Inhalt

Des Kaisers neue Kleider

Systemerhalt oder Ekklesiogenesis? Vom Missverständnis einer gabenorientierten Pastoral

Charismenorientierung und auch Engagementförderung dürfen nicht nur neue Chiffren und Methoden zur Bewahrung einer bestimmten traditionellen (gemeindezentrierten) Kirchengestalt sein! So könnte man vielleicht eine zentrale Botschaft des Buches zusammenfassen.

Also nichts Neues – zumindest für diejenigen, die sich seit Jahren mit Kirchenentwicklung befassen? Tatsächlich begegnen hier viele „alte Bekannte“: Christoph Theobald und die pastoral d’engendrement ebenso wie die Kultur des Rufes aus dem Erzbistum Poitiers, die fresh expressions of church wie die Erprobungsräume. Und darüber hinaus ist das Buch an etlichen Stellen „selbstreferentiell“, wenn die AutorInnen auf eigene frühere Publikationen verweisen.

Doch will das etablierte Autorengespann die Leserinnen und Leser zu tiefergehender Reflexion mitnehmen. Dabei können Hennecke und Viecens auch mit ihren vielen Erfahrungen aus der Praxis, aus der Begegnung mit Gemeinden, Gremien und Gruppen punkten. So tritt im Laufe des Buches immer mehr ein weiterer Aspekt hinter der Oberfläche gemeindlicher Realität in den Vordergrund: dass allzu oft der Kern christlichen Lebens, die Dynamik des Evangeliums, aus dem Blick geraten ist. Das Autorenpaar plädiert deshalb für eine neue spirituelle Grundhaltung, die die Begegnung – mit Gott und Menschen –, die Gemeinschaft, das Wirken des Geistes in den Vordergrund stellt. Hennecke und Viecens wollen den Blick öffnen für das Werden, das Neue, das schon heute geschieht, das sich nicht in den Rahmen einer pfarrei- und gemeinde- und hierarchiefixierten Struktur zwängen lässt, sondern diese Rahmung aufzubrechen, aber auch neu zu füllen vermag. „Kirche ist dann vor allem jenes Ereignis des Lebens, das aus echter Begegnung wächst“ (111).

So ist dieses Buch eine Anregung zum eigenen Nachdenken, die auf Fallstricke und problematische Kirchenbilder genauso aufmerksam macht wie nach dem eigenen (christlichen) Leben fragt. Damit Kirche nicht länger „nackt“ dasteht wie der Kaiser in seinen „neuen Kleidern“.

 

Martin Hochholzer