Inhalt

Beziehungsstatus kompliziert …?

Entscheidungskriterien in Veränderungsprozessen

Bei Veränderungsprozessen in Bistümern und anderen kirchlichen Strukturen – gerade, wenn es um Einsparungen geht – stellt sich regelmäßig die Frage nach entscheidungsleitenden Kriterien. Max Niehoff und Claudia Kolf-van Melis diskutieren aus ihrer beraterischen Expertise heraus, welche Arten von Kriterien dafür in Frage kommen und wie man mit diesen sinnvoll umgeht.

Zur Bedeutung von Entscheidungskriterien – eine Hinführung

Manchmal wird über Paare gesagt: „Sie können nicht miteinander und nicht ohne einander.“ Diese Redewendung kann auch auf Kirche in Veränderungsprozessen und ihr Verhältnis zu handlungsleitenden Kriterien angewendet werden. Viele Bistümer, Landeskirchen und weitere kirchliche Verbände und Körperschaften befinden sich in tiefgreifenden Transformationen – ausgelöst durch den Rückgang von Finanzen, Personal und (aktiven) Mitgliedern. Den verschiedenen Prozessen ist gemeinsam, dass sie einer inhaltlichen Richtschnur folgen sollen, die die Veränderungen leitet. Deshalb gehen viele Veränderungsinitiativen mit der Formulierung einer inhaltlichen Orientierung einher. Hier begegnen Bezeichnungen wie „Kriterien“ (Bistum Trier), „Pastoraler Orientierungsrahmen“ und „Pastorale Kriterien für diözesane Budgetentscheidungen“ (Erzbistum Hamburg), „Grundhaltungen und Kriterien“ und „Zukunftsbild(er)“ (Bistum Magdeburg), „Leitsätze“ (EKD), „Dimensionen der Transformation“ (Evangelische Kirche in Baden) und viele mehr. Diese Dokumente sollen den beteiligten haupt- und ehrenamtlichen Akteuren Hilfestellung bei der Entscheidung bieten und zur Veränderung motivieren. Doch das ist oft schwieriger als gedacht.

Einerseits ist klar: Im Raum der Kirchen – als überwiegend beitrags- bzw. steuerfinanzierte Körperschaften – kann nicht rein zahlenbasiert entschieden werden. Für die Kirche als Gemeinschaft der an Christus Glaubenden sind Finanzen ein Mittel zum Zweck, um „das Eigentliche“ der christlichen Sendung zu verwirklichen, vor allem die Verkündigung des Evangeliums, Spiritualität und Gottesdienste sowie die Sorge um bedürftige Mitmenschen. Die wenigsten kirchlichen Haushaltsposten weisen allerdings ein Plus aus, kirchliches Handeln kostet in allen Bereichen Geld. Etwas erwirtschaftet wird höchstens indirekt, beispielsweise durch Mitgliederbindung, Refinanzierungen etc. Ein Sparen nach der „Rasenmäher-Methode“, d. h. gleich hohe Kürzungen für alle Bereiche, ist meist nicht gewollt und oft auch gar nicht möglich. Andererseits ist es enorm schwierig, für Einsparentscheidungen Kriterien „mit Biss“ und plausibler Durchsetzungskraft zu finden. Das müssten mehrere definierte Merkmale sein, die für die Überlegungen, was denn reduziert werden kann, Entscheidungskraft entfalten, indem sie etwas plausibel ausschließen können. Gleichzeitig aber haben die wenigsten Prozesse die Zielsetzung, die Vielfalt kirchlichen Lebens zu reduzieren. Eher soll eine neue Gewichtung des Gegebenen erreicht werden oder es sollen nur Teilbereiche aufgegeben werden. Inhaltliche Kriterien als eine Art Kompass in Entscheidungssituationen haben also einen wichtigen Sinn und Zweck, auch wenn sie die Schmerzhaftigkeit von Kürzungsentscheidungen nicht nehmen können. Wenn es also nicht ohne einander geht, wie kann das Miteinander von Kirche und Kriterien aussehen?

