Inhalt

Gemeindereferent:in

Studie zu einem oft unterschätzten Beruf

Veränderungen in der Kirche bedeuten auch Veränderungen in den kirchlichen Berufen. Während aber – und das beileibe nicht nur durch den Synodalen Weg – zum Priesteramt eifrig geforscht und diskutiert wird, wird der Beruf des Gemeindereferenten bzw. der Gemeindereferentin nur selten „durchleuchtet“. Umso wertvoller ist die hier vorzustellende „Gemeindereferent:innen-Studie 2021/​2022“, kurz auch „GR-Studie“ (deren Autor:innen offenkundig auf einen offiziellen, festen Titel keinen besonderen Wert legen).

Auf Initiative der Arbeitsgemeinschaft der Rektoren und Präsidenten katholischer Fachhochschulen (ARKF) arbeiteten hier sechs katholische Hochschulen zusammen. Die Studie schöpft aus den Ergebnissen quantitativer und qualitativer Befragungen, die mit aktiven und ehemaligen Gemeindereferent:innen, aber auch mit einschlägig Studierenden durchgeführt wurden:

  • Eine deutschlandweite Online-Befragung im Oktober/​November 2021 erreichte mit 1232 Teilnehmenden einen Rücklauf von rund einem Viertel der in Deutschland tätigen Gemeindereferent:innen und entsprechend Studierenden, die alle angeschrieben wurden. Die Stichprobe (92 % Berufstätige, 8 % Studierende) ist nicht repräsentativ, da nicht randomisiert, aber dank des guten Rücklaufs durchaus aussagekräftig. Der Fragebogen arbeitete mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten, ergänzt durch einige Freitextfelder.
  • Dazu kamen 30 leitfadengestützte Interviews mit zwölf Gemeindereferent:innen, zwölf aus dem Beruf Ausgestiegenen und sechs Studierenden.

Was gefragt wurde

Die quantitative Befragung umfasst Items zu einer Vielzahl an Aspekten wie:

  • allgemeinere statistische Daten wie Geschlecht (23,6 % männlich, 76,2 % weiblich, 0,2 % divers), Alter (dominierend die 50- bis 59-Jährigen: 38,8 %), Familiensituation, Berufserfahrung, Diözese oder Ausbildungsstätte
  • weitere Studien- und Berufsabschlüsse
  • Fort- und Weiterbildungen
  • Studien- und Berufsmotivation
  • Studien-, Arbeits- und Lebenszufriedenheit, Berufsbindung
  • Anregungen zur Steigerung der Arbeitszufriedenheit und Reduktion der Arbeitsbelastung
  • Kirchen- und Pastoralverständnis
  • Transformationskompetenz
  • religiöses Vertrauen und Spiritualität
  • Tätigkeiten im Rahmen des Berufs (Sakramentenvorbereitung, Gremienarbeit …)

Die Ergebnisse aus dieser Befragung werden durch die 30 Interviews des qualitativen Teils vertieft:

„Ziel dieses Studienteils ist es, individuelle Kontexte der beruflichen Tätigkeiten von Gemeindereferent:innen und aus dieser Berufsgruppe Ausgestiegenen zu explorieren, deren subjektive Wahrnehmungen der beruflichen Rolle und der konkreten Berufstätigkeit herauszuarbeiten und, im Falle von Ambivalenzen und Konflikten, die Aspekte, die (nicht) zum Ausstieg aus dem Beruf führten, zu erkunden. Ebenso wurden die Erwartungen und Erfahrungen der Studierenden als potenziell zukünftige Gemeindereferent:innen erhoben“ (59).

Typologien

Diese Vielzahl an Daten gilt es zu bündeln, zu ordnen, zu deuten. Dies geschieht in der Studie u. a. durch zwei Typbildungen.

Zum einen richtet sich der Blick darauf, was die befragten Gemeindereferent:innen charakterisiert. So ist das Kirchen- und Pastoralverständnis

  • entweder „sozial-diakonisch“ (bei 30,4 % der Berufstätigen und 29,9 % der Studierenden): Wichtig ist, vielerorts präsent zu sein, die Menschen bedarfsgerecht in den Mittelpunkt zu stellen, Armut zu bekämpfen …
  • „gemeindebezogen“ (35,6 %/55,2 %): lebendige Gemeinden, Sonntagsgottesdienste, Engagierte unterstützen …
  • oder „reformorientiert“ (34,0 %/14,9 %): das Evangelium neu verkünden, an neuen Orten, Experimente …

Natürlich sind das von der Forschungsgruppe gebildete Idealtypen, genauso wie bei den gewünschten Berufsprofilen. Von den Befragten (hier gibt es nicht so deutliche Unterschiede zwischen Berufstätigen und Studierenden wie bei der ersten Typologie) wollen sein:

  • „Übersetzer:in“ (11,5 %): den Glauben in die heutige Sprache übersetzen, bei der Charismenentdeckung unterstützen …
  • „Allrounder:in“ (27,0 %): in einer gemeindezentrierten Kirche verschiedenste Aufgaben übernehmen …
  • „Changeagent:in“ (27,1 %): Impulse für Kirchenentwicklung geben, Innovationen, Leitungsübernahme …
  • „Seelsorger:in“ (34,3 %): mit klarem Berufsprofil seelsorgerlich wirken …

Das sollte freilich nicht grundlegende Übereinstimmungen unter den Befragten überdecken: „Insgesamt besteht große Einigkeit darin, dass Gemeindereferent:innen Ehrenamtliche unterstützen (98,8%), Glaubensthemen übersetzen (98,5%) und Impulse für Kirchenentwicklung setzen sollten (96,8%)“ (100).

