Inhalt

Atheistisch glauben

Ein theologischer Essay

Atheistisch glauben – diesem vermeintlichen Widerspruch widmet sich Hartmut von Sass in seinem Essay, dessen intendierte Leser:innenschaft ein breites Publikum sein soll, von Fachleuten bis zu „fachlich unbelasteten Interessierten“ (8). Gleich in der Vorbemerkung erfährt man, dass „atheistisch“ als adverbiale Qualifizierung zu bewerten ist, die den Glauben konkretisiert. Sass will den Essay nicht als einen Beitrag zum Thema Säkularisierung und religiöse Indifferenz verstanden wissen, sondern den Glauben durch seinen Antagonisten bestimmen und beweisen, dass es keinen Widerspruch zwischen Glaube und alternativen Weltdeutungen gibt. Das zeigt er mittels einer Analogie aus dem Kunstmilieu: Drei Personen – ein Vertreter eines Auktionshauses, ein Kunstliebhaber und eine Chemikerin –  stehen vor einem Gemälde und betrachten es auf der Grundlage ihrer je eigenen Profession auf unterschiedliche Weisen, die aber miteinander vereinbar sind.

Der Atheismus soll „als Element des Glaubens unter post-theistischen Konditionen“ begriffen werden und sich als A-Theismus gegen allzu personal-bildhafte Vorstellungen von Gott richten. Dazu gehören klassische superlative Bezeichnungen wie „allgütig“, „allmächtig“ und „allwissend“, da sie ein unangemessenes Verständnis von Gott fördern. Diese Deutungen wiederum ziehen die Theodizee-Frage nach sich, so dass man zwangsläufig in Erklärungsnot gerate, warum Gott angesichts von Leid nicht interveniert, um es abzuwenden. Polemisch gesprochen sei diese Form von Personalismus nichts Anderes als „naiver Anthropomorphismus“ (32).

Im Zentrum des zweiten Abschnitts stehen Fragen, wie der Glaube in einem „nachmetaphysischen Zeitalter“ (Habermas) profiliert sein kann – jedenfalls nicht naiv –, und wie die Blickrichtung, nach Ludwig Wittgenstein ein Aspekte-Sehen, geschult sein kann. Diese Fragen entwirft von Sass anhand philosophisch-theologischer Begriffsdefinitionen (vgl. II Vorbereitung: Zur Architektur des Glaubens, hier Kapitel 1: Theismus, Atheismus, A-Theismus sowie Kapitel 2: Die Formen des Glaubens als faktual, fiduzial und modal). Im Wechsel der Aspekte werde Neues entdeckt und der Glaube umcodiert, so dass sich im konstant gehaltenen ontologischen Inventar erkennen lasse, was ohne den Glauben nicht möglich gewesen wäre. Diese neue Weltsicht bestimme den ganzen Menschen, was sich nicht zuletzt auch an seinen Anfechtungen, den sich kontinuierlichen Glaubenszweifeln bewahrheite. Anfechtungen als die troublemaker des Glaubens gehören zum Leben des gläubigen Menschen dazu: „Ein Glaube, der sich selbst in angeblich sicheren Gewissheiten wähnt, ist ein Widerspruch in sich selbst.“ (78)

Im dritten Abschnitt geht von Sass darauf ein, was es bedeutet, den Glauben als eine Weise, das Leben zu führen, anzusehen. Das hat einerseits Konsequenzen für den Umgang mit der Schöpfung, aber auch mit dem Bösen. Die christliche Religion wolle keine Antworten auf die Faktizität des Bösen geben, sondern einen sinnvollen Umgang mit „existentiellen Abgründen“ (102) bieten. An dieser Stelle geht von Sass mittels des zuvor geprägten modalen Glaubensbegriffs auch auf die Erlösung von Sünde ein, die – gegen Kant, Augustinus und Kierkegaard – darin bestehe, nicht zu glauben, was weitreichende Folgen für die Vorstellung von der Erbsünde als einer „apriori-Sündigkeit“ (vgl. 111) habe.

Ausgehend von der Annahme, Gott sei nicht als personales Gegenüber (be‑)greifbar, stellen Gebete eine besondere Herausforderung dar, sind sie doch die Kulmination jeglicher Kommunikation mit Gott. Ein atheistisches Glaubensangebot habe einen Perspektivwechsel und damit einen nicht durch Menschen beeinflussbaren Gott zum Inhalt. Von Sass plädiert dafür, „hoffnungsvoll [zu] leben“ (137), wofür er zur Konkretisierung zuvor den Begriff „Modalisierung des Glaubens“ eingeführt hat.

Der Essay lädt ein zu einem Perspektivwechsel, resp. zu einer Transformation: den Unglauben – vielleicht auch in Gestalt des Zweifels – nicht als Antagonisten sehen, sondern als Teil des Glaubens. Hinsichtlich ethischer Fragen hat diese Sichtweise Konsequenzen, wie wir die Welt beurteilen. Sie ist demnach als Gottes Schöpfung klassifiziert und Tiere wie Menschen sind Mitgeschöpfe. Bedenkt man die Chancen dieses Ansatzes im Blick auf Natur- und Klimaschutz, dann leistet von Sass mit seinem Essay einen nicht zu verachtenden Beitrag zu öko-theologischen Fragestellungen.

Jasmin Hack