Über diese Situation und mögliche Perspektiven will dieser Text nachdenken. Er ist eine Zusammenführung von theologischen Reflexionen und Erfahrungen aus ehrenamtlichem Engagement sowie beruflicher Praxis in der Beratung kirchlicher Organisationen und Einrichtungen. Aus Gründen der Verständlichkeit ist im Folgenden meist von Kriterien die Rede, gemeint ist aber die gesamte Bandbreite inhaltlicher Orientierungen. Als Beispiel wird zwar die katholische Kirche verwendet, die Grundgedanken gelten aber für alle kirchlichen Körperschaften, gleich welcher Konfession und Ebene. Wahrscheinlich lassen sich die Perspektiven auch auf andere komplexe Non-Profit-Organisationen anwenden, die von ihren Mitgliedern finanziert werden und von ehrenamtlichem Engagement leben.

Kirche ist mehr als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts

Vorab kann es hilfreich sein, die Frage zu stellen, welche Bedeutung die sich verändernde Organisation(sebene) hat, beispielsweise ein Bistum, das seinen Haushalt neu aufstellen muss. Es ist eine alte Diskussion, ob die (Orts‑)​Kirche mit der jeweiligen Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) gleichzusetzen ist. Wir möchten keine Debatte um die Kirchensteuerpflicht o. Ä. fortführen. Man kann die KdöR nicht von der Kirche trennen. Aber trotzdem: Die Kirche als „Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott sowie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (II. Vatikanum, Lumen gentium 1) erschöpft sich nicht in der einzelnen, als KdöR verfassten Organisation. Kirche ist viel mehr als die KdöR. Die KdöR eines einzelnen Bistums ist immer nur ein Ausschnitt „der einzigen komplexen Wirklichkeit“ (vgl. LG 8). Die Körperschaft allein kann niemals den ganzen kirchlichen Auftrag erfüllen. Wenn etwa über Sparentscheidungen diskutiert wird und der Haushalt eines Bistums neu aufgestellt werden soll, kann es für die Verantwortlichen hilfreich sein, sich daran zu erinnern: Kirche ist immer mehr als das, was sich in einem solchen Haushalt widerspiegelt.

Das kann auch entlasten: Nur weil ein Bistum entscheidet, bspw. der Seniorenpastoral keine hauptamtliche Stelle mehr zur Verfügung stellen, heißt das nicht, dass Senior*innen nicht mehr Teil der Kirche sind oder dass sich kein*e Ehrenamtliche*r vor Ort mehr um Senior*innen kümmern wird. Dieses spezifische Engagement wird nur nicht mehr hauptamtlich oder finanziell unterstützt. Sicher mag eine solche zentrale Entscheidung auch eine Signalwirkung haben und könnte sich negativ auf die Motivation von Ehrenamtlichen vor Ort auswirken. Studien zeigen jedoch, dass die Bistumsebene von vielen Menschen, auch von Kirchenmitgliedern, eher weniger wahrgenommen wird. Es stellt sich deshalb die Frage, wie sich solche Änderungen auf Bistumsebene tatsächlich auf das Engagement in den Pfarreien und Einrichtungen vor Ort auswirken. So zeigt die neueste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, dass nur 12 % der Protestant*innen und 8 % der Katholik*innen sich am stärksten mit der jeweiligen Landeskirche bzw. dem jeweiligen Bistum verbunden fühlen. Die Verbundenheit mit der örtlichen Kirchengemeinde (und ihren Akteuren) ist mit 64 % bzw. 55 % deutlich höher (vgl. Evangelische Kirche in Deutschland 2023, 46 f.).

Auch das Neue Testament legt sich nicht fest

Den in kirchlichen Veränderungsprozessen Beteiligten und Verantwortlichen fällt es oftmals schwer, einzelne pastorale Schwerpunkte herauszubilden oder wenige, sehr klar ausschließende Kriterien für die anstehenden Entscheidungen anzuwenden. Das ist verständlich und nachvollziehbar, denn Glaube und kirchliche Sendung lassen sich kaum in ein einziges prägnantes Papier fassen. Selbst dem Neuen Testament genügt nicht ein Text, um das, was in und durch Jesus Christus geschehen ist und neu in die Welt kommt, zu fassen. Die Evangelien und Briefe des Neuen Testaments enthalten eine Fülle von ekklesiologischen Bildern. Sie kommen nicht mit einem einzigen Kirchenbild aus, sondern haben verschiedene, jeweils situationsbezogene Vorstellungen davon, wie sich die erneuerte Gemeinde Gottes darstellen kann. Ist es, davon ausgehend, nicht auch eine Überforderung, eine einzelne Vision, einen begrenzten Katalog von Kriterien für ein Bistum definieren zu wollen? Und decken sich diese Kriterien dann auch mit der Wirklichkeit und sind sie tatsächlich hilfreich für die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen der Kirchen?

