysen bestätigten im Wesentlichen die ursprünglichen Ergebnisse. Die Yale-Wissenschaftlerin Gaya Herrington verglich 2021 Ergebnisse des World3-Modells mit empirischen Daten und fand dabei eine gute Übereinstimmung, insbesondere mit den Szenarien, die eine erhöhte Ressourcenverfügbarkeit (BAU2) und eine beschleunigte Technologieentwicklung (CT) annahmen. Sie führen jedoch beide zu einem Niedergang des industriellen Outputs ab 2040, allerdings mit stark unterschiedlichen Konsequenzen.

Das Dilemma des Wachstums

Der Bericht war von Anfang an äußerst umstritten; auch offenkundige Falschbehauptungen wie die Aussage, der Bericht habe einen Kollaps für 1990 prognostiziert, fanden weite Verbreitung. Er generierte eine Kontroverse, die bis heute andauert, auch innerhalb der Umweltbewegung. Denn es bleibt am Ende ein Dilemma: Unsere Gesellschaften sind bisher auf Wirtschaftswachstum angewiesen – von der sozialen Sicherung über die Steuern bis zur Stabilität des Finanzsystems.

Und: Selbst die für die Energiewende notwendigen Investitionen in erneuerbare Energien, besser isolierte Häuser, neue Verkehrssysteme und klimaneutrale Industrien generieren erst einmal einen Wachstumsimpuls.

Während die Energiewende im Grundsatz auf große Zustimmung stößt, fehlte für eine Schrumpfung des Bruttosozialprodukts um die Größenordnungen, in denen es im Klimaschutz geht, mit großer Sicherheit bisher jegliche Akzeptanz. Selbst eine stagnierende Wirtschaft produziert – wie wir es aktuell gerade wieder erleben – ein Gefühl der Verunsicherung, der Krise und trägt auch zum Ansteigen rechtspopulistischer Bewegungen bei.

Letztlich muss es darum gehen, präzise auseinanderzuhalten, was wachsen darf und was schrumpfen muss: Naturverbrauch in seinen verschiedenen Dimensionen (Inanspruchnahme von Flächen, von Ressourcen aller Art) muss radikal schrumpfen, der CO2-Ausstoss muss netto (abzüglich der CO2-Festlegung) sogar auf null und ins Negative fallen.

Wachsen und Schrumpfen von Verbrauch im globalen Norden und Süden

Die umweltrelevanten Endgrößen des menschlichen Konsums wie Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf oder Mobilität in Kilometern pro Kopf und Jahr müssen im globalen Süden sicherlich noch etwas steigen; im Norden wäre viel erreicht, wenn sie nicht weiter wachsen würden. Eine Schrumpfung von Endgrößen der Konsumption wie Wohnfläche oder Mobilität pro Kopf für den globalen Norden wird gegenwärtig – auch wenn sicherlich wünschenswert – in der Breite politisch schwer durchsetzbar sein. Sie setzt einen Wertewandel voraus, der zur Zeit von bestimmten Lebensstilpionieren vorgelebt wird, aber noch nicht mehrheitsfähig ist.

Das Wachstum des Bruttosozialprodukts ist in dieser Perspektive nicht die zentrale Zielgröße, sondern allenfalls Resultante und gegebenenfalls Bedingung für die wirtschaftliche Stabilität.

Umweltbelastung schrumpfen, menschliche Nutznießung intelligent verknüpfen – die Große Transformation

Einen wichtigen Beitrag bietet auch der im Jahr 2011 vom Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) in die Debatte gebrachte Begriff der Großen Transformation. Der auf den Sozialhistoriker Karl Polanyi zurückgehende Begriff betont erst einmal das Prozesshafte, Dynamische der anstehenden Veränderung. Meist noch adjektivisch als „sozial-ökologisch“ qualifiziert, macht er deutlich, dass es nicht um eine marginale Justierung einer ansonsten doch wunderbar laufenden Wirtschaft geht, sondern um eine grundlegende Veränderung der wesentlichen Systeme, die unsere Lebensweise bestimmen: Energie, Transport, Wohnen, Ernährung, Industrie.

