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Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt

Das Christentum vor der religiösen Indifferenz

Ursprünglich war dieses Buch geplant als populäre Fassung der Habilitationsschrift (Der nicht notwendige Gott. Die Erlösungsdimension als Krise und Kairos des Christentums inmitten seines säkularen Relevanzverlustes, Würzburg 2020) des Verfassers, der Praktische Theologie an der Tilburg School of Catholic Theology in Utrecht lehrt und Priester des Bistums Münster ist. Die stark säkularisierte Situation der Niederlande, aber auch die Befunde der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU 6) haben das Projekt weiter angeschärft.

Loffeld geht von der These aus, dass „vielfältige und in sich sehr komplexe Indifferenz- bzw. Säkularitätsphänomene eine der größten Herausforderungen für das Christentum des 21. Jahrhunderts“ (18) darstellen. Angesichts der religiösen Unmusikalität eines immer größer werdenden Teils der Bevölkerung nehmen viele kirchliche und christlich gebundene Menschen eine kulturelle Tiefenströmung wahr, „die wir noch nicht ganz verstehen und der wir uns vielleicht deshalb so häufig ohnmächtig gegenübersehen: die Säkularisierung als Trend einer lebensweltlichen Gleichgültigkeit gegenüber transzendenzbasierten Deutungsbezügen“ (11).

Der erste Teil betrachtet die die bisherigen innerkirchlichen Debatten prägenden Prozesse. Virulent war und ist v. a. das Optimierungsparadigma, das in seiner organisationalen Variante sowohl Problem wie Lösung in der institutionell verfassten Kirche sieht und deren Optimierung z. B. durch Strategien der Organisationsentwicklung anstrebt; in der identitären bzw. traditionellen Variante wird die Lösung in der Bekehrung und (Neu-)Evangelisierung auf der Individualebene gesucht. Voraussetzung dieses Paradigmas ist die Annahme, dass der Mensch von Natur aus religiös sei und daher ein angeborenes Grundbedürfnis nach Religion, Glaube oder Spiritualität habe. Empirische Daten, nicht zuletzt die der aktuellen KMU 6, setzen jedoch ein deutliches Fragezeichen hinter diese Annahme und weisen auf die enorm angewachsene religiöse Indifferenz, aber auch Religionsfeindlichkeit hin. Optimierungs- und Reformstrategien werden dadurch zwar nicht obsolet: Sie bleiben nach wie vor notwendig, sind aber eben nicht hinreichend für die Relevanz des Evangeliums auf individueller Ebene. Zu ergänzen wären sie durch das Paradigma der Transformation, das die Prozesse der Säkularisierung ernst nimmt – nicht im Sinne einer linearen Subtraktionsgeschichte, die Religion in der Moderne irgendwann verschwinden lässt, sondern im Sinne der Nichtselbstverständlichkeit, der Vergleichgültigung von Religion, die den Glauben zur Option werden lässt, und eben für die meisten Menschen nicht zur naheliegendsten. Dies verschiebt die Koordinaten von Theologie und Seelsorge grundlegend, denn pastorale Qualität ist kein Garant für ihren Erfolg bzw. ihre Effektivität, so die schmerzhafte Einsicht.

Im zweiten Teil werden einige der bisherigen pastoralen Instrumentarien und ihre zunehmende Erfolglosigkeit angesichts der „religiösen Großwetterlage“ analysiert. Der Kern des Christentums mit seiner Botschaft von der Erlösung trifft immer weniger auf ein Bedürfnis der Menschen. Auch das korrespondenztheoretische Modell von Sender und Empfänger mit der Option der Pluralisierung „pastoraler Sendefrequenzen“ stößt immer stärker auf pragmatisches Desinteresse. Die Arbeit an der Sozialgestalt der Kirche, sei es im Rahmen des Communio-Dispositivs, sei es im Sinne einer demokratischeren, partizipativen Kirchengestalt, kann den säkularen Gesamttrend nicht aufhalten.

Der dritte Teil nimmt theologische Tiefenbohrungen vor und fragt genauer nach den Gründen für den Relevanzverlust von Religion und Kirche. In der säkularen Moderne ist vom nicht notwendigen Gott zu sprechen, der um seiner selbst willen gesucht werden will. Es ist zuzugestehen, dass auch außerhalb des Glaubens wirkliches und glückliches Leben möglich ist. Die leitende Perspektive der Leistungs- bzw. Positivgesellschaft benötigt keine Religion mehr, sondern traut dem Menschen alles aus sich selbst heraus zu. In der Pastoral kann somit nicht mehr mit einer Mangelunterstellung gearbeitet werden. Daraus ergibt sich auch ein neues Verständnis des christlichen Universalismus: Christwerden und Glauben sind dann „kein Zweck an sich, sondern funktional der Präsenz des Evangeliums als lebendiger Option untergeordnet“ (107).

Der vierte Teil entwickelt einige Perspektiven, welche Konsequenzen sich aus dem Analysierten für ein Christentum in der Transformation ergeben. Grundsätzlich ginge es um die Wiederentdeckung des rettenden Außen, der Alteritätsstruktur des Glaubens und Lebens, das die Grenzen der Selbständigkeit und die Verdanktheit des eigenen Lebens anerkennt. Es ginge auch darum, das Aufhören zu lernen, nicht nur Prioritäten, sondern auch Posterioritäten setzen, nicht nur innovieren, sondern auch exnovieren zu können und Leere, Nicht-Gebrauchtwerden, Ohnmacht und Übergang auszuhalten. Es gilt, ehrlich wahrzunehmen, dass das Christentum in Mitteleuropa auf dem Weg in eine Minderheitenposition ist bzw. in einigen Regionen dort bereits angekommen ist. Zu fragen ist daher, welche Minderheit wir werden wollen – eine inklusive, die sich als Teil der Gesellschaft versteht und deren Ziele teilt, oder eine exklusive, die sich als heiliger Rest, als Gegenpol zur als dekadent verstandenen Welt sieht?

Dieses Buch ist gut lesbar, die verschiedenen Teile sind jeweils für sich verständlich und setzen nicht die Kenntnis des Gesamtzusammenhangs voraus. Es sei daher allen in der Pastoral Engagierten wärmstens empfohlen, denn es stellt schlicht die richtigen und notwendigen Fragen angesichts der sich radikal verändernden Situation des Christentums im mitteleuropäischen Kontext. Es nimmt die Transformationsprozesse, denen Kirche und Christentum unterliegen, ehrlich und ungeschönt zur Kenntnis und bietet Perspektiven an, mit dieser Situation umzugehen und sie, wo möglich, zu gestalten. Es ist getragen vom Vertrauen darauf, dass das Evangelium ein Mehrwert bleibt – allerdings für immer weniger Menschen. Wir dürfen daher „sicher nicht damit aufhören, das Evangelium präsent zu halten, es zu verkündigen, ihm Hände und Füße zu geben und zugleich immer damit zu rechnen, dass es sich seine Wege auch selber sucht“ (173).

Tobias Kläden