Ein häufiges Beispiel für ein inhaltliches Kriterium ist die Verwirklichung der Option für die Armen. Viele werden dies für ein sinnvolles Kennzeichen halten, das bei kirchlichen Veränderungsprozessen eine Rolle spielen sollte. Aber was heißt das konkret für eine Schwerpunktsetzung? Was schließt die Option für die Armen aus? Zieht sich karitatives Engagement nicht durch viele Bereiche kirchlichen Lebens? Das Kriterium ist somit wohl kaum geeignet, Dilemma-Entscheidungen aufzulösen.

Ein zweites Beispiel: Es gibt viel Sympathie für Überlegungen einer Pastoral der Gelegenheiten, für eine Geh-hin-Pastoral. Die Förderung der Geh-hin-Pastoral scheint sich als Kriterium gut zu eigenen. Oft hören wir Sätze wie: „Wir dürfen den Gebäuden nicht die Priorität geben!“ oder: „Wir müssen neue liturgische Formate an anderen Orten ausprobieren.“ Ja, Kirche darf sich nicht auf sich selbst zurückziehen. Und ja, Kirche findet auch an der Bushaltestelle oder in der Kneipe statt. Viele Menschen in kirchlichen Gremien werden dem zustimmen. Und trotzdem meinen wir: Es wird kein Bistum auf die Idee kommen, ein Benediktinerinnenkloster, das Nachwuchs hat, zu schließen bzw. die Zuschüsse für ein solches oder die verknüpften Bildungshäuser nennenswert zu kürzen. Ein kontemplatives Kloster ist aber genau das Gegenteil von Geh-hin-Pastoral. Es ist eine Komm-her-Pastoral, die noch dazu auf einem gewissen Rückzug beruht, sehr gebäudeintensiv ist und oftmals die klassische Liturgie im Fokus hat. Vermutlich besteht kein Gegensatz zwischen diesen beiden Ansätzen, sondern sie ergänzen sie sich eher (vgl. Bauer 2016). Aber dieses Beispiel macht deutlich, dass die Suche nach ausschließenden Merkmalen der kirchlichen Vielfalt schwer gerecht wird.

Dialogisch-induktiv statt deduktiv

Was sind mögliche Perspektiven, die der Pluralität der kirchlichen Wirklichkeit gerecht werden und gleichzeitig beim Sparen helfen? Das letzte, etwas überspitzt gezeichnete Beispiel, deutet eine mögliche Richtung an: Wenn es nicht ohne Kriterien geht, sollten diese vielleicht nicht deduktiv, d. h. nicht aus der Theorie entwickelt oder abgeleitet werden, sondern induktiv, also aus dem, was konkret da und lebendig ist – an Menschen, Prioritäten, Erfahrungen etc. Es hilft, erst einmal ins Gespräch zu kommen und zu schauen, was den Beteiligten und Verantwortlichen im Blick auf ihre (Erz‑)​Diözese wichtig ist: „Was sind unsere Prioritäten? Was können wir nicht aufgeben? Was ist identitätsstiftend für uns?“ Im zweiten Schritt können tiefergehende Fragen im Mittelpunkt stehen: „Warum sind das unsere Prioritäten? Warum wollen wir diese Einrichtung weiter unterstützen? Warum ist dieses oder jenes auch weiterhin von Bedeutung? Warum können wir das nicht aufgeben?“ Über dieses „Warum-Fragen“ und das systemische Reflektieren wird es möglich, den eigentlichen, tiefer liegenden Gründen und Motiven auf die Spur zu kommen. Dieses Vorgehen wird möglicherweise den Vorwurf einbringen, dass den so entwickelten Kriterien und Schwerpunkten das kritische Potential fehlt. Oder es kommt die Sorge auf, dass am Ende alles wichtig ist. Aber ist das nicht oft auch bei deduktiv entwickelten Kriterien der Fall? Trotz allem Bemühen um die ignatianische Indifferenz läuft auch eine deduktive Entwicklung von Kriterien nie im luftleeren Raum ab. Auch deduktiv entwickelte Kriterien müssen bei ihrer Anwendung interpretiert und differenziert ausgelegt werden.

