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Wenn mir Gott zerrinnt …: Rückblick

Wie kann man angemessen von Gott reden, wenn man das Gefühl hat, dass er einem angesichts einer sich ändernden Lebenswirklichkeit förmlich zwischen den Fingern zerrinnt? Das Konstrukt eines „stabilen“ Glaubenskosmos und die religiöse Sprechfähigkeit, nicht nur der pastoralen Mitarbeiter:innen, sind bei vielen abhandengekommen, sofern sie jemals existiert haben. Aufgrund dieser Analyse hat die KAMP in Kooperation mit der Hauptabteilung für Pastorale Konzeption (IV) im Ordinariat des Bistums Rottenburg-Stuttgart beginnend im Frühjahr 2022 eine zunächst auf fünf Module angelegte Reihe durchgeführt, die aufgrund der Nachfrage um eine weitere Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Lesenswert“ des Bistums Rottenburg-Stuttgart unter Mitarbeit des Referats Evangelisierung, Verkündigung und Katechese der KAMP im Mai 2023 ergänzt wurde.

Aktuelle theologische Ressourcen wurden vorgestellt und mit den Teilnehmer:innen in Online-Formaten und in einer Präsenzveranstaltung (Frankfurt a. M., Oktober 2022) in aktuelle praktische Bezüge gesetzt. Zu Beginn beschäftigten wir uns mit der Frage nach der Relevanz Gottes, dem nicht notwendigen Gott und dem Bedeutungsverlust von Kirche und Religion (Jan Loffeld). Die zweite theologische Ressource bildete die Vorstellung einer ereignisbasierten Pastoral und Theologie von einem fehlenden Gott (Michael Schüßler), die davon ausgeht, dass man Gott auch da entdecken kann, wo seine Spuren nicht in kirchlicher Sprache verpackt sind: Das Zerrinnen der Gottesrede markiere den Übergang von einem Ewigkeits- und Geschichtsdispositiv (Kirche als vorkonziliare societas perfecta bzw. als nachkonziliare, lebendige Communio-Gemeinde) in ein Ereignisdispositiv (situierte Säkularität). Die dritte theologische Ressource, eine Prozesstheologie (Julia Enxing), geht davon aus, dass Gott wandelbar, prozessfähig und selbst transformierbar ist und mit der Welt in Beziehung tritt (Resonanz). Der Mensch und die Tiere sind als co-creators wirkmächtig und Partner Gottes, der sie durch sein Locken und Werben überzeugen möchte (persuasion).

In der Reihe „Lesenswert“ zu John D. Caputos Buch „The Folly of God“ berichteten Helena Rimmele (Gemeindereferentin) und Herbert Rochlitz (Pfarrer in Emmendingen) von ihrer Übersetzung des Buches ins Deutsche und einem Interview mit Caputo, das sie Anfang des Jahres 2023 in dessen Heimatstadt Philadelphia geführt haben. Im Werk Caputos geht es um die Schwachheit Gottes und seinen wiederkehrenden Ruf (The Call), der auch an Agnostiker und Atheisten ergehe. Erst die Dekonstruktion von Vorstellungen und Glaubenssätzen (belief), die einer verfassten und damit zeitbedingten Religion und Tradition entspringen, führe zu einer Sehnsucht und einem lebendigen Glauben (faith).

Ein Fazit: Im Sprechen von Gott und in der Beschäftigung mit tradierten Gottesverständnissen stellt sich bei vielen gläubigen Menschen ein Sprachverlust ein. Dieser geht einher mit einem sich langsam manifestierenden Verlust der Identifikation mit der institutionellen Kirche oder einem Relevanzverlust des Gottesglaubens. Kirche muss sich in einer sich säkularisierenden pluriformen Gesellschaft positionieren, in der sie nicht mehr alleiniger Player ist. Sie darf Säkularisierung aber gleichzeitig nicht als feindliches Gegenüber betrachten; Säkularisierung ist vielmehr neutral wahrzunehmen als Prozess eines kontinuierlichen Schwindens christlicher Religiosität, sowohl hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Gestaltung des eigenen Lebenswandels als auch bezüglich der Relevanz und der Präsenz im öffentlichen Raum.