Dabei greifen technologische Veränderungen mit solchen des Lebensstils oft eng ineinander: Der Wechsel von der autozentrierten Stadt zum attraktiven Mix aus Fahrrad und E‑Bike, einem vernetzten öffentlichen Nahverkehr und verschiedenen Sharing-Diensten – darunter ein Rest aus elektrifizierter, geteilter Automobilität – setzt auf ein ineinandergreifendes System aus technischer Innovation, Infrastrukturen und dadurch ermöglichten Verhaltensänderungen. Die in vielen Talkshows immer wieder geführte Debatte „Lebensstil versus Technologie“ erweist sich in dieser Sichtweise als falsche Dichotomie.

Die Richtung für das Gesamtsystem muss stimmen

Unter dem Blickwinkel der Transformation der für unseren Umweltverbrauch wesentlichen Systeme Energie, Transport, Wohnen und Ernährung werden zu einem einzelnen Zeitpunkt durchgeführte Ökobilanzen für einzelne Technologien fragwürdig. So mag die CO₂‑Bilanz von Elektromobilität bei einem mit Kohlestrom betriebenen Stromsystem gegenüber einem effizienten Diesel nicht besonders überzeugend ausfallen. Versteht man die Umstellung jedoch als Teil einer großen Transformation von Energie- und Transportsystemen, ergibt sie schon eher Sinn.

Eine solche Transformation braucht viele Jahre, auch wenn sie aufgrund der Versäumnisse der vergangenen 50 Jahre jetzt rasend schnell gehen muss. Dabei gibt es kein Allheilmittel. Auch die CO₂‑Bepreisung, von vielen Ökonomen hochgelobt, wird allenfalls eine unterstützende Rolle haben.

In jedem der Sektoren müssen Transformationspfade erforscht werden, die technische Praxen, Infrastrukturen und Technologien mit Verhaltensänderungen verschränken, müssen gesellschaftliche Koalitionen für den Wandel geschmiedet und politisch wirksam gemacht werden, um die Quadratur des Kreises von Ambition und Pragmatismus zu schaffen. Die sich häufenden Krisenmomente müssen für Quantensprünge in die richtige Richtung genutzt werden, anstatt in alte Muster zurückzufallen.

Technologische Entwicklungen sind unverzichtbar, doch ihre Umsetzung kann nicht mehr allein dem Gewinnmotiv überlassen bleiben. Ihre Chancen müssen genutzt werden, um den ökologischen Fußabdruck zu verringern, nicht, um uns Träume zu erfüllen. Ob Flugtaxis oder Weltraumtourismus, Überschallflug und Bitcoin-Manie: Nicht alles, was technisch möglich ist und individuelle Wünsche oder gar Profitgier erfüllt, ist auch dem Allgemeinwohl dienlich. Denn dann treibt das Wachstum der Wünsche, nicht selten sogar Habgier, die Welt in den Abgrund. Eine kluge gesellschaftlich verhandelte Selbstbeschränkung tut an diesen Stellen Not: „Unsere Welt hat genug für die Bedürfnisse von allen, aber nicht für die Habgier von allen“ (M. Gandhi).

Die Große Transformation wird bei alledem nicht linear verlaufen. Die Geschichte wird sich wohl unvermeidlich im Zickzack vorwärtsbewegen. Dabei geht es bei allen Rückschlägen und in wachsenden ökologischen Krisen immer darum, das Ziel im Blick zu behalten: die schnellstmögliche gesellschaftlich durchhaltbare Transformation unserer Lebens- und Wirtschaftsweise in Richtung 100 Prozent erneuerbarer Energien, einer naturverträglichen Landnutzung und einer umfassenden Kreislaufwirtschaft.

Es ist später als fünf vor Zwölf

Wir werden beim jetzigen Stand der Dinge nicht mehr ungeschoren davonkommen. Die „Einschläge“ kommen näher: Brennende Wälder, tauender Permafrost, Hitzewellen und schmelzende Polkappen sind nur einige Warnsignale. Zu massiv sind zahlreiche globale Ökosysteme beschädigt, vom Klima über die Meere und die Wälder bis zu den Böden. Doch mit einer großen Anstrengung können vielleicht die kommenden Krisen als Transformationsmomente genutzt werden, die den von den Modellen des Club of Rome prognostizierten Kollaps in den 30er bis 50er Jahren dieses Jahrhunderts noch verhindern und wenigstens eine „sanfte Landung“ (Adam Tooze & Jonathan Barth) ermöglichen können.

Die Solidarität mit den Verwundbarsten unserer Weltgesellschaft ist dafür Voraussetzung. Der beste Moment zur Einleitung der Großen Transformation wäre vor 50 Jahren gewesen. Der zweitbeste ist heute – und sie ist in Teilen schon unterwegs.