Es ergibt unserer Erfahrung nach Sinn, die so entwickelten Kriterien dann als verbindliche Übereinkunft schriftlich festzuhalten. Gleichzeitig muss klar sein: Selbst die am besten durchdachten und am schärfsten formulierten Kriterien können sich niemals von selbst anwenden. Es braucht immer die Anwendung durch Menschen und den Mut zur Entscheidung. Das deutet an, dass Kriterien nicht als statische Liste „zum Abhaken“ verstanden werden können, sondern als ein kontinuierlicher relevanter Bezugspunkt in Diskussionen. Die Notwendigkeit der Anwendung durch Führungskräfte oder Gremien ist kein Nachteil, darf doch die Kirche als Communio den – vielleicht auch pragmatischen – Diskussionen von getauften und gefirmten Christen gleich viel zutrauen wie geschriebenen Papieren. So verstanden machen Kriterien eher Gründe und Abwägungen transparent, ersetzen diese aber nicht. Schon gar nicht können sie die Verantwortung für Entscheidungen von beauftragten Personen, Gruppen und Gremien abnehmen. Manche Bistümer haben an dieser Stelle auf Methoden wie die Geistliche Unterscheidung zurückgegriffen (vgl. de Nocker/​Loke/​Suermann 2020).

Formale Wegweiser statt inhaltlicher Kriterien

Eine zweite Perspektive könnte sein, stärker auf formale Kriterien und Anreize zu setzen als auf inhaltliche Kriterien. Die Kriterien sind dann weniger klare Merkmale, sondern eher Wegweiser. Sie bevormunden nicht, sondern können das Mindset der handelnden Akteure weiten und zugleich ihren Blick schärfen. Dies ergibt vor allem in komplexen Organisationen Sinn, die aus mehreren Ebenen oder miteinander verbundenen Organisationseinheiten bestehen. Wollen sich die zentralen Verwaltungen der Bistümer mehr als subsidiäre Unterstützer und Dienstleister verstehen, braucht es vielleicht keine zentralen inhaltlichen Kriterien auf Ebene eines Bistums, die dann für alle angegliederten Pfarreien und Einrichtungen gelten. Wir denken zum Beispiel an das Bistum Münster. Es erstreckt sich von Duisburg-Rheinhausen im Ruhrgebiet bis hin zur Nordseeinsel Wangerooge. Da ist es kaum vorstellbar, dass der eine pastorale Schwerpunkt oder das eine inhaltliche Kriterium auf Wangerooge in gleicher Weise sinnvoll ist wie in Duisburg. Und dazwischen liegt im Übrigen noch mit Osnabrück der Bischofssitz eines anderen Bistums mit unter Umständen ganz anderen Schwerpunkten.

Ein formaler Wegweiser könnte unter dem Stichwort der Stärkenorientierung die Ermutigung sein, die je eigenen Stärken weiterzuentwickeln und funktionierende Projekte fortzusetzen. Und diese können ganz verschieden sein: an dem einen Ort vielleicht stärker diakonisch, an einem anderen stärker liturgisch usw. Das kann über Fragen geschehen: Wo engagieren sich künftig (noch) Ehrenamtliche? Wofür finden wir in Zukunft noch Personal?

Ein weiteres formales Kriterium kann die Frage der Alleinstellung sein: Wo bieten wir als Kirche, als Pfarrei, als Verband etwas an, das sonst niemand bietet? Wo sind wir unersetzbar bzw. wo werden wir gebraucht? Dieses Beispiel zeigt, dass formale Kriterien auch theologisch gehaltvoll sein können. Denn Alleinstellung braucht dabei nicht nur ökonomisch im Sinne eines unique selling point verstanden werden. Versteht man das Kriterium eher als Unersetzbarkeit, ist man schnell beim theologischen Begriff der Proexistenz.

Darüber hinaus ist die Förderung von Nachhaltigkeit im Kontext formaler Kriterien zu nennen. Es bekommt eine zunehmende Bedeutung und ist unter dem Stichwort der Bewahrung der Schöpfung in vielen Bistümern verbreitet – auch unabhängig von Einsparprozessen. So wollen viele Bistümer klimaneutral werden. Aber außer der Forderung nach ökonomischer, sozialer und ökologischer Sinnhaftigkeit beinhaltet Nachhaltigkeit als solche keine weitere pastorale Festlegung. Als konkretes Entscheidungskriterium könnte es nahelegen, diejenigen Alternativen zu wählen, die nachhaltiger sind – etwa, weil sie Ressourcen schonen oder weniger soziale Folgen nach sich ziehen.