Wie geht es den Gemeindereferent:innen?

Hinter der zweiten Typologie verbergen sich aber auch Desiderata:

„In der heutigen Kirche am wenigsten eingelöst sind die Wünsche nach Leitungsverantwortung (25,0% stimmen für die heutige Kirche zu und 94,9% für die gewünschte Kirche), einem geklärten Verhältnis zwischen den pastoralen Berufsgruppen (36,3% vs. 87,4%) und einem klaren Berufsprofil von Gemeindereferent:innen (43,5% vs. 84,3%)“ (100).

Fehlende Aufstiegschancen sind also ein Thema für die Befragten, ebenso die Abhängigkeit vom leitenden Pfarrer, der Freiräume für selbstbestimmtes Arbeiten lassen kann – oder auch nicht. Es spielt auch eine Rolle, dass Gemeindereferent:innen in vielem dieselbe Arbeit wie Pastoralreferent:innen machen, aber schlechter bezahlt werden.

Deshalb fällt bei den Fragen zur Arbeits- und Lebenszufriedenheit der Mittelwert bei „Entwicklungsmöglichkeiten“ mit 4,23 (bei einer aufsteigenden Skala von 0 bis 10) auch deutlich ab, während die Zufriedenheit mit dem „Job insgesamt“ mit 7,76 über dem Mittelwert bei allen Erwerbstätigen in Deutschland (7,45 wurde hier in einer anderen Studie 2020 ermittelt) liegt. Was die Berufsbindung betrifft, so würden sich 70,8 % erneut für den Beruf entscheiden, 67,6 % sehen sich in zehn Jahren weiter im kirchlichen Dienst (hier wurden nur Befragte bis zu einem Alter von 57 Jahren berücksichtigt), und 59,3 % stimmten der Aussage zu: „Ich empfehle am kirchlichen Dienst Interessierten gerne meinen Beruf“ (44).

Die Studierenden sind mit ihrem Studium freilich recht zufrieden (Mittelwert 7,32 auf der Zehnerskala). Doch welche Berufssituation werden sie einmal vorfinden? Vielleicht hat sich in der Zwischenzeit auch durch die Anregungen aus der Studie etwas verbessert: „In einem Freitextfeld konnten die Befragten Anregungen dazu geben, wie sich ihre Arbeitszufriedenheit steigern und respektive ihre Arbeitsbelastung reduzieren ließe. Hier haben insgesamt 1.023 der befragten Gemeindereferent:innen teils sehr ausführliche Verbesserungsvorschläge gemacht (90,2 Prozent)“ (37).

Kompetent für die pastorale Transformation

Ein besonderes Augenmerk richtet die Studie auf die Qualifikationen und Kompetenzen.

„Mehr als die Hälfte der Befragten verfügt neben dem einschlägigen berufsqualifizierenden Abschluss über eine Zusatzqualifikation (57,7 Prozent): 21,6 Prozent haben ein weiteres Studium abgeschlossen, 45,5 Prozent eine weitere Berufsausbildung absolviert. Gut zwei Fünftel der Befragten verfügen außerdem über Berufserfahrung außerhalb des kirchlichen Dienstes (42,3 Prozent)“ (30).

Dazu kommen Kompetenzen, die sich viele Befragte auch durch Fort- und Weiterbildungen erworben haben. Welche Kompetenzen (spirituelle, Selbst-, Methoden-, Sozial- und Sachkompetenz) als „besonders wichtig“ erachtet werden, „um einer erwünschten Kirche näher zu kommen“ (56), hängt vom individuellen Kirchen- und Pastoralverständnis ab (spirituelle Kompetenz aber am ehesten, Sachkompetenz am wenigsten). Allerdings: „Knapp drei Viertel der Befragten haben eine klare Vorstellung davon, welchen Beitrag ihre Berufsgruppe zur Veränderung von Kirche und Pastoral leisten kann (74,8 Prozent)“ (55).

Nahe bei den Menschen

Hier spielt wohl auch ein Merkmal eine Rolle, das Gemeindereferent:innen gegenüber anderen pastoralen Berufsgruppen für sich besonders in Anspruch nehmen: Sie „beschreiben sich als den Menschen gegenüber nochmals zugänglicher, weil auf gleicher Augenhöhe mit den Gemeindemitgliedern. Sie haben das Gefühl, die Menschen ihrer jeweiligen Gemeinde aufgrund ähnlicher Lebenserfahrungen und -umstände besser verstehen zu können als beispielsweise Priester“ (98). Menschen zu helfen, war für 97,5 % wesentlicher Grund für die Berufsentscheidung; und „96,8 Prozent stimmen außerdem der Aussage zu: ‚Gemeindereferent:innen setzen Impulse, sodass sich Kirche vor Ort weiterentwickelt‘“ (98).

 

 

Veröffentlicht ist die Studie, die noch viele andere Aspekte beleuchtet, in einem bei Echter erschienenen Sammelband; die digitale Version ist kostenlos zugänglich:

Feeser-Lichterfeld, Ulrich u. a. (Hrsg.), Gemeindereferent:in. Kompetenzen und Potenziale eines unterschätzten Berufs. Eine Studie zu Berufsbild und kirchlich-pastoraler Transformation, Würzburg 2023.

Ergänzend präsentiert eine Broschüre zentrale Ergebnisse, zudem finden sich auf einer Projektwebsite u. a. Transkripte der qualitativen Befragung.