Etwas schwieriger umzugehen ist mit dem ambivalenten Kriterium der Innovation. Traditionsreiche Klöster gelten eher nicht als innovativ, dennoch entfalten sie eine Anziehungskraft und sollen weiter gefördert werden. So hat beispielsweise das Bistum Trier bewusst die Kriterien „innovativ“ und „traditionsreich“ nebeneinandergestellt (vgl. Bischöfliches Generalvikariat Trier 2021).

Ein weiterer Wegweiser kann Flexibilität bzw. Modularität sein. Das betrifft insbesondere Immobilien, aber nicht ausschließlich: Welche Angebote (oder die damit verbundenen Gebäude und Mitarbeitenden) können sich in Zukunft leichter verändern und neuen Gegebenheiten anpassen?

Parallel zu Kriterien kann ergänzend mit Anreizen gearbeitet werden, beispielsweise mit einem Fonds, der Pfarreien unterstützt, pastorale Immobilien zu Renditeobjekten umzuwandeln. Das macht dann vielleicht sogar Lust auf Veränderung, weil dann keine Abbruch-, sondern eine Veränderungsgeschichte geschrieben wird, die noch dazu anderen Projekten und Tätigkeitsbereichen zugutekommt.

Fokus statt frommer Begleitmusik

Kirchliche Veränderungsprozesse, die aufgrund einer Einsparnotwendigkeit initiiert werden, stehen sie in der Regel unter zeitlichem Druck. Gerade deshalb benötigt sowohl die Entwicklung als auch die Einigung der beteiligten und verantwortlichen Akteure auf entscheidungsrelevante inhaltliche Kriterien oder formale Wegweiser einen Fokus. Wir erleben, dass zeitlicher Druck die Möglichkeit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit inhaltlichen und strategischen Fragestellungen einengt. Da die Frage nach den maßgeblichen Kriterien den Prozess aber von Anfang an prägt, ist es auch hinsichtlich des Zeitmanagements sinnvoll, die Kriterienfrage zu Beginn eines Prozesses mit allen Beteiligten zu klären und eine Übereinkunft zu erzielen, welche inhaltlichen Kriterien – neben z. B. rechtlichen, finanziellen oder pastoralen Maßgaben – die Entscheidungen leiten sollen. Diese können gegebenenfalls im laufenden Prozess noch einmal angepasst werden, wo sie nicht als passgenau empfunden werden.

Hilfreich ist es, wenn (erste) strategische Orientierungen oder Visionen für die zukünftige Entwicklung bereits vorliegen. Aber auch in diesem Fall ist eine dialogisch ausgehandelte Identifizierung der Beteiligten mit diesen Vorgaben und eine Weiterentwicklung notwendig. Denn die zuständigen Projektgruppen oder Gremien sind oft heterogen besetzt: Es werden nicht nur ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter*innen beteiligt; neben Aspekten wie Region, Alter und Geschlecht sind insbesondere finanzielle und pastoral-theologische Zuständigkeiten und Expertisen ausschlaggebend für eine Einbeziehung von Personen. Die Unterschiedlichkeit der Expertisen zeigt sich im Prozess spätestens dann, wenn Einsparmöglichkeiten bewertet werden müssen: Was aus finanzieller Sicht notwendig erscheint, kann aus seelsorglicher Sicht unvorstellbar sein. Um dieses Denken in Gegensätzen zu verhindern, kann es hilfreich sein, sich auf gemeinsame und verbindliche inhaltliche Kriterien oder formale Wegweiser zu einigen und diese für die anstehenden Entscheidungen zu nutzen.

Dialogisch-induktiv arbeiten, formale Wegweiser bieten und gerade am Prozessbeginn ein fokussiertes Arbeiten an der Frage der Kriterien: Dies wird nicht alle Beziehungsprobleme zwischen kirchlichen Strukturen und Kriterien in Veränderungsprozessen lösen. Dafür sind die Herausforderungen und Prozesse zu groß und zu komplex. Es kann aber ein Schritt hin zu einem produktiven und kreativen Miteinander sein – nicht zuletzt auch der Menschen, die in solchen Prozessen mitwirken.